11.07.2019
36. Filmfest München 2019

Mamma Mia Mi2

Zu zweit allein
Improvisierte Selbstermächtigung in Sabine Koders Zu Zweit Allein
(Foto: Elfenholz Film)

Die Sektion Neues Deutsches Kino auf dem 37. Münchner Filmfest hat vor allem eins gezeigt – wie Frauen, Mädchen und Mütter sich selbst ermächtigen, mal mehr und mal weniger erfolgreich. Aber darauf kommt es eigentlich nicht an.

Von Axel Timo Purr

Es war ein Fest der Frauen, das ohne den durch die Weinstein-Affäre ausgelösten #MeToo-Tsunami nicht denkbar gewesen wäre und sich bereits im 2018er-Jahrgang des Münchner Filmfests ange­deutet hatte. Filme wie YUNG, Kim hat einen Penis und vor allem der über­ra­gende Alles ist gut von Eva Trobisch boten im Kern das, was sich dann in diesem Jahr zu voller Blüte entfal­tete. Frauen fast jeden Alters und fast jeder sozialer Schicht wollen einfach nur noch raus: aus ihren Verhält­nissen, ihrer Beziehung, ihrem Status, ihren Abhän­gig­keiten und (eigenen) Erwar­tungs­hal­tungen, raus aus ihrer Haut.

Und dazu ist so ziemlich jedes Mittel Recht.

Im Münchner Mumb­le­core-Drama Zu Zweit Allein von Sabine Koder, das in seiner zeitlosen Art so auch in den frühen 1970er hätte gedreht werden können, rebel­liert die frus­trierte Grund­schul­leh­rerin Nina (Eva Bay) nicht nur gegen ihren Beruf und ihren Freund Karl (Tom Lass), sondern irgend­wann auch gegen sich selbst, um wenigs­tens in Ansätzen so etwas wie Freiheit zu spüren. Eine Freiheit, die sich die Heldinnen in Elisa Mishtos stilis­tisch und dialo­gisch bril­lanten Still­stehen fast so furios erkämpfen wie die männ­li­chen Helden in Miloš Formans Einer flog über das Kuckucks­nest. Aber Mishto inte­griert in ihre eiskalt und wunder­schön insze­nierte Geschichte über den Charakter der Kran­ken­schwester Agnes (Luisa Céline Gaffron) auch eine substan­zi­elle Kritik an dem seit dem Dritten Reich kaum ange­tas­teten Bild der „guten deutschen Mutter“, das hier völlig befreiend dekon­stru­iert wird. In seiner subtilen Radi­ka­lität fordert dieser Grenzgang zwischen Komödie und Tragödie auch den Betrachter auf, zumal den männ­li­chen, sich den eigenen, beschä­menden Grenzen unserer so unheim­lich eng gesteckten, herr­schenden Moral bewusst zu werden.

Ganz ohne Humor und schon aus der Perspek­tive des Zurück­bli­ckens, dem Tag ihres 60. Geburts­tages versucht sich Jan-Ole Gersters Lara ihres Lebens zu »versi­chern«, muss aber fest­stellen, dass sie ihr Leben eigent­lich schon verloren hat, ohne es wirklich gelebt zu haben. Die von Corinna Harfouch ins Zentrum von Gersters Film gespielte Lara vibriert, atmet und flirrt allein durch die schau­spie­le­ri­sche Kraft von Corinna Harfouch, die nicht nur durch die Rolle, die sie spielt, an Isabelle Huppert in Michael Hanekes Klavier­spie­lerin erinnert, aber der es – anders als Huppert – sogar dann und wann gelingt, neben einer gewal­tigen subku­tanen Aggres­si­vität auch einen Hauch von Ironie, ja, fast ein Lächeln in ihr Spiel mit einfließen zu lassen. Steht Lara am Ende ihrer Entwick­lung und mit ihren gewon­nenen Erkennt­nissen zwischen selbst­er­mäch­tigtem Neuanfang oder Suizid, so spielt die groß­ar­tige Franziska Hartmann in Christian Ebelts Sterne über uns eine »Lara« in ihren jungen Jahren. Eine Frau, die gegen die Wind­mühlen der Wohnungsnot ebenso ankämpft wie die des Allein­er­zie­hens und dabei ebenso bereit ist wie Lara, für ihr Kind ein ganzes Leben zu opfern.

Gerade im Vergleich zu Sterne über uns, der einen Kampf an der Front des härtesten Alltags skizziert und dementspre­chend hart und souverän insze­niert ist, haben die jungen Frauen in Sophie Kluges Golden Twenties und Mariko Mino­guchis Mein Ende. Dein Anfang. und erst Recht in Florian Gott­schicks Rest In Greece etwas Traum­wand­le­ri­sches, Tran­szen­den­tales. Keine muss sich ums Geld kümmern, keine steht wirklich am Abgrund, auch wenn ihr Leben ungeahnte Abgründe aufweist. Doch die sind entweder theo­re­ti­scher Natur oder hängen mit Selbst­ver­wirk­li­chung auf den Lebens­in­seln Liebe, Sex und Beruf zusammen. Dennoch wird selbst in diesem bildungs­bür­ger­li­chen Umfeld deutlich, dass hier niemand, wie der Soziologe und Philosoph Arno Plack einst schrieb, mit Lügen leben will, es nicht darum geht, sich als »Oh Girl« flanie­rend durchs Leben zu mogeln, sondern eher wie Karl Ove Knausgård zu sagen, was man denkt und meinet­wegen auch zu gehen, wenn das keiner hören will.

Das »Gehen«, das explizite Weggehen, um zu sich selbst zu finden und dabei an Verluste, die es immer geben wird, erst einmal nicht zu denken, exer­zieren auch zwei weitere, groß­ar­tige Heldinnen des Neuen Deutschen Kinos auf dem dies­jäh­rigen Münchner Filmfest: Karin Hanc­zewski als Cowgirl Lilly in dem deutschen »Neo-Western« Bruder Schwester Herz von Tom Sommer­latte und Anne Ratte-Polle als Pilotin Marion in Ilker Çataks bissigem Es gilt das gespro­chene wort, in denen sich die Frauen nicht nur von männ­li­chen Erwar­tungs­hal­tungen eman­zi­pieren, sondern auch von berufs­po­li­ti­schen Ansprüchen radikal befreien.

Dass die Förder­preise am Ende nur an Leif In Concert (Produ­zen­ten­preis), Lara (beste Regie) und Es gilt das gespro­chene wort (bestes Drehbuch, bestes Schau­spiel) gingen, ist nur schwer zu ertragen, über­zeugen doch fast alle Filme nicht nur durch ihre tech­ni­sche und inhalt­liche Virtuo­sität, sonder vor allem durch ihre immer wieder auch provokant in den Raum gestellten Rollen­mo­delle, die am Puls unserer Gegenwart lauschend, auch dazu beitragen werden, dass nicht nur die kommenden Filme, sondern auch unser Leben ein anderes sein wird.