12.07.2018

Durchs Labyrinth der Kunst

A MAN OF INTEGRITY
Kraftvolles, indes zeitloses sozialkritisches Statement: A Man of Integrity
(Foto: Mohammad Rasoulof / Cinema Iran)

Cinema Iran, das Iranische Filmfestival in München, feiert in diesem Jahr sein fünfjähriges Bestehen unter dem Motto »Halb vergessene Erinnerungen«

Von Natascha Gerold

Sie waren nah dran: Nur knapp verfehlte die iranische Natio­nal­mann­schaft gegen Portugal den Aufstieg ins Achtel­fi­nale der Fußball-WM 2018. Doch die eigent­liche Sensation spielte sich schon im Vorfeld ab, beim zweiten WM-Spiel der Iraner: Nach 37 Jahren wurde Frauen erstmalig der Eintritt ins bekannte Azadi-Stadion in Teheran gewährt, sie durften am dortigen Public Viewing der Mann­schaft gegen Spanien teil­nehmen. Was wäre passiert, hätte ihr enga­giertes Spiel die Iraner weiter befördert? Wie lange kann das Regime das Stadion-Verbot für Frauen bei Live-Spielen noch aufrecht­erhalten?

Iran, das Land der Verbote, der Unter­drü­ckung, der Atom­bomben, der Sank­tionen, der Israel­feinde … einmal mehr war es der Sport, der es geschafft hat, das Image einer Nation zwar nicht zu revi­dieren, es aber doch um einen großen, wichtigen Teil zu erweitern: Iran, ein Land von Menschen, die leiden­schaft­lich und beharr­lich kämpfen können, sowohl auf dem Spielfeld als auch in der Öffent­lich­keit, was unter anderem die Netz-Kampagne #NoBan4Women beweist.

Dieses zurech­trü­ckende „Sowohl-als-auch“ schafft, neben dem Sport, insbe­son­dere die Kunst aus dem Iran. Es braucht aber auch immer Menschen, die sie entdecken und hier­zu­lande als Vermittler agieren. Diese verdienst­volle Aufgabe übernimmt, unter anderem, das Münchner Film­fes­tival CINEMA IRAN: Seit nun schon fünf Jahren verstehen sich Kuratorin Silvia Bauer und ihrer Mitstrei­te­rinnen und Mitstreiter als Botschafter der viel­fäl­tigen irani­scher (Film-)Kultur und bieten dem heimi­schen Publikum die Möglich­keit, das eigene Bild von der vorder­asia­ti­schen Republik immer wieder zu aktua­li­sieren und stets neue Seiten an ihr zu entdecken.

Einer, der sich enorm an der Opfer­rolle stört, die insbe­son­dere westliche Medien irani­schen Filme­ma­chern mitunter über­zu­stülpen neigen, ist der Regisseur Mani Haghighi. Längst ist der studierte Philosoph als Fachmann für skurrile Komödien bekannt, auch sein aktuelles Werk, mit dem CINEMA IRAN eröffnet, schillert wieder in einem Schwarz, das sämtliche Farben des Regen­bo­gens reflek­tiert: In Pig (Mi., 11.07. 20 Uhr) bangt ein Regisseur in physi­scher und künst­le­ri­scher Hinsicht um seine Existenz: Zum Einen geht ein Seri­en­mörder um, der es auf Filme­ma­cher abgesehen hat. Zum Anderen quält den Regisseur die Tatsache, dass er, der immerhin Berufs­verbot erhielt, bislang vom Killer verschont wurde. Bis zum Showdown muss er noch mehr Albträume durch­leben, als die Horror­sze­na­rien auf seinen geliebten Heavy-Metal-Shirts erahnen lassen. Der Film übe Kritik aus durch das Labyrinth der Kunst, so Haghighi bei der Vorstel­lung seines Films bei der dies­jäh­rigen Berlinale. »Du kannst nur etwas ernst nehmen, wenn Du Witze darüber machen kannst. Ironie und Humor schaffen Distanz für die Analyse.«

Dieses „Labyrinth der Kunst“, wie es Haghighi nennt, wird von Filme­ma­cher zu Filme­ma­cher anders genutzt. Während er das Mittel der Mehr­deu­tig­keit wählt, dass für gelun­genen Humor sowieso essen­ziell ist, hat sich Regisseur Keywan Karimi für die Abstrak­tion entschieden, durch die eine Mehr­deu­tig­keit überhaupt erst erreicht werden kann: In Drum (Fr., 13.07. 18 Uhr) wird einem Anwalt ein Paket anver­traut. Fortan wird er von Agenten bedroht, seine Suche nach Antworten führt ihn an unwirk­liche Orte einer herun­ter­ge­kom­menen Stadt. Die Bedeutung der Handlung und erst recht des gespro­chenen Worts treten hinter die Kraft der schwarz-weißen Bild­kom­po­si­tionen und irri­tie­renden, außer­ge­wöhn­li­chen Kame­ra­fahrten, was Karimi alles zu einem schwarz-weißen Reigen arran­giert, der voller Bedeutung steckt, aber erst vom Betrachter zum Klingen gebracht wird. Der Spielfilm Drum entstand nach seinem Doku­men­tar­films Writing On the City über die Bedeutung von Street Art in Teheran vom Beginn der Revo­lu­tion 1979 bis zu den Protesten 2009. Für diesen wurde Karimi 2015 von einem „Revo­lu­ti­ons­ge­richt“ zu sechs Jahren Haft und über 220 Peit­schen­hieben verur­teilt. Nach fünf Monaten im Gefängnis kam der 32-Jährige im vergan­genen Jahr frei. Er ist als Ehrengast zur Vorfüh­rung von Drum in München ange­kün­digt.

Karimi ist nicht der einzige Künstler, der unbeirrt weiter­ar­beitet – allen bereits erlebten Repres­sa­lien und Strafen zum Trotz: Mohammad Rasoulof wurde gemeinsam mit Jafar Panahi 2010 fest­ge­nommen und verur­teilt, wie bei Panahi wurde die Strafe noch nicht voll­streckt, derzeit ist Rasoulof auf Kaution frei. In seinem Spielfilm A Man of Integrity (Fr., 13.07. 20 Uhr), den er heimlich in länd­li­chen Gebieten drehte, beginnt ein ehema­liger Lehrer mit seiner Frau auf dem Land ein neues Leben als Fisch­züchter im Nord-Iran. Seine Prin­zi­pien verbieten ihm, an den offenbar ortsüb­li­chen Korrup­ti­ons­ge­schäften teil­zu­nehmen, was sein junges Unter­nehmen und seine gesamte Existenz schnell in Gefahr bringt. Im Original heißt der Film Lerd, ein Wort türki­schen Ursprungs. Rasoulof fand den Begriff, der eine Art Sediment beschreibt, passend für einen Film über Korrup­tion in seinem Heimat­land, die sich von oben durch sämtliche Schichten der Gesell­schaft ziehe. Einer der Haupt­preis-Gewinner bei den Film­fest­spielen von Cannes 2017 und kraft­volles, indes zeitloses sozi­al­kri­ti­sches Statement.

Berufs- und Ausrei­se­verbot, Gefängnis, Stock- und Peit­schen­hiebe bis hin zur Todes­f­atwa – je offener die Kritik und Provo­ka­tion, desto dras­ti­scher die Reaktion seitens des Regimes. Davon weiß der Musiker und Poet Shahin Najafi Lieder zu singen. Wegen seiner religions- und gesell­schafts­kri­ti­schen Songs wurde bereits bereits zweimal ein Todes­ur­teil über ihn verhängt, seit 13 Jahren lebt der Geflüch­tete in Deutsch­land. Da beim letzen Mal sogar ein Kopfgeld auf ihn ausge­setzt wurde, lebt Najafi unter Poli­zei­schutz, denn sein Leben ist auch hier alles andere als sicher. In ständiger Sorge vor allem um seine Mitstreiter und um seine Beziehung arbeitet der Künstler trotzdem uner­müd­lich weiter – wie, darüber gibt der Filme­ma­cher Till Schauder Einblick in seinem ergrei­fenden Doku­men­tar­film Wenn Gott schläft (Sa., 14.07. 20 Uhr). Er zeigt den Musiker nicht als Opfer, sondern als Kämpfer für Meinungs­frei­heit, der, so Schauder im Deutsch­land­funk, eine über­wäl­ti­gend große Fange­meinde hätte. An Exil-Iranern sowieso, aber auch in seinem Heimat­land würde er, wenn man ihn ließe, nach wie vor Riesen­sta­dien füllen.

Regisseur Mahmoud Ghaffari ist gleich mit zwei Filmen bei CINEMA IRAN vertreten. In beiden Spiel­filmen stehen Frauen im Mittel­punkt: Hair (So., 15.07. 18 Uhr) erzählt, nach einer wahren Bege­ben­heit, die Geschichte dreier gehör­loser Karate-Sport­le­rinnen, die zur Welt­meis­ter­schaft nach Deutsch­land einge­laden werden. Gehen dürften sie schon, aller­dings müssten sie während des Kampfes die Klei­der­ord­nung des irani­schen Sport­ver­bands einhalten. Die wiederum wider­spre­chen dem WM-Reglement. So eilen die drei Freun­dinnen von Lösungs­an­gebot zu Lösungs­an­gebot, welche sich alle als entmu­ti­gende Sack­gassen entpuppen. Der Kern des Films ist die drama­ti­sche Entwick­lung der Kämp­fe­rinnen, die im Wortsinn nicht gehört werden, zu Krie­ge­rinnen in eigener Sache, bei denen nach jeder Nieder­lage nur eines sicher ist: Sie kommen wieder. In einen anderen Feldzug bricht die 40-jährige Soheila auf: Sie hat weder Mann noch Kind und will ihrem einsamen Single­da­sein endlich ein Happy End setzen. Dafür sucht sie unter anderem eine Art Part­ner­suche-Coaching auf, wo sie als suchende Single nicht alleine ist und die Nummer 17 erhält. Ob und wie sich ihr Leben durch diese Aktion verändert, zeigt Ghaffari in No. 17 Soheila (So., 15.07. 20 Uhr) auf humor-und gefühl­volle Weise.

2018 ist nicht nur das erste Jubiläums­jahr des irani­schen Kultur­fes­ti­vals in München, sondern auch Gedenk­jahr vieler bedeut­samer Ereig­nisse in der Geschichte Irans. Der bis heute noch unge­klärte Brand des Cinema Rex in Abadan 1978, bei dem 430 Menschen zu Tode kamen, der Beginn der Revo­lu­tion im selben Jahr, das Ende des Iran-Irak-Krieges 1988 – alles Ereig­nisse, denen das dies­jäh­rige Motto „Halb verges­sene Erin­ne­rungen“ Rechnung tragen will, unter anderem mit dem Vortrag Filme, die brennen (So., 15.07. 14 Uhr) von Dr. Maryam Palizban, der Foto­aus­stel­lung Cinema Iran – Alte Kinos im Iran (12. bis 27.07. Stadt­bi­blio­thek München am Gasteig, Eintritt frei) von Josef Polleross und natürlich mit mehreren Filmen: Die Revo­lu­tion und der Anfang des Iran-Irak-Krieges setzen den Hand­lungs­rahmen von Breath (Do., 12.07. 20 Uhr) der Regis­seurin Narges Abyar, dem dies­jäh­rigen Nomi­nie­rungs-Anwärter für den Oscar in der Kategorie „Bester fremd­spra­chiger Film“. Die Heldin ist die kleine Halbwaise Bahar, die mit ihren Geschwis­tern, der Stiefoma und dem asth­ma­kranken Vater dessen Erkran­kung wegen die vertraute Umgebung verlassen muss. Mit sensiblen Nah- und Detail­auf­nahmen und einge­streuten Anima­tionen zeigt Abyar, wie (oftmals von Frauen ausge­hende) Gewalt die Mikro­kosmen Schule und Zuhause regelt und wie das Mädchen dieser Gewalt die Kraft seiner Fantasie entge­gen­setzt und in eine Art innere Emigra­tion flüchtet.

Before the Revo­lu­tion (Sa., 14.07. 16 Uhr) von Dan Shadur beleuchtet eine Seite der Zeit­ge­schichte, die vielen Zuschauern bislang unbekannt gewesen sein durfte: In völligem Gegensatz zu heute waren in den 1970er-Jahren vor der Revo­lu­tion die iranisch-israe­li­schen Bezie­hungen nämlich durchaus eng. Israel hatte im Schah einen verläss­li­chen Bünd­nis­partner, der unter anderem auf israe­li­sche Waffen­lie­fe­rungen, Unter­stüt­zung bei der Etab­lie­rung eines eigenen Geheim­dienstes und auf Hilfe bei infra­struk­tu­reller Moder­ni­sie­rung zählen konnte. Nicht wenige der dort tätigen Israelis lebten in Iran damals in einer para­die­si­schen Blase, die von Unkenntnis der brodelnden Atmo­s­phäre vor der Revo­lu­tion geprägt war. In seinem 60-minütigen Doku­men­tar­film lässt der israe­li­sche Filme­ma­cher Dan Shadur, der im Umfeld jener Menschen in Teheran aufwuchs, viele Zeit­zeugen zu Wort kommen, die durch ihre Ignoranz von den Ereig­nissen nicht nur über­rascht, sondern auch beinahe überrollt wurden.

Zeit­ge­schicht­lich relevante Vorkomm­nisse – ab welchem Moment werden sie für den Einzelnen hand­lungs­mo­ti­vie­rend und zu welchen öffent­lich­keits­wirk­samen Hand­lungen können sie ihn veran­lassen? Unter anderem diesen Fragen geht die Deutsch­land­pre­miere von CINEMA IRAN nach: The Invin­cible Diplomacy of Mr Naderi (Sa., 14.07. 18 Uhr) von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam begleitet den irani­schen Geschäfts­mann Mahti Naderi, der seit 18 Jahren ein Lebens­ziel hat: als Zeichen des Friedens und der Völker­ver­stän­di­gung will er den USA, dem erklärten Erzfeind des Iran, drei hand­ge­knüpfte Teppiche schenken. Gut vernetzt und uner­müd­lich hält er an diesem Ziel fest – allen Rück­schlägen, Gefahren und Gegen­stimmen zum Trotz. Das Porträt eines fried­fer­tigen Dickkopfs, das zugleich ein eindrucks­volles Lehrstück über das Verhältnis von Filme­ma­chern und ihren Prot­ago­nisten ist. Ob Mr. Naderi in seinen Bemühungen in heutigen Zeiten voran­kommt, können die Besucher von CINEMA IRAN Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam selbst fragen, da sie bei der Vorfüh­rung ihres Doku­men­tar­films dabei sein werden.

Das 5. Iranische Film­fes­tival vom 11. bis 15. Juli im Gasteig München ist eine Veran­stal­tung des Vereins Cinema Iran, Mitglied im Filmstadt München e.V., der Münchner Stadt­bi­blio­thek sowie der Evan­ge­li­schen Stadt­aka­demie. Sämtliche Film­vor­füh­rungen und Lesungen finden im Carl-Amery Saal statt, Eintritt jeweils 7 Euro, sofern nicht anders angegeben, sind alle Festi­val­filme FSK ab 18 Jahre. Weitere Infos zum Programm und Termine unter www.cinema-iran.de, www.muenchner-stadt­bi­blio­thek.de.