16.09.2019

Extasy, Exile, Extinction

Randfilmfest
Schlingensief meets Guy Maddin: Die Kinder der Toten

Das 6. Randfilmfest Kassel widmet sich dem Thema »Existenz« und zeigt neben Wiedergänger-Klassikern auch frisches Blut

Von Dunja Bialas

Es geht exis­ten­tia­lis­tisch zu, beim dies­jäh­rigen Rand­film­fest in Kassel. Für alle Freunde des bizarren Films, dessen Ränder am Horror, der Groteske, des Thrills liegen, ohne diese filmi­schen Reiche jemals in puris­ti­scher Reinform zu betreten, ist das Festival in Nord­hessen seit sechs Jahren ein Pflicht­termin. Hier finden sich Filma­fi­cio­nados ein, die der gehobenen Lange­weile im Kino entfliehen und deren Augen unter den auf Hochglanz gebrachten Film­pro­duk­tionen bereits zu tränen begonnen haben. Hier, beim Rand­film­fes­tival, wird wieder ins dunkle Unbe­wusste des Kinos einge­taucht. Und es ist kein Zufall, dass gerade das Zombie- und Horror-Genre eine großar­tige Konjunktur erlebt, mit Bertrand Bonellos Zombi Child, mit Jordan Peeles Get Out und Us, mit Ali Abbasis sehr viel­deu­tigem Nordic-noir Border oder Tate Taylors Ma, einer durch­trie­benen Rassis­mus­kritik. Der Horror ist unter uns.

Dieses Jahr ist das Motto des Festivals die Existenz an und für sich, die kurzer­hand zu »XST« akro­ny­mi­siert wurde. Auch um sie geht es im Horror. Denn wie wir alle wissen: das Nichts nichtet im Nichts, man ist dem Tode zugeneigt, und die Meta­physik bietet leider auch keinen Trost. Auch sonst geht es recht unplü­schig zu. »Wir zeigen Prot­ago­nisten, die nicht mehr zu retten sind, am Daseins-Schmerz verzwei­feln, eine eigene Realität gefunden zu haben scheinen oder eine bessere Soli­dar­ge­mein­schaft«, so Volker Beller, Randfilm-Festi­val­leiter über die dies­jäh­rige Ausgabe. Ein Gefühl kosmi­scher Verlo­ren­heit steht über allem. Dabei wird auch das Kino an und für sich befragt, das gegenüber Youtube und Netflix in die Defensive gerät – und doch kann man sich erinnern, dass die »Randfilme« immer schon gerne den haus­ei­genen Video­re­korder gespeist haben. Den richtig krassen oder bizarren Film, den gab es allen­falls in wenigen ausge­wählten Keller­kinos wie zum Beispiel im Münchner Werk­statt­kino.

Wieder­gän­ger­filme

Der randvolle Kasseler Festival-Katalog verspricht Filme vom Feinsten. Mit dabei ist eine der schrägsten Lite­ra­tur­ver­fil­mungen des neuen Jahr­tau­sends, Kelly Coppers und Pavol Liskas Die Kinder der Toten nach der gleich­na­migen Ghost Novel von Elfriede Jelinek. Der auf Super-8 gedrehte Film sieht aus wie eine Zusam­men­kunft von Christoph Schlin­gen­sief und Guy Maddin. Grotesker Zombier­eigen ist hier auf stummes Super-8-Wieder­gän­ger­ma­te­rial gebannt. Copper und Liska vom New Yorker Nature Theater of Oklahoma haben in der Stei­er­mark gedreht und sich dabei vom öster­rei­chi­schen Alpen­horror, inklusive alter und neuer Nazis, inspi­rieren lassen. Der Film ist jetzt schon ein unhin­ter­geh­barer Klassiker.

Berliner Grandezza-Göre Beatrice Manowski

Das schla­gende Herz der dies­jäh­rigen Rand­film­aus­gabe ist die Berli­nerin Beatrice Manowski, der das Festival als grenz­gän­ge­ri­sche Schau­spie­lerin, Autorin, Regis­seurin und Sängerin huldigt. Ihre erste Filmer­fah­rungen sammelte sie im zarten Alter von neunzehn Jahren in Jörg Butt­ge­reits Nekro­mantik (1987), danach ging es under­groundig-unter­haltsam weiter. Der blaue Mond (1989) ist das Debüt von Monika Schmid, in dem Beatrice Manowski mitspielt. Seit Ende der Achtziger wurde er nicht mehr wieder­auf­ge­führt, ist so gewis­ser­maßen ein untoter Film, der auf dem Rand­film­fes­tival nun noch einmal seinen Auftritt hat. Ende der achtziger Jahre war Endzeit­stim­mung in Berlin. Die Achtziger hatten ihr Werk getan, Häuser­kampf und Post-Punk hatten zur Erschöp­fung geführt. Ein neuer Femi­nismus kam auf, post­mo­dern, selbst­be­wusst und selbst­iro­nisch. Mit Drop Out (1998) schlägt Manowski elf Jahre nach Jörg Butt­ge­reit als »Nippel­suse« in Eigen­regie zurück. Wolfgang Büld, Punk- und Gib-Gas-ich-will-Spaß-Regisseur, hat beim Skript mitge­ar­beitet. Das verspricht wild zu sein. Man kann sich auf das Midnight-Movie freuen: Beatrice Manowksi und Kame­ra­mann Uwe Bohrer sind zu Gast.

Bruno Dumont: kritisch-ratio­naler Christ

Ein zwin­gender Must-See-Termin ist der äußerst rare HORS SATAN (2011) von Bruno Dumont, einem der intel­lek­tu­ellsten, origi­nellsten und expe­ri­men­tier­freu­digsten Regis­seure Frank­reichs. Ursprüng­lich hatte er Philo­so­phie studiert und sich vom kritisch-ratio­nalen Chris­tentum um Ernest Renan beein­flussen lassen (sein Debüt La Vie de Jésus war eine Verfil­mung eines seiner Romane). Nicht zuletzt deshalb sind seine Filme exis­ten­tia­lis­tisch durch­drungen, wie zuletzt der Kino-Zwei­teiler Jeannette und Jeanne, eine Musical-Vitalkur für die Legende von Jeanne d’Arc, oder seine durch­ge­knallte Poli­zei­film-goes-Zombie-Serie »Kindkind« und »Quakquak und die Nicht­men­schen« bewiesen haben.

Randfilm-Award

Neben den histo­ri­schen Wieder­gän­ger­filmen gibt es auch junges Blut zu lecken. Beim Randfilm-Award ist der Nachwuchs zu sehen, erstmals auch in der Kurzfilm-Sparte mit viel Hoch­schul­kom­pe­tenz. Seit ein paar Jahren besinnt man sich auch an den Insti­tu­tionen wieder auf den Genrefilm. Der Erfolg von Lukas Feigel­felds Hagazussa letztes Jahr hat hier schlag­kräf­tige Argumente jenseits des ambi­tio­nierten Auto­ren­films geliefert. Die Kurz­film­rolle zeigt hierfür eindring­li­ches Anschau­ungs­ma­te­rial in den drei Festival-Sub-Kate­go­rien »Extasy«, »Exile« und »Extinc­tion«. Im Langfilm-Award sind neben dem bereits hervor­ge­ho­benen Die Kinder der Toten noch sieben weitere Debüts zu sehen. Der dänische Holiday von Isabella Eklöf ist dabei, eine brutale Kombi aus »Sonne, Schmerz und Sinn­lich­keit«, wie der Film im Unter­titel verrät, von der man sich lange nicht erholt. Gleiches gilt für Pablo Ben-Yakovs skan­dal­um­wo­benen Lord of the Toys (Goldene Taube DOK Leipzig) über den YouTube-Hetzer Max 'Adlersson' Herzberg. Hier schlägt die profunde Dialektik des Kinos zu: Man kann nur aufklären, indem man zeigt, und somit das Ausge­grenzte reinholt. Die Aufregung um den Film bildete sich um die Frage, ob hier nicht Prot­ago­nisten mit einem unfeinen Menschen­bild, um es mal möglichst neutral auszu­drü­cken, eine Plattform gegeben wurde, was an sich moralisch anzu­zwei­feln wäre. Aber auch das ist »Randfilm«: dort hinsehen, wo andere wegschauen.

Weitere Filme im Rand-Award sind Ende Neu von Leonel Dietsche, der fran­zö­si­sche Jessica Forever von Caroline Poggi und Jonathan Vinel, The Last To See Them von Sara Summa und schließ­lich All The Gods In The Sky von dem / der anonym blei­benden »Quarxx«. Der Film konfron­tiert uns mit einer schwer­be­hin­derten Schwester, die geheilt werden soll, indem sie von lästiger irdischer Schwer­kraft befreit wird. Auch hier sind exis­ten­ti­elle Rand­ge­biete inbe­griffen.

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6. Rand­film­fest Kassel – »XST«

19. bis 22. September 2019
Spielorte:
Interim in der Nach­rich­ten­meis­terei, Franz-Ulrich-Str. 15, Kassel
Film-Shop Kassel, Erber­gerstr. 12, Kassel
Tickets kosten so viel, wie man zahlen möchte.

Veran­stalter: Randfilm e.V.