24.04.2014
Cinema Moralia – Folge 87

Der Status Quo Vadis des Doku­men­tar­films

R.I.P. Michael Glawogger
R.I.P. Michael Glawogger (1959-2014)

Michael Glawogger ist tot, Michael Moore lebt, und dem Dokumentarfilm geht es auch sonst schlecht – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 87. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Man kann nichts Rele­vantes machen, ohne das Einver­s­tändnis und die Mitarbeit der Leute, um die es geht.«
Michael Glawogger

Michael Glawogger ist tot. Das ist nicht nur eine sehr traurige Nachricht, es ist auch ein großer Verlust für das Weltkino, dem dieser unge­wöhn­liche begabte Regisseur, der noch längst nicht am Ende seines Weges war, und mehr fehlen wird als mancher andere, über dessen Tod man weniger traurig wäre.

+ + +

Glawogger starb an diesem Mitt­woch­morgen an Malaria – bei Dreh­ar­beiten zu seinem neuen Film in Afrika. Dass er dort starb, an den Rändern unserer Welt, passt. Denn er brachte diese Ränder auf die Leinwand. Kompro­misslos, angreifbar im Einzelnen, unbedingt vertei­di­gens­wert im Grund­sätz­li­chen, universal im Anspruch. Wenn er von diesen Rändern erzählte, erzählte er von uns.

+ + +

»Mein Name ist Michael Glawogger, ich bin ein Film­re­gis­seur ... man könnt' auch sagen, ich bin ein Filme­ma­cher, denn ich mache Filme. Ich bin Autor, wenn ich schreibe, insofern bin ich ein Autoren­filmer, denn ich mache Filme, die ich mir selber ausdenke... aber ich würde mir jetzt nicht große Gedanken über diese sprach­liche Defi­ni­tion machen. Ich mache Filme. Ich mache Spiel­filme, Doku­men­tar­filme, Expe­ri­men­tal­filme.«

So beschrieb er sich einmal selbst, und man merkt es schon an dieser Selbst­be­schrei­bung: Michael Glawogger war ein unge­wöhn­li­cher Autoren­filmer: abwechs­lungs­reich und viel­fältig, am Schönen ebenso inter­es­siert wie am Häss­li­chen, an der Wirk­lich­keit wie an ihrer Verän­de­rung Die meisten kannten ihn als Doku­men­tar­film­re­gis­seur, aber er hat auch drei Spiel­filme gemacht. Nach etwas Schwerem folgte ein Ausflug ins Komö­di­an­ti­sche oder in jene bitterbös schrägen, hammer­hart krassen schwarzen Satiren, die wir hier­zu­lande als typisch Öster­rei­chisch empfinden: Das Vater­spiel etwa, oder Nackt­schne­cken.

+ + +

Trotzdem: Seine Doku­men­tar­filme werden vor allem von Michael Glawogger im Gedächtnis bleiben. 1959 in Graz geboren, dem wider­s­tän­digen, rauhen, harten, warm­her­zigen Gegen-Wien kam er aus dem Umfeld eines gemeinsam mit Freunden gegrün­deten Kinoclubs über das Filme-schauen zum Filme-machen.

Berühmt machte ihn dann Mega­ci­ties, das Porträt von acht Welt­s­tädten, in denen der Kollaps Alltag ist, und die kleinen Ängste und Schein­pro­blem­chen der west­li­chen Wohl­stands­ge­sell­schaft ganz weit weg. Ein sympho­ni­scher Film, der die Struk­turen ins Zentrum stellt, ohne die Menschen zu vergessen, und der darum – wohl nicht ganz ungewollt – wirkt, wie das Prinzip von Walter Ruttmanns Berlin-Film auf die Welt der Gegenwart über­tragen.

Es folgten Filme wie Workingman’s Death über den Wandel der Arbeits­ver­hält­nisse und deren Ende im globalen Regime der digitalen Techniken. Und dann Whores' Glory, mit dem er vor zwei Jahren in Venedig einen Preis gewann – er handelt von den Arbeits­ver­hält­nisse von Prosti­tu­ierten in der ganzen Welt. Er hat viel gedreht, und zuletzt noch auf der Berlinale im Februar eine Episode zu Wim Wenders Kathe­dralen der Kultur beigetragen.

+ + +

Glawog­gers Thema war die Globa­li­sie­rung. Auch darin, wie in seiner Haltung, das Hässliche und Alltäg­liche der Wirk­lich­keit in stil­si­cheren, wenn man so will, schönen Bildern zu zeigen, war er ein unzeit­ge­mäßer Doku­men­tar­filmer. Einer, der gegen den gegen­wär­tigen Trend des Igno­rie­rens der Wirk­lich­keit in der Doku­fic­tion und Dokusoap auf der Wahrheit des Fakti­schen beharrte, einer, der zeigte, was ist, aber auch was sein soll.

+ + +

»Es ist ja nicht so, dass die Welt zu einem kommt, und sagt: Hallo ›mach' einen Film!‹ Das ist eigent­lich im doku­men­ta­ri­schen Arbeiten das Schönste: Diese Zeit, in der man auszieht, um Dinge zu suchen: Das Recher­chieren, das Hingehen, die ersten Kontakte, und wie sich das dann anfühlt und auf welche Dinge man stößt – das ist ein schöner, neugie­riger, neuer Prozeß.«

+ + +

Glawogger war partei­isch, aber nie subjek­ti­vis­tisch. Er gab sich die Aufgabe, gegen das von den Eliten täglich in die Welt gesetzte verlogene, ideo­lo­gi­sche und sachlich falsche Bild von Globa­li­sie­rung und Banken­krise ins Feld zu ziehen, Ideo­lo­gien zu entlarven, und damit eben auch eine neue Realität zu schaffen.
Im Internet kann man sein Tagebuch nachlesen, das er bis kurz vor seinem Tod geführt hat.

+ + +

Ausge­rechnet am 60. Geburtstag von Michael Moore ist Glawogger gestorben. Bizarrer Zufall des Schick­sals. Moores Eitelkeit ging Glawogger ab. Sie mögen manches ihrer poli­ti­schen Agenda geteilt haben, aber Glawogger war Moores Gegenteil. Glawogger war neugierig, und er wusste am Anfang seiner Projekte nie, was heraus­kommen sollte – während bei Moores Filmen nichts mehr langweilt, als die Abwe­sen­heit von Neugier.

+ + +

Der Zufall des Zusam­men­tref­fens dieser zwei Ereig­nisse treibt die Gedanken zur Frage nach Gegenwart und Zukunft des Doku­men­tar­films.

In Zeiten in denen ein – übrigens recht guter – Film, in dem Götz George seinen Vater spielt, als Doku-Drama eine Doku-Programm­platz besetzt, sind die Begriffe voll­kommen verludert. Was heute als Doku­men­tar­film durch die Köpfe wabert, ist vieles, aber selten ein Doku­men­tar­film. Was als »Wandel des Doku­men­ta­ri­schen« verkauft wird – so der Titel der Dokville 2013 – ist oft dessen Abschaf­fung. Viel­leicht wandelt sich das Doku­men­ta­ri­sche nämlich gar nicht, sondern seine Existenz – Bedin­gungen bei den Sendern und die Toleranz für Expe­ri­mente. Die Forma­tie­rung nimmt zu, die Akzeptanz gegenüber dem Unge­schlif­fenen ab. 52 Minuten gelten bereits als »lang«. Zudem werden die Grenzen zur Fiktion immer weiter aufge­weicht.

+ + +

Wenn irgendwo, dann hat beim Doku­men­tar­film die Post­mo­derne gesiegt: Wenige glauben noch an »Wahrheit«, und wer es tut, scheut den Begriff. Es ist zum Gemein­platz geworden, dass die Wirk­lich­keit eine erzeugte, erfundene, konstru­ierte sei. Dass alles insze­niert ist. Dass die Wirk­lich­keit eine »soge­nannte« ist. Scripted reality.

+ + +

Im Prinzip ist das alles Bullshit. Es ist eine Ideologie, die nichts weiter bedeutet, als die Abschaf­fung der Wirk­lich­keit. Der Doku­men­tar­film, der sich darauf einlässt, gibt sich selber auf. Ohne Wahrheit, bzw. den Anspruch auf sie, wird alles Fiktion. Von Michael Glawogger konnte man lernen, die Wirk­lich­keit zu insze­nieren, sie aber nicht an die Insze­nie­rung zu verkaufen.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.