Was ist schon normal?

Un p'tit truc en plus

Frankreich 2024 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Artus
Drehbuch: , ,
Kamera: Jean-Marie Dreujou
Darsteller: Artus, Clovis Cornillac, Alice Belaïdi, Marc Riso, Céline Groussard u.a.
Was ist schon normal?
Endlich sein, wer man sein will...
(Foto: Paramount)

Verbrechen lohnt sich

Artus zeigt in seinem Regiedebüt über eine Gruppe von Menschen mit Handicap beste französische Komödienkunst, die es so allerdings auch schon in Deutschland gegeben hat

Zugegeben: meist ist es natürlich so, dass deutsche Filme­ma­cher (leider oft zu Recht) ihren komö­di­an­ti­schen Talenten nicht trauen und sich gerne Vorlagen aus Frank­reich borgen, so wie vor einigen Jahren der gelungene Contra (2021) von Sönke Wortmann, der dem fran­zö­si­schen Original Le brio (2017) von Yvan Attal in kaum etwas nachstand. Dass es auch umgekehrt geht, ohne dass es sich hierbei aller­dings um eine regel­rechte Adaption handelt, zeigt die »Behin­derten«-Komödie Was ist schon normal? des fran­zö­si­schen Schau­spie­lers Artus, der hier sein Regie­debüt gibt und auch in einer der Haupt­rollen zu sehen ist. Denn was hier passiert – zwei Klein­kri­mi­nelle tauchen bei einer sommer­ur­lau­benden Gruppe von Menschen mit Handicap unter und werden zu besseren Menschen – gab es so auch schon in Alireza Golaf­shans tollem Debüt Die Gold­fi­sche (2019) zu sehen, in der ein wunder­barer Tom Schilling über eine ebenfalls urlau­bende Gruppe von Menschen mit Handicap seine krimi­nellen Energien erst auslebt, dann aber ebenfalls zum besseren Menschen wird.

Bei Artus ist es aller­dings kein Einzel­gänger, sondern sind es Vater (Clovis Cornillac) und Sohn (Artus), die nach einem Überfall auf einen Juwelier zufällig in einer gerade in die Ferien aufbre­chenden Gruppe von Menschen mit Behin­de­rungen und ihres Betreu­er­teams under­cover gehen. Dieser Einstieg wie auch etliche weitere Szenen des Films schrammen oft an derbstem Klamauk entlang, den die fran­zö­si­sche Komödie aller­dings – und so auch Artus’ Film – stets mit dem richtigen Timing versehen, so dass der Klamauk eigent­lich nie zum erzäh­le­ri­schen Rohr­kre­pierer mutiert.

Statt­dessen wirkt Slapstick und Klamauk auch in Was ist schon normal? erzähl­un­ter­s­tüt­zend, weil die subtilen und ernsten Subplots der Erzählung in den richtigen Momenten hinter­fragt werden: Natürlich ist es in einem Film wie diesem, in dem es ja auch um die Hierachie zwischen Erziehern und ihren »Klienten« geht, die Rolle des Vaters, der wider Willen zum offi­zi­ellen Betreuer seines Sohnes wird, der – ganz ähnlich wie in Fack ju Göhte – mit seiner krimi­nellen Energie neue pädago­gi­sche Para­digmen zu setzen versteht. Ganz so wie sein Sohn, der mit seinem gespielten »Handicap« sich nicht nur von seinem Vater lernt zu eman­zi­pieren, sondern auch eine groteske Liebes­ge­schichte ins Rollen bringt. Und dann sind da natürlich die Bezie­hungs­spiel­chen unter den Betei­ligten mit Handicap, die erfri­schend und mit dem richtigen Gefühl für schwarzen Humor und poli­ti­sche Inkor­rekt­heit den stereo­typen Blick hinter­fragen, den die meisten Menschen ohne Handicap auf die so ferne, gehan­di­capte Welt im »Normal­fall« haben.

Dieser Kombi­na­tion von subtilen und klugen Anteilen und dem Mut zur Daddelei und dämlichstem Klamauk und Slapstick und einem fast noch mutigeren Bekenntnis zur roman­ti­schen Komödie dürfte es wohl auch geschuldet sein, dass Was ist schon normal? im letzten Jahr in Frank­reich zu einem der erfolg­reichsten Filme avan­cierte und für deutsche Verhält­nisse völlig unglaub­liche 10 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte (was Platz 32 der Allzeit-Charts in Frank­reich bedeutet) und damit zum Glück auch eine der fürch­ter­lichsten fran­zö­si­schen Komödien der letzten Jahren – Asterix & Obelix im Reich der Mitte – weit hinter sich ließ.