The Substance

Frankreich/USA/GB 2024 · 141 min. · FSK: ab 16
Regie: Coralie Fargeat
Drehbuch:
Kamera: Benjamin Kracun
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Gore Abrams, Hugo Diego Garcia u.a.
Filmszene »The Substance«
Die Häutung
(Foto: Mubi)

Viel Hype um nichts

Der Body und der Horror: Coralie Fargeats »The Substance« bringt Substanz und Akzidenz, Sein und Schein durcheinander

»Have you ever dreamt of a better version of yourself? Younger, more beautiful, more perfect? One single injection unlocks your DNA, starting a new cellular division, that will release another version of yourself. This is the substance.«– Aus dem Film

»You have to control yourself! Old, fat, disgus­ting!«
Demi Moore (62) als Elizabeth (50) in The Substance

Nichts ist faszi­nie­rend an diesem Film. Der Hype um ihn ist eine große leere Hülle, ohne Substanz. Marke­ting­ge­macht negiert er wie die formale Glätte und Kälte von The Substance dessen behaup­tete Botschaft, die Kritik an Schön­heits­idealen und Jugend­wahn.
Aber schon die Problem­dia­gnose bleibt frag­würdig: Tatsäch­lich sondert die Medi­en­branche, die Fern­seh­branche zumal, keines­wegs pauschal alte Menschen, vor allem alte Frauen aus. Im Gegenteil haben Ältere gerade unter TV-Mode­ra­to­rinnen einen immer größeren Anteil. Und das Thema Alter wird ebenfalls keines­wegs pauschal diskri­mi­niert. Der offen­sicht­li­chen Alters­dis­kri­mi­nie­rung in der Film­branche stehen Best­sel­ler­listen entgegen, in denen Sach­bücher übers Altern von Barbara Bleisch (51), Elke Heiden­reich (81) und Marianne Koch (93) domi­nieren.

Warum geht es also? Was soll The Substance?

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»Die Menschen sehnen sich immer nach etwas Neuem. Es ist unver­meid­lich. Und mit 50 hört es auf.« Es ist der schlimmste Tag im Berufs­leben von Elizabeth. Eigent­lich könnte sie feiern, denn es ist ihr runder Geburtstag, ihr 50. Doch die von Demi Moore gespielte ehemalige Hollywood-Schau­spie­lerin, die jetzt immerhin noch der erfolg­reiche Star einer Fern­seh­sen­dung ist, wird von einem Tag auf den anderen gefeuert. Sie soll durch eine Jüngere ersetzt werden.
Kurz darauf entdeckt sie durch Zufall eine Anzeige:

»Have you ever dreamt of a better version of yourself? Younger, more beautiful, more perfect? One single injection unlocks your DNA, starting a new cellular division, that will release another version of yourself. This is the substance.«

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Ganz am Anfang sieht man im aller­ersten Bild ein rohes Ei. Eine gummi­be­hand­schuhte Hand setzt eine Spritze an und spritzt eine unde­fi­nierte Substanz in das Eigelb. Es dauert ein paar Sekunden, dann kommt es zu einer rapiden Zell­tei­lung und ein zweites perfektes Eigelb ploppt aus dem ersten heraus. Danach wechselt das Bild und man sieht auf dem Walk of Fame einen Oscar-Stern mit dem Namen der Haupt­figur: Elizabeth Sparkle. Dieser Stern wird dann, während die Film­cre­dits zu sehen sind, im Schnell­durch­lauf »altern«; über die Jahre hinweg zeigt er Risse, es landet Dreck auf ihm, die Leute laufen darüber hinweg und benehmen sich zunehmend achtlos. Genau genommen ist das, was mit dem Stern passiert, genau das, was der Film mit seiner Haupt­figur macht. Er miss­achtet und beschä­digt sie.

Demi Moore spielt diese Haupt­figur. Eine Frau, die im Fernsehen eine Aerobic- und Körper-Ertüch­ti­gungs­sen­dung macht, zunehmend aber fest­stellt, dass – Über­ra­schung! – die Jugend nicht ewig währt. Ausge­rechnet an ihrem 50. Geburtstag erfährt sie durch Zufall – Frauen sollten viel­leicht öfters Herren­klos besuchen –, dass sie der mächtige böse Harvey (Dennis Quaid), der Chef des Senders, abser­vieren und durch eine deutlich Jüngere ersetzen will.

So gerät Elizabeth in Versu­chung, sich die titel­ge­bende Substanz einzu­ver­leiben – mit dem Ergebnis, dass sich aus ihr eine junge Frau von großer eroti­scher Verfüh­rungs­kraft heraus­schält wie zu Beginn das zweite Eigelb aus dem ersten: Sue (Margaret Qualley).
Es geht also darum, eine bessere Version von sich selbst zu entwi­ckeln: »You are the Matrix«, wird der Moore-Figur einmal gesagt: Sie ist die Eigent­liche, die andere bleibt Hülle.

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Und damit erklimmt der Horror um den Body, den Elisabeth zuvor mit allen anderen Menschen teilte, die das Glück haben, älter als 50 zu werden, völlig neue Dimen­sionen.

Mit dieser »Substanz« hat es nämlich eine gewisse Bewandtnis: Beide, nun parallel in abwech­selndem »Wach«-»Schlaf«-Rhythmus anwesende Körper, müssen sich gegen­seitig ernähren, um im Gleich­ge­wicht gehalten zu werden. Wenn das nicht passiert, verfällt der »eigent­liche« Körper, der inaktive »Wirts­körper« jeweils ein klein wenig und das unna­tür­lich schnell und unre­vi­dierbar. Dieser körper­liche Zerfall wird im Film im Detail abge­bildet.
Das hat im Kino nicht zuletzt deswegen seinen Charme, weil Demi Moore die Haupt­rolle spielt. Also – das nur ganz nebenbei – jene Demi Moore, die tatsäch­lich im Herbst 62 Jahre alt wird, hier aber eine gerade 50-jährige spielt.
Der Film verfällt nicht nur damit selbst dem Schön­heits- und Jugend­wahn, den er vermeint­lich mora­li­sie­rend beklagt. Er wird selbst Teil des Wahns.

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Aus einer solchen offen­sicht­li­chen und nur im Offen­sicht­li­chen liegenden Handlung kann man alle die sozio­kul­tu­rellen Über­le­gungen ableiten, die man daraus ableiten möchte. Der Film legt nichts besonders nahe und weist nichts zurück, er ist einfach ungemein beliebig: Man kann erstens die durch Männer­phan­ta­sien in der Unter­hal­tungs­in­dus­trie erzeugten Stereo­typen und ihre schäd­li­chen Folgen für viele Frauen hinter­fragen. Man kann zweitens darüber nach­denken, wie das männliche Begehren das Modell einer ideal­ty­pi­schen und geradezu künst­li­chen Schönheit entwirft, das der Realität nicht stand­halten kann. Wie sich die Menschen durch solche falschen (??) Ideale gezwungen fühlen, gegen den Lauf der Zeit anzu­kämpfen. Man kann schließ­lich argu­men­tieren, dass der Film auf populäre Weise die unschöne Alters­dis­kri­mi­nie­rung anpran­gert.

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Das wäre für sich genommen aber eine rein inhal­tis­ti­sche, unter­kom­plexe Betrach­tungs­weise. Denn dieser Film ist mehr als nur ein Thesen­film.

Um wirklich über The Substance zu sprechen – und nicht darüber, was wir gerne in ihm sehen würden –, müssen wir über den Inhalt hinaus­gehen und über seine Form sprechen, müssen zeigen, wie seine Bilder aussehen, wie sein ästhe­ti­sches Design und sein narra­tiver Rahmen sind, also wie Körper gefilmt und Räume darge­stellt werden.

Regis­seurin Coralie Fargeat wählt ausdrück­lich das Genre des »Body­horror«. Sie zeigt Nadeln, die Adern durch­ste­chen, Augen mit mehreren Iris, Leiber, die sich in zwei Hälften teilen, Einge­weide, die sich auf den Boden ergießen, Glied­maßen, die sich monströs verdrehen oder monströs altern, defor­mierte und kaputte Leiber.

Fargeat photo­gra­phiert diese Häss­lich­keiten aber wie in einem Werbefilm. Alles ist zu schön, zu ausge­leuchtet, zu glatt. Zunächst entspricht dies durchaus, so könnte man vertei­di­gend einwenden, der mini­ma­lis­ti­schen Fabel, die dieser Film ist. Einer Fabel, in der alles kalt und chir­ur­gisch rein erscheint.
Der Film gefällt sich selbst aber auch in dieser Glätte. Er feiert sie einfach, anstatt sie auch infrage zu stellen. Er wird einem aber gerade dadurch zunehmend zuwider.

Auf eine gewisse Weise möchte The Substance gory und schmutzig sein. Und dann in all seiner Ekelig­keit und in allem vermeint­li­chen Body­horror plötzlich doch unglaub­lich sauber und clean und glatt, so wie die Frauen in diesem Film.
Nach etwa zwei Stunden verwan­delt sich dann die glatte Fabel in einen makabren Albtraum, in dem die schlanken Frau­en­körper zu Monstern eines Francis-Bacon-Gemäldes mutieren und beide Frau­en­haupt­fi­guren in so viel Blut gebadet werden, dass man Gedanken an das Ende von Brian De Palmas Carrie nicht vermeiden kann.
Man soll sie auch nicht vermeiden. Zu ihnen treten noch all die anderen, viel zu vielen, viel zu wider­sprüch­li­chen Verweise, mit denen Fargeat spielt und ihren Film aufzu­peppen versucht. Ein Mittel, um sich durch angeb­li­ches Augen­zwin­kern und kompli­zen­hafte Anspie­lungen für die Genre-Gemeinde inter­es­sant zu machen: Hitch­cocks Vertigo und die aufge­spal­tene Frau gehören dazu; die falschen, perversen Träume von David Lynchs Inland Empire, und natürlich David Cronen­bergs The Fly.

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Hand­werk­lich bleibt das aber schwach gemacht: Das beginnt damit, dass es plausible Räume in diesem Film nicht gibt. Die Figuren gehen vielmehr immer wieder völlig unplau­sible Wege. Die Aufein­an­der­folge der Bilder und Szenen ist abrupt und blitz­artig, dominiert von einer selbst­ver­liebten Montage, die um jeden Preis noch für den dümmsten Zuschauer sichtbar sein will.

Es gibt auch keine Charak­tere oder Figuren im ganzen Film, sondern nur Stereo­typen oder grob­schläch­tige Kari­ka­turen, bei denen selbst die schlech­testen Kari­ka­tu­risten vor Scham erröten müssten. Alle Männer auf der Leinwand erscheinen sowieso als hass­ge­trie­bene Grotesken.
Dialoge gibt es kaum, und die Dialoge, die wir hören, bewegen sich auf dem intel­lek­tu­ellen Niveau eines Kinder­gar­tens.

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Dass dieser Film frau­en­feind­lich ist, wie manche Kolle­ginnen und Kollegen nach seiner Cannes-Premiere meinten, muss man gar nicht unbedingt glauben. Jeden­falls ist es zumindest kompli­zierter. Eher ist The Substance pauschal menschen­ver­ach­tend. Vor allem aber tut man dem Film schon viel zu viel Gutes an, wenn man ihn überhaupt so ernst nimmt. Denn eigent­lich ist The Substance ein riesen­großer Quatsch, der nicht sehr gut anfängt und dann immer schlechter wird.

Die Haupt­schwäche von The Substance ist aber die behaup­tete Konkur­renz zwischen den beiden Frauen, also zwischen der Demi-Moore-Figur und ihrem jüngeren Abbild. Dabei sollen beide doch eins sein, bezie­hungs­weise die eine der Avatar der anderen.
Durch die Verselb­stän­di­gung von »Sue« und dadurch, dass Elisabeth keinerlei erkenn­bares Vergnügen aus ihrer Verjün­gung und ihrer zweiten Jugend zu ziehen scheint, wird der ganze Film zunehmend immer weniger schlüssig. Spätes­tens seit die beiden Iden­ti­täten dann im letzten Viertel des Films komplett neben- und gegen­ein­ander exis­tieren, ist es einfach nur noch Unsinn.

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The Substance ist ein Film, der seine eigenen Regeln nicht befolgt, und in sich total inkon­sis­tent ist. Wenn man schon Prämissen instal­liert, dann macht es nur Sinn, wenn man die dann in irgend­einer Weise auch auf den Figuren austragen will und durch diese Regeln mit ihnen etwas machen möchte. Man kann eine künst­liche Welt bauen, aber wenn diese künst­liche Welt dann nicht nach den Regeln funk­tio­niert, die der Film zuvor eine Stunde lang erklärt hat, dann macht das alles keinen Sinn.

Es gibt viele solcher Brüche mit den eigenen, selbst­ge­setzten Regeln in diesem Film. Der wich­tigste ist der, dass plötzlich beide Hälften der Haupt­figur gleich­zeitig neben­ein­ander in der Welt am Leben sein können. Da hebt The Substance voll­kommen ab und wird irre. Man kann natürlich derartige Brüche immer abtun und sagen: Alles ist ein reiner Albtraum, den die Figur von Demi Moore träumt. Auch das müsste vom Film irgend­wann gesetzt werden.
Dann entsteht noch ein großes Monster, das beide Frauen in sich vereint (oder in sich verschmelzen lässt?) – warum und wieso? Und wie kommt dieses am Ende auf die Bühne?
Das letzte Viertel des Films ist nur noch eine große offene Farce: Als wäre man im »Crazy Horse« gelandet, sieht man – nichts dagegen – barbusige Mädchen tanzen, wie einst die Chorus-Line in »Showgirls« und kleine Kinder im Publikum dürfen nackte Brüste sehen – weil das in Amerika niemand darf, fällt damit auch noch das bisschen kriti­scher Bezug zur US-Gegenwart weg.

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Der Film schöpft seine Prämisse nicht aus. Die Prämisse des Films macht eigent­lich nur dann Sinn, wenn ein Mensch mit sich identisch bleibt, aber einen jungen Körper bekommt, als eine Art Avatar. Man kann da soweit mitgehen, dass man akzep­tiert: Der neue Körper hat eine Eigen­dy­namik und der entfremdet gewis­ser­maßen auch die Seele des Menschen von seinem ursprüng­li­chen Körper.
Gleich­zeitig sagt die Stimme in dem Film aber auch »you are the matrix«. Es ist also schon klar, welche Seite die echte und welche die falsche ist.

Wenn sich die falsche Seite nun davon distan­zieren und eine Eigen­dy­namik erhalten kann – bleibt die Frage, wie das überhaupt passieren kann, wenn die Matrix doch immer gleich bleibt, denn eigent­lich ist der zweite Körper nur ein Skla­ven­körper, der nur eine Hülle ist, die besser funk­tio­niert und seinem Besitzer Möglich­keiten gibt, die er nicht hat im alten Körper.

Dann wäre das inter­es­sant. Dann könnte man sagen, dass Demi Moore unter dieser Lüge leidet und dass sie darunter leidet, dass ihr tatsäch­li­ches Alter und ihre Erfah­rungen und ihr Wissen gewis­ser­maßen nicht passen zu diesem jungen Körper – und dass sie es zum Beispiel albern findet, mit diesen ober­fläch­li­chen Männern, die sie trifft, überhaupt Umgang zu haben, Männern, die viel zu jung sind und eigent­lich nur Sex wollen. Man könnte sich Irri­ta­tionen ausdenken, etwa, dass diese jungen Männer plötzlich denken, »so redet doch keine Frau in meinem Alter«. Oder dass sie sagen »don’t talk like my mom« – das wäre alles inter­es­sant.

Aber hier passiert gar nichts derglei­chen, nichts Neues, sondern eigent­lich nur die schlichte platte Eitel­keits-Konkur­renz zwischen einer alternden Frau und einer sehr jungen.

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Éin Luxem­burger Kollege fragte in Cannes, ob es nicht ganz post­mo­dern vor allem um Regel­bruch ginge, und »darum, die philo­so­phi­sche Frage des Films auszu­tragen«.
Gut. Aber was ist diese philo­so­phi­sche Frage? Sie lautet viel­leicht: Wie sehen wir uns? Wie denken wir unseren Körper in Bezug auf eine Gesell­schaft der Ober­fläch­lich­keit?

Das kann man spannend finden und spannend stellen. Aber der Film beant­wortet diese Frage doch eigent­lich nur mit etwas, das wir schon längst wissen.

Es ist ja offen­sicht­lich: wir wollen junge Körper, Körper, die knackig sind. Wir wollen sie nicht nur ansehen und anfassen, wir wollen auch selbst solche Körper haben. Ebenfalls klar: Alle Menschen haben Probleme mit ihrem Alter und den körper­li­chen Folgen des Alters – das ist klas­senü­ber­grei­fend. Die tatsäch­liche Antwort darauf ist, dass sich die Menschen operieren lassen, oder Medi­ka­mente nehmen und Diäten prak­ti­zieren, Aerobic und Yoga im Fernsehen anschauen und diesen ganzen Schwach­sinn mitmachen. Das ist okay, es ist alles gesetzt. Aber diese Phänomene der jugend­ori­en­tierten Selbst­op­ti­mie­rung bildet der Film einfach nur ab. Er macht nichts damit, er entwi­ckelt es nicht weiter.

Damit reprä­sen­tieren er selbst und der Hype um ihn nur die neueste Stufe eines Neoli­be­ra­lismus, der Zwänge in Chancen umde­fi­niert.

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»Wenn man anfängt zu philo­so­phieren, so muß man zuerst Spinozist sein«, hatte Hegel über den Philo­so­phen Spinoza gesagt, und gemeint, dessen Philo­so­phie, die streng die »Substanzen« von den »Akzi­denzien« trennt, reprä­sen­tiere als Negation des Beson­deren gewis­ser­maßen die aller­erste Stufe der Entwick­lung des dialek­ti­schen Denkens. (Post-)Moderner klingt in unseren Ohren dagegen Georg Simmel, der über Spinoza schrieb: »Die umfas­sende Substanz, das allein übrig­ge­blie­bene Absolute kann nun außer Betracht gesetzt werden, und es bleibt tatsäch­lich die rela­ti­vis­ti­sche Aufgelöst­heit aller Dinge in Bezie­hungen und Prozessen übrig.« So verflüs­sigt auch dieser Film die Verhält­nisse bis zur Substanz­lo­sig­keit.

Die wahren Lebens­lügen der Menschen liegen nicht im Schön­heits­kult, sondern im schönen Reden. Nicht in der Verehrung der Ober­flächen, sondern in der Verwechs­lung von Ober­fläche und Substanz. Dieser Verwechs­lung macht sich auch Coralie Fargeats Film selbst schuldig.

Nach­be­mer­kung:
Das ist wieder so ein Film mit einer furcht­baren Synchro­ni­sa­tion. Es sind die immer gleichen gefühlten vier Sprecher, alle zu alt oder zu jung, aber nie ange­messen, alle viel zu spießig, alle viel zu pseu­do­phi­lo­so­phisch. Es bringt Schwere und Lahm­ar­schig­keit in einen immerhin poppigen, schmis­sigen Film – wer das jetzt nicht glaubt, der könnte einfach den Original-Trailer mit dem deutschen synchro­ni­sierten auf Youtube verglei­chen.

Körper-Zerstörer

Coralie Fargeat nimmt sich in The Substance erneut des B-Films an und remixt ihn mit modernen Gesten und Problemstellungen

Bereits ihr 2017 erschie­nener Debütfilm Revenge beschäf­tigte sich mit sehr körper­li­chen Themen, war eine Neu- und Umdeutung des Rape-and-Revenge-Subgenres. Es erscheint nur konse­quent, dass sich Fargeat nun dem Body-Horror widmet, jenem Genre, das den Körper als Thema schon im Namen hat.
Die Hochphase dieser Spielart des Films war wohl in den Acht­zi­ger­jahren erreicht, David Cronen­berg als Pionier ist hier zu nennen. Dennoch war der Body-Horror nie ganz aus dem Kino verschwunden, tauchte immer wieder auf, und ist nicht zuletzt dank dem Cannes-Gewinner 2021 Titane derzeit wieder besonders en vogue.

Der Vergleich mit Julia Ducournaus Titane drängt sich ohnehin förmlich auf – beide Filme spielen mit einer femi­nis­ti­schen Sicht bzw. Dekon­struk­tion, beide liefen und gewannen in Cannes, Titane die Goldene Palme, The Substance den Preis für das beste Drehbuch – und dient als guter Ausgangs­punkt für diesen doch recht seltsamen Film.
Während Titane nämlich seine Vorbilder eher benutzte, um darauf aufzu­bauen, sich von ihnen abzu­kap­seln und eine neue Arte des (Genre-)Kinos anzu­streben, trägt The Substance seine Idole offen auf der Brust: Mal wird der bekannte Shining-Teppich zitiert, mal die Farb­ge­bungen und Perspek­tiven des Giallo-Films, an anderer Stelle wird De Palmas Carrie refe­ren­ziert.
Fargeat begreift ihren Film – so der Eindruck – als nichts funda­mental Neues, eher als ein Wieder­auf­nehmen eines nischigen Genres, als Zele­bra­tion des Horror­films. Anders als Ducournau geht es ihr nicht um eine subtile Neuü­ber­tra­gung in zeit­genös­si­sche Gefilde, in ein Spiel mit Gegenwart und Vergan­gen­heit.
The Substance ist ein offen­sicht­li­cher Film, der seine Metaphern förmlich in die Kamera schreit, der keine Zweifel darüber aufkommen lässt, was der Kern seiner Geschichte ist: Die alternde Schau­spie­lerin Elisabeth Sparkle verliert ihre Anstel­lung als Star einer Fitness­show, mit 50 ist man zu alt für den Job, das will niemand mehr sehen. Als ihre Nach­fol­gerin gesucht wird, greift Elisabeth (gespielt von Demi Moore) zur titel­ge­benden »Substanz«: Sie spaltet sich buchs­täb­lich in zwei Hälften, aus ihr erwächst die jüngere Sue (Margaret Qualley), die zum neuen Star der Show wird. Diesem Dualismus zu Trotz bilden beide Versionen eine Frau, »Entität«, wie es in der Gebrauchs­an­wei­sung der Substanz heißt, sie teilen sich die Lebens­zeit. So muss alle sieben Tage gewech­selt werden, ohne Ausnahmen.

Diese Regeln werden – natürlich – gebrochen, es entsteht ein wiederum buchs­täb­lich schi­zo­phrener Wett­streit der beiden rund um die Themen Schönheit, Ruhm, Eleganz und die allge­meine Nutzung der Lebens­zeit.
Formal wird dies auf eine inter­es­sante Art unmodern darge­stellt: Zwar sind die Themen aktuell, das Design des Films wirkt aber nicht daran inter­es­siert, zeit­genös­sisch zu erscheinen: Aerobic-Sport-Shows sind sicher­lich nicht mehr angesagt, die Kostüme (gerade jene von Sue) wirken eher wie eine über­zeich­nete Rückkehr in die 2010er-Jahre. Sie sind schmerz­haft sexua­li­siert, spielen mit billigen Stoffen und Symbo­liken: Alles muss glitzern oder scheinen; Latex, Falsch­gold und Plastik in Neon-Farben sind die vorherr­schenden Mate­ria­lien. Das ergibt einen inter­es­santen Gegensatz, der Film ist zu gleichen Teilen erotisch wie billig, hat immense Freude daran, Körper zu insze­nieren, ihnen zu huldigen, macht dabei aber immer wieder deutlich, wie dünn die Grenze zwischen Erotik und stumpfer Sexua­li­sie­rung ist. Gerade Qualley brilliert in diesem Kontext, spielt das (scheinbar) naive Starlet grandios.

Überhaupt ist »billig« ein passender Begriff für den gesamten Film, dies aber nicht unbedingt im schlechten Sinne. The Substance fühlt sich größer an als er ist, zeichnet ein umfas­sendes Bild von Hollywood/ dem Show­busi­ness, spielt aber zum aller­größten Teil in den immer gleichen geschlos­senen Räumen: Elisa­beths Apartment und das Fern­seh­studio.
Beide Orte sind offen­sicht­lich durch­de­signt, wirken dennoch seltsam leer.
Die Bild­ge­stal­tung passt sich daran an, die Werbe-Clip-Ästhetik schwankt immer wieder zwischen gelun­genen Ästhe­ti­sie­rungen und blassen, künst­li­chen Bildern; etwa den trashigen Über­blen­dungen oder den Video-Art-Einblen­dungen.
Auch das passt zum B-Film, das Igno­rieren eines hohen Detail­grads, das Verwei­gern einer reali­täts­nahen Nach­bil­dung von Lebens­welten. Es ist ein Auskommen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, immer wieder aufge­bro­chen durch Stand-Out-Szenen. In diesem Fall sind es die Horror- und Gewalt­szenen, die hand­werk­lich perfekt gestaltet sind. In diesem Momenten findet der Film wirklich zu sich, die Defor­ma­tionen sind ernsthaft ekel­er­re­gend und brutal, weit entfernt von einem sterilen Design-Zitat vergan­gener Genre-Tage. Statt­dessen scheint sich Fargeat neben eben jenen posi­tio­nieren zu wollen, gerade der oben erwähnte (junge) De Palma erscheint wie ein geistiges Vorbild. Mit ihm teilt sie sich den betu­li­chen Aufbau eines Plots, der dann immer wieder ins Absurde abrutscht, bis er völlig entgleist.

Anders als jener verwei­gert Fargeat dem Publikum jedoch, ihren Film als 90- oder 100-minütiges Spektakel wahr­zu­nehmen. The Substance hat eine ausla­dende Laufzeit von 140 Minuten, verbindet seine grund­sätz­lich simplen und schnellen Themen mit dem Hang zur großen Geste.
Gerade im zeit­li­chen Kontext wirkt das inter­es­sant: Die Etablie­rung Qualleys als next big thing, der Einsatz von Demi Moore und natürlich die große Cannes-Premiere – alles im Rahmen eines billigen, dreckigen Horror­films.
Ob darin nun der große Kommentar zu unserer Zeit steckt, sei einmal dahin­ge­stellt. Faszi­nie­rend ist es allemal.