Die Welt als Wille und Vorstellung |
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Brexitannia: Was die Briten über den Brexit sagen |
Von Dunja Bialas
Keine Experimente, bitte! heißt es gewöhnlich von offiziellen Stellen. Egal, ob Münchner Städteplaner, Fernsehprogrammdirektoren oder Kulturinhaber: alle wollen das, was sich bewährt hat, was man kennt, was man hat. Gerade in der Politik tut man sich schwer mit Experimenten, die nicht in die neoliberale Richtung sogenannter »Wirtschaftsinnovationen« zeigen.
Dennoch werden wir gerade Zeuge des größten politischen Experiments seit den Plänen Napoleons, der unter dem Ärmelkanal einen Tunnel von Frankreich nach Großbritannien buddeln wollte. Kaum wurde dies zweihundert Jahre später in die Tat umgesetzt, wird jetzt der Tunnel metaphorisch wieder zugeschüttet: Der Brexit ist da!
Die neueste Ausgabe der alljährlich im Filmmuseum München zum Jahresbeginn stattfindenden Film- und Diskussionsreihe »FilmWeltWirtschaft« widmet sich den Experimenten von Politik, Wirtschaft und NGOs. Wer die Live-Debatten im britischen Unterhaus in den vergangenen Tagen verfolgt hat, wird eine große Freude haben, in Brexitannia (2017), dem bereits kurz nach dem Referendum entstandenen Kinofilm zum Brexit, den Statements der »Brexiteers« und »Remainers« zu lauschen. Hier sagen die Menschen Großbritanniens unverblümt, was sie denken, oft ist das auch inkorrekt, aber auch sehr erhellend, klug und immer divers: es sind Frauen, Männer, Homosexuelle, Alte, Junge, Traditionalisten, Migranten, Nationalisten, Trumpisten, Theoretiker, Arbeiter, Kritiker, Philosophen und Schäfer. Regisseur Timothy George Kelly ist auch Videokünstler und hat ein überzeugendes Setting für die Statements gefunden. Die Menschen von Großbritannien sprechen direkt in die Kamera, platziert in die Landschaft, Pubs oder an ihrem Arbeitsplatz. Alles ist sorgfältig in 4:3 kadriert und auf Schwarzweiß gebannt. Brexitannia entfaltet so ein vielstimmiges und facettenreiches Panorama zu einem der gewagtesten Experimente des Jahrzehnts. (Brexitannia, Samstag, 19.1., 18:30 Uhr, anschließend Diskussion mit dem Soziologen Stephan Lessenich)
Spanien erfährt seit der Weltwirtschaftskrise, dass diese vor allem die Krise der Arbeit herbeigeführt hat. Eines der dringlichsten Probleme ist so auch die Arbeitslosigkeit im Land; Migration und berufsfremde Tätigkeiten sind die Folge. Aus dieser Misslage resultiert eine grundlegende Entfremdung von der Arbeit, was auch das Thema des verblüffend inszenierten La mano invisible (2016)
von David Maciáns Langfilmdebüt ist. Die titelgebende »unsichtbare Hand« geht auf den Ökonomen Adam Smith zurück, die als Metapher allgemein für die Selbststeuerung der Wirtschaft über Angebot und Nachfrage steht, aber auch für das unsichtbare Strippenziehen in der Welt der Ökonomie, deren Marionetten wir am Ende sind. Macián inszeniert den abstrakten Begriff als schillernden Film, der sich zwischen Lars von Triers Dogville und den immer auch sarkastischen Gesellschaftsexperimenten von Yorgos Lanthimos ansiedelt.
Bei Macián ist die Welt eine Bühne. Arbeitslos gewordene Arbeiter werden angeheuert, bei einer Theaterinstallation mitzuwirken, in der sie ihre Arbeit performen. Der Maurer mauert und setzt Ziegel auf Ziegel, die Näherin näht Büstenhalter, die Telefonistin lanciert telefonisch Umfragen über Arbeit, der Metzger zerlegt
Fleischbrocken, der Automechaniker montiert Reifen. Am Ende des Tages wird wieder alles rückgängig gemacht: die BHs aufgetrennt, die Mauern eingerissen, die Reifen abmontiert und aufgeräumt: Hier ist Sisyphos am Werk.
Die Bühneninstallation demonstriert die Sinnlosigkeit der Arbeit, verschärft um die Tatsache, dass den Akteuren selbst Sinn und Zweck ihres Tuns im Rahmen des Projekts verborgen bleiben. Einmal beichtet die Telefonistin einem Kollegen, sie hätte Umfragen gefaked, prompt sei ihr Geld abgezogen worden. Die unsichtbare, aber auch unbekannte Hand überwacht das Tun, und es wird erwartet, so zu arbeiten, als wäre dies nicht ein ins Produktions-Nirwana führendes installatives Projekt. Bald kommt es zu Tumulten: das Publikum möchte mehr Action auf der Bühne und genießt die aufkommende Anspannung bei den sinnlos Arbeitenden. (La mano invisible, Samstag, 19.1., 21 Uhr, Zu Gast: Regisseur David Macián)
Auch in den Alpenländern kommt es zu Experimenten, hier vor allem mit der Umwelt. So hat sich das Tal von Mals in Südtirol in eine Apfelbaum-Monokultur transformiert, obwohl der Anbau von Äpfeln aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen nur unter hohem chemischem Einsatz möglich ist. Der österreicherische Filmemacher Alexander Schiebel zeigt in Das Wunder von Mals einen Bio-Kräuter-Bauern, der endgültig genug davon hat, unter Plastik zu leben, um sich und seine Ernte vor der toxischen Umwelt zu schützen. Gemeinsam mit den Bewohnern des Ortes will er eine pestizidfreie Zone errichten, stößt dabei auf starken Widerstand seitens der einflussreichen Obstlobby. (Das Wunder von Mals, Donnerstag, 17.1., 19 Uhr, anschließend Diskussion mit Vertreter*innen des Münchner Umweltinstituts)
Der Ausverkauf der Alpen ist in Andermatt in der Schweiz gerade groß im Gange. Den malerischen, aber touristisch unlukrativen Ort will ein ägyptischer Investor zum Luxusresort umbauen. Andermatt – Global Village (2015) des Schweizer Leonidas Bieri tritt den Beweis an, dass schon die ersten Alpen-Gentrifizierer vor Ort sind und vom Geld schwärmen, das sie bald verdienen werden. Natürlich gibt es auch Skeptiker angesichts des Luxussegments, in dem man sich verorten soll. Das Projekt beginnt zu stocken. Ad acta aber ist es nicht gelegt. Bis dies (hoffentlich) in ferner Zukunft passiert, werden wir Zeuge eines absurden Experiments, das nach dem Motto durchgeführt wird: Was möglich ist, wird auch gemacht. (Andermatt, Sonntag, 20.1., 17:30 Uhr, zu Gast: Leonidas Bieri (Regisseur) und Roman Ossner (Deutscher Alpenverein))
Manchmal tut es gut, den Blick umzukehren. Was wäre wenn? Einen Perspektivwechsel inszenieren Ferdinand Carrière und Christian Weinert in ihrem Dokumentarfilm One Year in Germany, dem ein soziales Experiment zugrunde liegt. Ein Jahr lang absolvieren vier Afrikaner*innen Freiwilligendienste in Deutschland. Eine Art Entwicklungshilfe, baut doch unser Sozialsektor auf exploitative Weise auf dem Ehrenamt auf. Neben netten Deutschen, die sich über das afrikanische Engagement in Europa ein wenig wundern, kommt es natürlich auch zu Begegnungen mit entlarvenden Klischees. Der Film ist aus der Perspektive der als Testpersonen fungierenden Helfer*innen erzählt und hält der Tümelei in Deutschland einen immer auch vergnüglichen Spiegel vor. (One Year in Germany, Freitag, 18.1., 18:30 Uhr)
FilmWeltWirtschaft
17.-20. Januar 2019, Filmmuseum München
Eintritt: 4 € (Mitglieder des MFZ 3 €)
Das Programm wird von der stellvertretenden Leiterin des Filmmuseums München, Claudia Engelhardt, kuratiert.