10.10.2013
Cinema Moralia – Folge 73

Der Berlin Blues

Patrice Chéreaus Ceux qui m'aiment prendront le train
Patrice Chéreaus Ceux qui m'aiment prendront le train
(Foto: MFA+ FilmDistribution GmbH)

Die deutsche Filmförderung vor Gericht und Erinnerungen an Patrice Chéreau – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 73. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»I party a lot ... I need a change« – im Gorki-Park, nicht nur an den letzten lauen Spät­som­mernächten unsere pop-russische Lieb­lings­kneipe direkt vor der Tür in Berlin-Mitte, lässt es sich nicht vermeiden, einem Gespräch am Nach­bar­tisch zu lauschen, das sich als recht reprä­sen­tativ entpuppt: Ein Schweizer quatscht ein Paar an, und man unterhält sich über Maßnahmen gehen die allge­gen­wär­tige Lange­weile des Lebens: Früher, ja früher da sei nicht nur de Sommer heißer und länger gewesen, sondern auch die Nächte länger, und Berlin besser. Der Ange­spro­chene entpuppt sich als ein in Irland lebender Libanese mit Vollbart und italie­ni­scher Freundin, der oft in Berlin ist, aber das Meer, die Wärme und langen Nächte von Beirut vermisst. »You should come to Beyrouth« sagt er mehrfach, und ich denke auch, yeah, I should come to Beyrouth...

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Ein allge­meiner Ennui hat längst die Haupt­stadt ergriffen, und das hat nicht allein etwas mit diesem seltsamen Inter­re­gnum zu tun, bei dem die FDP schon aus dem Bundestag raus­ge­flogen ist, aber noch fünf Minister stellt, und bei dem die ostdeut­sche Pfar­rers­tochter Angela Merkel sich über­morgen mit der ostdeut­schen Pasto­ren­gattin Katrin Göring-Eckardt zu schwarz­grünen Koali­ti­ons­son­die­rungen trifft – obwohl die Aussicht, mit Gauck dann gleich von drei nord­ost­deut­schen Protes­tanten regiert, oder reprä­sen­tiert zu werden, nicht nur anstän­digen katho­li­schen Atheisten aus München die Tränen in die Augen treibt. Dieser Überdruss bezieht sich eher auf Mieten, Bier­preise, Wetter, Medi­en­board-Film­för­de­rung und das Gesamt­paket, das sich einst als »Berlin« so perfekt verkaufte. Statt arm aber sexy ist Berlin inzwi­schen teuer und unsexy, in der Innen­stadt werden die Bürger­steige vieler­orts früher hoch­ge­klappt, als in München, außerdem sind da eh nur Touristen. Wowereit wird man erst nach­trauern, wenn die CDU wieder regiert.

Das heißt nicht, das die Münchner recht haben, die bis heute ihren Hintern noch nie nach Berlin gekriegt haben, die Texte schreiben, die vor Neid aufs hippe Berlin strotzen. Aber gerade in Punkto Kino sollte man die Wirk­lich­keit auch nicht mit Oh Boy verwech­seln, und der Rede der hiesigen Film­för­de­rung darf man auch nicht glauben, wenn dort immer noch von den »kleinen schmut­zigen Filmen« die Rede ist, die man angeblich gern fördern möchte.

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Längst fördert man in Berlin die gleichen satu­rierten Groß­pro­jekte, wie in München, und verschleu­dert ganz nebenbei das einmalige Potential der Haupt­stadt, in der man – siehe Oh Boy – andere Geschichten erzählen könnte. Heute werden die schmut­zigen Berlin-Filme in München gedreht, wo man Hasen­bergl-Wohnungen noch ein bisschen mehr einsaut, um sie »berli­ne­risch« wirken zu lassen, während man in Berlin Projekte fördert, die in München spielen. Ist ja auch alles egal. Allein immer diese feisten Funk­ti­onärs­fotos, wie gerade von der MIPCOM in Cannes, wo die immer gleichen Gesichter einem immer gleich entgegen grinsen.
Oder nehmen wir die neuesten Förder­ent­schei­dungen der Region: Was wird da gefördert mit insgesamt 3,6 Mio. Euro Förder­mittel für 35 Film­pro­jekte? Tom Tykwer, Andreas Dresen, ein Ameri­kaner, von dem man noch nie gehört hat, und Christian Zübert. Gewagt, gewagt. Allein drei Filme bekommen knapp zwei Millionen, also 32 Filme teilen sich die anderen 1,6. Klein und schmutzig? Wohl kaum. Aber die deutschen Film­funk­ti­onäre sollten sich langsam entscheiden, ob sie von sich behaupten, das Unbe­kannte und Neue zu unter­s­tützen, oder das, was schon bekannt und teuer ist.

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Was uns aufs nächste Thema bringt: Den Untergang des Abend­landes, der angeblich droht, wenn das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt der Klage eines Multiplex-Kino­kon­zerns recht gibt. Es gibt keinerlei Grund mit der Postion dieser Heuschre­cken zu sympa­thi­sieren, außer dass man nach einem entspre­chenden Urteil gern mal in die Gesichter mancher Funk­ti­onäre gucken würde. Außer dass man gern mal wüsste, ob ehemalige Film­funk­ti­onäre, Fern­seh­re­dak­teure und deutsche Ex-Produ­zenten in der freien Wirt­schaft wohl mehr Chancen hätten, als abge­wählte FDP-Bundes­tags­ab­ge­ord­nete.

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Das voraus­ei­lende Gejammer ist jeden­falls falsch, und weckt zugleich wie jedes Pfeifen im Wald Verdacht: Denn dass die Frage, ob das deutsche Film­för­de­rungs­ge­setz (FFG) überhaupt verfas­sungs­gemäß ist die verschie­denen Lobbys des deutschen Films so spürbar nervös macht, hat seine guten Gründe. Unge­achtet dessen, ob man die Klage vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in Karlsruhe nun für berech­tigt hält oder nicht, wirft sie nämlich ein grelles Licht auf die deutsche Film­för­de­rung, die sich lieber im Dunkeln hält, und auf ihre inneren Wider­sprüche, die nur für Fachleute offen­kundig sind: Besonders in Deutsch­land ist Film­för­de­rung ja bekann­ter­maßen ein Zwitter, gefangen im unlös­baren Wider­spruch zwischen Kultur­för­de­rung einer­seits, und Wirt­schafts- bzw. Stand­ort­in­ter­essen ande­rer­seits. Ein Zusatz­pro­blem ist die Kultur­ho­heit der Länder, die den berüch­tigten »Förder­tou­rismus« im Gefolge hat, ein zweites der über­mäch­tige Einfluss der Fern­seh­sender, die längst zu erzwun­genen Co-Produ­zenten deutscher Filme geworden sind.

Natürlich ist die Klage himmel­schreiend unbe­rech­tigt. Die klagenden Kino­ketten sind sowieso gar keine deutschen Unter­nehmen mehr, es sind rein auf kurz­fris­tigen Profit ausge­rich­tete Unter­nehmen, Heuschre­cken und Agenten der Ameri­kaner, eine fünfte Kolonne Holly­woods. Sie zeigen nur noch ameri­ka­ni­sche Filme und zwar meistens die schlechten. Die guten ameri­ka­ni­schen Filme, ein Film wie Frances Ha nämlich, oder Woody-Allen läuft dann auch so gut wie nie im Multiplex, sondern im kleinen Kino an der Ecke.

Was diese Ameri­kaner mit ihrer Klage – wie mit dem Frei­han­dels­ab­kommen – durch­setzen wollen, ist Stein­zeit­li­be­ra­lismus – absolut freie Fahrt für Hollywood. Film als reines Wirt­schaftsgut mit einer Armada von Marke­ting­agenten, die Millionen und Aber­mil­lionen in PR pumpen.

Was die Funk­ti­onäre der Deutschen zur Zeit wollen, ist etwas anderes. Für den freien Markt sind sie ja auch nur, wenn es um Autos geht, weil sie halt die besten Autos bauen. Hier, weil sie eben längst nicht die besten Filme machen, wollen sie Protek­tio­nismus und Handels­schranken, aber wirt­schaft­liche. Ein Wirt­schafts­pro­tek­tio­nismus wie einst die Butter­berge.

Film ist aber nun mal kein Wirt­schaftsgut. Film ist nicht dasselbe wie Wurst oder wie Kühl­schränke. Das Problem ist nur, dass Film seit einigen Jahren in die Hände der Wurst­ver­käufer und Kühl­schrän­kehändler gefallen ist. Die Förderung in ihrer jetzigen Form hat daher viele Nachteile für künst­le­risch wertvolle Filme.

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Das Ergebnis sind Förder­gräber wie Cloud Atlas. Solche Groß­pro­duk­tionen graben der Vielfalt das Wasser ab, da dann für Kleineres das Geld fehlt. Trotzdem – oder gerade deshalb? – sind die aller­meisten deutschen Filme im inter­na­tio­nalen Kinomarkt nicht wett­be­werbs­fähig, und gelten als künst­le­risch irrele­vant.

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Wie dreist die Wurst­ver­käufer des deutschen Kinos inzwi­schen argu­men­tieren, ihren völligen Verzicht auf ein kultu­relles Feigen­blatt, und ihre syste­ma­ti­sche Dummheit bewies im Deutsch­land­funk Ralf Schilling, Geschäfts­führer der in Karlsruhe klagenden UCI. Leider kaum besser war dann die Gegen­po­si­tion, die ein gutver­netzter Hamburger Kino­be­treiber in ziemlich schlichter Weise Kommen­taren formu­lieren durfte.

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Was tun? Für den normalen Zuschauer ist die Antwort sehr einfach: UCI boykot­tieren, Multi­plexe überhaupt boykot­tieren, wenn man das Kino liebt. Einfach nicht in diese Kinos gehen, die das Kino kaputt machen. Und wenn doch, dann dort nix trinken, keine Cola-Eimer und Käse-Taco-Säcke, denn damit machen die den Umsatz. Besser im Kino an der Ecke trinken und essen.

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Der Verband der deutschen Film­kritik nimmt die Verhand­lung zum Anlass, über deutsche Film­för­de­rung als solche nach­zu­denken, und zu fordern, man sollte die Film­för­de­rung auf eine »bessere Grundlage stellen, um die Zukunft des deutschen Kinofilms lang­fristig zu sichern!«

In der Erklärung heißt es: »Der Verband der deutschen Film­kritik begrüßt die intensive öffent­liche Diskus­sion der Praxis der deutschen Film­för­de­rung im Gefolge der gestrigen Anhörung beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt. ... Der in manchen Stel­lung­nahmen aus Teilen der deutschen Film­branche erweckte Eindruck, beim derzei­tigen Verfahren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt gehe es lediglich um die Sicherung der bestehenden Praxis einer Film­ab­gabe durch Kino­be­treiber, Video­theken und Fern­seh­sender, ist falsch. Die für die Zukunft der Förderung zentrale Frage ist vielmehr die Legi­ti­ma­tion der Entschei­dungs­pro­zesse der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA). ... Für den Verband der deutschen Film­kritik (VdFk) steht außer Frage, dass es dem Bund juris­tisch zusteht, wie auch zum poli­ti­schen Auftrag des Staats­mi­nis­ters für Kultur und Medien gehört, ergänzend zu den Ländern Film­för­de­rung zu betreiben. Dem Bundestag muss es erlaubt bleiben, hierfür auch eine Sonder­steuer in Form der Film­ab­gabe gesetz­lich fest­zu­schreiben. In diesem Punkt erwarten wir daher die Zurück­wei­sung der Klagen, die in ihrer Stoßrich­tung und Argu­men­ta­tion fehl­ge­leitet sind.«

VDFK-Geschäfts­führer Frédéric Jaeger fügt hinzu: »Die Gremi­en­be­set­zung mit Verbands­ver­tre­tern nach Proporz­rech­nung ist lediglich die zweit­schlech­teste Option nach der eines schlichten Mehr­heits­prin­zips wie der Einschalt­quote.« Sie sei leicht anfällig für Fremd­be­stim­mung, Sach­kenntnis stand Verbands­po­si­tion solle die Jury bestimmen. Der VDFK hoffe nun darauf, »dass die kultu­relle Kompo­nente und Bedeutung der deutschen Film­för­de­rung auf Bundes- wie Länder­ebene gestärkt und deut­li­cher heraus­ge­ar­beitet wird. Eine auf soliden Füßen stehende Film­för­de­rung kann mit Recht auf die Soli­da­rität gerade der Großen der Branche pochen.« Dem kann man nur zustimmen.

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Patrice Chéreau war als Schau­spiel-, Opern- und Film­re­gis­seur einer der wich­tigsten Künstler Europas. Nicht Intimacy, für den er den Goldenen Bären gewann, sein sein bester Film, sondern La La Reine Margot oder Ceux qui m'aiment prendront le train oder Gabrielle. Er spielte auch selbst, schrieb Dreh­bücher und war lange Jahre Thea­ter­leiter, dazu ein dezidiert politisch denkender Mensch. Das Gren­zü­ber­schrei­tende seiner Arbeit lag in der Radi­ka­lität seiner Erzähl­weise und seiner Themen. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, nannte ihn in einem Nachruf treffend einen »exis­ten­ziell beglü­ckenden und exis­ten­ziell erschüt­ternden Künstler von Weltrang«.

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So traurig die Nachricht, so lustig die Notiz von Chéreau im Netz bei Libe­ra­tion: »1974. Première réunion de travail avec Pierre Boulez. Au téléphone, j'ai mal compris, je crois qu'il me parle d’un festival à Beyrouth. Non, c'est Bayreuth. Il me parle de Wagner et du Ring que je ne connais pas.«

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Der Film zur Buchmesse ist Spiel­trieb nach Juli Zehs Roman. Im Radio dreht sich alles am Eröff­nungs­abend um E-Books. Aber wie kommt es, dass trotz fort­ge­setzter E-Book-Propa­ganda in allen Medien immer noch kaum mehr als 3 Prozent des Umsatzes des Buch­han­dels mit elek­tro­ni­schen Medien gemacht werden? Obwohl man doch in der U-Bahn oder bei ähnlichen Gele­gen­heiten kaum noch einen Menschen mit einem Buch erwischt,statt­dessen aber fast jeder irgendein Smart­phone oder elek­tro­ni­sches Lesegerät in der Hand hält. Ganz einfach: das Smart­phone ist eher ein Dummphone, an dem die jewei­ligen Besitzer vor allem herum­dad­deln und besten­falls eine SMS lesen.
Wenn sie denn lesen können. ie PISA-Studue legt es an den Tag: Die Deutschen sind unge­bildet und dumm. Also auch das Kino­pu­blikum. Wir ahnten es schon immer. Die Lese­geräte enthalten anderes, ihre Besitzer lesen keine Bücher, sondern spielen dumme Spiele. Und GTA 5 hilft auch nicht beim Abschluss der Doktor­ar­beit.

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Immerhin gibt es in Deutsch­land eine Buch­preis­bin­dung. Warum führt man aber keine Buch­preis­bin­dung analog fürs Kino ein, eine deutsche exception cultu­relle? Statt­dessen hat die Buchmesse in diesem Jahr ihr Film-Zentrum abge­schafft, und Paolo Coelho, der Til Schweiger der brasi­lia­ni­schen Literatur klagt üner fehlenden Popu­lismus des brasi­lia­ni­schen Messe­auf­tritts.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.