Extasy, Exile, Extinction |
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Schlingensief meets Guy Maddin: Die Kinder der Toten |
Von Dunja Bialas
Es geht existentialistisch zu, beim diesjährigen Randfilmfest in Kassel. Für alle Freunde des bizarren Films, dessen Ränder am Horror, der Groteske, des Thrills liegen, ohne diese filmischen Reiche jemals in puristischer Reinform zu betreten, ist das Festival in Nordhessen seit sechs Jahren ein Pflichttermin. Hier finden sich Filmaficionados ein, die der gehobenen Langeweile im Kino entfliehen und deren Augen unter den auf Hochglanz gebrachten Filmproduktionen bereits zu tränen begonnen haben. Hier, beim Randfilmfestival, wird wieder ins dunkle Unbewusste des Kinos eingetaucht. Und es ist kein Zufall, dass gerade das Zombie- und Horror-Genre eine großartige Konjunktur erlebt, mit Bertrand Bonellos Zombi Child, mit Jordan Peeles Get Out und Us, mit Ali Abbasis sehr vieldeutigem Nordic-noir Border oder Tate Taylors Ma, einer durchtriebenen Rassismuskritik. Der Horror ist unter uns.
Dieses Jahr ist das Motto des Festivals die Existenz an und für sich, die kurzerhand zu »XST« akronymisiert wurde. Auch um sie geht es im Horror. Denn wie wir alle wissen: das Nichts nichtet im Nichts, man ist dem Tode zugeneigt, und die Metaphysik bietet leider auch keinen Trost. Auch sonst geht es recht unplüschig zu. »Wir zeigen Protagonisten, die nicht mehr zu retten sind, am Daseins-Schmerz verzweifeln, eine eigene Realität gefunden zu haben scheinen oder eine bessere Solidargemeinschaft«, so Volker Beller, Randfilm-Festivalleiter über die diesjährige Ausgabe. Ein Gefühl kosmischer Verlorenheit steht über allem. Dabei wird auch das Kino an und für sich befragt, das gegenüber Youtube und Netflix in die Defensive gerät – und doch kann man sich erinnern, dass die »Randfilme« immer schon gerne den hauseigenen Videorekorder gespeist haben. Den richtig krassen oder bizarren Film, den gab es allenfalls in wenigen ausgewählten Kellerkinos wie zum Beispiel im Münchner Werkstattkino.
Der randvolle Kasseler Festival-Katalog verspricht Filme vom Feinsten. Mit dabei ist eine der schrägsten Literaturverfilmungen des neuen Jahrtausends, Kelly Coppers und Pavol Liskas Die Kinder der Toten nach der gleichnamigen Ghost Novel von Elfriede Jelinek. Der auf Super-8 gedrehte Film sieht aus wie eine Zusammenkunft von Christoph Schlingensief und Guy Maddin. Grotesker Zombiereigen ist hier auf stummes Super-8-Wiedergängermaterial gebannt. Copper und Liska vom New Yorker Nature Theater of Oklahoma haben in der Steiermark gedreht und sich dabei vom österreichischen Alpenhorror, inklusive alter und neuer Nazis, inspirieren lassen. Der Film ist jetzt schon ein unhintergehbarer Klassiker.
Das schlagende Herz der diesjährigen Randfilmausgabe ist die Berlinerin Beatrice Manowski, der das Festival als grenzgängerische Schauspielerin, Autorin, Regisseurin und Sängerin huldigt. Ihre erste Filmerfahrungen sammelte sie im zarten Alter von neunzehn Jahren in Jörg Buttgereits Nekromantik (1987), danach ging es undergroundig-unterhaltsam weiter. Der blaue Mond (1989) ist das Debüt von Monika Schmid, in dem Beatrice Manowski mitspielt. Seit Ende der Achtziger wurde er nicht mehr wiederaufgeführt, ist so gewissermaßen ein untoter Film, der auf dem Randfilmfestival nun noch einmal seinen Auftritt hat. Ende der achtziger Jahre war Endzeitstimmung in Berlin. Die Achtziger hatten ihr Werk getan, Häuserkampf und Post-Punk hatten zur Erschöpfung geführt. Ein neuer Feminismus kam auf, postmodern, selbstbewusst und selbstironisch. Mit Drop Out (1998) schlägt Manowski elf Jahre nach Jörg Buttgereit als »Nippelsuse« in Eigenregie zurück. Wolfgang Büld, Punk- und Gib-Gas-ich-will-Spaß-Regisseur, hat beim Skript mitgearbeitet. Das verspricht wild zu sein. Man kann sich auf das Midnight-Movie freuen: Beatrice Manowksi und Kameramann Uwe Bohrer sind zu Gast.
Ein zwingender Must-See-Termin ist der äußerst rare HORS SATAN (2011) von Bruno Dumont, einem der intellektuellsten, originellsten und experimentierfreudigsten Regisseure Frankreichs. Ursprünglich hatte er Philosophie studiert und sich vom kritisch-rationalen Christentum um Ernest Renan beeinflussen lassen (sein Debüt La Vie de Jésus war eine Verfilmung eines seiner Romane). Nicht zuletzt deshalb sind seine Filme existentialistisch durchdrungen, wie zuletzt der Kino-Zweiteiler Jeannette und Jeanne, eine Musical-Vitalkur für die Legende von Jeanne d’Arc, oder seine durchgeknallte Polizeifilm-goes-Zombie-Serie »Kindkind« und »Quakquak und die Nichtmenschen« bewiesen haben.
Neben den historischen Wiedergängerfilmen gibt es auch junges Blut zu lecken. Beim Randfilm-Award ist der Nachwuchs zu sehen, erstmals auch in der Kurzfilm-Sparte mit viel Hochschulkompetenz. Seit ein paar Jahren besinnt man sich auch an den Institutionen wieder auf den Genrefilm. Der Erfolg von Lukas Feigelfelds Hagazussa letztes Jahr hat hier schlagkräftige Argumente jenseits des ambitionierten Autorenfilms geliefert. Die Kurzfilmrolle zeigt hierfür eindringliches Anschauungsmaterial in den drei Festival-Sub-Kategorien »Extasy«, »Exile« und »Extinction«. Im Langfilm-Award sind neben dem bereits hervorgehobenen Die Kinder der Toten noch sieben weitere Debüts zu sehen. Der dänische Holiday von Isabella Eklöf ist dabei, eine brutale Kombi aus »Sonne, Schmerz und Sinnlichkeit«, wie der Film im Untertitel verrät, von der man sich lange nicht erholt. Gleiches gilt für Pablo Ben-Yakovs skandalumwobenen Lord of the Toys (Goldene Taube DOK Leipzig) über den YouTube-Hetzer Max 'Adlersson' Herzberg. Hier schlägt die profunde Dialektik des Kinos zu: Man kann nur aufklären, indem man zeigt, und somit das Ausgegrenzte reinholt. Die Aufregung um den Film bildete sich um die Frage, ob hier nicht Protagonisten mit einem unfeinen Menschenbild, um es mal möglichst neutral auszudrücken, eine Plattform gegeben wurde, was an sich moralisch anzuzweifeln wäre. Aber auch das ist »Randfilm«: dort hinsehen, wo andere wegschauen.
Weitere Filme im Rand-Award sind Ende Neu von Leonel Dietsche, der französische Jessica Forever von Caroline Poggi und Jonathan Vinel, The Last To See Them von Sara Summa und schließlich All The Gods In The Sky von dem / der anonym bleibenden »Quarxx«. Der Film konfrontiert uns mit einer schwerbehinderten Schwester, die geheilt werden soll, indem sie von lästiger irdischer Schwerkraft befreit wird. Auch hier sind existentielle Randgebiete inbegriffen.
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6. Randfilmfest Kassel – »XST«
19. bis 22. September 2019
Spielorte:
Interim in der Nachrichtenmeisterei, Franz-Ulrich-Str. 15, Kassel
Film-Shop Kassel, Erbergerstr. 12, Kassel
Tickets kosten so viel, wie man zahlen möchte.
Veranstalter: Randfilm e.V.