Erinnerungsbilder |
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»Fahrraddiebe« auf Ugandisch: The Boda Boda Thieves | ||
(Foto: augenschein Filmproduktion) |
Von Dunja Bialas
Ein beißender Geruch muss über dieser trüben und eilig dahinfließenden Brühe liegen, die die heruntergekommene Altstadt von Kairo durchspült. Wir sind mitten im Gerberviertel, Arbeiter wuchten Hautlappen in Lehmbecken, streichen Felle mit einer blauen Chemikalie ein, spülen im Schwall die Soße wieder ab, das Gift gießt sich auf die Gasse. Saqr arbeitet in diesem toxischen Herz von Kairo. Die schwere körperliche Maloche erinnert an Emile Zola und die vorindustrielle Zeit der Manufakturen, an den Beginn der Moderne.
In starken, dokumentarischen Bildern erzählt uns Ahmed Fawzi Saleh in seinem Spielfilmdebüt »=« class=»nc« porose=»porose«>Poisonous Roses von Saqr, der auf diesen stinkenden Hautlappen nicht weiter seine Jugend verschwenden will. Er möchte mit dem Boot nach Italien, wie so viele andere auch. Mit seiner Schwester, sie ist Toilettenfrau, und seiner Mutter, Näherin, gehört er zur untersten Proletarierschicht von Kairo und zu denen, für die es keine Hoffnung gibt.
Regisseur Saleh kommt selbst aus Kairo und versteht sich als Sozial-Aktivist. Bei ihm wird nichts geschönt oder sanft gebettet, er will zeigen, wie die Armut die Menschen in Gefahr bringt. Wenn sie dann die Fahrt übers Mittelmeer wagen, ist das nur eine weitere Steigerung des ohnehin tödlichen Lebens. Deshalb wird Saqr im Film von der Schwester auch wieder vom Boot zurückgeholt.
»=« class=»nc« porose=»porose«>Poisonous Roses ist ein starker Film aus dem Programm von KINO ASYL, dem Münchner Festival, bei dem seit der großen sogenannten »Flüchtlingskrise« – ein Ausdruck der die eurozentristische Perspektive offensichtlich macht – vor sechs Jahren Menschen wie Saqr die Hauptrolle spielen. Es sind Geflüchtete, die die Filme auswählen, Filme aus ihrem jeweiligen Herkunftsland. Mit ihnen erzählen sie auch von ihren eigenen Geschichten, machen den großen Weg, den sie genommen haben, begreifbar.
Initiiert wurde KINO ASYL vom Münchner Medienzentrum, das dafür auf Bundesebene mit dem Sonderpreis »Kultur öffnet Welten« ausgezeichnet wurde. Wichtiger als solche Weihen aber sind die Menschen, die das Programm zusammenstellen. Ein großes Team von fast dreißig Leuten unterschiedlicher Herkunft organisiert das Festival. Da ist zum Beispiel die Iranerin Elena Arminia, die seit drei Jahren im Team von KINO ASYL ist. Oder Jarck Boy. »Bin Artist und komme aus SeneGambia«, stellt er sich auf der Website vor. Oder Mohammad Al-Shaabni aus Syrien, 34 Jahre alt, Geografielehrer, seit fünf Jahren ist er in Deutschland. »=« class=»nc« porose=»porose«>Poisonous Roses hat Hafez ausgewählt, der 31-Jährige kommt aus Syrien und lebt seit 2016 in München.
Viele der Filme im Programm gehören wie Salehs Film zu den Werken des Weltkinos, die von drängenden Problemen erzählen. Dies setzen sie hochfilmisch um und verzichten darauf, ihr Publikum offensiv emotional erreichen zu wollen, wie es bei größeren Produktionen unter Umständen der Fall ist. Nadine Labakis Capharnaüm oder Waad al-Kateab und Edward Watts Für Sama, so herausragend sie sein mögen, sind zum Beispiel schlimme tear jerkers. Die Filme von KINO ASYL eignen sich dagegen eher nicht für große Affekte, sie wirken aufrichtig und sind allemal unkitschig.
Das kann auch, nüchtern-sezierend, den blanken Horror freilegen, wie Ghost Hunting des Palästinensers Raed Andoni. In einem Rollenspiel stellen ehemalige Häftlinge des Al-Moskobiya, dem Hauptquartier, in dem unter Folter verhört wird, ihre Erlebnisse mit der Staatsmacht nach. In einem Betonbau sprühen sie die Umrisse ihrer Zelle auf den nackten Boden, erinnern sich an den Raum, in dem das Verhör stattfand. Ein Bild hing an der Wand, nein, es war ein Foto von dem Major, dort stand sein Schreibtisch. Hier ein Stuhl, und hier ein Stuhl. Eine eindringliche, packende Erinnerung, reduziert auf das Wesentliche. Die Worte wirken umso stärker.
In Ugandas Hauptstadt Kampala spielt Donald Mugishas und James Taylers The Boda Boda Thieves, eine leichthändig gefilmte und sehr bunte Version von Vittorio De Sicas Fahrraddiebe. Mugisha hat in Kampala die panafrikanische Jugendorganisation »Yes! That’s Us« mitbegründet. Aufrecht, jung und selbstbewusst ist auch The Boda Boda Thieves. Die Boda Boda sind die Tuktuks von Uganda, nur auf zwei Rädern, Taxi- und Transport-Mopeds, die durch die schlammigen Straßen von Kampala kurven, oft schwer bepackt. Das Treiben in der Stadt ist bestimmt von einem engmaschigen Netz von Verbrechen und Korruption, in das sich der 15-jährige Abel in seinem Wunsch nach einem besseren Leben fast verheddert. Ausgewählt hat den Film die 25-jährige Uganderin Lilliane Blessings, die erst seit einem Jahr in Deutschland ist und jetzt eine Ausbildung als Krankenpflegerin macht.
Die Piroge, Moussa Tourés Verfilmung des Romans von Abasse Ndione, stellt der Senegalese Mbacke Ndiaye vor. Ndiones Erzählung von der scheiternden Überfahrt über das Mittelmeer enthält ein eindringliches Plädoyer dafür, den Senegal nicht sich selbst zu überlassen, lieber im Land zu bleiben, um dort etwas aufzubauen. Ndiaye selbst kam vor fünf Jahren mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer, wie Ndiones Figuren. Bei ihm ist das gut gegangen.
Wenn man stärker in das Programm von KINO ASYL eintaucht, wird man diese innere biographisch motivierte Kohärenz von Kuratoren und Filmen immer wieder entdecken. Vielleicht braucht es auch deshalb nicht die groß inszenierten Emotionen: die Menschen von KINO ASYL bringen sie selbst mit, es sind ihre eigenen Lebensgeschichten. Ihre Geschichten kennenzulernen, heißt auch, die Augen zu öffnen für die andere Hälfte der Welt.
KINO ASYL – Filme aus unserer Heimat
29.11.-13.12.2020
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