Die Freiheit zum Schweinefleisch |
![]() |
|
Exzellent inszeniert: JIJAN | ||
(Foto: Max Ophüls Preis) |
»Im deutschen Film werden Juden meistens nur in Schwarzweiß gezeigt. Sie schlagen selten zurück. Aber so ein Film ist das hier nicht.« Und dann schlägt immerhin Dimitri zurück. Dies ist tatsächlich ein bunter wilder und selbstironischer Cocktail von einem Film – heiteres, sehr phantasiereiches Kino gegen Rassismus, Antisemitismus, dumme Lehrer und die Ahnungslosigkeit der Mehrheitsdeutschen. Ihnen rät der Film: »Gucken Sie nach vorn und bewältigen Sie die
Gegenwart.«
In einem nur sekundenlangen abgründigen Ausschnitt einer Karnevalsshow von 1973 sieht man, wie sich seinerzeit noch deutsche Karnevalisten zum »Sieg Heil!«-Schreien hinreißen ließen. Und auch die neuen Nazis kommen vor: Alexander Gauland hat einen Auftritt. Aber mit Nazis hat der ja nichts zu tun.
Aufklärung im Stil des guten Propagandakinos in der Tradition von Frank Capra und Charlie Chaplin. »Mazel Tov Cocktail« von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch gewann am Samstag beim Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken den Publikumspreis für den schönsten mittellangen Film. Er solle »doch nicht die Hand beißen, die ihn füttert« – mit solchen und ähnlichen Sprüchen hatten zuvor sogenannte »Dozenten« an der Ludwigsburger Filmhochschule noch versucht, dem Filmstudenten
den Film auszureden.
Auch die Filmförderung bekommt ihr Fett ab.
+ + +
Nicht nur das Zimmer ist eng, auch der Blick hinaus in die weite Welt wird direkt gegenüber des Fensters wieder durch eine hässliche Allerweltsfassade verdeckt. Diese Fassade ist fast alles, was das junge türkisch-kurdische Paar Hayat und Harun von Berlin zu sehen bekommt.
Die dffb-Studentin Süheyla Schwenk erzählt in ihrem ersten Spielfilm Jiyan von solchen Fenstern und Türen, die scheinbar den Raum erweitern, ihnen tatsächlich aber auf die eine oder andere
Weise verschlossen bleiben, und die Enge daher umso fühlbarer machen: In einem Zimmer hausen sie, von den Verwandten wie den Behörden mehr geduldet als willkommen. Sie führen ein Leben unter dem Radar. Nur eine Bratwurst, für gläubige Moslems wegen des Schweinefleischs ein Tabu, wird zum kleinen und einzigen Stück Freiheit, das sich Hayat und Harun in Deutschland nehmen.
Mehr und mehr aber gibt es in der Enge dieses Kammerspiels – der ganze Film spielt in einer
Dreizimmerwohnung – auch Raum für Verständnis und zwischenmenschliche Gesten. Schwenk ist ein konzentrierter Film geglückt, der vom kleinen Glück und von großem Unglück erzählt, von Intimität und scheiternder Flucht aus Kriegsgebieten. Gerade in seiner Reduktion und Nüchternheit öffnet dieser humanistische, exzellent inszenierte Film den Blick auf die alltägliche Brutalität hinter den Nachrichtenmeldungen – ein Juwel im Wettbewerb um den Max-Ophüls-Preis, wo
Jiyan, der als »Drittjahresarbeit« noch nicht mal ein Hochschul-Abschlussfilm ist, am Samstag den Preis der Ökumenischen Jury gewann.
+ + +
Zumindest der Blick aus dem Fenster ist schöner in Sunburned. Die Berliner Regisseurin Carolina Hellsgard – sie studierte an der UdK bei Thomas Arslan – kombiniert ähnlich wie Schwenk eigene Kindheitserfahrungen mit einem frischen Blick auf scheinbar Bekanntes und erzählt von zwei Parallelwelten: Tourismus und Flucht. Eine Mutter macht mit ihren zwei
Töchtern Urlaub in einer spanischen Bettenburg. Während die Mutter und die ältere Tochter bald dem Charme der Strandcasanovas verfallen, driftet die Jüngere, Claire, zunächst verloren durch die Gegend. Hellsgard erkundet die Teenagerwelten zwischen Discos mit bunten Mixgetränken, Performance-Tänzen à la Spring Breakers und Lügen, Träumen und Langeweile. Dann lernt das »little girl lost«
einen gleichaltrigen Strandverkäufer kennen, der es aus Afrika nach Spanien geschafft hat, nun aber ähnlich verloren Träume träumt, die sich nicht erfüllen. Beide freunden sich an, könnten ein Paar werden, doch am Ende überwiegt die Erfahrung, dass hier zwei Welten sich nicht berühren können, und dass, wer der Sonne zu nahe kommt, sich verbrennt.
Ebenfalls an der UdK bei Arslan studiert Frédéric Jaeger, bislang als Filmkritiker bekannt: Aufklärung für Hönow
heißt Jaegers Kurzfilm, in dem er ebenso clever wie witzig und überraschend von den Abgründen des Filmemachens erzählt – an nur einem Drehtag entstand diese facettenreiche Selbstreflexion.
+ + +
Mechanismen der Annäherung stehen im Zentrum des schweizer-österreichischen Lovecut, eines der anspruchsvollsten Filme dieses Jahrgangs. Johanna Liethe und Illiana Estanol porträtieren in drei Episoden Praktiken der Intimität unter Teenagern: Chats, Instagramkommunikation, Pornokonsum. In privaten Perspektiven handelt dieser kluge, gelegentlich auch lustige Film vom Umgang der Gesellschaft mit Liebe und Sexualität – für diesen Film gab es verdientermaßen den Drehbuchpreis.
Liebe und Sex, vor allem aber der Alltag junger Frauen im Iran stehen auch im Zentrum von Domino, dem allerbesten Film im diesjährigen Saarbrücken-Jahr, der aber nur in einer Nebensektion lief, weil er bereits woanders Premiere hatte: Laleh Barzegar hat ihren Abschluss an der Kölner KHM gemacht und erzählt voller Leichtigkeit, mit Anleihen an die melancholische Heiterkeit der Filme Rohmers, von einer jungen Frau, die gegen die Zumutungen von Familie, Gesellschaft und Tradition ihre Freiheit sucht und verteidigt. Ein bezauberndes Debüt!
+ + +
Trotz einer deutlichen Übermacht der Regisseurinnen im Wettbewerb (12:5) gewann dann ein Mann den Max-Ophüls-Preis: Johannes Maria Schmitts Neubau gefiel der Jury wohl auch deshalb, weil er in der tiefsten brandenburgischen Provinz mehr als einen Hauch des Lebens von Berlin Mitte entdeckt, und der Film sich in geschicktem Selbstmarketing auch noch Girlanden mit der Formel »Neue
Selbstverständlichkeit« umbindet. Bei der Preisverleihung wurde gar ein Manifest zu dieser Formel verlesen. Dazu bei nächster Gelegenheit mehr.
Feststellen kann man aber, dass sich nach den beiden letzten Siegern Landrauschen und Das melancholische Mädchen offenbar allmählich ein
Standard-Muster des Saarbrücker Preisträger herausbildet: Alle drei Siegerfilme sind intelligente Farcen über den Crash von Hipster-Welten mit dem wahren (Provinz-)Leben. Für die allzu betonte Originalität von Neubau waren aber gleich zwei Preise zumindest einer zuviel.
+ + +
Ein ganz großartiger Preisträgerfilm ist dafür Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit von Yulia Lokshina, der überaus verdient den Dokumentarfilmwettbewerb gewann. Ein Film, der nicht nur Mitleid mit Tieren hat, sondern zunächst einmal mit den Menschen. In exzellenten Bildern und genau komponierter Dramaturgie einer langsamen Steigerung zeigt Lokshina einige Szenen aus dem Leben der Menschen von Rheda-Wiedenbrück. Man sieht westfälische Schweinefleischfabriken und begegnet der schlechten Behandlung der Menschen, oft osteuropäische Migranten, die dort arbeiten – mitten in Deutschland glaubt man plötzlich die Dritte Welt zu sehen. Man muss kein Moslem sein, um sich hiervor zu ekeln.
(to be continued)