17.05.2015
68. Filmfestspiele Cannes 2015

Maïwenn, Bercot, Donzelli: Regie-Frauen – Blick nach Cannes III

Maiwenns MON ROI mit Emmanuelle Bercot
Maiwenns Mon roi mit Emmanuelle Bercot, Regisseurin des Eröffnungsfilms
(Foto: Studiocanal GmbH)

Cannes teilt sich uns auch mit, wenn wir nicht in Cannes sind. Wie Berichterstattung sich anfühlt, wenn man nicht vor Ort ist, wagen wir in unserer neuen Serie »Blicke nach Cannes«. Mit Trailern, Verlinkungen zu Pressekonferenzen, Querbezügen im Programm und natürlich ohne eine einzige Filmkritik zu schreiben. Denn dazu müsste man tatsächlich vor Ort sein.

Von Dunja Bialas

Dritter Blick nach Cannes. Allmäh­lich tun sich Bezüge, Quer­ver­weise, Deleuz­sche Flucht- und Verbin­dungs­li­nien auf. Alles hängt unter­ein­ander zusammen, irgendwie. Plötzlich stoße ich auf ein typisch deutsches Thema: Die Frau­en­quote, und finde es in typisch fran­zö­si­scher Manier beant­wortet. Siehe da: Im Land der Aufklärung gibt man sich Post-Gender. Es gehe um Filme, nicht um die Quote, wird auf der Pres­se­kon­fe­renz betont. Eine sich auf den Inhalt fokus­sie­rende, sympa­thisch sachliche Einstel­lung. Frank­reich war eben immer schon das Land der Nicht-Zicken und der Emanzen, die keine Latzhosen, sondern Stöckel­schuhe tragen. Oder?

+ + +

Maïwenn und Emma­nu­elle Bercot: Zwei Regie-Frauen in Cannes. Es wird ja immer viel von den »starken Frauen« gespro­chen, seitdem Dieter Kosslick diese auf der dies­jäh­rigen Berlinale ausge­rufen hat. Auch die deutsche Quoten­regie-Bewegung Pro Quote Regie ruft nach mehr weib­li­chen Regis­seuren, und nach mehr Filmen von Frauen auf den großen Festivals. Auch inter­na­tional sollte dies Thema sein: Emma­nu­elle Bercot eröffnete (nach 1987) als erst zweite Frau in der 68jährigen Festi­val­ge­schichte mit La Tête Haute (Standing Tall) (zuletzt bei uns im Kino mit Madame empfiehlt sich). Sie selbst sieht dies jenseits der Gender-Thematik, was typisch fran­zö­sisch ist: »Je suis persuadée que Thierry Frémaux ne se pose pas la question du sexe des films !« – »Ich bin überzeugt, dass Thierry Frémaux (der Leiter der Cannes-Fest­spiele) die Filme nicht nach ihrem Geschlecht auswählt.« Das ist sehr selbst­be­wusst gespro­chen, und verrät mehr Selbst­ver­s­tänd­lich­keit und Quali­täts­be­wusst­sein als ihre deutschen Regie-Kolle­ginnen mit ihrem Ringen um die Quote.

Das ändert nichts über das Miss­ver­hältnis, das auch in Cannes besteht. Von den neunzehn offi­zi­ellen Wett­be­werbs­bei­trägen sind zwei davon von Regis­seu­rinnen, also gerade mal zehn Prozent: Die eine ist Valérie Donzelli. Sie zeigte ihren Wett­be­werbs­bei­trag Margue­rite & Julien bereits vor zwei Tagen (zuletzt war von ihr bei uns im Kino zu sehen: Das Leben gehört uns). Die andere ist Maïwenn, die heute ihren Film Mon roi vorstellte und 2011 für Poliezei in Cannes den Preis der Jury gewann. Das ist wichtig. Denn was tun mit einer Quote, wenn dann die Filme nicht gut sind? Dass dennoch der Eröff­nungs­film Emma­nu­elle Bercots, der nicht am offi­zi­ellen Wett­be­werb teil­nehmen kann, von der Presse als ungla­mouröses Sozi­al­drama abge­fer­tigt und statt dessen der Testos­teron-Film Mad Max – Fury Road als die eigent­liche Eröffnung gefeiert wurde, sagt wiederum einiges über die Erwar­tuns­hal­tung der über­wie­gend männ­li­chen Film­kri­tiker aus (und ihrer weib­li­chen Kollegen, die ihnen darin in nichts nach­stehen wollen, um nicht als Spaß­bremsen abge­stem­pelt zu werden).

Maïwenn hat nun mit Mon roi den Brücken­schlag zum Eröff­nungs­film gemacht: Ihre Haupt­figur spielt dessen Regis­seurin Emma­nu­elle Bercot, an der Seite von Vincent Cassel (in Cannes auch in Tale of Tales zu sehen, wir berich­teten), in einem klaus­tro­pho­bi­schen Drama über die Beziehung eines sich gegen­seitig zerstö­renden Liebes­paars. Maïwenn wird damit einmal mehr ihrem Ruf als uner­bitt­liche Regis­seurin gerecht. In Pardonnez-moi (2006) hatte sie die komplexen Fami­li­en­ver­hält­nisse, aus denen sie selbst stammt, als quasi-doku­men­ta­ri­sches Zerflei­schungs­stück insze­niert. Ihre Mutter, die Schau­spie­lerin Catherine Belkhodja, soll sie vor die Kamera getrieben haben, zunächst als Model, dann als Schau­spie­lerin (u.a. bei Luc Bessons Leon – der Profi), ebenso wie ihre Schwester Isilde Le Besco, die schneller als Maïwenn im Autoren­film ankam (zuletzt war sie in François Ozons Eine neue Freundin zu sehen und und reali­sierte den Hardcore-Film über eine unge­zähmte Mädchen­wohn­ge­mein­schaft Bas-Fonds). Die Regie­füh­rung von Maïwenn kann in diesem Zusam­men­hang, ohne über die Maßen psycho­lo­gi­sieren zu wollen, als Befrei­ungs­schlag gegen ihre eigene Exploita­tion gesehen werden.

Hier das Video der Pres­se­kon­fe­renz von MON ROI, in der auch auf die Gender­frage einge­gangen wurde und sich zeigte: kein Thema für die Franzosen. In Cannes geht es um Filme, stellte Maïwenn noch mal klar.