Yella

Deutschland 2007 · 88 min. · FSK: ab 12
Regie: Christian Petzold
Drehbuch:
Kamera: Hans Fromm
Darsteller: Nina Hoss, Devid Striesow, Hinnerk Schönemann, Burghart Klaußner, Barbara Auer u.a.
Yelle – ein Frau mit Geheimnis

Das Glück der Todgeweihten

Bonnie and Clyde im venture-capital: Christan Petzolds doku­men­ta­risch-surreales Passa­gen­werk Yella

Auch im Kino gibt es keine Meta­physik und keinen tran­szen­denten Kern mehr, und wer da dennoch auf die schöne Irri­ta­tion des unbe­darften, unauf­merk­samen, nicht­den­kenden Zuschauers pocht, der kratzt in Petzold-Filmen gerade mal an der Ober­fläche. Petzolds Filme handeln von prekären Verhält­nissen, und das ist eben nicht unbedingt ökono­misch gemeint: Alles steht auf schwan­kendem Boden, die Realität selbst hat Risse, und das kann ein Grund zur Angst sein, aber auch das Glück der Freiheit.

»Wenn es Unfälle gibt, dann beginnt das Kino.« Das hat Christian Petzold mal gesagt, um zu erklären, warum in seinen Filmen – Die innere Sicher­heit, Wolfsburg – Unfälle, vor allem welche mit dem Auto, eine so große Rolle spielen. Und nur ein Scherz war diese Antwort nicht. Denn wenn Fernsehen vom Immer­glei­chen des Alltags handelt, dann dreht sich Kino um das Außer­ge­wöhn­liche, um den Einbruch des Schick­sals in den täglichen Trott.

Tatsäch­lich gibt es auch in Yella schon kurz nach Beginn einen Auto­un­fall. Das Auto als Kino­ma­schine, als Druck­kammer, das ist – dem US-Road-Movie entlehnt – ein weiteres Petzold-Leitmotiv. Nicht nur im ameri­ka­ni­schen Kino handeln die besten Filme vom in-Bewegung-sein, vom Zustand des Transit. Die Menschen sind Passa­giere des Lebens. Auch die Titel­figur Yella ist ein solcher Passagier, eine Frau, die sich in einem Traum­zu­stand befindet. Und Autos, Züge, Brücken, Hotels sind die Schau­plätze dieses wunder­baren Films. In 90 Minuten zeigt Petzold Yellas Reise zwischen Ost- und West­deutsch­land, zwischen Witten­berge, das hier aussieht, wie eine Geis­ter­stadt in einem Traum des 19. Jahr­hun­derts und Hannover, das hier vor allem aus der kühlen fuktio­na­lis­ti­schen Archi­tektur des Expo-Geländes besteht, einer völlig künst­li­chen, ganz und gar imaginären Land­schaft – eine »documenta« des Kapi­ta­lismus.

Eine Frau mit Geheimnis: Yella ist Verfüh­rerin und Verführte, und so ist Yella ein Film über Illu­sionen und ihre Enttäu­schung, über Desil­lu­sio­nie­rung und Märchen. Die Täuschungen spiegeln sich hier gegen­seitig. »Glücks­su­cher« ist das Stichwort, um sie zu beschreiben. Denn so sehr dies ein Märchen ist – »von einer die auszog« – so sehr ist es auch ein Western, eine Auswan­de­r­er­ge­schichte. Alles an dieser Figur ist voller Sehnsucht. Wasser wird zum Symbol einer Taufe, einer Neugeburt, nach der Yella Momente des Glücks empfinden kann, obwohl das Schicksal seinen Lauf nimmt.

Yella entflieht ihrer Herkunft, verlässt ihren Mann – seine Besetzung ist der einzige Schwach­punkt des Films, nicht weil Hinnerk Schö­ne­mann schlecht wäre, sondern weil man Nina Hoss dieses große Kind, dieses Riesen­baby einfach nicht abnimmt. Oder nur unter dem Gesichts­punkt, dass sie einen Ernährer suchte – was sie aber kleiner und kälter macht –, verliebt sich neu, und reist durch ein Deutsch­land, das von den Menschen, Gesten und der Sprache der New-Economy geprägt ist. Sie alle wollen etwas kaufen oder verkaufen, und auch die Gefühle scheinen in dieser Welt mitunter zum Handelsgut geworden.

Dieses unter­gründig pessi­mis­ti­sche Lebens­ge­fühl wird von Petzold und seinem Stamm-Kame­ra­mann Hans Fromm in sorg­fältig kompo­nierte, mini­ma­lis­ti­sche, hypno­ti­sche Bilder getaucht, und umrahmt mit der Musik von Beet­ho­vens »Mond­schein­so­nate«. Präzis voller Stil­willen erzählt und insze­niert Petzold, mit Liebe, Subti­lität und einer Ironie, die immer dort einhält, wo sie ihre Figuren preis­geben könnte. Im Zentrum aber steht immer Yella, eine rätsel­hafte Frau, die immer nur ein rotes Kleid trägt, und deren Leben mitunter von kurzen, merk­wür­digen Unter­bre­chungen gestört wird – eine roman­ti­sche Figur.

Mitunter kreisen Raben über ihr am Himmel. Yella ist das Portrait einer Träumerin, einer Frau, die nicht an das Scheitern glaubt, sondern die auf der Suche nach Neuem ist, ange­trieben von der Sehnsucht nach etwas Wirk­li­chem. Der Film markiert visuelles Terrain und einen ästhe­ti­schen Anspruch, wie er im unter­hal­tungs­fi­xierten, deutschen Film bislang selten betreten wird. Und wer die berühmte US-Short-Story »Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke« von Ambrose Bierce (1842-1914) kennt, der begreift, dass sie hier Pate stand. Auch zum hieran ange­lehnten Film Herk Harveys Carnival Of Souls von 1962 findet man viele Ähnlich­keiten: Die krei­schenden Krähen, der Sturz von der Brücke in einen Fluss, ein Leben auf dem Grad zwischen Realem und Irrealem. So liegt in diesem Film auch ein veri­ta­bler Horror­film verborgen, eine Geis­ter­ge­schichte, der Petzold eine ganz eigene, persön­lich Färbung und Aktua­lität gibt.
Tatsäch­lich werden die Zeichen des Realitäts­risses, der Irrea­lität des Erlebens der Haupt­figur offen präsen­tiert: Der Mann, den Yella in Hannover kennen­lernt, trägt denselben Anzug wie ihr Mann. Der Wagen den er fährt, hat die gleiche Lackie­rung.

Hoss arbeitet nach Toter Mann und Wolfsburg nun bereits zum dritten Mal mit Petzold. Toter Mann war die Geschichte einer kalku­lierten Verfüh­rung. Sie hieß dort Leyla und kämpfte mit den Dämonen ihrer Erin­ne­rung. Sie glaubte sie nur durch Blut abwaschen zu können, und der Film war eine mora­li­sche Tragödie in der Form, in der er die Verab­schie­dung dieser alttes­ta­men­ta­ri­schen Auge-um-Auge-Motral zele­brierte. Aller­dings blieb Leyla hier immer eine aktive Figur, eine Täterin auf ihre Art. Hoss' Laura in Wolfsburg war hingegen eine Passive. Yella verbindet beide Elemente. »Eine Frau­en­fan­tasie« hat Petzold den Film genannt. Hoss' Frau­en­rollen haben bei allen Unter­schieden auch Gemein­sam­keiten: Es sind Geschichten über das Verhältnis von Kapital und Emotion.

Eine über­fäl­lige Aner­ken­nung dieser seit Jahren konstanten Leistung, besonders in Petzolds Filmen, war im Februar der Silberne Bär den Hoss für Yella bei der dies­jäh­rigen Berlinale gewann. Hoss begründet ihre Liebe zu Petzolds Arbeit mit der Freude, die es macht, mit ihm zu arbeiten: »Er ist einer von wenigen, die beim Dreh einen Raum und eine Atmo­s­phäre schaffen, in der man als Schau­spie­lerin nie in ein Leere fällt.« Petzold nennt das »kleine Seminare«, er zeigt den Schau­spie­lern Filme liest mit ihnen Literatur, »ich lüfte gewis­ser­maßen mein Büro«. Gezeigt hat er Marnie von Hitchcock, eine Frau, die immerzu von Erin­ne­rungs­fetzen heim­ge­sucht und irritiert wird. Auch Wanda von Barbara Loden und Stromboli von Roberto Rossel­lini Alles Frauen auf Wander­schaft zwischen den Welten – in starrem ange­spannten Gang, wie aus einer anderen Welt. Man kann auch an Anto­nionis L’eclysse denken.

Yella steht in vielerlei Hinsicht im Dialog mit der Film­ge­schichte. Auch – dies ist wohl vor allem ein Spiel – mit der eigenen von Petzold: Dieser seltsame, seltene Name Yella ist ein Anagramm des Namens Leyla, den Hoss wie gesagt in ihrem ersten Petzold-Film trug. Der Vornahme ist auch eine Art Zitat: Yella Rott­länder hieß das Mädchen, dass 1974 ganz wunderbar die Titel­rolle in Wim Wenders' Alice in den Städten spielte – davor und danach, eigent­lich nichts, was sie zu einer Art Phantom der deutschen Film­ge­schichte werden ließ.

Der Film taugt auch als sozio­lo­gi­sche Analyse. Harun Farockis bizarr-bril­lanter Doku­men­tar­film Nicht ohne Risiko über die Verhand­lung eines mittel­s­tän­di­schen baye­ri­schen Unter­neh­mens mit einer briti­schen Hedge-Fonds-Firma, bildet die Quelle. »Jeder Satz, der in den Verhand­lungen in meinem Film gespro­chen wird, stammt aus diesen zwölf Stunden Aufzeich­nungen. Nur was Devid Striesow im Auto sagt, habe ich hinzu­er­funden.« Petzold kriti­siert und analy­siert diese Welt, aber er verachtet sie nicht.

Yella erfasst die sprach­li­chen Nuancen, die Gesten und Rituale, einer Welt, die den meisten von uns verschlossen bleibt. Eine schöne Welt ist, das nicht, auch wenn sie für Yella kurz­fristig etwas Trost zu bieten hat. Auch hier geht es um Luft­num­mern, um den Handel mit Fiktionen, um den Zusam­men­hang zwischen Kapital und Emotion. Und darum, dass jede Blase irgend­wann platzt. Am Ende also siegt die Desil­lu­sio­nie­rung, und es wird deutlich, dass die Verhält­nisse, die Insti­tu­tionen und das System stärker sind, als die Menschen, und das nicht nur die an ihnen zugrunde gehen, die sich ihnen wider­setzen.

Was an Yella aber am meisten faszi­niert, ist seine Präzision und Beob­ach­tungs­gabe und die Fähigkeit des Regis­seurs, diese mit poeti­scher Phantasie zu verbinden. Diese roman­ti­sche, schick­sal­hafte Traum­wan­de­rung über das Nebelmeer ist auch ein Alptraum­trip. Aller­dings ein wunder­schöner. Präzis bringt Yella somit das Lebens­ge­fühl unserer Tage, die Trau­rig­keit und das Glück der Todge­weihten zum Ausdruck. Bonnie and Clyde im venture capital, Liebe in Zeiten der Heuschre­cken.