07.12.2018
Cinema Moralia – Folge 184

You better watch out, you better not cry

Der letzte Tango
Der ewige Tango – Maria Schneider und Marlon Brando
(Foto: Bernardo Bertolucci)

Die Strategie der Spinne: Nikolaus, Knecht Ruprecht und die deutsche Filmförderung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 184. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»You better watch out, you better not cry/ Better not pout, I’m telling you why/ Santa Claus is comin' to town/He’s making a list and checking it twice/ Gonna find out who’s naughty and nice/ Santa Claus is comin' to town/ He sees you when you're sleepin'/ He knows when you're a wake/ He knows if you've been bad or good/ So be good for goodness sake...«
Haven Gillespie / J. Fred Coots
Ausnahms­weise bevorzuge ich die Version von Frank Sinatra gegen über der von Dean Martin

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Sie machen sich Sorgen. Sogar »ernsthaft«. Also nicht nur so, nicht nur, weil es gut klingt in einer Film­kritik.

Immer wenn Film­kri­tiker zu Thera­peuten werden, sollte man die gelbe Warnweste anziehen, und seinen Kunst­ver­stand entsi­chern.
Jetzt im Doppel­pack in der Stutt­garter Nach­richten/ Stutt­garter Zeitung. Der letzte Satz lautet »Es ist Zeit, sich ernsthaft Sorgen zu machen um die psychi­sche Verfas­sung dieses genialen Film­re­gis­seurs.« Diese medi­zi­nisch-psych­ia­tri­sche Diagnose ist aus dem Text zuvor nicht begründet. Dort wird über »Lars von Triers Gewalt­orgie« geschrieben, dass sie »niedere mensch­liche Reflexe kitzelt«, und behauptet, Lars von Trier habe einen »zynischen Blick auf ein waffen­star­rendes und – narrendes Amerika voller wahn­sin­niger Revol­ver­helden« – wo man indes doch auch fragen könnte, ob wirklich der Blick des Filme­ma­chers zynisch ist, oder nicht eher die Verhält­nisse, die er beschreibt.
Aber warum wird hier nicht einfach gut begründet, warum der Film nicht gefällt? Warum muss ein Künstler, der dem Kritiker nichts sagt, oder den er nicht versteht, dafür zur Strafe patho­lo­gi­siert werden?

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Die FR wählt einen anderen Weg um der Aufgabe einer Kunst­kritik, nämlich die ästhe­ti­sche Ausein­an­der­set­zung und Inter­pre­ta­tion, auszu­wei­chen: »Das Kino Lars von Triers funk­tio­niert wie eine Maschine, nicht nur, was seine drama­tur­gi­schen Tricks angeht, sein hoch effek­tives Spiel mit Emotion und Kalkül, Anteil­nahme und Distanz. Es ist auch eine Geld­ma­schine, die sich die Groß­zü­gig­keit aber auch die Eitelkeit europäi­scher Film­för­derer virtuos zunutze macht. Jeder möchte dabei sein und zahlt ein in den Topf der Firma mit dem schönen Namen ›Pain Unlimited‹: Seine Filme sind preiswert abgedreht und doch hoch budge­tiert, so sichert sich Lars von Trier persön­lich Millio­nen­gagen, auch die Produ­zenten verdienen gut daran – noch bevor eine einzige Karte verkauft worden ist. Von den Stars wird dagegen erwartet, dass es ihnen die anspruchs­vollen Rollen wert sind, für ein Minimum zu spielen.«
Der Ton der Formu­lie­rungen und die Rhetorik sprechen für sich.

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Für die Empörten: In meinem Nachruf auf den großen Bernardo Berto­lucci kommen die bizarren Behaup­tungen von Miss­brauch und Schlim­merem nicht vor. Dies erstens, weil es mit der Würdigung des Künstlers aber auch nichts zu tun hat; zweitens, weil Kunst und Moral zwei ziemlich getrennte Dinge sind und bleiben sollten. »Und das ist auch gut so.«

Trotzdem aber hier für all jene, die nur lesen, was sie lesen wollen (und weil ich zwar finde, dass das Thema hier eigent­lich komplett zu igno­rieren ist, ich mich ande­rer­seits nicht dem Vorwurf der Drücke­ber­gerei aussetzen möchte, und außerdem auf entspre­chende Kollegen eingehen muss) eine Klar­stel­lung:
Entgegen anders­lau­tender und zur Zeit gern zitierter Infor­ma­tionen hat Berto­lucci nie behauptet (oder gar »einge­standen«), sich mit Marlon Brando am Set zu einer Verge­wal­ti­gung abge­spro­chen zu haben. Vielmehr spricht von »Vege­wal­ti­gung« nicht mal das angeb­liche »Opfer«, sondern nur die ungenauen Leser und Hören­sager.
Der Wortlaut ihres Inter­views lautet: »During the scene, even though what Marlon was doing wasn*ft real, I was crying real tears. I felt humi­liated and, to be honest, I felt a little raped ... Thank­fully, there was just one take.«

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»A little raped« – da mag nun jeder sich sein Urteil bilden. Trau­ma­ti­siert klingt es allemal nicht. Hier auch der Link zu einem entspre­chenden SPIEGEL-Text, in dem Berto­lucci recht präzis auf die Vorwürfe und Miss­ver­s­tänd­nisse eingeht, und die alles in anderem Licht erscheinen lassen.
Man muss das trotzdem nicht geschmack­voll finden, aber man könnte einmal grund­sätz­li­cher und weniger hyste­risch darüber nach­denken, welche Provo­ka­tionen eines Künstlers gerecht­fer­tigt sind, um Resultate, also hier: gute Kunst zu erzielen. Ich meine in der Tat, dass es gerecht­fer­tigt ist, wenn Berto­lucci argu­men­tiert, er wollte die Reaktion der jungen Frau, nicht die der von ihr gespielten Figur. Aber wie auch immer: Um Berto­lucci nun zum Schul­digen zu erklären und noch dazu in einen Verge­wal­ti­gungs­kon­text zu bringen, taugen die Vorwürfe allemal nicht.

Im Übrigen ist es eigent­lich auch egal, wer hier jetzt sachlich und moralisch recht hat – das Thema Miss­brauch und Verge­wal­ti­gung ist zu wichtig, um es bei einer solchen Gele­gen­heit en passant anzu­teasern.
Da muss man länger und genauer drüber reden.
Für einen Nachruf ist das alles unpassend. Auch die Frage des Verhält­nisses zwischen Moral und Kunst ist zu kompli­ziert und verdient Sensi­bi­lität, und dieser spezielle Film ist erst recht eine Sache für sich.

Die Erklärung für vieles ist im Rückblick wohl vor allem der in vielem immer noch sympa­thi­sche Zeitgeist der Seventies, zu dem auch eine wahn­sin­nige Gedan­ken­lo­sig­keit und Leicht­sinn und Todesnähe (wie auch der Film zeigt) gehört, die uns allen heute schwer vers­tänd­lich ist.

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Zur Kultur des Nachrufs: Sie hat in manchen Texten zu Berto­luccis Tod einen Tiefpunkt erreicht.

Was ist das für ein Jour­na­lismus? Ist es überhaupt Jour­na­lismus?

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Noch ein Fall merk­wür­digen Jour­na­lismus: In der Süddeut­schen, erschien nur fünf Tage vor Berto­luccis Tod ein Text über Maria Schneider und den Tango-Film, einen Text, dem ich in vielen Punkten nicht zustimme, der aber gut recher­chiert ist und den ich gern und mit großem Interesse gelesen habe.
Zu »Last Tango«: »...dieser pseu­do­in­tel­lek­tu­elle Halbporno, in dem ein Mann seine schlechte Laune vor sich herträgt, während eine junge Frau oben ohne durch seine Wohnung geistert...« Aber das ist immerhin gut und witzig geschrieben, und ihre Meinung will ich der Zeitung auch nicht nehmen.

Hier noch der wunder­bare und sehr wahre Schluss­ab­satz des Textes: »Wer wissen möchte, wer Maria Schneider war – oder wer sie auch war, sehe sich Michel­an­gelo Anto­nionis fabel­haften Film Beruf: Reporter (1975) an, mit Jack Nicholson in der Haupt­rolle und an seiner Seite: die 23-jährige Maria Schneider. Hier ist sie keine niedlich geschminkte Puppe, die dauernd ihre Brüste zeigen muss, sondern ein Mensch, eine junge erwach­sene Frau, Archi­tek­tur­stu­dentin in Barcelona, die Entschei­dungen trifft mit für die Handlung weit­rei­chenden Folgen. Sie hilft Jack Nicholson, der die Identität eines Toten ange­nommen hat, den er in Afrika in einem Hotelbett fand, und nun durch Europa gejagt wird, ohne zu wissen, warum und von wem, bei der Flucht. Der Thriller, der auch in München spielt, am Flughafen Riem und in der St.-Georg-Kirche auf dem Bogen­hau­sener Friedhof, zeigt eine andere Maria Schneider. Sie ist ein bisschen melan­cho­lisch, aber mutig und eigen­willig, störrisch, lebhaft und wunder­schön. Sie ist frei.«

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Auf die Formu­lie­rung »trans­gres­siver Maelstrom« in meiner Kritik zu Climax bekomme ich die Nachfrage, was das sei. Meine Antwort will ich der übrigen Welt nicht vorent­halten: Ich könnte das alles auch so ausdrü­cken: 'Ein über­wäl­ti­gender Strudel' oder 'Ein Strudel der Über­schrei­tungen'. Und zwar der Über­schrei­tungen von Tabu­grenzen, von Genre­grenzen, von Geschmacks­grenzen.
Das wäre aber zu kompli­ziert und zu lang, und klänge weniger verfüh­re­risch und 'Sog' hatte ich schon benutzt. In diesem Fall wollte ich bewusst unein­deutig und Asso­zia­tionen weckend formu­lieren.
Und ich setze auf Leser, die z.B. bei 'trans­gressiv' an Auflösung von Geschlechter und Rassen­grenzen, aber auch Über­schrei­tung von Moral­grenzen denken, oder ans 'Cinema of Trans­gres­sion'; bei 'Maelstrom' an 'Sog', 'Gezei­ten­strom', und an Edgar Allen Poe’s Story: 'A Descent into the Maelstroem'.
Das Cambridge-Lexikon beschreibt es natürlich viel schöner als ich je könnte: 'a situation in which there is great confusion, violence, and destruc­tion: 'The country is gradually being sucked into the maelstrom of civil war.'
Genau so ist der Film.

Und dazu nochmal Georg Seeßlen in der ZEIT über Berto­lucci und das »Wort, das bei ihm immer wieder­kehrt: tras­gres­sione, das Über­schreiten einer Grenze oder die Verwand­lung in etwas anderes.«

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Es war ein nicht nur für die Berliner span­nender Text, der bereits am 26. Oktober in der SZ erschienen ist. Er trug den Titel »Die Mächtige« – und jeder, der sich für Kultur in Deutsch­land inter­es­siert, sollte ihn lesen!

Gemeint ist mit dem Titel die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters. Kühl, präzise, nicht gerade wohl­wol­lend, sondern wunderbar böse formu­liert und voller herr­li­chen Klatsches wird über die Staats­mi­nis­terin getragen und eine Menge von dem zusam­men­ge­tragen, was man seit langem so über Grütters erzählt bekommt, was aber eher der stumpfen Ebene des Hören­sa­gens und Gerüch­te­ko­chens angehört. Insbe­son­dere die Methoden der Einschüch­te­rung und Gängelung, mit der Grütters ihr Amt nach Guts­her­rinnen-Art führt.

Erst neulich hörte man wieder aus einer hoch­be­deu­tenden Kultur­in­sti­tu­tion mit spitzer weib­li­cher Zunge die Fest­stel­lung, dass Grütters ja immer im Gegensatz zu ihrem Vorgänger »Ich« sage und von »meinem Geld« rede, nicht von Steu­er­gel­dern.

Auf ein Dutzend kommen Berichte von Anrufen aus dem BKM, die Will­fäh­rig­keit fordern, Abtrün­nige auf Linie bringen oder Dissi­denten strafen. Einer der Verfasser der Protest­briefe gegen das Berlinale-Regiment von Dieter Kosslick bekam kryptisch-eindeutig am Telefin zu hören:»Wir merken uns das!«

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Die SZ zitiert andere: »'Geht ihr jemand auf den Geist', erzählt der Chef einer Insti­tu­tion aus eigener Erfahrung, 'tut sie alles, um ihn fertig­zu­ma­chen.'«
Inten­danten, Muse­ums­chefs, Direk­to­rinnen, die man zu ihr befragt, fürchten nichts so sehr wie ihren Zorn.
Er benennt Miss­erfolge und charak­ter­liche Schwächen: Grütters setze »oft auf Glamour und PR, ohne Rücksicht auf Verluste. ... Disrup­tion dient bei ihr weniger der Inno­va­tion, sie ist Teil einer Strategie des Teilens und Herr­schens. Besonders wenn sie persön­lich invol­viert ist, gibt sie Kommandos und erwartet Gehorsam, auch wenn es nicht immer ausge­spro­chen werden muss.«

Macht­spiele, Setzen auf kultu­relle Block­buster,
Die deutsche Kultur­po­litik ist in mise­ra­bler Verfas­sung und Schuld hat die Minis­terin – aber den Leuten ist es egal.
Grütters passt zur post­mo­dernen Spek­ta­kel­po­litlk. Aber wo liegt ihre eigene, private Leiden­schaft?

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»Keine kämpft so entschlossen, keine hat sich so viel Macht gesichert, keine verfügt über mehr Stellen – 300 sind es heute – , keiner macht mehr Geld locker als sie. ... Grütters festigt ihre markt­be­herr­schende Stellung immer mehr, bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideo­lo­gisch so ungreifbar bleibt, da ihre Einmi­schungen nur stra­te­gi­scher Art sind, und da die 'Zuwen­dungs­empfänger' weiter auf Zuwächse hoffen können, üben sie sich in Duld­sam­keit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin.«

Es ist, genau besehen, eine Erfolgs­ge­schichte, und man fragt sich beim Lesen, warum eigent­lich an diesem Freitag AKK als Mini-Merkel zur CDU-Vorsit­zenden gewählt wird, hätte man da doch eine Maxi-Merkel im Kanz­leramt sitzen.

Das erste zentrale Urteil des Autors: »Grütters hat keine kultu­relle Agenda, oder: Ihre kultu­relle Agenda ist Funktion ihrer poli­ti­schen Agenda und die lautet, Freunde gewinnen, Feinde neutra­li­sieren, den eigenen Einfluss mehren, um am Ende poli­ti­sche Erfolge vorweisen zu können. ... Ziel ist maximale Verflech­tung. 'Das System ist eine Spinne', heißt es aus BKM-Kreisen.«

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Das zweite zentrale Urteil, noch wichtiger: »Es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wett­be­werb um wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebens­zeit besetzt werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie wieder einen Job zu finden. Die intel­lek­tu­elle Lähmung ist schon jetzt spürbar.«

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De facto Monarchie, länger als Angela Merkel Kanzlerin ist: Die neueste Blackbox nun greift dieses Porträt auf. Um ihm eine süffi­sante Wendung zu geben: Denn dort wird der Titel nicht allein auf Grütters gemünzt, sondern auf »eine andere mächtige Frau in der Filmwelt, deren Vertrag stets klamm­heim­lich verlän­gert wurde«: auf Kirsten Niehuus, seit 15 Jahren Chefin des Medi­en­boards Berlin Bran­den­burg (MBB).
Chapeau! Hier wird Niehuus frontal ange­griffen, erinnert daran, dass das Inten­dan­ten­mo­dell – eine Frau entscheidet seit 14 Jahren allein im Stil einer abso­lu­tis­ti­schen Monarchin über zwei­stel­lige Millio­nen­summen – ursprüng­lich im Dialog mit der Branche überdacht werden sollte »Nix davon passiert im Gegenteil: Der anfangs einge­rich­tete Beirat mit Vertre­tern der unab­hän­gigen Filmszene wurde sukzes­sive abge­schafft.«
Das zutref­fende prin­zi­pi­elle Fazit: Ein solches Macht­mo­nopol in Form von zu langen Amts­zeiten, mangelnder Trans­pa­renz und fehlender Bereit­schaft, die eigene Förder­praxis kritisch zu reflek­tieren, gilt es zu bekämpfen.

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Dem ist nichts hinzu­zu­fügen. Das Schwei­ge­kar­tell um Niehuus wird beschrieben, weil man ja die Hand nicht beißt, die einen füttert.

(to be continued)