13.10.2022

Wenn die Löwinnen brüllen

7. QFFM | Neptune Frost
Ein besonderes Fundstück: Neptune Frost
(Foto: 7. QFFM | Neptune Frost)

Das 7. QFFM in München zeigt hochkarätiges queeres Filmschaffen, das in die Zukunft des Kinos weist

Von Dunja Bialas

Jenseits von biolo­gis­ti­schen Narra­tiven – so versteht sich das QFFM, das Queerfilm­fes­tival in München, das dieses Jahr zum 7. Mal abge­halten wird. »Queerness ist immer auch ästhe­tisch zu begreifen, nicht nur politisch«, fügt Festi­val­leiter*in Sylva Häutle im Gespräch hinzu. Noch ist Queerness in den Köpfen der hete­ro­nor­ma­tiven Gesell­schaft nicht etabliert. Mit »Queer­scope« aber, dem Dach­ver­band unab­hän­giger queerer Film­fes­ti­vals in Deutsch­land, gibt es mitt­ler­weile eine gut aufge­stellte bundes­weite Orga­ni­sa­tion, die bereits 21 Festivals verzeichnet – und wer sich für Film und Kino inter­es­siert, kennt die queeren Filme bereits aus dem alltäg­li­chen Kino­pro­gramm.

Auch die Akzeptanz von Seiten der Politik scheint gegeben, wenn keine Geringere als Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth für das Programm­heft der Münchner ein Vorwort beigesteuert hat. Darin spricht sie von der Wich­tig­keit der filmi­schen Sicht­bar­keit queerer Lebens­weisen. Mit 20 Filmen in fünf Tagen und einem von Arri Rental gestif­teten Preis ist durchaus geballte Aufmerk­sam­keit gegeben, mehr noch durch die hoch­karä­tigen Spiel- und Doku­men­tar­filme, die noch bis Sonntag, den 16.10. in den City Kinos am Münchner Stachus gezeigt werden.

Ein beson­deres Fundstück ist die ruandisch-ameri­ka­nisch-fran­zö­si­sche Kopro­duk­tion Neptune Frost von Anisia Uzeyman und Saul Williams. In dem Science-Fiction-Musical wird profunde Kolo­nia­lis­mus­kritik geübt, zugunsten einer ökofe­mi­nis­ti­schen Welt­ver­fasst­heit. Es geht um Elek­tro­schrott, und das Hacken von IT-Systemen, um eine herr­schende Klasse auszu­schalten, die in neoko­lo­nialer Weise die Bevöl­ke­rung ausbeutet. Ein starker Film im Sinne des Afro­fu­tu­rimus, der auch immer die anti­he­roi­sche Kollek­ti­vität feiert und allein schon deshalb zu einem ganz anderen gesell­schaft­li­chen und gender­mäßigen Ergebnis gelangt. (Fr. 14.10. 20:15, Arena)

In Koope­ra­tion mit Imma, der Orga­ni­sa­tion für heran­wach­sende Mädchen und junge Frauen, zeigt QFFM La colline où rugissent les lionnes (The Hill Where The Lionesses Roar). Die Kosovarin Luàna Bajrami, als Schau­spie­lerin aus Céline Ciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen und dem Annie-Ernaux-Abtrei­bungs­drama Das Ereignis bekannt, hat hier erstmals Regie geführt. Sie erzählt von drei Freun­dinnen, die sich in einem koso­va­ri­schen Dorf gegen Armut, Gewalt und Perspek­tiv­lo­sig­keit zusam­mentun. Sie sind die starken Löwinnen, die die Zukunft neu ordnen wollen. (Do 13.10. 18:00, City Kinos)

Das deutsch-spanische Filmdebüt Bulldog von André Szar­denings erzählt in sozial-realis­ti­scher Weise von einer jungen Mutter und ihrem bereits erwach­senen Kind – und von einer symbio­ti­schen Beziehung, die aufge­bro­chen wird, als die nur fünfzehn Jahre ältere Mutter sich in Hannah verliebt. Der Sohn stört nun etwas, die Reini­gungs­ak­ti­vi­täten von Mutter und Sohn auf Ibiza, wo sie die Feri­en­häuser der Abrei­senden sauber machen, lassen auf eine viel­leicht inzes­tuöses oder seeli­schen Miss­brauch hinwei­sende Mutter-Sohn-Beziehung schließen. Atmo­sphärisch erinnert das an die Filme von Andrea Arnold und an den White-Trash-Kosmos einer herun­ter­ge­kom­menen Arbei­ter­schicht, die im Aussteigen sich neu zu finden versucht. (Fr. 14.10., 20:15, City Kinos)

Léa Mysius gehört zu jenem jungen fran­zö­si­schen Kino, das mit frischem Wind und drän­genden Geschichten die Boho-Behä­big­keit aufwir­belt. Vielen wird sie noch vom zärtlich-fragilen Ava in Erin­ne­rung sein und zuletzt von ihrer kraft­vollen Nouvelle-Vague-Diversity-Neuschrei­bung Les Olym­piades, Paris 13e, wo sie zusammen mit Céline Sciamma am Drehbuch des fälsch­lich bisweilen als toxisch gebrand­markten Jacques Audiard mitwirkte. Jetzt kann bei QFFM ihr neuester Film Les cinq diables (The Five Devils) entdeckt werden. In ihm geht es ähnlich wie in Ava um ein Mädchen mit einer magischen Gabe: Sie kann Gerüche iden­ti­fi­zieren und repro­du­zieren. Damit ist sie eine Wieder­gän­gerin des gefürch­teten Grenouille (aus Patrick Süßkinds modernem Märchen »Das Parfum«). Anders als dort geht es hier um die matri­ar­chale Linie, die sie in archai­sche Abgründe führt. (Sa. 15.10., 20:15, City Kinos)

Mit dem marok­ka­nisch-fran­zö­si­schen Le Bleu du Caftan von Maryam Touzani schließt dann das Festival am Sonntag. In einer tradi­tio­nellen Schnei­derei, in der die pracht­vollen Kleider noch mit der Hand genäht werden, entspinnt sich zwischen den Seiden­fäden eine subtile Liebes­ge­schichte des Schnei­ders zu einem jungen und schönen Lehrling. Eine Geschichte wie aus 1001 Nacht, wunder­schön foto­gra­fiert, mit wunder­schönen Menschen, Stoffen und Kleidern, die mit dem Preis der Fipresci bedacht wurde. (So 16.10., 10:15, City Kinos, mit Preis­ver­lei­hung)

Auffällig, dass sich viele der gezeigten Spiel­filme im fran­zö­si­schen Kontext ansiedeln. Die immer noch beste Film­na­tion Europas scheint hier das Kino durch neue Themen­ge­bungen von Grund auf zu erneuern: Zum queeren Thema kommen neue Prot­ago­nist*innen und leichte, aufre­gende Erzähl­weisen. Insofern ist das QFFM auch ein Plädoyer für eine neue Zukunft des Kinos.

7. QFFM – Queer Film Festival München
11.-16.10.2022
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Programm­heft (PDF)