Wo bleibt die Heimsuchung des deutschen Kinos? |
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Der verdiente Gewinner: Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld | ||
(Foto: FFMOP | Laura Laab) |
»Es ist ein Film der sich um die Gespenster der deutschen Geschichte dreht, die uns heute heimsuchen. Max Ophüls war ein jüdischer Regisseur, der unter den Repressionen der Nazis leiden musste. Ich hoffe sehr, dass wir alle, die wir jetzt Filme machen, solche Zeiten nie erleben müssen. Wir dürfen es uns aber nicht ganz so einfach machen, sodass wir die Guten, Aufgeklärten sind und da draußen sind die bösen Idioten.
Dass die AfD da steht, wo sie steht, und dass es Leute gibt, die denen
auch glauben, hat auch etwas mit unserer Geschichte zu tun und mit den Gespenstern dieser Geschichte.
Je besser man sie betrachtet und diese Spuren zurückverfolgt, umso besser kann man sich im Heute auch zu ihnen verhalten. Da wird Kino interessant.
Gespenster haben ja die Eigenschaft, in dunklen Kellern herumzuspuken. Aber wenn man das Licht anmacht, dann verlieren sie auch ziemlich schnell ihren Schrecken.
Kino als Lichtkunst ist genau dafür prädestiniert. In diesem Sinne
würde ich Kino verstehen als Möglichkeit, das Licht anzumachen in sich verfinsternden Zeiten.«
Das war die Dankesrede der Regisseurin Laura Laabs, nachdem sie am Samstag in Saarbrücken sehr verdient den Max-Ophüls-Preis der Filmkritik erhielt. Nach der Rede bekam sie von der Moderatorin auch noch den »Preis für die beste Rede« und die »Ehre«, dass auch die Ministerpräsidentin des Saarlandes sie später zitierte – als einzige der Preisträger.
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Das hatte seinen guten Grund. Allein schon was Laura Laabs am Schluss gesagt hat, rechtfertigt schon diesen Preis und beschämte die anderen Jurys, die das nicht gesehen haben oder sehen wollten.
Es beschämte auch die Preisträger.
Dass die Hauptjury zuerst irgendetwas daherschwafelt von »gesellschaftlichen Bezug«, aber dann nicht einen einzigen Film mit einem echten konkreten gesellschaftlichen Bezug auszeichnet – wenn schon Relevanz, dann bitte. Dies war unverständlich, aber natürlich war auch die Auswahl in Saarbrücken so gestaltet, dass »Rote Sterne...« ein Außenseiter-Film bliebt, ein ästhetisches Ausnahmeprogramm in einem Programm, das inhaltistisch und privatistisch
daherkam.
Auch Laura Laabs erzählt von einer Familie – vielleicht sogar ihrer eigenen, denn sie hatte in ihrem Elternhaus gedreht, in ihrem Heimatdorf – auch sie erzählt von Menschen, die sterben und gestorben sind, von familiärem Leiden. Aber sie tut dies eben anders, als es den Konventionen des Kinos und speziell des deutschen entspricht.
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Ich will keine Probleme Filme mehr sehen, ich will Filme sehen.
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Ansonsten leider ein Totalversagen der Jury.
Warum ich so hinter Rote Sterne überm Feld stehe, hat erstmal nur mit diesem Film zu tun. Dazu letzte Woche und spätestens beim Filmstart.
Aber auch mit dem übrigen Programm, wo kein zweiter Film dieser Qualität zu sehen war, sondern allenfalls eine Klasse dahinter, oft zwei, drei. Warum mich insgesamt die Saarbrückenerfahrung dieses Jahres ein bisschen ärgerte, das war trotzdem nicht die ambivalente Qualität einzelner Filme, sondern das war das
Gesamtbild. Es war das, was uns Max-Ophüls über das Gesamtbild und den Stand der Dinge des deutschen Kinos verriet. Vielleicht hat das Auswahlteam, das in jeder Vorstellung viel gelobte, ja wirklich die besten Filme ausgewählt, die sie auswählen konnten. Aber dann erst recht muss man dieses Festival-Jahr seismographisch sehen und ihm ein erbärmliches Zeugnis ausstellen.
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Filme mit einem Form-Bewusstsein gibt es fast gar keine, sondern es gibt immer wieder den mittleren Realismus, immer wieder diese Fernsehspielhaftigkeit des deutschen Kinofilms. Und dem Kinofilm muss man das Fernsehspielhaftige vorwerfen – dem Fernsehfilm nicht. Aber das Fernsehen ist auch nicht an allem schuld. Manchmal rettet es noch, was zu retten ist. Das Problem sind weniger die Fernseh-Redaktionen und überhaupt nicht die Fernseh-Finanzierung. Vor allem ist das Problem das Fernsehen in den Köpfen.
Auch da, wo die Spielfilm-Jury einen guten Film ausgezeichnet hat, hat sie nicht herausgearbeitet, was dieser Film formal tut und sie hat vor allem nicht herausgearbeitet, inwiefern es eben auch ein politischer und politisch gemachter Film ist.
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Die Sozialpädagogisierung des deutschen Kinos hat in Saarbrücken ihr Zentrum, wie sonst nur noch in Berlin. Man muss dazu einfach mal im Katalog die Triggerwarnungen lesen, die die Filme vorab bereits thematisch und auf Achtsamkeitsverletzung hin framen. Wokismus pur!
Bei der Preisverleihung hieß es in den Reden dann »Sichtbarkeiten schaffen, Möglichkeiten schaffen.« Oder: »es geht darum, Themen an die jungen Menschen heranzubringen.« Echt?
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Die Preise für den Libanon-Dokumentarfilm eröffnen auch Fragen: Politisch sind immer die Probleme der anderen. Wenn es um das Eigene geht, dann haben wir gesellschaftliche Probleme, soziale Probleme, aber auf einmal keine politischen.
Es ist auch merkwürdig, dass nicht ein einziger Film gezeigt wurde, unter den Spielfilmen, der sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzt.
Gibt es den nicht bei uns? Oder gibt es den nicht für die Regisseure? Das hat nicht unbedingt etwas mit Herkunft zu tun, denn Menschen, die aus Arbeiterschichten kommen, aus migrantischen Herkünften, die haben natürlich auch ihre eigenen Probleme, die sie dann auf die Leinwand werfen.
Aber was fehlt, und vermutlich weil es nicht eingeübt ist, nie eingeübt wurde, das ist der Blick aufs Gesellschaftliche und für das Gesellschaftliche, das ist der soziale Blick, ein Blick, der
verbindet und vermittelt.
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Und dann der Gender Pay-Gap der Preisverleihung. Wie viel Geld haben Männer bekommen, wie viel Geld haben Frauen bekommen? Frauen bekamen 10 Prozent der Preisgelder!
Es war schön, dass der eine Preisträger bemerkte, seine Frau habe »ihm den Rücken freigehalten«.
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Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die erst missglückt, dann als vorsichtige Wiederannäherung beginnt, dann doch scheitert am Verlust der Freiheit.
Ungeduld des Herzens – das ist ein Titel, dessen Poesie leider vom Film kaum eingelöst wird. Der Max-Ophüls-Preis für das Debüt des 42-jährigen Luca Cress ist ein Preis, der nicht völlig falsch ist, aber auch nicht ganz richtig, und insgesamt sehr enttäuschend. Weil dieser Film zu wenig nach dem
Ungewöhnlichen sucht, sondern sich vollkommen im Rahmen der üblichen mittelständischen Ästhetik des deutschen Kino-Fernsehspiels bewegt.
Weder formal noch inhaltlich wird hier wirklich etwas riskiert. Und man muss hinzufügen, dass Ungeduld des Herzens mit den anderen Preisträgern gemeinsam hat, dass die vier in Saarbrücken ausgezeichneten Filme auch die vier Filme mit den vermeintlich »wichtigsten« und »bedeutungsvollsten«, mit den traurigsten und
»relevantesten« Themen waren.
Das darf niemanden wundern, denn Saarbrücken ist das einzige unter den deutschen Filmfestivals, das einen Preis für »den relevantesten Film« im Programm vergibt. Was soll dabei schon herauskommen? Kunst bestimmt nicht.
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Das Mitglied einer anderen Jury sagte: »Wir haben es nicht geglaubt, als wir das gehört haben. Ungeduld des Herzens ist der einzige Film, aus dem wir am liebsten herausgegangen wären, wenn wir nicht in der Jury gesessen hätten.«
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Das deutschsprachige Kino, zumindest legen das die meisten der diesjährigen Spielfilme im Wettbewerb nahe, rutscht wieder in den überwunden geglaubten Bereich rein privater, persönlicher Themen zurück.
Um Klima, um soziale Probleme, um Klassenfragen geht es in fast keinem der Filme, sondern es geht um Dinge wie sexueller Missbrauch, Behinderung, Tod und Sterben.
Was auch in diesem Jahr besonders deutlich auffällt: Die Gleichstellungs-Welle und die Phase der Jahre, in denen nur Frauen Preise gewinnen konnten, ist erstmal vorbei – und schlägt in diesem Jahr in ihr krasses Gegenteil um: Nur Männer auf dem Regiestuhl gewannen in den Hauptkategorien des Max-Ophüls-Preis.
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Tatsächlich ist der Schweizer Film Bagger Drama unter allen Preisträgern noch der auffallendste und interessanteste: Auch dies ein Familien-Sterbe-Drama, aber eines, das ungewöhnlich erzählt ist: Da kann man der Jury zustimmen: »Unaufgeregt erzählt die Regie von verletzenden Geheimnissen und findet selbst in der Alltäglichkeit eines mittelständischen Unternehmens die ganz große Poesie.«
Dabei hätte es schon noch einige andere Filme gegeben, die auch formal Interessantes wagten oder mit Genres spielten, etwa der österreichische Film Pfau oder der Schweizer Les Courageux.
Nur die Filmkritiker zeigten sich in diesem Jahr aber der Herausforderung gewachsen, auch formal Interessantes zu finden und stilistische Innovationen auszuzeichnen. Folgerichtig gewann (siehe oben) Laura Laabs’ Rote Sterne überm Feld den Max-Ophüls-Preis der Filmkritik.
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Inhalt, Inhalt über alles – Story und Relevanz werden in den letzten Jahren beim Max-Ophüls-Filmfestival vor das Formale, Stilistische und das Innovative gestellt. Es ist zwar nicht so, dass solche Filme gar nicht zu sehen wären, aber einen »Preis für den relevantesten Film« kann man nun mal nicht an einen formal interessanten Liebesfilm vergeben.
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Hier ist eine Korrektur in der Auswahl nicht nur wünschenswert, sondern dringend nötig – sowohl der Filme, wie auch der Jury-Mitglieder.
Sonst bekommt das deutsche Fernsehen zwar neues Schmieröl für sein Verwertungs-Räderwerk, das deutsche Kino aber nicht jene sperrigen Stimmen und den Sand im Routine-Getriebe, die es so dringend braucht, und die ihm genau genommen schon seit Jahrzehnten fehlen.
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Es ist ja kein Zufall, dass diese Woche beim Filmfestival von Rotterdam, dem ersten wichtigen internationalen Festival des neuen Jahres, nur ein einziger Film aus dem Saarbrücken-Programm als internationale Premiere gezeigt wird: Eben der mit dem Kritikerpreis ausgezeichnete Rote Sterne überm Feld.
Im Gegenteil hat es System. Das deutsche Kino schottet sich vom internationalen Filmgeschehen zunehmend ab – durch bürgerliche Ästhetik, durch einen mittleren Realismus, der weder in den Geschichten noch in seinen Stilmitteln »edgy« ist, also scharf und irritierend; und dessen potentielle Ecken und Kanten bereits lange vor Fertigstellung in den Fernseh-Redaktionen und Drehbuchwerkstätten der Filmförderer rundgeschmirgelt wurden.
Einstweilen spiegeln mit diesem Befund die Saarbrücker Nachwuchsfilme den Stand des ganzen deutschen Kinos – eine andere bessere Zukunft versprechen sie nicht.