Perlen im Gemischtwarenladen |
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Palermo flüstert – ein Stammgast der Münchner Filmkunstwochen |
Von Claus Schotten
Anfang der 50er Jahre gab es das Sommerloch nicht nur in den Nachrichten sondern auch im Kino. Zur Ferienzeit starteten die Verleiher damals keine neuen Filme. Den Kinos fehlten folglich aktuelle, zuschauerträchtige Kopien. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und die besten Filme der vergangenen Jahre sowie Klassiker der Filmkunst, für die im normalen Programm kein Platz war, noch einmal auf die Leinwand bringen? So muss der Münchner Kinomacher Fritz Falter gedacht haben, als er die Filmkunstwochen erfand, um das Sommerloch sinnvoll zu stopfen.
Tempi passati.
Dank Internet starten US-Blockbuster inzwischen hierzulande fast zeitgleich mit den USA – und damit im Sommer. Gerade verstopfen Harry Potter und Ice Age 3 die hiesigen Leinwände. So haben auch einheimische Produzenten gemerkt, dass die Deutschen durchaus bereit sind, im Sommer ins Kino zu gehen. Große Starts wie diese Woche Maria, ihm schmeckt’s nicht sind die Folge. Und die Filmkunst drängt nun ebenfalls auf die Leinwand, wie die aktuellen Starts von Zerrissene Umarmungen, Ich habe sie geliebt, Erzähl mir was vom Regen oder Mitte Ende August beweisen. Ein Sommerloch gibt es nur noch im Filmmuseum. Umgekehrt ist das Kinogeschäft mit älteren Filmen schwieriger geworden. DVDs und immer kürzere Fenster bis zur Fernsehauswetung seien hier als Stichworte genannt. Schwere Zeiten also für die traditionellen Filmkunstwochen im August.
Trotzdem hat man sich jetzt – wie das auf Neudeutsch so schön heißt – zum »Relaunch« entschlossen. Kurzfristig hat man ein neues Werbekonzept mit neuem Logo und grellen rosa-grünen Plakaten und Flyern aus dem Boden gestampft. Im Vorfeld konnte das Publikum seine Wunschfilme in das Programm wählen. Allerdings war die Vorauswahl extrem einfallslos. Sie bestand aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Filme, die ohnehin schon seit Monaten als Dauerbrenner im Kino liefen. Die
Befürchtungen aus unserem Point of View vom 25.6. wurden sogar noch übertroffen. Die fünf gewählten Wunschfilme werden jetzt in jedem der sieben beteiligten Kinos gezeigt und verstopfen so jeden Tag irgendwo ein paar Leinwände. Als ob es bislang noch nicht genug Gelegenheiten gab, sie zu sehen.
Wenn man als Cinephiler wirklich einen der vorgeschlagenen Filme noch einmal sehen wollte, tat man aber gut daran, diesen nicht zu wählen. D../../../muenchen/rio.htmenn die 10 Filme, die zur Auswahl standen aber nicht zum Wunschfilm gekürt wurden, laufen zwar nicht jeden Tag und in jedem Kino, fast alle haben es aber trotzdem ins Programm der Filmkunstwochen geschafft und werden – anders als die gewählten Filme – auch in OmU gezeigt.
Die Filmkunstwochen bestehen natürlich nicht nur aus der missglückten Wunschfilmaktion. Jedes Kino steuert auch eigene Reihen bei, darunter einige bewährte Überbleibsel aus dem Programm der vergangenen Jahre, wie im Rio die bayrische Reihe oder Táxi Lisboa (Fr. 22.8. + Di. 25.8.) und Palermo flüstert (Sa. 23.8. und Mi. 26.8.), die jeweils in Anwesenheit von Regisseur Wolf Gaudlitz gezeigt werden. Im Rottmann gehört die Reihe »Psychiatrie im Film« zum erfolgreichen Stammrepertoire der Filmkunstwochen. Im Anschluss an die Filme können dort Zuschauer und Betroffene mit Experten diskutieren (Mi. + Do. 19./20.8.). Anderswo wurden ohnehin geplante Previews, etablierte Reihen und aktuelle Filme unter das Label »Filmkunstwochen« gepackt. Das führt mitunter zu kuriosen Situationen wie diese Woche im Monopol, wo Tropa de Elite am Sonntag ohne erkennbaren Grund unter »Filmkunstwoche« firmiert, an den anderen Tagen aber normal im Programm läuft. Insgesamt ist aus dem Programm so ein ziemlich unstrukturierter Gemischtwarenladen geworden.
Aber wie am Wühltisch eines jedem guten Gemischtwarenladens findet man auch im Programm der Filmkunstwochen ein paar Schmuckstücke, die den Besuch lohnen. Etwa die Reihe »Schnüfflerfilme« im Arena, die diesen Donnerstag mit Tote schlafen fest, einer Krimilesung und »Gästen aus dem Ermittlungsgewerbe« feierlich eröffnet wird. Besonders zu empfehlen ist hier Müllers Büro (Fr. 7.8. + So. 16.8.), den man so nach langer Zeit wieder im Kino sehen kann. Die Jubiläumsfilmreihe im Rottmann ist schon in sich selbst der reinste Gemischtwarenladen. Aber auch sie bietet das Wiedersehen mit lohnenden Filmen, etwa Die Dreigroschenoper (Fr. 7.8) oder – zum Jahrestag des Baus der Mauer – Good Bye, Lenin! (Do. 13.8.).
Empfehlenswert sind auch die Künstlerporträts von Peter Schamoni – Caspar David Friedrich – Grenzen der Zeit (Fr. 7.8.), Botero – Geboren in Medellin (Sa. 8.8.) und Niki de Saint Phalle (Mo. 10.8.). Hier ist nur die Anfangszeit, Nachmittags um 16:30 im Cadillac, zu kritisieren. Für die Wunschfilme ist das Konzept eines After-Work-Kinos sicher interessant. Das Kino kann so Leute aus der Nachbarschaft ansprechen und hält sich die lukrativeren Abendvorstellungen für aktuelle Blockbuster frei. Wer es nicht bis 16:30 aus dem Büro ins Cadillac schafft, kann sich den Film ja anderswo anschauen. Genug Gelegenheit besteht. Die Schamoni-Filme – dazu noch in Anwesenheit des Regisseurs – sind dagegen durch aus eine längere Anreise wert. Bleibt zu hoffen, dass trotzdem genug Leute kommen, damit im nächsten Jahr verstärkt solche Perlen gezeigt werden.
PS: Für die fleißigen und/oder geselligen Kinogänger gibt es dieses Jahr eine übertragbare Stempelkarte, die für alle Vorstellungen der Filmkunstwochen gilt. Wer fünf Karten kauft, bekommt eine Freikarte.