30.01.2025

Wo bleibt die Heimsuchung des deutschen Kinos?

Rote Sterne überm Feld
Der verdiente Gewinner: Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld
(Foto: FFMOP | Laura Laab)

Ohne Gespenster: Das Problem ist das Fernsehen in den Köpfen – Überlegungen ausgehend vom diesjährigen Festival Max-Ophüls-Preis

Von Rüdiger Suchsland

»Es ist ein Film der sich um die Gespenster der deutschen Geschichte dreht, die uns heute heim­su­chen. Max Ophüls war ein jüdischer Regisseur, der unter den Repres­sionen der Nazis leiden musste. Ich hoffe sehr, dass wir alle, die wir jetzt Filme machen, solche Zeiten nie erleben müssen. Wir dürfen es uns aber nicht ganz so einfach machen, sodass wir die Guten, Aufge­klärten sind und da draußen sind die bösen Idioten.
Dass die AfD da steht, wo sie steht, und dass es Leute gibt, die denen auch glauben, hat auch etwas mit unserer Geschichte zu tun und mit den Gespens­tern dieser Geschichte.
Je besser man sie betrachtet und diese Spuren zurück­ver­folgt, umso besser kann man sich im Heute auch zu ihnen verhalten. Da wird Kino inter­es­sant.
Gespenster haben ja die Eigen­schaft, in dunklen Kellern herum­zu­spuken. Aber wenn man das Licht anmacht, dann verlieren sie auch ziemlich schnell ihren Schrecken.
Kino als Licht­kunst ist genau dafür prädes­ti­niert. In diesem Sinne würde ich Kino verstehen als Möglich­keit, das Licht anzu­ma­chen in sich verfins­ternden Zeiten.«

Das war die Dankes­rede der Regis­seurin Laura Laabs, nachdem sie am Samstag in Saar­brü­cken sehr verdient den Max-Ophüls-Preis der Film­kritik erhielt. Nach der Rede bekam sie von der Mode­ra­torin auch noch den »Preis für die beste Rede« und die »Ehre«, dass auch die Minis­ter­prä­si­dentin des Saar­landes sie später zitierte – als einzige der Preis­träger.

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Das hatte seinen guten Grund. Allein schon was Laura Laabs am Schluss gesagt hat, recht­fer­tigt schon diesen Preis und beschämte die anderen Jurys, die das nicht gesehen haben oder sehen wollten.

Es beschämte auch die Preis­träger.

Dass die Hauptjury zuerst irgend­etwas daher­schwa­felt von »gesell­schaft­li­chen Bezug«, aber dann nicht einen einzigen Film mit einem echten konkreten gesell­schaft­li­chen Bezug auszeichnet – wenn schon Relevanz, dann bitte. Dies war unver­s­tänd­lich, aber natürlich war auch die Auswahl in Saar­brü­cken so gestaltet, dass »Rote Sterne...« ein Außen­seiter-Film bliebt, ein ästhe­ti­sches Ausnah­me­pro­gramm in einem Programm, das inhal­tis­tisch und priva­tis­tisch daherkam.
Auch Laura Laabs erzählt von einer Familie – viel­leicht sogar ihrer eigenen, denn sie hatte in ihrem Eltern­haus gedreht, in ihrem Heimat­dorf – auch sie erzählt von Menschen, die sterben und gestorben sind, von fami­liärem Leiden. Aber sie tut dies eben anders, als es den Konven­tionen des Kinos und speziell des deutschen entspricht.

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Ich will keine Probleme Filme mehr sehen, ich will Filme sehen.

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Ansonsten leider ein Total­ver­sagen der Jury.

Warum ich so hinter Rote Sterne überm Feld stehe, hat erstmal nur mit diesem Film zu tun. Dazu letzte Woche und spätes­tens beim Filmstart.
Aber auch mit dem übrigen Programm, wo kein zweiter Film dieser Qualität zu sehen war, sondern allen­falls eine Klasse dahinter, oft zwei, drei. Warum mich insgesamt die Saar­brü­cke­n­er­fah­rung dieses Jahres ein bisschen ärgerte, das war trotzdem nicht die ambi­va­lente Qualität einzelner Filme, sondern das war das Gesamt­bild. Es war das, was uns Max-Ophüls über das Gesamt­bild und den Stand der Dinge des deutschen Kinos verriet. Viel­leicht hat das Auswahl­team, das in jeder Vorstel­lung viel gelobte, ja wirklich die besten Filme ausge­wählt, die sie auswählen konnten. Aber dann erst recht muss man dieses Festival-Jahr seis­mo­gra­phisch sehen und ihm ein erbärm­li­ches Zeugnis ausstellen.

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Filme mit einem Form-Bewusst­sein gibt es fast gar keine, sondern es gibt immer wieder den mittleren Realismus, immer wieder diese Fern­seh­spiel­haf­tig­keit des deutschen Kinofilms. Und dem Kinofilm muss man das Fern­seh­spiel­haf­tige vorwerfen – dem Fern­seh­film nicht. Aber das Fernsehen ist auch nicht an allem schuld. Manchmal rettet es noch, was zu retten ist. Das Problem sind weniger die Fernseh-Redak­tionen und überhaupt nicht die Fernseh-Finan­zie­rung. Vor allem ist das Problem das Fernsehen in den Köpfen.

Auch da, wo die Spielfilm-Jury einen guten Film ausge­zeichnet hat, hat sie nicht heraus­ge­ar­beitet, was dieser Film formal tut und sie hat vor allem nicht heraus­ge­ar­beitet, inwiefern es eben auch ein poli­ti­scher und politisch gemachter Film ist.

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Die Sozi­al­pä­d­ago­gi­sie­rung des deutschen Kinos hat in Saar­brü­cken ihr Zentrum, wie sonst nur noch in Berlin. Man muss dazu einfach mal im Katalog die Trig­ger­war­nungen lesen, die die Filme vorab bereits thema­tisch und auf Acht­sam­keits­ver­let­zung hin framen. Wokismus pur!

Bei der Preis­ver­lei­hung hieß es in den Reden dann »Sicht­bar­keiten schaffen, Möglich­keiten schaffen.« Oder: »es geht darum, Themen an die jungen Menschen heran­zu­bringen.« Echt?

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Die Preise für den Libanon-Doku­men­tar­film eröffnen auch Fragen: Politisch sind immer die Probleme der anderen. Wenn es um das Eigene geht, dann haben wir gesell­schaft­liche Probleme, soziale Probleme, aber auf einmal keine poli­ti­schen.
Es ist auch merk­würdig, dass nicht ein einziger Film gezeigt wurde, unter den Spiel­filmen, der sich mit Rechts­extre­mismus ausein­an­der­setzt.

Gibt es den nicht bei uns? Oder gibt es den nicht für die Regis­seure? Das hat nicht unbedingt etwas mit Herkunft zu tun, denn Menschen, die aus Arbei­ter­schichten kommen, aus migran­ti­schen Herkünften, die haben natürlich auch ihre eigenen Probleme, die sie dann auf die Leinwand werfen.
Aber was fehlt, und vermut­lich weil es nicht eingeübt ist, nie eingeübt wurde, das ist der Blick aufs Gesell­schaft­liche und für das Gesell­schaft­liche, das ist der soziale Blick, ein Blick, der verbindet und vermit­telt.

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Und dann der Gender Pay-Gap der Preis­ver­lei­hung. Wie viel Geld haben Männer bekommen, wie viel Geld haben Frauen bekommen? Frauen bekamen 10 Prozent der Preis­gelder!
Es war schön, dass der eine Preis­träger bemerkte, seine Frau habe »ihm den Rücken frei­ge­halten«.

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Eine unge­wöhn­liche Liebes­ge­schichte, die erst miss­glückt, dann als vorsich­tige Wieder­an­nähe­rung beginnt, dann doch scheitert am Verlust der Freiheit.
Ungeduld des Herzens – das ist ein Titel, dessen Poesie leider vom Film kaum eingelöst wird. Der Max-Ophüls-Preis für das Debüt des 42-jährigen Luca Cress ist ein Preis, der nicht völlig falsch ist, aber auch nicht ganz richtig, und insgesamt sehr enttäu­schend. Weil dieser Film zu wenig nach dem Unge­wöhn­li­chen sucht, sondern sich voll­kommen im Rahmen der üblichen mittelstän­di­schen Ästhetik des deutschen Kino-Fern­seh­spiels bewegt.
Weder formal noch inhalt­lich wird hier wirklich etwas riskiert. Und man muss hinzu­fügen, dass Ungeduld des Herzens mit den anderen Preis­trä­gern gemeinsam hat, dass die vier in Saar­brü­cken ausge­zeich­neten Filme auch die vier Filme mit den vermeint­lich »wich­tigsten« und »bedeu­tungs­vollsten«, mit den trau­rigsten und »rele­van­testen« Themen waren.

Das darf niemanden wundern, denn Saar­brü­cken ist das einzige unter den deutschen Film­fes­ti­vals, das einen Preis für »den rele­van­testen Film« im Programm vergibt. Was soll dabei schon heraus­kommen? Kunst bestimmt nicht.

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Das Mitglied einer anderen Jury sagte: »Wir haben es nicht geglaubt, als wir das gehört haben. Ungeduld des Herzens ist der einzige Film, aus dem wir am liebsten heraus­ge­gangen wären, wenn wir nicht in der Jury gesessen hätten.«

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Das deutsch­spra­chige Kino, zumindest legen das die meisten der dies­jäh­rigen Spiel­filme im Wett­be­werb nahe, rutscht wieder in den über­wunden geglaubten Bereich rein privater, persön­li­cher Themen zurück.

Um Klima, um soziale Probleme, um Klas­sen­fragen geht es in fast keinem der Filme, sondern es geht um Dinge wie sexueller Miss­brauch, Behin­de­rung, Tod und Sterben.

Was auch in diesem Jahr besonders deutlich auffällt: Die Gleich­stel­lungs-Welle und die Phase der Jahre, in denen nur Frauen Preise gewinnen konnten, ist erstmal vorbei – und schlägt in diesem Jahr in ihr krasses Gegenteil um: Nur Männer auf dem Regie­stuhl gewannen in den Haupt­ka­te­go­rien des Max-Ophüls-Preis.

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Tatsäch­lich ist der Schweizer Film Bagger Drama unter allen Preis­trä­gern noch der auffal­lendste und inter­es­san­teste: Auch dies ein Familien-Sterbe-Drama, aber eines, das unge­wöhn­lich erzählt ist: Da kann man der Jury zustimmen: »Unauf­ge­regt erzählt die Regie von verlet­zenden Geheim­nissen und findet selbst in der Alltäg­lich­keit eines mittelstän­di­schen Unter­neh­mens die ganz große Poesie.«

Dabei hätte es schon noch einige andere Filme gegeben, die auch formal Inter­es­santes wagten oder mit Genres spielten, etwa der öster­rei­chi­sche Film Pfau oder der Schweizer Les Courageux.

Nur die Film­kri­tiker zeigten sich in diesem Jahr aber der Heraus­for­de­rung gewachsen, auch formal Inter­es­santes zu finden und stilis­ti­sche Inno­va­tionen auszu­zeichnen. Folge­richtig gewann (siehe oben) Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld den Max-Ophüls-Preis der Film­kritik.

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Inhalt, Inhalt über alles – Story und Relevanz werden in den letzten Jahren beim Max-Ophüls-Film­fes­tival vor das Formale, Stilis­ti­sche und das Inno­va­tive gestellt. Es ist zwar nicht so, dass solche Filme gar nicht zu sehen wären, aber einen »Preis für den rele­van­testen Film« kann man nun mal nicht an einen formal inter­es­santen Liebes­film vergeben.

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Hier ist eine Korrektur in der Auswahl nicht nur wünschens­wert, sondern dringend nötig – sowohl der Filme, wie auch der Jury-Mitglieder.
Sonst bekommt das deutsche Fernsehen zwar neues Schmieröl für sein Verwer­tungs-Räderwerk, das deutsche Kino aber nicht jene sperrigen Stimmen und den Sand im Routine-Getriebe, die es so dringend braucht, und die ihm genau genommen schon seit Jahr­zehnten fehlen.

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Es ist ja kein Zufall, dass diese Woche beim Film­fes­tival von Rotterdam, dem ersten wichtigen inter­na­tio­nalen Festival des neuen Jahres, nur ein einziger Film aus dem Saar­brü­cken-Programm als inter­na­tio­nale Premiere gezeigt wird: Eben der mit dem Kriti­ker­preis ausge­zeich­nete Rote Sterne überm Feld.

Im Gegenteil hat es System. Das deutsche Kino schottet sich vom inter­na­tio­nalen Film­ge­schehen zunehmend ab – durch bürger­liche Ästhetik, durch einen mittleren Realismus, der weder in den Geschichten noch in seinen Stil­mit­teln »edgy« ist, also scharf und irri­tie­rend; und dessen poten­ti­elle Ecken und Kanten bereits lange vor Fertig­stel­lung in den Fernseh-Redak­tionen und Dreh­buch­werks­tätten der Film­för­derer rund­ge­schmir­gelt wurden.

Einst­weilen spiegeln mit diesem Befund die Saar­brü­cker Nach­wuchs­filme den Stand des ganzen deutschen Kinos – eine andere bessere Zukunft verspre­chen sie nicht.