26.06.2014
31. Filmfest München 2014

Gala, Glam & Gloria

Die Karte meiner Träume
Hinter der tristen Landschaft verbergen sich die erfinderischen Bilderwelten von Jean-Pierre Jeunet:
Die Karte meiner Träume eröffnet das 32. Fillmfest München – in 3D
(Foto: DCM Film Distribution GmbH)

Das 32. Münchner Filmfest wartet mit vier Hommagen, den wichtigen Filmen der Saison und einigen Stars auf

Von Dunja Bialas

Es gibt wohl kaum einen weniger rele­vanten Vorwurf an ein Festival als: So viele Filme! So viele Reihen! Wer, bitte schön, soll sich das ansehen? Schon jetzt kann man verzwei­felte Menschen mit Stress­fle­cken im Gesicht das Programm durch­blät­tern sehen, Anrufe gehen bei uns in der Redaktion ein, mit der Bitte nach Beratung.
Soll man nun auf die Hommage für Walter Hill setzen, dem »Rebellen aus Hollywood« (Filmfest München), dessen Filme über­wie­gend als Film­ko­pien im Film­mu­seum zu sehen sind? Hill hat neben dem berühmten Driver, dem vor drei Jahren Refns Remake Drive als stim­mungs­voller Neo-noir folgte, astreines Genrekino gemacht, das sich aber immer gegen den Main­stream stemmte, anders war, anders berühren konnte.

Oder soll man lieber die Hommage für Klaus Lemke verfolgen, über den sich ähnliches sagen ließe? Lemke ist ein Großstadt-Cowboy, man könnte ihn auch »Film-Rebellen aus Schwabing« nennen, und hat in den den vergan­genen Jahren aus Protest gegen abge­lehnte Filme auf diversen Festivals öffent­lich protes­tiert, Gegen­vor­füh­run­gungen gestartet, plaka­tiert. Oder die Festivals beschimpft, wie zuletzt die Berlinale: »Die Berlinale hat keinen Glamour. Den hat viel­leicht Festi­val­chef Dieter Kosslick, wenn er mit Richard Gere abends mal essen geht.« Und nun lässt er sich auf eine Hommage ein, ausge­rechnet in der Stadt, der er vor Jahren der Rücken, wenn auch nur halb­herzig, kehrte. Lemke reiht sich damit in die Reihe der »dann doch noch« vom Filmfest gewür­digten Münchner Regis­seure ein, mit Herbert Achtern­busch, dem »Rebellen vom Starn­berger See«, der 2008, noch unter Andreas Ströhl, eine Hommage bekam. – Lemke wird zu jeder seiner Vorfüh­rungen anwesend sein, was eine große Lektion in Sachen Straßen­pflaster-Coolness verspricht. Mit dem Unter­titel: Warum eigent­lich wollen wir nicht erwachsen werden?

Schon letztes Jahr haben wir einen Hommagen-Overkill beim Filmfest beklagt. Als könne es sich nicht entscheiden, wen es ehren solle, als hätte es Angst davor, durch die Hommage des einen eine Art Visi­ten­karte zu zücken. Als wolle es auch im Hommagen-Publi­kums­spek­trum niemanden nicht erreichen. Und so gibt es auch dieses Jahr noch eine weitere Hommage, »Tribute« genannt, was die Sache aber nicht ändert, für Willy Bogner, dem Bussi-Bussi-Münchner, dessen Winter-Kollek­tionen zum Après-Ski getragen werden. Bogner ist, so kann man sagen, der Erfinder des profes­sio­nellen Skifilms. Sport­liche Models stürzen sich bei ihm ästhe­tisch äußerst effekt­voll insze­niert, in schicker Skiklei­dung und bei Pulver­schnee und blitz­blauem Himmel, die steilsten Hänge der alpinen Welt hinunter. Bogner ist der Leni Riefen­stahl der Skiszene. Tolle Kamera, super ausse­hende Leute. Mit, das gereicht ihm zum Vorteil, sexy 70er-Jahre-Retro-Touch.

Und dann gibt es noch sage und schreibe eine vierte Hommage, an den Schweizer Film­pro­du­zenten Arthur Cohn (Central Station, 1998, Die Kinder des Monsieur Mathieu, 2004), der auch vielen Doku­men­tar­filmen früh zu inter­na­tio­naler Beachtung verholfen hat (American Dream, 1990, Ein Tag im September, 1999). Gezeigt wird aller­dings nur ein Film, den er produ­ziert hat, Die Kinder der Seiden­straße, von 2008. Und er ist, ebenso wie die anderen geehrten Regis­seure, »Star zum Anfassen«. An einem »Gala-Abend« kann man den Produ­zenten, wie es im Filmfest-Programm­heft heißt, »hautnah« erleben. Auf Tuch­füh­lung gehen. Laudator der Gala wird Edmund Stoiber sein.

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Und schon sind wir mitten drin, im Glanz und Glamour. Vor drei Jahren wurde Diana Iljine zur neuen Chefin des Filmfest München ernannt, unter anderem aufgrund ihres Verspre­chens »mehr Glamour« an die Isar zu holen. Durchaus lohnens­wert ist es in diesem Zusam­men­hang, sich an die Anfänge des Münchner Filmfests zu erinnern, das als Skan­dal­ge­schichte begann: »Da ließen sich also der Freistaat Bayern und die rekla­mesüch­tigen Funk­ti­onäre seiner Haupt­stadt ein glit­zerndes Millio­nen­ding einfallen und tauften es 'Münchner Inter­na­tio­nale Film­wo­chen'«, schrieb die »Zeit« anno 1979, Jahre vor der ersten Ausgabe des Festivals. Und weiter: »Zum Direktor der Affäre wurde ein Herr bestellt, der sich mit inter­na­tio­nalem Glamour auskennt: Alfred Wurm, der ansonsten für die Münchner 'Modewoche' zuständig ist und auch unter Wohl­mei­nenden nicht eben als Kino-Sach­ver­s­tän­diger gilt.« Wurm setzte im ersten Jahr, in dem das Festival endlich statt­finden sollte, zusammen mit dem damaligen CSU-Ober­bür­ger­meister Erich Kiesl, der den Münchnern das Filmfest infolge eines Wahl­ver­spre­chens schenkte und dafür aus dem Stand 900.000 DM aus dem Stadt­sä­ckel locker machte, eben diese 900.000 DM in den Sand. Glamour wurde hier als Münch­ne­ri­sche Angeberei und Jet-Set inter­pre­tiert, eine Villa wurde an- und wieder abge­mietet (was allein schon 40.000 DM verschlang), es wurde von Cannes direkt nach New York geflogen. »Der teure Ausflug in die Filmwelt« titelte 1982 die »Süddeut­sche Zeitung«.

Alles, ohne ein Konzept in der Tasche zu haben, und vor allem: Alles, während Wurm die gesam­melten deutschen Filme­ma­cher gegen sich hatte. Diese, weil sie nicht in die Bespre­chungen einbe­zogen wurden, gingen kurzer­hand, 1979, nach Hamburg, um dort ein selbst­or­ga­ni­siertes Festival auf die Beine zu stellen: Das »Festival der Filme­ma­cher«. Erst als Eberhard Hauff zum neuen Leiter des Filmfests ernannt wurde, der einer »von ihnen«, den Filme­ma­chern war, entschärfte sich die Situation, und es gab immerhin Ansätze, mit den selbst­or­ga­ni­sierten Gruppen zusam­men­zu­ar­beiten – das Kinder­film­fest ist ein Erbe davon.

Glamour, so könnte man resü­mieren, stand also in den Anfängen gegen Politik und Film­po­litik, die sich gegen den baye­ri­schen Festival-Kini nicht behaupten konnten. Von diesem Weg ist das Filmfest in der Zeit seines Bestehens nicht abge­wi­chen. Auch wenn es unter Ströhl etwas »hemd­sär­me­liger« wurde: Auch er stand immer unter dem Druck, nicht etwa, möglichst viele Gäste oder Filme­ma­cher einzu­laden (auch das Dokfest wartet übrigens für fast jeden Film mit einem Gast auf), nein, er musste sich immer der beliebten, unre­flek­tierten Pres­se­frage stellen – die wiederum auf die jeweilige Festival-PR ansprangen –, welche Stars an die Isar kämen. Und: gibt es überhaupt einen Roten Teppich, der diesen Namen verdient?

Iljine hat den Vorteil, dass sie sich von Anfang an dem Glamour verschrieben hat (eine leicht sexis­ti­sche Bemerkung unseres Alt-OBs lautete: sie sei sogar selbst schon Glamour genug, sie müsse nur lächeln – Frau­en­be­auf­tragte, wo seid ihr?). So muss sie nicht weiter darüber nach­denken, und kann das Program­mieren ganz einfach dem altbe­währtem Kuratoren-Team über­lassen. Und sich um den »Glamour« kümmern.

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Aber auch die Fllme sind die Stars des Festival, bringen Gloria an die Isar: Wie jedes Jahr hat auch dieses Jahr das Filmfest München, das in seinem Reglement allein Deutsch­land­pre­mieren vorschreibt, auf den Festivals der Welt gefischt. Vor allem die Filme von Venedig, Rotterdam und natürlich Cannes sind auffällig präsent. Müßig hier, sie aufzu­zählen. Ein wenig vermissen wir den program­ma­ti­schen Wagemut, wie ihn einst der unbe­irr­bare Klaus Eder bewies, als er Filme aus dem perua­ni­schen Dschungel zeigte. Das Münchner Filmfest setzt heute, klar, auf Qualität. Aber sollte uns nicht auch das Qualitäts-Kino dort suspekt werden, wo es dazu dient, ein Best-of-Festivals in Quantität zu bestücken? Wo sind die Diskus­sionen, Bestands­auf­nahmen über das Weltkino, Befra­gungen zum Genre »Festi­val­film«? Ersteres wird sicher­lich – hoffent­lich – in den Diskus­sionen passieren. Letzteres würde den Festi­val­zirkus als insgesamt sich selbst immer wieder hervor­brin­gendes Event zu sehr beleuchten, als dass man von dem Licht geblendet nicht lieber die Augen verschließen würde.

Mehr Infor­ma­tionen unter www.filmfest-muenchen.de