05.11.2020
ABSTAND/ZOOM

B_ BRRRRRÄUTESCHULEN-BLAUPAUSEN (November 2020)

Ema, Pablo Larraín © mm filmpresse
Szene aus Ema (Mariana Di Girolamo)
(Foto: Koch Films/Studiocanal)

In 26 Schritten durch das filmische Alphabet. Eine völlig subjektive monatliche Serie über Begriffe und ihre Anwendung auf aktuelle Filme.

Von Nora Moschuering

BLAUPAUSEN für das, was im Leben auf einen zukommen wird: Ganz sicher. Sicher. Viel­leicht. Viel­leicht auch nicht. Oder doch ganz anders. In den 60ern wurde einer in der Sekre­tärinnen-(ich habe das Wort drei Mal falsch geschrieben) schule die richtige Anschlags­zahl pro Minute beigebracht. Mit dem Durch­schlag­pa­pier konnten die Schrift­s­tücke verdop­pelt werden, sie waren blau, aber sich sehr ähnlich.

Ich beginne mit einem TV-Tipp – schon alleine weil ich im Folgenden über Filme schreibe, die jüngst ange­laufen sind und viel­leicht nie mehr im Kino zu sehen sein werden, und beende mit einem Buch-Tipp. (»Tippse« auch ein Wort das – völlig zu Recht – verloren ist). Auf die Begriffe BRÄUTESCHULE und SEKRETÄRINNENSCHULE bin ich in der ARD Mediathek gestoßen und ihrer Retro­reihe. Neben den einzelnen Retro­spek­tiven aus den Archiven der Landes­rund­funk­an­stalten gibt es auch sendeü­ber­grei­fende und thema­tisch geordnete Themen­reihen, eben z.B. »Frauen in den 60ern«. Die »Bräu­te­schule in München« von 1957 scheint ein gut laufendes Start-up gewesen zu sein, das von jungen Frauen aus allen Gegenden Deutsch­lands besucht wurde. Ich weiß nicht, inwiefern es sich von Haus­wirt­schafts­schulen unter­schied, aber es schien wohl »kleiner« angelegt gewesen zu sein. Also, wo eine Braut ist, ist auch nur ein Bräutigam, und den zu ernähren und am Leben zu erhalten konnte man locker in fünf Wochen lernen. Ich frage mich, ob so ein Zerti­fikat nicht auch heute noch bei der Part­ner­suche helfen würde: »Denn da hat man was eigenes, da hat man sein Bräute-Diplom.«

Es ist doch schön, wenn man ange­leitet wird, wie ein Instru­ment funk­tio­niert, ein Gerät, eine Maschine, eine Lebens­sta­tion. Harun Farocki hat in Leben – BRD (1990) danach geguckt, wo wir was lernen, wie wir uns absichern für die Unwäg­bar­keiten auf unserem Weg. Übungen, Rollen­spiele in Schulen, Behörden, Fort­bil­dungs­stätten und Kliniken. Jörg Adolph und Ralf Bücheler haben das in Leben – Gebrauchs­an­lei­tung 2016 aktua­li­siert.

Aber Filme können nicht nur BLAUPAUSEN eins zu eins zeigen, sondern eben auch welche sein. Man zeichnet die Linien ab und findet dabei eine offen­sicht­liche Idee. Man sieht einen Film an und findet darin eine wahr­schein­liche Bewegung. Oder eben sie wehren sich dagegen, sie eröffnen den Horizont für Alter­na­tiven jenseits der opti­mie­renden BRÄUTESCHULE, sie wollen keine BLAUPAUSEN sein, sondern Versuche, Test­ge­biete, etwas Unkal­ku­lier­bares, Mögliches, wie das Leben eben auch.

Ema, Bohnen­stange und Kajil­lion­aire wischen alles weg: All die BRÄUTESCHULEN und sonstige Domes­ti­zie­rungs­ver­suche und leben, mit all den Wagnissen, die es mit sich bringt, den Entschei­dungen, die man fällt, aber auch dem dem man ausge­setzt ist. Dabei spielen die Brust und der Uterus eine große Rolle, die Selbst­er­mäch­ti­gung des eigenen Körpers (in jedem Film und bei jeder Figur aller­dings auf sehr unter­schied­liche und manchmal auch frag­wür­dige Art und Weise). Es sind Erzäh­lungen über Frauen und bisher »stief­müt­ter­lich« (ha!) behan­delte Themen, die wenig klas­si­schen Helden­reisen entspre­chen, aber doch viel­leicht mehr mit uns zu tun haben als diese – auf keinen Fall aber weniger. Mutter­schaft spielt darin eine Rolle, eine neue Rolle, eine komplexe, viel­schich­tige Rolle. Endlich. Und es sind eben keine Anlei­tungen, keine BLAUPAUSEN wie man ein Kind zeugt, es liebt und es als Perso­ni­fi­ka­tion der gelun­genen Beziehung mit einem Mann betrachtet. Weil das ohnehin nie die einzige Geschichte war, obwohl sie so oft erzählt wurde.

Wunder­schön und in seiner Selt­sam­keit fast schon erhaben, d.h. befremd­lich und etwas über­wäl­ti­gend ist Bohnen­stange (Regie: Kantemir Balagov). Ein russi­scher Film, der sich auf den Doku­mentar-Roman »Der Krieg hat kein weib­li­ches Gesicht« der Nobel­preis­trä­gerin Swetlana Alex­an­d­rowna Alexi­je­witsch bezieht. Die Bohnen­stange Iya und ihre Freundin Masha treffen sich nach Ende des Zweiten Welt­kriegs in Leningrad wieder. Einer Stadt und in einer Zeit in der bei Foto­gra­fien gefragt werden muss, ob der oder diejenige noch lebt oder tot ist, weil der Tod in jeder Ritze steckt. In jedem Versuch, dem Tod zu entkommen, liegt dabei eine so stoische wie blühende Kraft. Die beiden Frauen lieben sich irgendwie, die eine anders als die andere. Sie arbeiten beide in einem Kran­ken­haus, in dem das mild lächelnde Gesicht des Ober­arztes den Tod genauso mitdenkt wie das Leben. Es gibt ein Ungleich­ge­wicht der Kräfte zwischen den beiden Frauen, ein zartes Wanken der sehr großen und sehr blassen Bohnen­stange, der man ansieht, dass sie nicht weiß wie ihr geschieht und Mashas Kraft und Wille ein Kind zu zeugen, obwohl bei ihr da unten nichts mehr ist. Sie klemmen sich zusammen in ein kleines Zimmer, das mal behaglich erscheint und dann wieder eng und zuge­stellt. Sie verfolgen verschie­dene Pläne oder werden von ihnen verfolgt. Der Mann und die Liebe zu einem Mann spielt keine Rolle. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ist hier – schon durch den Krieg – ohnehin ein anderes, als wir es gemeinhin kennen oder es aus den Filmen zu kennen meinen.

Pablo Larraíns Ema ist, wie mit einem bunten Schnuller durch die chile­ni­sche Stadt Valpa­raiso zu tanzen. Nicht weil du gefallen oder unter­halten willst, sondern weil du einfach tanzen musst. Mit Kraft, Charisma und Arroganz. Sie ist die Person um die andere tanzen, weil alle wissen, dass um sie herum das Leben passiert. Sie zieht es an und tut was damit. Ema ist keine Mutter­figur, setzten wir das Wort »klassisch« dazu, aber sie will Mutter werden. Sie ist nicht sympa­thisch und auch als Mutter stößt sie erst einmal ab, ganz wort­wört­lich hat sie ihr adop­tiertes Kind wieder zurück­geben. Was »natürlich« nicht geht, aber »natürlich« eigent­lich doch. Ema ist dabei – anders als Cheryl im Roman von Miranda July, zu dem ich gleich komme – weder verträumt noch weltfremd, sie ist Energie. Im Hier und Jetzt. Auch wenn sich Ema dagegen wehrt, auch nur mit der Gene­ra­tion ihres Freundes zusam­men­ge­steckt zu werden, der 12 Jahre älter ist als sie, so passt sie doch zu Katharina Siever­dings bren­nender Sonne, vor der sie zu Beginn tanzt. Eine ältere Künst­lerin. Choreo­gra­phiert von eben jenem älteren Freund, der nur halb­herzig versuchen kann, irgendwie bei ihrer Energie dabei zu bleiben, am Ende aber zugeben muss, dass er einfach mit- und über­schwemmt worden ist von ihr und ihrer Vorstel­lung ihres Lebens. Apropos BLAUPAUSE, in der Mitte begibt man sich in viele blau einge­färbte Szenen, kühles Blau in dem sie mit verschie­denen Menschen Sex hat – ja, ein Kind muss gezeugt werden. Die Szenen sind das Gegenteil von der Zeugungs-Szene in Bohnen­stange.

(Nachdem ich den Film gesehen habe, habe ich mich auf die Suche nach einem Begriff oder einer Wort­kom­bi­na­tion gemacht, die so etwas wie »The fear of missing out« beschreibt. Einen Ausdruck für eine Aggres­si­vität die daraus resul­tiert, dass man selbst passiv sein muss. So eine Art passiv-aggres­sives Gefühl das aufkommt, wenn man Aktivität sieht. Man kann also mit dem Gefühl aus dem Kino gehen, man habe getanzt oder eben mit dem Gefühl, man habe eben gerade nicht getanzt, aber man würde gerne. Eine Art Passi­vi­täts­pro­blem. Neid auch etwas. Aber es hilft, den Sound­track zu Hause zu hören.)

Kajil­lion­aire von Miranda July passt gewis­ser­maßen auch in diese Reihe, weil es um eine nicht-klas­si­sche Familie geht. Mutter, Vater, Tochter, ein Gauner-Trio. Die Tochter bekam keine Mutter­liebe, sie durfte nicht zur Brust der Mutter und deshalb ist sie auf der Suche nach der Liebe. Kajil­lion­aire, der so schön befremd­lich und haarig anfängt, so sperrig und ästhe­tisch schwammig, endet dann so altbacken, so unin­spi­riert, so klassisch. Liebes-Film: »Ich bin echt gespannt darauf, wie es enden wird. Werden sie sich finden? Ja, Ach, toll wer hätte das gedacht? Die Liebe als Rettung? Logisch, ich mein, ich sehe ja alle Nase lang um mich herum, dass die Liebe rettet. Wenn sich zwei finden ist ein Stück des Leids der Erde geheilt. Ganz klar.« So sarkas­tisch July in ihrem ersten Roman »Der erste fiese Typ« endet, so absehbar hollywood-mäßig endet Kajil­lion­aire. Die einfachste BLAUPAUSE ist dann eben doch das klas­si­sche Happy End. Eine Neugeburt in der Beziehung. Von der (fehlenden) Liebe der Eltern hinein in die Liebe einer Part­ner­schaft und ab direkt in die BRÄUTESCHULE.

Also schnell zur Buch-Empfeh­lung, zu Miranda Julys Roman: »Der erste fiese Typ«. Das Buch passt zu Ema und zu Bohnen­stange und ist alleine schon zu empfehlen weil die Anfang 40-jährige Prot­ago­nistin einen Kloß im Hals hat: Globus­syn­drom, globus hyste­ricus. Klingt, wie eine hyste­ri­sche Erdkugel. Hyste­ricus bezeichnet die Hysterie, von der man einst annahm, sie würde aus der Gebär­mutter, also dem Uterus, kommen. Quatsch. Es ist ein Kloß im Hals, wie wir ihn wahr­schein­lich jetzt alle ab und an haben, mit oder ohne Uterus. Cheryl arbeitet an ihrem Kloß und sie arbeitet auch an etwas anderem. Man folgt ihr und ihrer Gestal­tung der Welt, ihren eigenen verwun­schene Erzäh­lungen über ihre Umgebung. Man landet, wie schon bei Julys The Future in Cheryls/Julys Kopf. Cheryl in ihrer eigenen Welt aus Systemen und auch seltsamen Verbin­dungen, der es dann aber – und von der Geschichte erinnert es stark an Ema – gelingt, ans Ziel zu kommen. Also sie ändert/bewirkt etwas. Ein bisschen magisch und ein bisschen abstoßend. Und eben ganz anders als wir es sonst sehen. Es gibt eben keine BRÄUTESCHULE und wahr­schein­lich hat es sie auch nie gegeben.