Neue Heimat? |
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Das Paradies auf der dunklen Seite des Monds: Ausfahrt Eden |
Von Dunja Bialas
Eden ist nicht nur der irdische Paradiesgarten. In seiner ursprünglichen Bedeutung meint »Eden« den Rand einer Steppe, einen unfruchtbaren Ort, erst später wurde es zum friedvollen Garten. Jürgen Brügger und Jörg Haaßengier haben in ihrem Dokumentarfilm Ausfahrt Eden eine Tafel vorangestellt, in der sie erklären, dass auch das Hinterland der Zentren, die Peripherie »Eden« genannt werden. Diesen unwirtlichen Gegenden haben sie einen wunderschön fotografierten Film gewidmet, in dem sie ganz auf die stille Beobachtung vertrauen. Zwischen Bahngleisen, neben Autobahnausfahrten und an steilen Wällen des Transits spüren sie Leuten auf, die sich kleine Inseln der Glückseligkeit geschaffen haben und Heimat dort erleben, wovon eigentlich jeder nur weg will.
»Neue Heimat« hat Claudia Engelhardt, stellvertretende Leiterin des Filmmuseums München, ihre zum zehnten Mal stattfindende Filmreihe übertitelt. In ihrer Reihe geht es stets zu Anfang des Jahres, wie in einem erschrockenen Innehalten, bevor die Tagesgeschäfte wieder richtig in Fahrt kommen, um die globalen Verflechtungen und das, was die Welt zusammenhält: die Wirtschaft. Beziehungsweise nicht zusammenhält: zerreist. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht, migrieren zwischen den Welten, und immer dringlicher wird die Frage nach dem, was »Heimat« genannt werden kann und mit welchem Gefühl sie sich verbindet. Die Filme der 10. FilmWeltWirtschaft zeigen sich hochaktuell.
Jeder Film wird von einem ausführlichen Gespräch begleitet, das die Fragestellungen aufgreift und weiterführt. Ein schönes Format, das gestattet, ganz anders über Film nachzudenken: als Impulsgeber und Diskursmöglichkeit.
So diskutieren im Anschluss an das Filmessay The Wounded Brick über das verheerende Erdbeben in den italienischen Abbruzzen der Stadtplaner und Architekt Oliver Heiss sowie ein Vertreter der Münchner Aktionsgruppe »Goldgrund« über neue Modelle der Unterkunft als temporäres Wohnen, wie das beispielhafte Grandhotel in Augsburg, das Hotelgäste und Flüchtlinge in einem Haus vereint. (Do., 19:00 Uhr)
Temporäres Wohnen meint hier nicht nur das privilegierte der Reisenden. Eine »Hotel« benannte Unterkunft für Asylsuchende ist nicht mehr das Heim, in dem die Nichtgewollten untergebracht werden. Es verheißt die Weiterreise, einen gewissen Komfort und eine freiwillige Bleibe. Jeder, der das Grandhotel in Augsburg schon einmal besucht hat, weiß, dass dies nicht nur PR-Geschwätz ist.
Die ungewisse Ankunft der Flüchtlinge in einem Ort, der vielleicht eine neue Heimat für sie sein könnte, beleuchtet der Dokumentarfilm Land in Sicht der Regisseurinnen Antje Kruska und Judith Keil. Durchaus humorvoll gehen sie den kulturellen Missverständnissen nach, die sich zwischen einer engagierten Sozialarbeiterin und drei Asylbewerbern aus dem Jemen, Iran und Kamerun im Brandenburgischen Städtchen Bad Belzig ergeben. (Fr., 18:30 Uhr, anschließendes Gespräch mit der Fachgebietsleiterin von Alveni-Caritas, Carmen Boluarte)
Der Iraner Peyman Saba, der 1996 als Asylsuchender nach Deutschland kam, verarbeitet als Filmemacher in Staatenlos seine eigenen Erfahrungen als Flüchtling, die er in der Gemeinschaftsunterkunft in Neuburg an der Donau machte. Er schlägt den Bogen zwischen den eigenen Erinnerungen und der heutigen Zeit und spricht mit den akutellen Bewohnern (Sa., 18:30 Uhr, Peyman Saba ist zu Gast).
Aber nicht nur die brisanten Aspekte der Migration werfen die Frage nach der neuen Heimat auf. Auch für die schon dort Wohnenden stellt sich die Frage, in welcher Welt sie eigentlich leben wollen. Das neue Bewusstsein über Heimat und deren Pflege nahm in den 80er Jahren seinen Anfang, zeitgleich mit den Protesten gegen die Aufrüstung, Wackersdorf und das Waldsterben. »Grün kaputt« hieß eines der schlagkräftigen Stichwörtern, die in einer asphaltierten und Unkraut-freien Umgebung nach mehr Natur verlangten. Dieter Wieland hat 1983 einen gleichnamigen Dokumentarfilm geschaffen, in dem er der Zersiedelung und Zerstörung von Landschaft nachgeht. Auch wenn die Isar mittlerweile renaturiert ist und Revolution auch in Form des »Guerilla Gardening« Anerkennung findet, sind die Beobachtungen von damals immer noch relevant (So., 18:30 Uhr, Gespräch mit Dieter Wieland und Silvia Gonzalez von Green City).
Ausfahrt Eden zum Abschluss der sieben Programme umfassenden Filmreihe (So., 21:00 Uhr, Gespräch mit Jörg Haaßengier) zeigt, dass es letztlich keinen Unterschied macht, wie schön oder unwirtlich die gebaute Umgebung um einen herum ist, um sich eine Heimat zu schaffen. Heimat ist ein Akt der Handlung, der das Herz erwärmt. Wenn wie im Grandhotel die Reisenden ihre Umgebung mitgestalten dürfen, ist dies allemal Trost spendend.
10. FilmWeltWirtschaft – Migration
22.-25.01.2015, Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1