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Jean-Luc Godard, ewig jung gebliebener Kinorevolutionär, in Berkeley, 1968 | ||
(Foto: Gary Stevens, CC BY 2.0) |
»Le Cinéma substitue à notre regard un monde qui s'accorde à nos désirs.«
JLG
Nach wie vor dreht Jean-Luc Godard Kinofilme, und zwar sehr wache zeitgenössische Werke – erst 2018 feierte sein vorerst letztes Werk Le livre d’image (»Das Buch des Bildes«) bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere. In über 70 Jahren seit seinen ersten Filmen und dem atemberaubenden Debüt mit Außer Atem (1960) hat Godard scheinbar alles gemacht – an diesem Donnerstag nun wird er 90 Jahre alt – eine Würdigung dieses ewig jung gebliebenen Kinorevolutionärs.
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Vielleicht doch Le mépris (»Die Verachtung«; 1963), die in der Villa von Curzio Malaparte auf Capri gedreht wurde, in der der alte Fritz Lang als er selber seinen letzten Auftritt im Kino hat, in dem der Regisseur Jean-Luc Godard dessen Assistenten verkörpert, in dem Brigitte Bardot und Michel Piccoli die Hauptrollen spielen, einen Drehbuchautor und eine Schauspielerin – vielleicht ist dies Godards allerschönster Film: Diese bittersüße, wunderschöne, traurige, melancholische Moravia-Verfilmung, in sonnendurchfluteten, farbenstrahlenden Bildern, die bei Godard zu einer Selbstreflexion des Filmemachens wird, wie fast alle seine Filme, und dabei auch zum Manifest purer Schönheit.
Oder doch Die Außenseiterbande (1964), mit Godards damaliger Frau Anna Karina, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in seinen Filmen zwischen zwei Männern, Sami Frey und Claude Brasseur, ein mit Kino-Referenzen gespicktes, verspieltes Porträt urbaner Jugend. Oder eines seiner letzten Werke, jenen ungemein gedankenreichen und doch erstaunlich leichten, verständlichen, musikalisch inszenierten Essayfilmen wie Notre Musique (2004), Film Socialisme (2010) Adieu au langage (2014).
Um Schönheit geht es immer bei Godard, um Sinnlichkeit, um filmische Bewegung und Assoziationskunst, nie – entgegen allen möglichen Vorurteilen – um den reinen Intellekt oder um Besserwisserei: Godard ist vor allem ein Suchender geblieben, ein spielerisch tastender, experimentierfreudiger Regisseur – das ist es wohl vor allem, was ihn jung hält, ihm bis heute Kraft gibt.
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Typisch deutsch ist es zum Beispiel, wie schon häufiger gehört, über Godard zu sagen: »Er ist ja eigentlich Schweizer.« Um mit diesen Legenden ein für allemal aufzuräumen: Godard hat auch einen Schweizer Pass, ja. Seine Eltern sind Schweizer. Aber er ist Franzose, seit seiner Geburt bis heute. Denn er wurde 1930 in Paris geboren und in Frankreich herrscht das jus solis, das bedeutet, dass jeder der in Frankreich geboren ist, automatisch die Staatsbürgerschaft hat. Noch etwas, wo sich die Deutschen eine Scheibe abschneiden könnten.
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»Ein Revolutionär« – so nennt ihn zutreffend der Filmkritiker Bert Rebhandl in seiner schönen, anregenden und wohltuend subjektiven Biographie, die gerade im Zsolnay Verlag erschienen ist, und Godard in die Tradition der Romantik um 1800 und ihrer Idee einer »Universalpoesie« stellt – ein spannender Gedanke, den wir bei nächster
Gelegenheit mal verfolgen wollen, der für mich so überraschend war wie spontan einleuchtend; wenn ich auch bei Godard mehr an Hegel denke. Vielleicht ist eben das kein Widerspruch, Godard besitzt nicht nur großes handwerkliches Können, ist vielseitig, und hat Erfolg. Entscheidender ist seine Fähigkeit zur Innovation, zur Erneuerung des Mediums. Die Unbedingtheit und Konsequenz, mit der er vorgeht.
Vor allem aber besitzt er Virtuosität, also eine gewisse Eleganz und ein
spielerisches Verhältnis zu seinen Mitteln. Godard hat zudem wie nur ganz wenige auch die Fähigkeit, das was er tut, seinem Publikum zu vermitteln, es auszudrücken, und zu erläutern. Und wenn will, kann er sehr viel Charme haben und sehr gewinnend sein.
»Kino ist Wahrheit 24 mal in der Sekunde«; »Ein Film hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – aber nicht notwendig in dieser Reihenfolge« – um einprägsame Sprüche war er jedenfalls nie verlegen.
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Patricia (3x), Veronica, Angela, Nana, Monika, Natacha (2x), Paula, Hanna, Elena – die Namen der weiblichen Hauptfiguren in Godards Filmen enden meistens mit A.
Ausnahmen: Camille, Carmen, Isabelle (Huppert), Arielle (Détective) und ausgerechnet Marie statt Maria in Je Vous Salue,
Marie
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Godard hat das Kino gleich mehrfach revolutioniert. Ende der 50er Jahre wurde er mit einigen meist gleichaltrigen Mitstreitern zum Begründer der Nouvelle Vague, der »Neuen Welle« Frankreichs, die noch mehr als die gleichzeitigen Aufbruchsbewegungen in anderen Ländern und die italienischen Neorealisten 15 Jahre zuvor, zu einem zweiten Gründungsakt des Kinos wurde. Jetzt erst unterschied sich das Kino Europas von Hollywood.
Godard gelang das, in dem er den Begriff des
Autorenfilms, der in der Theorie schon vorher formuliert war, in die Praxis übersetzte und für die neuen technischen Möglichkeiten (zum Beispiel leichtere Kameras) fruchtbar machte. Raus aus den dunklen Studios und einfach mit Freunden Filme machen, bei hellem Licht, in der Natur, mit Laien und dokumentarischen Elementen.
Der Hunger nach der Wirklichkeit paarte sich mit einem neuen Bewusstsein für Film als Kulturgut und die Geschichte des Kinos, – Godard entdeckte Lubitsch
und Lang, Chaplin und Keaton neu, feierte Zeitgenossen wie Hitchcock und Preminger als »Autoren«. Auf einmal waren Filme nicht mehr nur die Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln – sondern sie handelten unmittelbar vor der konkreten Realität der jungen Generation der Nachkriegszeit: Von ihren Sorgen, aber vor allem von ihren Träumen und Begierden, ihrer Mode und ihrer Musik. Die
Kinder von Marx und Coca Cola – so heißt einer der Filme Godards, der mit One Plus One 1968 auch einen Dokumentarfilm über die »Rolling Stones« gedreht hat. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Jugend, der Kulturrevolution – und das Kino der Nouvelle Vague war ein Teil von alldem.
Godard hat das natürlich nicht allein gemacht. Aber er war Orientierungspunkt und
Führungsfigur, der »Leader of the Pack«.
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»Ein Film, der nicht im Kino gezeigt wird, existiert nicht.«
JLG
Er war tatsächlich auch derjenige Regisseur, der die einfallsreichsten, innovativsten Mittel gebrauchte: eine völlig den Regeln widersprechende – ruckartige, sprunghafte – Montage und einen neuartigen Einsatz der Musik. Kino wurde plötzlich Teil der Pop-Kultur. Und zugleich wurde es intellektuell: Godards Themen, mit leichter Hand inszeniert, sind die Weltgeschichte, die Filmgeschichte, Philosophie, Psychologie, Soziologie. Schließlich war Godard immer schon ein sehr selbstkritischer, mit sich hadernder Filmemacher, einer, der sich mit jedem Film selber neu erfand. Nur dem Kino vertraut er – seiner Fähigkeit, nicht nur Spektakel zu sein, sondern das Gewesene unverfälscht zu bewahren, und dabei doch immer zu überschreiten.
Darum hat Godards über 70-jährige Karriere mindestens fünf große Phasen: Zuerst das unterhaltsame, trotzdem anspruchsvolle, von Amerika und der Pop-Kultur und dem Genrekino beeinflusste klassische Autorenkino der »Nouvelle Vague« mit Filmen wie A Außer Atem, Die Außenseiterbande, Die Verachtung. Dann eine Phase des politisch »revolutionären« Films, in der sich Godard der »Gruppe Dziga Vertov« anschloß und Kollektivfilme machte – in der doch er immer der Regisseur Godard blieb: Filme wie Die fröhliche Wissenschaft.
Dann die Zeit der Selbstbesinnung Mitte der Siebziger, der Arbeit
mit Video, und der Rückkehr zum Erzählkino: Rette sich, wer kann (das Leben), Vorname Carmen, Détective.
Es folgte ein Jahrzehnt der historische Reflexionen wie Deutschland Neu(n) Null, Je vous salue, Sarajevo und die monumentale Histoire(s) du Cinéma.
Und schließlich in den letzten 20 Jahren vielschichtige KinoEssays und Montagefilme: Éloge de l’amour, Notre Musique, Film Socialisme, Adieu au langage, Le livre d’image.
Dazwischen probierte Godard Medien wie Video und 3-D – und bleib der Revolutionär, Provokateur und unermüdliche Anreger, als der er begann. Und Godard hat immer Godard-Filme gemacht.
Heute ist Godard Seele und Weltgeist der Kinokunst, der beste lebende Regisseur. Wer sollte es sonst sein, wenn nicht er? Es gibt viele sehr gute Regisseure, aber es gibt keinen zweiten Godard.
Buchhinweise:
Bert Rebhandl: »Jean-Luc Godard. Der permanente Revolutionär. Biografie«; Zsolnay-Verlag, 2020
288 Seiten; 25 Euro
Gerhart Schneider/ Andreas Hamburger, u.a. (Hg.): »Jean-Luc Godard. Denkende Bilder«; Psychosozial Verlag. Gießen 2020 [Reihe: Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie]