28.10.2021

Der besondere Blick

FAYA DAYI
Jessica Beshirs Faya Dayi
(Foto: Janus Films/11. Afrikanische Filmtage)

Die 11. Afrikanischen Filmtage in München überzeugen ein weiteres Mal mit einem indigenen Blick aus und auf die Diversität „afrikanischer“ Realitäten

Von Axel Timo Purr

Wer sich vor kurzem über Florian Dietrichs Toubab gefreut hat oder über York-Fabian Raabes preis­ge­kröntes Debüt Borga geärgert hat, Filme die mit völlig unter­schied­li­chen Geschichten und Methoden west­afri­ka­ni­sche Hinter­gründe mit Migra­ti­ons­alltag in Deutsch­land verweben, mag sich dann und wann auch nach einer afri­ka­ni­schen Binnen­per­spek­tive gesehnt haben, eine, die wie York-Fabian Raabes nicht nur behauptet, sondern über­zeu­gend ist.

Diese Möglich­keit bieten die 11. Afri­ka­ni­schen Filmtage, die anders als die letzten Jahre, dieses Mal nicht im Gasteig in Haid­hausen statt­finden, sondern vom 28. – 31. Oktober im gerade neu eröff­neten Inte­rims­quar­tier in Sendling, dem Gasteig HP8 in der Hans-Preißinger-Straße 8.

Unter dem dem Motto „art matters“ – das übrigens auch ein Anliegen der gleich­na­migen kenia­ni­schen Initia­tive ist, haben die Veran­stalter Leni Senger und Ines Rehm auch in diesem Jahr eine kleine, aber feine Auswahl aktueller Spiel- und Doku­men­tar­filme aus afri­ka­ni­schen Ländern zusam­men­ge­tragen, die Kunst und Politik auf viel­fäl­tigste Weise mitein­ander in Beziehung setzen.

Eröffnet werden die Filmtage mit La nuit des rois (Donnerstag, 28. OKTOBER 2021, 19:00 Uhr), dessen Handlung in La Maca einsetzt, dem größten Gefängnis der Elfen­bein­küste, in dem nicht die Wärter, sondern die Insassen das Sagen haben. Angeführt von Barbe Noire folgen sie ihren eigenen Gesetzen und Riten. Als dieser wegen seines schlechten Gesund­heits­zu­standes Selbst­mord begehen soll, fürchtet er heftige Unruhen anläss­lich seiner Thron­folge und bestimmt einen Neuan­kömm­ling zum neuen „Roman“: Vom Aufgang des roten Mondes bis zum Morgen­grauen muss der junge Taschen­dieb eine Geschichte erzählen – andern­falls erwartet ihn der Tod. So entspinnt sich, begleitet von den Perfor­mances seines Publikums, die fesselnde Schil­de­rung vom Aufstieg und Untergang des Banden­chefs Zama King – dieser wurde kürzlich auf offener Straße ermordet, doch seine Wurzeln reichen zurück bis in präko­lo­niale Zeiten. LA NUIT DES ROIS zele­briert die Kunst der oralen Erzähl­tra­di­tion und verwebt dabei Mystik und Realität, Tradition und Moderne mit Vergan­gen­heit und Gegenwart der Elfen­bein­küste.

Mit wuchtigen, traumhaft kompo­nierten Bildern, aufge­nommen im alten 4:3-Kino­format, setzt Regisseur Lemohang Jeremiah Mosese seinem Herkunfts­land Lesotho in This Is Not a Burial, It’s a Resur­rec­tion (Freitag, 29. Oktober 2021, 18:00 Uhr) ein Denkmal: Die 80jährige Witwe Mantoa lebt im Dorf Nasaretha in der male­ri­schen Berg­land­schaft des kleinen König­reichs im südlichen Afrika. Ihr Gesicht ist gezeichnet von den vielen Verlusten eines langen Lebens. Nach der Beer­di­gung ihres Sohnes möchte sie ebenfalls sterben, doch als ihr Dorf einem Staudamm weichen soll und die Bewohner*innen von der Regierung zu Umsied­lungen aufge­for­dert werden, gewinnt Mantoa neue Lebens­kraft und weigert sich, das Stück Erde zu verlassen, in dem ihre Angehö­rigen ruhen und in dem auch sie sich zur letzten Ruhe betten möchte. Selbst­be­stimmt entfacht sie in ihrer Dorf­ge­meinde den kollek­tiven Geist des Wider­stands und wird zur mutigen Rebellin in einem außer­ge­wöhn­li­chen Drama über Tradition und Moderne, über Geburt und Tod.

In Système K (Freitag, 29. Oktober 2021, 20:30 Uhr) wirft Renaud Barret (der auch um Film­ge­spräch nach der Vorfüh­rung seines Films anwesend sein wird) eine Blick auf Kunst, die fernab der globalen Aufmerk­sam­keit auf Den Straßen und für die Straßen Kinshasas entsteht. In der Millio­nen­me­tro­pole drücken expe­ri­men­telle Künstler*innen wie Béni Baras, Géraldine Tobe, KOKOKO! oder Majesktik ihren Protest aus, beispiels­weise gegen Ausbeu­tung oder die Priva­ti­sie­rung von Wasser. In jener Stadt, in der die Menschen ständig neue Wege des Über­le­bens finden, nährt sich ihre Kunst vom Chaos. Für ihre spek­ta­ku­lären Werke verwenden sie alte Patro­nen­hülsen, Elek­tro­schrott, Macheten, Plas­tik­müll, Rauch, Wachs und ihre eigenen Körper. Trotz des ständigen Risikos, inhaf­tiert zu werden, verwan­deln sie den öffent­li­chen Raum in ihre Bühne, ihre Galerie. Auf den Straßen Kinshasas präsen­tieren sie ihre Bilder, Skulp­turen, Perfor­mances und Inter­ven­tionen. So entsteht, neben einer leiden­schaft­li­chen Subkultur, ein eigen­s­tän­diger Kunst­be­griff, der sich über die lokalen Gege­ben­heiten vor Ort definiert.

Das sati­ri­sche Drama The Man Who Sold His Skin (Samstag, 30. Oktober 2021, 18:00 Uhr) der tune­si­schen Regis­seurin Kaouther Ben Hania erzählt von Sam Ali und Abeer, einem heim­li­chen Liebes­paar in der syrischen Stadt Ar-Raqqa am Euphrat. Um dem Bürger­krieg zu entkommen, flüchtet Sam Ali in den Libanon, während Abeer von ihrer Familie verhei­ratet wird – an einen Diplo­maten, der sie mit nach Brüssel nimmt. Auf der Suche nach einem Weg, seiner großen Liebe nach Europa zu folgen, lässt sich Sam Ali von einem renom­mierten Künstler namens Jeffrey Godefroi ein riesiges Schengen-Visum auf den Rücken täto­wieren. Als lebendes Kunstwerk reist er nach Belgien, doch schnell wird ihm bewusst, dass er für seine neu erlangte „Freiheit“ einen hohen Preis zahlen muss. Provo­kativ widmet sich THE MAN WHO SOLD HIS SKIN den Grenzen innerhalb einer westlich domi­nierten, vermeint­lich globalen (Kunst-)Welt.

Das Spiel­film­debüt Eyimofe – This Is My Desire (Samstag, 30. Oktober, 20:30 Uhr) der Zwil­lings­brüder Arie und Chuko Esiri folgt dem Alltag zweier Menschen in Lagos, die sich nach einem besseren Leben in Europa sehnen. Die erste Episode handelt von Mofe, der tagsüber als Elek­triker und nachts als Sicher­heits­mann arbeitet. Seine Frau und seine Kinder sind gestorben, nun möchte er nach Spanien auswan­dern. Die zweite Episode erzählt die Geschichte der jungen Rosa, die sich ebenfalls mit zwei Jobs, als Barkee­perin und als Friseurin, über Wasser hält und gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester versucht, nach Italien zu gelangen. Gele­gent­lich berühren sich die Lebens­wege der beiden Prot­ago­nist*innen, die in ständiger Geldsorge leben und heftige Schick­sals­schläge erleiden. Gedreht auf 16mm, knüpft EYIMOFE an die Tradition des afri­ka­ni­schen Autor*innen­kinos der 1960er und 70er Jahre an.

Zehn Jahre lang reiste Jessica Beschir für ihren Film Faya Dayi (Sonntag, 31. Oktober 2021, 18:00 Uhr) immer wieder in das äthio­pi­sche Hochland von Harar, um den Einfluss der Kaudroge Khat auf den Alltag der dort lebenden Menschen, die jahrelang unter poli­ti­scher Repres­sion litten, filmisch zu beleuchten. Laut einem Mythos wurden die berau­schenden Khat-Blätter einst von Sufi-Imamen auf der Suche nach der Ewigkeit entdeckt. Jahr­hun­der­te­lang dienten sie der reli­giösen Medi­ta­tion – heute sind sie Äthio­piens lukra­tivstes Erntegut und weithin gebräuch­lich, um „Merkhana“ zu erreichen – einen Ort, an dem man der harten Realität entfliehen kann. Während junge Oromo-Männer auf den Feldern die Blätter der Khat­sträu­cher ernten und dabei die Hymne „Faya Dayi“ singen, möchte der 14-jährige Mohammed seinen khatsüch­tigen Vater verlassen und seiner Mutter nach Saudi-Arabien folgen. In atmo­s­phä­ri­schem Schwarz-Weiß erzählt Jessica Beshirs Doku-Drama persön­liche Geschichten von Repres­sion und Wider­stand, von Abhän­gig­keit und Sucht, aber auch von den Hoff­nungen und Träumen der Jugend.