06.08.2009

Perlen im Gemischtwarenladen

Palermo flüstert
Palermo flüstert – ein Stammgast der Münchner Filmkunstwochen

Das Programm der 57. Filmkunstwochen mit neuem Konzept

Von Claus Schotten

Anfang der 50er Jahre gab es das Sommer­loch nicht nur in den Nach­richten sondern auch im Kino. Zur Feri­en­zeit starteten die Verleiher damals keine neuen Filme. Den Kinos fehlten folglich aktuelle, zuschau­er­träch­tige Kopien. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und die besten Filme der vergan­genen Jahre sowie Klassiker der Filmkunst, für die im normalen Programm kein Platz war, noch einmal auf die Leinwand bringen? So muss der Münchner Kino­ma­cher Fritz Falter gedacht haben, als er die Film­kunst­wo­chen erfand, um das Sommer­loch sinnvoll zu stopfen.

Tempi passati.

Dank Internet starten US-Block­buster inzwi­schen hier­zu­lande fast zeit­gleich mit den USA – und damit im Sommer. Gerade verstopfen Harry Potter und Ice Age 3 die hiesigen Leinwände. So haben auch einhei­mi­sche Produ­zenten gemerkt, dass die Deutschen durchaus bereit sind, im Sommer ins Kino zu gehen. Große Starts wie diese Woche Maria, ihm schmeckt’s nicht sind die Folge. Und die Filmkunst drängt nun ebenfalls auf die Leinwand, wie die aktuellen Starts von Zerris­sene Umar­mungen, Ich habe sie geliebt, Erzähl mir was vom Regen oder Mitte Ende August beweisen. Ein Sommer­loch gibt es nur noch im Film­mu­seum. Umgekehrt ist das Kino­ge­schäft mit älteren Filmen schwie­riger geworden. DVDs und immer kürzere Fenster bis zur Fern­sehaus­we­tung seien hier als Stich­worte genannt. Schwere Zeiten also für die tradi­tio­nellen Film­kunst­wo­chen im August.

Trotzdem hat man sich jetzt – wie das auf Neudeutsch so schön heißt – zum »Relaunch« entschlossen. Kurz­fristig hat man ein neues Werbe­kon­zept mit neuem Logo und grellen rosa-grünen Plakaten und Flyern aus dem Boden gestampft. Im Vorfeld konnte das Publikum seine Wunsch­filme in das Programm wählen. Aller­dings war die Voraus­wahl extrem einfallslos. Sie bestand aus dem kleinsten gemein­samen Nenner der Filme, die ohnehin schon seit Monaten als Dauer­brenner im Kino liefen. Die Befürch­tungen aus unserem Point of View vom 25.6. wurden sogar noch über­troffen. Die fünf gewählten Wunsch­filme werden jetzt in jedem der sieben betei­ligten Kinos gezeigt und verstopfen so jeden Tag irgendwo ein paar Leinwände. Als ob es bislang noch nicht genug Gele­gen­heiten gab, sie zu sehen.
Wenn man als Cine­philer wirklich einen der vorge­schla­genen Filme noch einmal sehen wollte, tat man aber gut daran, diesen nicht zu wählen. D../../../muenchen/rio.htmenn die 10 Filme, die zur Auswahl standen aber nicht zum Wunsch­film gekürt wurden, laufen zwar nicht jeden Tag und in jedem Kino, fast alle haben es aber trotzdem ins Programm der Film­kunst­wo­chen geschafft und werden – anders als die gewählten Filme – auch in OmU gezeigt.

Die Film­kunst­wo­chen bestehen natürlich nicht nur aus der miss­glückten Wunsch­film­ak­tion. Jedes Kino steuert auch eigene Reihen bei, darunter einige bewährte Über­bleibsel aus dem Programm der vergan­genen Jahre, wie im Rio die bayrische Reihe oder Táxi Lisboa (Fr. 22.8. + Di. 25.8.) und Palermo flüstert (Sa. 23.8. und Mi. 26.8.), die jeweils in Anwe­sen­heit von Regisseur Wolf Gaudlitz gezeigt werden. Im Rottmann gehört die Reihe »Psych­ia­trie im Film« zum erfolg­rei­chen Stamm­re­per­toire der Film­kunst­wo­chen. Im Anschluss an die Filme können dort Zuschauer und Betrof­fene mit Experten disku­tieren (Mi. + Do. 19./20.8.). Anderswo wurden ohnehin geplante Previews, etablierte Reihen und aktuelle Filme unter das Label »Film­kunst­wo­chen« gepackt. Das führt mitunter zu kuriosen Situa­tionen wie diese Woche im Monopol, wo Tropa de Elite am Sonntag ohne erkenn­baren Grund unter »Film­kunst­woche« firmiert, an den anderen Tagen aber normal im Programm läuft. Insgesamt ist aus dem Programm so ein ziemlich unstruk­tu­rierter Gemischt­wa­ren­laden geworden.

Aber wie am Wühltisch eines jedem guten Gemischt­wa­ren­la­dens findet man auch im Programm der Film­kunst­wo­chen ein paar Schmuck­s­tücke, die den Besuch lohnen. Etwa die Reihe »Schnüf­f­ler­filme« im Arena, die diesen Donnerstag mit Tote schlafen fest, einer Krimi­le­sung und »Gästen aus dem Ermitt­lungs­ge­werbe« feierlich eröffnet wird. Besonders zu empfehlen ist hier Müllers Büro (Fr. 7.8. + So. 16.8.), den man so nach langer Zeit wieder im Kino sehen kann. Die Jubiläums­film­reihe im Rottmann ist schon in sich selbst der reinste Gemischt­wa­ren­laden. Aber auch sie bietet das Wieder­sehen mit lohnenden Filmen, etwa Die Drei­gro­schen­oper (Fr. 7.8) oder – zum Jahrestag des Baus der Mauer – Good Bye, Lenin! (Do. 13.8.).

Empfeh­lens­wert sind auch die Künst­ler­por­träts von Peter Schamoni – Caspar David Friedrich – Grenzen der Zeit (Fr. 7.8.), Botero – Geboren in Medellin (Sa. 8.8.) und Niki de Saint Phalle (Mo. 10.8.). Hier ist nur die Anfangs­zeit, Nach­mit­tags um 16:30 im Cadillac, zu kriti­sieren. Für die Wunsch­filme ist das Konzept eines After-Work-Kinos sicher inter­es­sant. Das Kino kann so Leute aus der Nach­bar­schaft anspre­chen und hält sich die lukra­ti­veren Abend­vor­stel­lungen für aktuelle Block­buster frei. Wer es nicht bis 16:30 aus dem Büro ins Cadillac schafft, kann sich den Film ja anderswo anschauen. Genug Gele­gen­heit besteht. Die Schamoni-Filme – dazu noch in Anwe­sen­heit des Regis­seurs – sind dagegen durch aus eine längere Anreise wert. Bleibt zu hoffen, dass trotzdem genug Leute kommen, damit im nächsten Jahr verstärkt solche Perlen gezeigt werden.

PS: Für die fleißigen und/oder gesel­ligen Kino­gänger gibt es dieses Jahr eine über­trag­bare Stem­pel­karte, die für alle Vorstel­lungen der Film­kunst­wo­chen gilt. Wer fünf Karten kauft, bekommt eine Freikarte.