Three Thousand Years of Longing

USA/AUS 2022 · 109 min. · FSK: ab 16
Regie: George Miller
Drehbuch:
Kamera: John Seale
Darsteller: Idris Elba, Tilda Swinton, Alyla Browne, Matteo Bocelli, Kaan Guldur u.a.
Der Geist aus der Flasche
(Foto: Leonine)

Märchenstunde im Bademantel

George Miller entfesselt in Three Thousand Years of Longing einen prachtvoll abgefahrenen Bildersturm über die Kraft des Geschichtenerzählens

Zuerst ist es ein riesiger Fuß, der in der Bade­zim­mertür klemmt. Mit seinen goldenen Zehen wackelt er ein wenig, bis er sich dampfend und qualmend in das Neben­zimmer verzieht. Über­le­bens­groß liegt er da und füllt den ganzen Raum: Idris Elba als Flaschen­geist, den Tilda Swinton gerade entfes­selt hat. Wie sprechen mit diesem altehr­wür­digen, verzau­berten Wesen? Na klar, auf Altgrie­chisch! Später findet man einen anderen Umgang mitein­ander. Schließ­lich müssen sie sich erst einmal annähern, eine gemein­same Basis finden: die Gegenwart und ihre jahr­tau­sen­de­alte Vergan­gen­heit, die der Dschinn auf dem Buckel hat.

Swinton spielt Alithea, eine eigen­bröt­le­ri­sche Narra­to­login, die ergründen will, was alle Geschichten der Welt zusam­men­hält. Als sie zu einer Konferenz nach Istanbul reist, begegnen ihr bereits die ersten Gespenster, die offenbar nur sie allein sehen kann. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir schon, dass ihrem sonder­baren Erfah­rungs­be­richt nicht gänzlich zu trauen ist, den Alithea als Off-Stimme rahmt und retro­spektiv ausbreitet. Als Märchen erzählt sie ihn. Sie erhofft sich damit eine höhere Glaub­wür­dig­keit, wie sie anfangs erklärt. Die betonte Fiktio­na­lität soll das Bewusst­sein für das Wunder­same und dessen tiefer sitzende Wahr­heiten öffnen. Wenn Swintons Figur nun verse­hent­lich den Dschinn aus der Flasche befreit, die sie auf dem Basar erworben hat, dann sind die Grenzen zwischen dem, was in Alitheas Welt und was womöglich nur in ihrem Kopf passiert, schon längst fragil geworden. Die einzelne Person findet sich im Wirrwarr von Raum und Zeit wieder, im Getriebe von höheren Mächten und fabulösen Erschei­nungen. Da liegt noch etwas anderes hinter dem gewohnten Alltag.

Wohin mit dem Mythisch-Mysti­schen?

George Millers neuer Film knüpft an künst­le­ri­sche Trends an, die sich insbe­son­dere seit Beginn des neuen Jahr­tau­sends mit erschüt­terten säkularen Welt­bil­dern ausein­an­der­setzen. Die weit verbrei­tete Vorstel­lung vom Verschwinden und Verdrängen alles Reli­giösen als neues gesell­schaft­li­ches Stadium hat sich als unzu­rei­chend entpuppt. Ihre zahl­rei­chen Aufspal­tungen, Trans­for­ma­tionen, Alter­na­tiven und unein­deu­tigen Schwe­be­zu­stände haben in den vergan­genen Jahr­zehnten nicht nur verschie­dene akade­mi­sche Forschungs­felder heraus­ge­ar­beitet, sondern auch künst­le­ri­sche Praktiken aufge­griffen. Den Regisseur Apichat­pong Weeras­ethakul (Memoria) sollte man dies­be­zü­g­lich mit seinen traumhaft-mysti­schen Werken unbedingt für das Kino nennen. Oder auch Denis Ville­neuve, der in seinen jüngeren Block­bus­tern (Dune) ebenfalls Welt­li­ches mit Reli­giösem verkittet.

Miller, der besonders für seine Mad Max-Filme bekannt ist, legt dieses Diskurs­feld in seiner Kurz­ge­schichten-Adaption nach A.S. Byatt von Anfang an offen. Er lässt Tilda Swinton von abge­scho­benen Mythen und dem selbst­si­cheren Platz der ratio­nalen Wissen­schaft sinnieren. Nun sitzt sie mit dem Fabel­wesen, dem verkör­per­lichten Mythos, im Hotel­zimmer. Im Bade­mantel lauscht man einander. Drei Wünsche gewährt der Dschinn, während er Episoden aus seinem lang­jäh­rigen, bewegten Leben erzählt. Sind sie erfüllt, ist er befreit. Dass es irgendwo einen Haken an der Sache geben muss, ahnt Alithea sofort. Das ist auch gar nicht das große Ziel, das Millers Film verfolgt. Im Kern geht es um nichts Gerin­geres als die Aussöh­nung mit jenen Bereichen, die das Rationale aus dem Alltag verbannt zu haben glaubt.

Three Thousand Years of Longing ist dabei ein wahn­sinnig verspon­nenes Werk – im besten Sinne. Miller schafft knallige, farblich über­drehte Bilder, die entgrenzen, protzen, irrlich­tern, schwur­beln. Das ist hemmungslos dick aufge­tragen, verkitscht und verspit­telt, wie die Lebens­ge­schichten des Dschinns zum Leben erweckt werden. Orien­ta­lis­tisch und exoti­sie­rend obendrauf, den Vorwurf muss sich der Regisseur gefallen lassen. Aber sie verführen mit großer, erschla­gender Wirkmacht und offen­sicht­lich doppeltem Boden. Ihre grell­bunte Tausend­und­eine-Nacht-Ästhetik mit den funkelnden Kulissen, obskuren, sich verwan­delnden Wesen und surrealen Objekten kreiert eine Sinnes­er­wei­te­rung, die von hemmungs­loser Kino-Begeis­te­rung zeugt. Die Bilder und Klänge, die Miller kreiert und zusam­men­setzt, schaffen sich eine heraus­ra­gende psyche­de­li­sche Erfah­rungs­welt, der beinahe die eigenen Synapsen durch­zu­knallen scheinen. Und natürlich ist es letzt­end­lich das erzäh­lende Kino selbst, das Miller damit als Ersatz­re­li­gion und Tran­szen­denz-Maschi­nerie begreift. Er versteht es ebenso als Über­wäl­ti­gungs­zu­stand wie als reich­hal­tigen narra­tiven Fundus, der etwas über unsere Fantasien und deren Erschei­nungs­formen enthüllt.

Die Klischees, die Three Thousand Years of Longing hier und da seit seiner Premiere in Cannes vorge­worfen wurden, exis­tieren in diesem Film, weil ein erheb­li­cher Teil narra­tiver Phänomene seit Jahr­tau­senden mit solchen Klischees arbeitet, weil sie tief in kultur­his­to­ri­schen Erzeug­nissen verankert sind, Gesell­schaften geprägt haben. Und sie werden hier bedient, repro­du­ziert, ja. Von gewissen Geschlech­ter­ste­reo­typen und Körper­bil­dern ganz zu schweigen. Aber es ist nicht so, als würde der Film nicht gewisse Brüche und Selbst­re­fle­xionen an solche Darstel­lungen koppeln, sie zum zentralen Gegen­stand seiner offenen Frage­stel­lungen erheben.

Lust am Erzählen, Lust durch Erzählen

Um Begehren geht es in den Erzäh­lungen des Dschinns, um Macht, Miss­brauch, uner­füllte Erlö­sungs­sehn­süchte. Maximal vage, maximal univer­sell. Erzählt wird aus reinem Selbst­zweck. Dass hier nicht jedes Zahnrad in das nächste greift, viele Themen in dem Fantasy-Wust ange­rissen werden, die danach lediglich mitein­ander verfitzen, kann man George Miller als Verfeh­lung ankreiden. Es ändert aber nichts an ihrer Viel­schich­tig­keit, der audio­vi­su­ellen Imposanz und Unbe­re­chen­bar­keit, mit der sein Film einen an der Nase herum­führt. Wie er einen in immer neue offene Enden und Erzähl­fäden eintau­chen lässt, die unwei­ger­lich zur Frage des Warum zurück­kehren. Er wickelt sein Publikum um den Finger, wie auch Tilda Swinton als Prot­ago­nistin ihrem über­sinn­li­chen Märchen­er­zähler verfällt.

Begehren ist das Zauber­wort. Der Mensch erzählt, weil er begehrt, weil er begehren und aus sich selbst heraus­treten will. Er begehrt, weil er erzählt. Und er begehrt, weil er sich immer eine eigene, verfrem­dende Vision von dem Gegenüber, dem Anderen schafft, die diese film­ge­wor­dene Hallu­zi­na­tion mit all ihren kleinen Brüchen, Unzu­ver­läs­sig­keiten und lust­vollen Abschwei­fungen herauf­be­schwört. Erotik, Bewun­de­rung und Gewalt liegen dabei ebenso eng beiein­ander wie große Kunst und konfuser Plunder.

Gehetzt, überladen, etwas unfertig wirkt das letzte Drittel, mit dem George Miller seine Märchen­stunde letzt­end­lich beschließt und auf eine andere Ebene zieht. Aber es erscheint ebenso clever, konse­quent, wie da das Verfallen gegenüber dem Exoti­schen und Wunder­samen zu zerbrö­seln beginnt. Wie perfide, ausbeu­te­ri­sche Züge und Gräben unter­ein­ander offenbar werden, wenn Miller die vermeint­lich moderne, aufge­klärte gegen­wär­tige Welt mit der Welt archai­scher Mythen unter einem Dach vereint. Hat man die innere Leere, die Suche nach der Erfüllung erst einmal akzep­tiert, folgt nur ein erneutes Ausdeuten, das Verpacken in neue Erzäh­lungen und Geschichten, die keine Fikti­ons­schranken mehr kennen. Diesen Bogen schlägt Three Thousand Years of Longing. Um das zu beschwören, was man gerade nicht besitzt. Sinn zu stiften in einem über­for­derten Dasein, das das Über­sinn­liche gerne als Gegensatz zum Wirk­li­chen begreift. Diese Oppo­si­tion weiß Millers Fanta­sy­film in mehr­fa­cher Weise gekonnt zu über­winden. In münd­li­cher Arti­ku­la­tion, in darge­stellter Schrift­form, erregtem, abge­fah­renem Bilder­ge­wimmel, eindrucks­vollem Kino.