11.11.2021

Bucklicht Männlein

Zunehmender Horror: Întregalde
Zunehmender Horror: Întregalde
(Foto: Ge-Fo-Rum / Radu Muntean)

Das Rumänische Filmfestival zeigt in München neueste Werke, die kraftvoll von einer Art Landflucht des Kinos erzählen

Von Dunja Bialas

Man kann das Laub fast riechen, das den schmalen Waldweg bedeckt. Alles versinkt in Braun­tönen. Jetzt auch die Räder des Jeeps, die sich immer tiefer in den Schlamm graben. Hier ist kein Weiter­kommen mehr, sie stecken fest. Maria, Dan und Ilinca sind in dem unweg­samen Gelände unterwegs, eigent­lich um Hilfs­güter an die verein­zelten Bewohner im bergigen Sieben­bürgen zu verteilen, der Winter steht vor der Tür. Unterwegs haben sie ein Väterchen aufge­ga­belt, das in der Kälte zu Fuß unterwegs war. Der Zahnlose will zum Sägewerk »Între­galde«, wo er jemanden treffen soll. Zunächst erscheint er als völlig harmloser alter Mann, bringt sie dann aber wie ein Dämon vom Weg ab und immer tiefer in eine Lage hinein, aus der kein Entkommen mehr ist, nicht vor der Nacht in den einsamen Bergen, nicht vor der Kälte, nicht aus dem Schlamm.

Das Väterchen ist wie ein Wieder­gänger des volks­tüm­li­chen »bucklicht Männlein« , das Vorhaben und Pläne durch­kreuzt. »Will ich in mein Küchel gehn, / Will mein Süpplein kochen, / Steht ein bucklicht Männlein da, / Hat mein Töpflein brochen«, heißt es im Volkslied. Die Begeg­nungen mit ihm beginnen immer mit »eigent­lich wollte ich nur …«. Aber dann steht das bucklicht Männlein da, und ab da nimmt alles seinen unheil­vollen Lauf. Der Film Între­galde ist so auch ein abge­dimmter Thriller, der in der abge­schie­denen Wildnis mit den Urängsten spielt. Wie ein Kammer­spiel der Ausweg­lo­sig­keit trägt sich der Film über weite Teile auf dem laubigen und schlam­migen Waldweg zu.

Phil­an­tropie in den Bergen

Regisseur Radu Muntean ist einer der Vertreter des Neuen Rumä­ni­schen Kinos, das laut der eminenten rumä­ni­schen Produ­zentin Ada Solomon seine Hochphase mitt­ler­weile hinter sich hat. Sein Kammer­spiel Dienstag, nach Weih­nachten markierte 2010 einen der Höhe­punkte dieser Rumä­ni­schen Welle, aber auch in den späteren Ausläu­fern wie jetzt in Între­galde zeigt sich noch immer die magische Kraft der als redu­zierte Plan­se­quenzen sich ereig­nenden mensch­li­chen Konflikte. Diesmal spielt alles auf dem abge­le­genen Land, fernab der Großstadt und auch der (dysfunk­tio­nalen) Familie, eines der liebsten Sujets des Neuen Rumä­ni­schen Kinos.

In Între­galde kann das »bucklicht Männlein«, das die Pläne der Städter durch­kreuzt, auch als Inbegriff und Symbol für das Stadt-Land-Gefälle in Rumänien gelten, und – weil der Jeep wegen ihm im Schlamm stecken bleibt – auch als symbo­li­scher Grund dafür, warum im rumä­ni­schen Hinter­land nichts voran­gehen will. Kein Handy-Empfang, eine unwegsame Land­schaft und überal­terte, senile, auch schlitz­oh­rige Bewohner zersetzen die kari­ta­tive Mission der drei Buka­rester auf vielen Ebenen: Als mit der Nacht auch der Hunger kommt, finden sie in den mitge­brachten Hilfs­gü­tern nur fluffige Erdnuss-Flips.

Unter der Ober­fläche des Huma­ni­tären tut sich aber auch echte Humanität auf, wenn eine der beiden Frauen sich um das Wohl des Alten sorgt, oder wenn dieser später im Dorf von einer Einhei­mi­schen in einem Bottich gewaschen wird. Das ist kein Misery Porn und auch kein Anpran­gern der Armut, zugrunde liegt hier die echte Zuwendung zum Menschen. Das ist zutiefst phil­an­throp.

Verkrus­tung und Heilung durch Tradition

Între­galde tritt den Beweis an, dass es mit dem Neuen Rumä­ni­schen Kino noch lange nicht vorbei ist. Urauf­ge­führt in Cannes, bildet der Film das Cent­er­fold des Rumä­ni­schen Film­fes­ti­vals, das ab dem heutigen Donnerstag wieder zum ersten Mal seit 2019 vor Ort im Film­mu­seum München statt­finden kann. Im Programm sind weitere neue Werke zu finden, die auf dem Land spielen. Crai Nou (Blauer Mond), Gewinner der Goldenen Muschel des Festivals San Sebastián, ist das Debüt der jungen Regis­seurin Alina Grigore. Sie begann als Schau­spie­lerin der Neue-Welle-Regis­seure Cristi Puiu (Aurora) und Adrian Sitaru (Ilegitime) und erzählt in Blauer Mond von zwei Schwes­tern, die in den verkrus­teten länd­li­chen Struk­turen fest­ste­cken. Deren selbst­be­stimmtes Handeln, und ganz funda­mental ihre Bildung, ihre Lieb­schaften oder der Wunsch, das Dorf zu verlassen, werden von dem tyran­ni­schen Cousin als Angriff aufs Patri­ar­chat und das Fort­be­stehen der Tradition, und sei es nur des fami­liären Hotel­be­triebs, inter­pre­tiert und brachial abgewehrt.

Das Festival beginnt mit einer ganz anderen, undra­ma­ti­schen Tonlage. Die Kampagne von Marian Crişan ist eine Komödie der Gegen­sätze, in der ein hilfs­be­reiter und auch ein wenig naiver Acker­bauer aus der Region Salonta an der unga­ri­schen Grenze (von wo auch der Regisseur stammt) einem groß­spu­rigen Europa-Politiker bei einer Autopanne hilft und sich dabei vor dessen Polit-Karren spannen lässt. Anders als Între­galde, der im Grunde eine ähnliche Situation zum Ausgang hat, ist in der Komödie natur­gemäß alles freund­lich und heiter. Sukzes­sive adaptiert sich der Politiker, dessen familiäre und ökono­mi­sche Verwer­fungen allmäh­lich hervor­treten, an das einfache Dorfleben. Das ist auch das utopische Para­de­bei­spiel für die zumindest vorü­ber­ge­hende Heilung der Städter, die im Kontakt mit dem einfachen Leben auf einen Streich Hochmut, Gier, Faulheit und andere Todsünden abstreifen.

Radikal und wuchtig

Malmkrog des meis­ter­li­chen Cristi Puiu (Sier­an­evada) schließ­lich ist eins der unhin­ter­geh­baren High­lights des Festivals, gleich­zeitig auch ulti­ma­tive Heraus­for­de­rung an die Zuschauer. Eine aris­to­kra­ti­sche Abend­ge­sell­schaft disku­tiert in dem kleinen Landsitz Malmkrog in Sieben­bürgen zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts über Moral­theo­logie, Europa und den Anti-Christ. Scharf­sinnig-rational geht es zu, es wird Fran­zö­sisch gespro­chen, die Sprache des osteu­ropäi­schen Adels, während die Damen und Herren im feinen Esszimmer mit einem Glas in der Hand herum­stehen. Das Menü wird angekün­digt, man setzt sich in dem streng kadrierten Setting zu Tisch. Die Diener tragen Speisen herein, füllen Gläser nach, die Gespräche gehen weiter. Malmkrog ist ein radikales, wuchtiges Kino, voller traum­wand­le­ri­scher Sicher­heit in der Insze­nie­rung, das noch lange nachhallt – und endlich auf der großen Leinwand des Film­mu­seums seine ganze Kraft entfalten darf.

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Rumä­ni­sche Filmtage München
In Zusam­men­ar­beit mit der Gesell­schaft zur Förderung der Rumä­ni­schen Kultur und Tradition e.V.
12. bis 18. November 2021
Film­mu­seum München
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Eintritt: 4 / 3 €