13.12.2018
Cinema Moralia – Folge 185

Die Wutbürger von Netflix und ihre Schulden

Roma
Ab ins Nirwana von Netflix: Nach nur einer Woche ist Roma jetzt aus den Kinos verschwunden
(Foto: Netflix)

Wer rausgeht, kommt wieder rein: Der Netflix-Flop, die Allermächtigste des deutschen Films und warum alle Filmförder-Gremien grundsätzlich abgeschafft werden sollten – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 185. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»To disagree silently is illoyal.«
Reed Hastings, Gründer von Netflix

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Alle deutschen Filme­ma­cher, ob Regis­seure oder Produ­zenten, und auch Verleiher und Kino­be­treiber sind sich endlich mal einig: Dem deutschen Kino geht es so schlecht wie nie; so wie jetzt kann es nicht weiter­gehen; grund­sätz­liche Dinge müssen sich ändern.
Nur den deutschen Film­för­de­rern geht es gut. So jubelte die FFA vor einigen Wochen in ihrer Bilanz der ersten Jahres­hälfte »Deutsche Filme gegen den Trend im Plus« In der »FFA-Studie der erfolg­reichsten Filme des ersten Halb­jahres 2018« (»Studie« muss man dazu wissen, heißt bei der FFA nicht etwa »Wissen­schaft« oder »Statistik« sondern das simple Auflisten und Anordnen der Zahlen zum Zwecke des Schön­re­dens) scheint es dem deutschen Kino gut zu gehen. Zwar kann man nicht verleugnen, dass 4,5 Millionen weniger Besucher ins Kino gingen (ein Rückgang von erschre­ckenden ca. 15 Prozent). Bemerkbar ist auch die weitere Vergrei­sung des Publikums. Sogar bei den Kinder­filmen machen die unter 30-jährigen mit einer Ausnahme weniger als 30% der Besucher aus: Braucht jedes Kind wirklich zwei Begleiter im Kino?
Die Filme, die die Jugend (also 29-jährige oder Jüngere) wirklich inter­es­sieren, heißen noch nicht mal Star Wars (35% Jugen­d­an­teil), sondern Maze Runner – Die Auser­wählten in der Todeszone (57%), Black Panther (55%), Avengers: Infinity War (53%), aber auch noch Fifty Shades of Grey – Befreite Lust (46%). Viel­leicht sollten diese Zahlen uns erst recht Angst um die Zukunft nicht nur des Kinos machen.

Vor allem aber: Was reprä­sen­tiert nun eigent­li­chen diesen Erfolg »gegen den Trend«? Die deutschen Filme unter den Top 25 heißen Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer; Die kleine Hexe; Dieses bescheu­erte Herz und Hilfe, ich hab meine Eltern geschrumpft – fürwahr ein Triumph deutschen Kino­schaf­fens!

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Der angeb­liche Kinder­film Jim Knopf und Lukas der Loko­mo­tiv­führer ist übrigens auch der »drit­täl­teste« Film der Top 25: 34% seiner Besucher waren über 50! Die werden sich gewundert haben...

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Apropos FFA: Letzte Woche hatte ich die »Blackbox« zitiert, in der Ellen Wietstock der »Mächtigen« (SZ) Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters die »noch Mäch­ti­gere« Medi­en­board-Inten­dantin Kirsten Niehuus zur Seite stellt. Die Reaktion einiger deutscher Produ­zenten auf diese Auflis­tung war dann: »Stimmt alles. Es fehlt aber eine: Die aller­mäch­tigste im deutschen Film ist nämlich Christine Berg von der FFA.« Aha! Berg profi­tiere, wird dann argu­men­tiert, beispiels­weise persön­lich sehr deutlich von der erhöhten Rotation der FFA-Jurys. Alle paar Sitzungen wechselt da die Besetzung komplett, nur eine bleibt immer sitzen: Christine Berg. Die erklärt dann, wie es im FFA-Hause so läuft – eine Eigen­dy­namik der Jury­ar­beit komme kaum zustande.
Von außen kann ich nicht beur­teilen, ob diese Argu­men­ta­tion zutrifft. Klar ist aber, dass beide Extreme schlecht sind: Dauer­ro­ta­tion verfes­tigt Uner­fah­ren­heit und gibt tatsäch­lich den Beisit­zern der Insti­tu­tionen, die sich formal gesehen am besten komplett aus allen inhalt­li­chen Debatten heraus­halten sollten, viel zu viel Macht. Umgekehrt kommt es bei allzu einge­spielten Jurys auch schnell zu Filz und Klün­gel­wesen.

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All das ist Wasser auf die Mühlen der grund­sätz­li­chen Forderung: Schafft alle Film­förder-Gremien ab! Grund­sätz­lich und ohne Kompro­misse. Stellt Film­för­de­rung dort, wo es irgend möglich ist, auf Auto­ma­tismen um. Das bedeutet: Wer bestimmte, objektiv darge­stellte Kriterien erfüllt, bekommt eine ebenso objektiv darge­stellte Förderung verläss­lich ohne Wenn und Aber zuge­spro­chen. Für begrün­dete Ausnah­me­fälle sollte es natürlich Zusatz­för­de­rungen geben können.
Der Vorteil dieser Umstel­lung ist neben der Kosten­er­sparnis natürlich erstens mehr Gerech­tig­keit durch Verzicht auf subjek­tive Kriterien oder gar Geschmacks­ur­teile (von Leuten, die oft im Leben noch keinen eigenen Film gemacht oder eine Film­kritik geschrieben haben), und zweitens die Bere­chen­bar­keit einer Förderung für Produ­zenten und Kreative. Sie kennen die Deadlines, sie wissen genau, was sie für eine Einrei­chung brauchen, sie warten nicht auf die Entschei­dung eines Gremiums wie auf ein Gottes­ur­teil. Sie können planen.
Drittens würden alle Debatten über die Zusam­men­set­zung des Förder­gre­miums, über die (In-)Kompetenz seiner Mitglieder und über deren vermeint­liche Inter­es­sens­kon­flikte wegfallen – solche Debatten münden nicht selten unter dem Radar der Öffent­lich­keit in den Vorwurf offener Korrup­tion. Tatsäch­lich kenne ich Fälle, in denen direkte Konkur­renten um knappe Sende­plätze, Redak­ti­ons­gunst und Förder­gelder in den Gremien über den Antrag einer Produk­ti­ons­firma oder eines Verleihs entscheiden. Das sollte nicht sein, schon der Anschein von Korrup­tion und Inter­es­sens­kon­flikten sollte vermieden werden. Man wundert sich aber immer wieder, wenn man erfährt, wer in den Gremien so drinsitzt.
Ebenso sind mir Fälle bekannt, in denen Gremien über Anträge entscheiden, an denen ein Gremi­ums­mit­glied beteiligt ist. Natürlich heißt es dann immer: »Die betei­ligte Person ist bei der Diskus­sion um das Projekt selbst­ver­s­tänd­lich raus­ge­gangen.« Ich habe auch keinen Anlass, an dieser Aussage zu zweifeln.

Wie oft passiert das wohl? FFA-Statis­tiker – ihr Einsatz bitte!!!

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Honi soit qui mal y pense. Da, wo diese Umstel­lung aus irgend­einem Grund tasäch­lich dauerhaft nicht möglich sein sollte, sollte das Gremium durch ein Inten­danten- oder Kura­to­ren­prinzip ersetzt werden. Das heißt: Eine allen Betei­ligten nament­lich bekannte Person entscheidet allein über Förder­ver­gaben – natürlich für einen begrenzten Zeitraum.
Damit ist Verant­wor­tung iden­ti­fi­zierbar, ebenso wie etwaige persön­liche Inter­es­sens­kon­flikte.
Und kein unbe­fugtes Förder-Mitglied kann mehr in Gremien durch geschickte Beein­flus­sung sein eigenes Süppchen kochen, und im deutschen Kino weitere »Stell­schrauben verschieben« oder wie die ständigen Klagen über »die Filmflut« vermuten lassen, seine Arbeit als Film-Verhin­de­rungs-Förderung begreifen.

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Vor der Pres­se­vor­füh­rung des über­ra­schend sehens­werten, von Peter Jackson geschrie­benen und produ­zierten Mortal Engines: Krieg der Städte unter­halten sich Kollegen. Mir bleibt keine Wahl als zuzuhören: »Ich war gerade in Bumblebee.« – »Und?« Ich hab den Trailer gesehen und nichts erwartet, aber... Umpf ok, – »Wie geht’s dir so in der neuen Arbeit?« – »Ich mag ja ein bisschen tiefere Texte, und musste erstmal lernen, ein paar Gänge zurück­zu­schalten.« – Naja, ober­fläch­liche Arbeit lernt man auch schnell.

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Netflix ist das aggres­sivste unter den neuen ameri­ka­ni­schen Streaming-Portalen. Netflix lädt den Zorn der Branche und großer Teile der Kino­ge­meinde auf sich. Warum eigent­lich?
Im Gegensatz zu allen anderen Streaming-Diensten tritt Netflix offen gegen das Medium Kino an, und das überdies in aggres­sivem Ton. Netflix besteht darauf, seine Filme mit wenigen Ausnahmen exklusiv im Internet zu zeigen. Es will sich zugleich nicht an die Regeln und Verein­ba­rungen der Branche halten, die eine Koexis­tenz von Kino, Fernsehen und Internet garan­tieren. Trotzdem will Netflix gleich­zeitig von den öffent­li­chen Geldern profi­tieren, die zur Förderung des Mediums Kino ausge­geben werden.

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»Mein Sohn kennt Lawrence von Arabien nur auf Handy­größe. Und er findet ihn geil...« So ließ sich Netflix-Boss und Gründer Reed Hastings letzte Woche zitieren. Subtext eins: Man muss noch nicht mal Lawrence von Arabien nicht im Kino sehen. Subtext zwei: Netflix-Filme sind so toll wie Lawrence von Arabien.
Hastings hat in den letzten Jahren immer wieder erklärt, dass Netflix das Kino »ablösen«, »abschaffen« werde, dass das Kino ein »Medium der Vergan­gen­heit« sei, das Kinos den Film »erdros­seln« würden.

Manchmal fragt man sich, was in solchen Köpfen vorgeht? Woher der Hass des Netflix-Bosses auf das Kino? Wurde Hastings als Kind aus dem Filmclub seiner Schule raus­ge­worfen?
Zur Zeit ist Netflix ein Vorreiter in der Vernich­tung etablierter Infor­ma­ti­ons­kul­turen – wozu neben dem Kino auch das Fernsehen gehört.
Wer sich selbst einen Eindruck vom Netflix-CEO machen will, kann es hier tun – wenn auch mit einem recht liebe­die­ne­ri­schen Moderator.

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Im Rahmen der UBS Global Media and Commu­ni­ca­tion Confe­rence in New York hat Netflix-Inhal­te­chef Ted Sarandos laute Kritik am Kino­fenster geübt, berichtet Deadline.com. Seiner Meinung nach bringe der von den Kino­be­sit­zern beschützte und vertei­digte Zeitraum (offiziell sechs bis acht Monate, tatsäch­lich liegt er in vielen Fällen weit darunter) mehr Schaden als Nutzen mit sich.
Während seiner Keynote argu­men­tierte Sarandos popu­lis­tisch: »Sie trennen die Menschen damit in gewisser Weise von den Filmen. Ich finde es sehr Konsu­menten-unfreund­lich, wenn man Menschen, die nicht das Glück haben, in der Nähe eines Kinos zu leben, sechs bis acht Monate warten lässt, um den Film sehen zu können.« Oh, die Armen. Und Netflix ist natürlich der Heils­bringer, der die Filmwüste zum Blühen bringt.
Deadline.com zitiert Sarandos weiter: Netflix versuche, »sich mit Kino­be­trei­bern irgendwo in der Mitte zu treffen«. Mit Blick auf den als Alter­na­tive Content gespielten Roma behaup­tete Sarandos, dass wahr­schein­lich 80 Prozent der Leute, die sich den Film im Kino ansehen, auch Netflix-Abos haben, womit er deutlich machen wollte, dass Netflix-Filme und der Besuch im Kino sich per se nicht gegen­seitig ausschließen.

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Wie ich schon letzte Woche in meiner Roma-Kritik schrieb: Das Netflix-Problem können »weder Kino­be­treiber mit Boykotten und Bran­chen­ab­spra­chen im stillen Kämmer­lein besei­tigen, noch Film­kri­tiker. Was Streaming-Diensten erlaubt ist, und was man für den Erhalt der Kinos tun kann, muss der Gesetz­geber lösen.«

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Viel­leicht löst alles aber auch der Markt. Denn was bei den ganzen Debatten über Netflix selten erwähnt wird, ist, dass es sich um ein hoch­ver­schul­detes und defi­zi­täres Unter­nehmen handelt.
Die Finan­zie­rungs­frage ist die offene Flanke des Unter­neh­mens: Bei der Vorstel­lung der neuesten Zahlen glänzt die Firma immer wieder. Binnen drei Monaten konnte man sieben Millionen weitere Kunden gewinnen, insgesamt sind es damit weltweit inzwi­schen 137 Millionen. Das gelingt, weil Netflix in unge­heurer Geschwin­dig­keit neue Serien und Filme produ­ziert und auf den Online-Markt wirft. Das ist aller­dings sündteuer. erst vor sechs Wochen hat Netflix angekün­digt, sich am Kapi­tal­markt weitere zwei Milli­arden US-Dollar besorgen zu wollen. Der Streaming-Dienst erkauft seinen rasanten Ausbau an Eigen­pro­duk­tionen nämlich mit einem rasant wach­senden Schul­den­berg.
Aber Eigen­pro­duk­tionen sind teuer. Und um sich eine Vorstel­lung zu machen: Allein die Netflix-Produk­tion »The Crown« kostete 130 Millionen Dollar. Im opera­tiven Geschäft sind solche Kosten auch mit 137 Millionen Abonennten lang­fristig nicht so schnell einzu­spielen.

»Wir werden noch auf Jahre hinaus keinen freien Geldfluss erar­beiten.« Dieser Satz stand im Netflix-Akti­onärs­brief zum zweiten Quartal 2017.
Zum 30. September 2018 lagen die lang­fris­tigen Schulden bereits bei 8,34 Milli­arden US-Dollar – 2017 waren es zum gleichen Zeitpunkt erst 4,89 Milli­arden. So wird es weiter­gehen: Die äußerst expansive Strategie soll laut Unter­neh­mens­an­gaben in mittlerer Zukunft weiter verfolgt werden – auch um den Preis weiterer Schulden. Letztlich will Netflix zum globalen Mono­po­listen auf dem Streaming-Markt werden.

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Die Indizien dafür, dass dieses Konzept sehr riskant ist, und auf längere Sicht scheitern wird, spricht aller­dings viel: Denn weitere große Player stehen mit eigenen Streaming-Plänen in den Start­löchern: Apple natürlich, aber auch renom­mierte Tradi­ti­ons­stu­dios wie Disney und Warner.
Hinzu kommt: Sollten die Zinsen in den USA ansteigen, würde auch die Bedienung der Schulden teurer. Von Januar bis Juni 2017 bezahlte Netflix über 102 Millionen Dollar an Zinsen.

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Der Aufstieg von Netflix ist also keines­wegs unauf­haltsam. Derzeit verbrennt Netflix vor allem viel Geld. Bislang ist das Netflix-Geschäfts­mo­dell also vor allem eine große Wette auf die Zukunft – und den Glauben daran, dass entweder die Abon­nenten-Zahlen noch deutlich steigen – oder auf Dauer weniger Geld in Eigen­pro­duk­tionen wie Roma gesteckt werden muss.
In jedem Fall aber werden wir uns in Deutsch­land bald auch in dieser Frage verändern müssen. Dafür dass sich die Medi­en­po­litik in Deutsch­land bald grund­sätz­lich verändern wird, spricht auch die Nachricht von der Berufung des Vorstands­vor­sit­zenden des Springer-Verlags, Matthias Döpfner in den Verwal­tungsrat von Netflix.
Der Netflix-Boykott der deutschen Kinos ist auf Dauer absurd und er funk­tio­niert nicht wirklich, wie das Beispiel »Roma« zeigt.

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Zu Roma ist noch anderes zu sagen: Etwas zu selbst­zu­frieden für meinen Geschmack kommen­tierte Torsten Frehse, erfolg­rei­cher Verleiher, aber auch Funk­ti­onär der AG Verleih, letzte Woche den Roma-Flop auf Facebook: Hier ungekürzt: »So was kommt von so was! Wenn das ein Kinostart von Netflix für einen Venedig Gewinner sein soll, dann kann man allen Filme­ma­chern nur raten, doch lieber mit einem richtigen Film­ver­leih zusammen zu arbeiten, der ordent­liche Arbeit macht, für einen Film wirbt und die Exklu­si­vität der Kinos respek­tiert.
Roma scheint jeden­falls heute in den deutschen Kinos ein Totalflop zu sein, wenn man sich die Vorver­kaufs­zahlen der einzelnen Kinos anschaut und zusammen rechnet, dann wird das angeb­liche Meis­ter­werk am Ende auf keine 3000 Besucher insgesamt kommen. Voll­kommen konse­quent, dass Netflix den Kinos verboten hat, die Besu­cher­zahlen zu veröf­fent­li­chen.
Ob die betei­ligten Kinos daraus lernen werden?«

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Nicht falsch das alles, aber auch nicht ganz richtig. Geht damit los, dass der Film immerhin bis jetzt über 6000 Zuschauer hat, also mehr als viele durch­ge­för­derte deutsche Filme, die von subven­tio­nierten Verlei­hern in durch­ge­för­derten deutschen Kinos heraus­ge­bracht werden, genauso wenig Zuschauer bekommen. Oder weniger. Oder halt 5000 was auch nicht super ist.
Auch hätte Torsten dazu sagen können, dass er ein bisschen pro domo spricht. Mir ist auch hier zuviel Emotion im Spiel, Süffisanz gegen Roma und Aggres­sion gegen die betei­ligten Kinos.
Die wahren Probleme liegen woanders: In der mangelnden Soli­da­rität der Branche, die sich auch in vielen FB-Kommen­taren zeigt. Dazu bei Gele­gen­heit mehr.

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Die Herren von Netflix agieren zur Zeit wie Feinde und Hasser des Kinos. Tatsäch­lich muss man daher bei anderer Gele­gen­heit auch noch einmal ausführ­lich die unselige Rolle zum Thema machen, die das Film­fes­tival von Venedig in diesem Jahr in der ganzen Causa gespielt hat. Als wolle man allen Vorur­teilen über italie­ni­sche Korrup­tion neue Nahrung geben, und die popu­lis­ti­sche Regierung in Rom an Kultur­feind­schaft noch über­trumpfen, rollte Venedig dem Streaming-Dienst den Roten Teppich aus.
Nicht nur durch Aufnahme diverser Netflix-Produkte ins Programm, sondern auch durch mit Cannes-Stars wie David Cronen­berg und Spike Lee garnierte Diskus­sions-Podien, auf denen diese Herolde des Autoren­films zwar das »Verschwinden des Kinos« beklagten und Studenten, die Breit­wand­filme auf Telefonen gucken, aber den Verur­sa­cher, nämlich Netflix und die Digi­ta­li­sie­rung mit Lobes­hymnen über­gossen. Von wegen »neue Möglich­keiten« und so...

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Hinzu kam der Haupt­preis für Alfonso Cuarons Roma. Den muss man noch nicht mal als »Netflix-Film« bezeichnen – denn tatsäch­lich hatte Cuaron selber den Film produ­ziert, dann erst hatten die Streaming-Cleverles den fertigen Film gekauft. Wir tun das natürlich trotzdem alle – zu Recht, denn durch diesen Kauf ist der Film zu einem »Netflix-Film« geworden, da mit dem Kauf (mir wurde erzählt, Roma habe 15 Millionen Dollar gekostet und sei für 20 Millionen verkauft worden) auch eine Vermark­tungs-Knebel-Strategie verbunden war. In Cannes wollte Thierry Fremaux diesen Film, der angeblich »sein Lieb­lings­film in der Auswahl« war, gerne zeigen. Wegen der Boykott­po­litik hat er dankens­wer­ter­weise darauf verzichtet.

Der Goldene Löwe von Venedig bekam aber nach­träg­lich dadurch ein »Geschmäckle«, dass mit Guillermo del Toro nicht nur ein Freund und Landmann Cuarons der Jury vorstand, sondern auch ein Regisseur, der nur ein paar Wochen später bekannt gab, er drehe sein nächstes Projekt mit... na wem wohl?

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Für Netflix war Venedig 2018 wie ein Sechser im Lotto. Mit Zusatz­zahl. Denn durch den Cannes-Boykott hatte Netflix im Frühjahr 2018 seine erste schwere Nieder­lage im Krieg um die Vorherr­schaft im Filmreich erlitten (ja, es ist ein Krieg, ein Wirt­schafts­krieg!). Nach dem Debakel sprach zunächst einmal niemand von Cannes – doch dann verhalf ausge­rechnet der Venedig-Direktor und Cinephile Alberto Barbera dem ange­schla­genen Kinofeind zu einem Goldenen Herbst.

(to be continued)