Frankreich/USA/GB 2024 · 141 min. · FSK: ab 16 Regie: Coralie Fargeat Drehbuch: Coralie Fargeat Kamera: Benjamin Kracun Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Gore Abrams, Hugo Diego Garcia u.a. |
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Die Häutung | ||
(Foto: Mubi) |
»Have you ever dreamt of a better version of yourself? Younger, more beautiful, more perfect? One single injection unlocks your DNA, starting a new cellular division, that will release another version of yourself. This is the substance.«– Aus dem Film
»You have to control yourself! Old, fat, disgusting!«
Demi Moore (62) als Elizabeth (50) in The Substance
Nichts ist faszinierend an diesem Film. Der Hype um ihn ist eine große leere Hülle, ohne Substanz. Marketinggemacht negiert er wie die formale Glätte und Kälte von The Substance dessen behauptete Botschaft, die Kritik an Schönheitsidealen und Jugendwahn.
Aber schon die Problemdiagnose bleibt fragwürdig: Tatsächlich sondert die Medienbranche, die Fernsehbranche zumal, keineswegs pauschal alte Menschen, vor allem alte Frauen aus. Im Gegenteil haben
Ältere gerade unter TV-Moderatorinnen einen immer größeren Anteil. Und das Thema Alter wird ebenfalls keineswegs pauschal diskriminiert. Der offensichtlichen Altersdiskriminierung in der Filmbranche stehen Bestsellerlisten entgegen, in denen Sachbücher übers Altern von Barbara Bleisch (51), Elke Heidenreich (81) und Marianne Koch (93) dominieren.
Warum geht es also? Was soll The Substance?
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»Die Menschen sehnen sich immer nach etwas Neuem. Es ist unvermeidlich. Und mit 50 hört es auf.« Es ist der schlimmste Tag im Berufsleben von Elizabeth. Eigentlich könnte sie feiern, denn es ist ihr runder Geburtstag, ihr 50. Doch die von Demi Moore gespielte ehemalige Hollywood-Schauspielerin, die jetzt immerhin noch der erfolgreiche Star einer Fernsehsendung ist, wird von einem Tag auf den anderen gefeuert. Sie soll durch eine Jüngere ersetzt werden.
Kurz darauf entdeckt sie
durch Zufall eine Anzeige:
»Have you ever dreamt of a better version of yourself? Younger, more beautiful, more perfect? One single injection unlocks your DNA, starting a new cellular division, that will release another version of yourself. This is the substance.«
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Ganz am Anfang sieht man im allerersten Bild ein rohes Ei. Eine gummibehandschuhte Hand setzt eine Spritze an und spritzt eine undefinierte Substanz in das Eigelb. Es dauert ein paar Sekunden, dann kommt es zu einer rapiden Zellteilung und ein zweites perfektes Eigelb ploppt aus dem ersten heraus. Danach wechselt das Bild und man sieht auf dem Walk of Fame einen Oscar-Stern mit dem Namen der Hauptfigur: Elizabeth Sparkle. Dieser Stern wird dann, während die Filmcredits zu sehen sind, im Schnelldurchlauf »altern«; über die Jahre hinweg zeigt er Risse, es landet Dreck auf ihm, die Leute laufen darüber hinweg und benehmen sich zunehmend achtlos. Genau genommen ist das, was mit dem Stern passiert, genau das, was der Film mit seiner Hauptfigur macht. Er missachtet und beschädigt sie.
Demi Moore spielt diese Hauptfigur. Eine Frau, die im Fernsehen eine Aerobic- und Körper-Ertüchtigungssendung macht, zunehmend aber feststellt, dass – Überraschung! – die Jugend nicht ewig währt. Ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag erfährt sie durch Zufall – Frauen sollten vielleicht öfters Herrenklos besuchen –, dass sie der mächtige böse Harvey (Dennis Quaid), der Chef des Senders, abservieren und durch eine deutlich Jüngere ersetzen will.
So gerät Elizabeth in Versuchung, sich die titelgebende Substanz einzuverleiben – mit dem Ergebnis, dass sich aus ihr eine junge Frau von großer erotischer Verführungskraft herausschält wie zu Beginn das zweite Eigelb aus dem ersten: Sue (Margaret Qualley).
Es geht also darum, eine bessere Version von sich selbst zu entwickeln: »You are the Matrix«, wird der Moore-Figur einmal gesagt: Sie ist die Eigentliche, die andere bleibt Hülle.
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Und damit erklimmt der Horror um den Body, den Elisabeth zuvor mit allen anderen Menschen teilte, die das Glück haben, älter als 50 zu werden, völlig neue Dimensionen.
Mit dieser »Substanz« hat es nämlich eine gewisse Bewandtnis: Beide, nun parallel in abwechselndem »Wach«-»Schlaf«-Rhythmus anwesende Körper, müssen sich gegenseitig ernähren, um im Gleichgewicht gehalten zu werden. Wenn das nicht passiert, verfällt der »eigentliche« Körper, der inaktive »Wirtskörper« jeweils ein klein wenig und das unnatürlich schnell und unrevidierbar. Dieser körperliche Zerfall wird im Film im Detail abgebildet.
Das hat im Kino nicht zuletzt deswegen seinen
Charme, weil Demi Moore die Hauptrolle spielt. Also – das nur ganz nebenbei – jene Demi Moore, die tatsächlich im Herbst 62 Jahre alt wird, hier aber eine gerade 50-jährige spielt.
Der Film verfällt nicht nur damit selbst dem Schönheits- und Jugendwahn, den er vermeintlich moralisierend beklagt. Er wird selbst Teil des Wahns.
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Aus einer solchen offensichtlichen und nur im Offensichtlichen liegenden Handlung kann man alle die soziokulturellen Überlegungen ableiten, die man daraus ableiten möchte. Der Film legt nichts besonders nahe und weist nichts zurück, er ist einfach ungemein beliebig: Man kann erstens die durch Männerphantasien in der Unterhaltungsindustrie erzeugten Stereotypen und ihre schädlichen Folgen für viele Frauen hinterfragen. Man kann zweitens darüber nachdenken, wie das männliche Begehren das Modell einer idealtypischen und geradezu künstlichen Schönheit entwirft, das der Realität nicht standhalten kann. Wie sich die Menschen durch solche falschen (??) Ideale gezwungen fühlen, gegen den Lauf der Zeit anzukämpfen. Man kann schließlich argumentieren, dass der Film auf populäre Weise die unschöne Altersdiskriminierung anprangert.
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Das wäre für sich genommen aber eine rein inhaltistische, unterkomplexe Betrachtungsweise. Denn dieser Film ist mehr als nur ein Thesenfilm.
Um wirklich über The Substance zu sprechen – und nicht darüber, was wir gerne in ihm sehen würden –, müssen wir über den Inhalt hinausgehen und über seine Form sprechen, müssen zeigen, wie seine Bilder aussehen, wie sein ästhetisches Design und sein narrativer Rahmen sind, also wie Körper gefilmt und Räume dargestellt werden.
Regisseurin Coralie Fargeat wählt ausdrücklich das Genre des »Bodyhorror«. Sie zeigt Nadeln, die Adern durchstechen, Augen mit mehreren Iris, Leiber, die sich in zwei Hälften teilen, Eingeweide, die sich auf den Boden ergießen, Gliedmaßen, die sich monströs verdrehen oder monströs altern, deformierte und kaputte Leiber.
Fargeat photographiert diese Hässlichkeiten aber wie in einem Werbefilm. Alles ist zu schön, zu ausgeleuchtet, zu glatt. Zunächst entspricht dies durchaus, so könnte man verteidigend einwenden, der minimalistischen Fabel, die dieser Film ist. Einer Fabel, in der alles kalt und chirurgisch rein erscheint.
Der Film gefällt sich selbst aber auch in dieser Glätte. Er feiert sie einfach, anstatt sie auch infrage zu stellen. Er wird einem aber gerade dadurch zunehmend zuwider.
Auf eine gewisse Weise möchte The Substance gory und schmutzig sein. Und dann in all seiner Ekeligkeit und in allem vermeintlichen Bodyhorror plötzlich doch unglaublich sauber und clean und glatt, so wie die Frauen in diesem Film.
Nach etwa zwei Stunden verwandelt sich dann die glatte Fabel in einen makabren Albtraum, in dem die schlanken Frauenkörper zu Monstern eines Francis-Bacon-Gemäldes mutieren und beide Frauenhauptfiguren in so viel Blut gebadet
werden, dass man Gedanken an das Ende von Brian De Palmas Carrie nicht vermeiden kann.
Man soll sie auch nicht vermeiden. Zu ihnen treten noch all die anderen, viel zu vielen, viel zu widersprüchlichen Verweise, mit denen Fargeat spielt und ihren Film aufzupeppen versucht. Ein Mittel, um sich durch angebliches Augenzwinkern und komplizenhafte Anspielungen für die Genre-Gemeinde
interessant zu machen: Hitchcocks Vertigo und die aufgespaltene Frau gehören dazu; die falschen, perversen Träume von David Lynchs Inland Empire, und natürlich David Cronenbergs The Fly.
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Handwerklich bleibt das aber schwach gemacht: Das beginnt damit, dass es plausible Räume in diesem Film nicht gibt. Die Figuren gehen vielmehr immer wieder völlig unplausible Wege. Die Aufeinanderfolge der Bilder und Szenen ist abrupt und blitzartig, dominiert von einer selbstverliebten Montage, die um jeden Preis noch für den dümmsten Zuschauer sichtbar sein will.
Es gibt auch keine Charaktere oder Figuren im ganzen Film, sondern nur Stereotypen oder grobschlächtige Karikaturen, bei denen selbst die schlechtesten Karikaturisten vor Scham erröten müssten. Alle Männer auf der Leinwand erscheinen sowieso als hassgetriebene Grotesken.
Dialoge gibt es kaum, und die Dialoge, die wir hören, bewegen sich auf dem intellektuellen Niveau eines Kindergartens.
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Dass dieser Film frauenfeindlich ist, wie manche Kolleginnen und Kollegen nach seiner Cannes-Premiere meinten, muss man gar nicht unbedingt glauben. Jedenfalls ist es zumindest komplizierter. Eher ist The Substance pauschal menschenverachtend. Vor allem aber tut man dem Film schon viel zu viel Gutes an, wenn man ihn überhaupt so ernst nimmt. Denn eigentlich ist The Substance ein riesengroßer Quatsch, der nicht sehr gut anfängt und dann immer schlechter wird.
Die Hauptschwäche von The Substance ist aber die behauptete Konkurrenz zwischen den beiden Frauen, also zwischen der Demi-Moore-Figur und ihrem jüngeren Abbild. Dabei sollen beide doch eins sein, beziehungsweise die eine der Avatar der anderen.
Durch die Verselbständigung von »Sue« und dadurch, dass Elisabeth keinerlei erkennbares Vergnügen aus ihrer Verjüngung und ihrer zweiten Jugend zu ziehen scheint, wird der ganze Film zunehmend immer weniger
schlüssig. Spätestens seit die beiden Identitäten dann im letzten Viertel des Films komplett neben- und gegeneinander existieren, ist es einfach nur noch Unsinn.
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The Substance ist ein Film, der seine eigenen Regeln nicht befolgt, und in sich total inkonsistent ist. Wenn man schon Prämissen installiert, dann macht es nur Sinn, wenn man die dann in irgendeiner Weise auch auf den Figuren austragen will und durch diese Regeln mit ihnen etwas machen möchte. Man kann eine künstliche Welt bauen, aber wenn diese künstliche Welt dann nicht nach den Regeln funktioniert, die der Film zuvor eine Stunde lang erklärt hat, dann macht das alles keinen Sinn.
Es gibt viele solcher Brüche mit den eigenen, selbstgesetzten Regeln in diesem Film. Der wichtigste ist der, dass plötzlich beide Hälften der Hauptfigur gleichzeitig nebeneinander in der Welt am Leben sein können. Da hebt The Substance vollkommen ab und wird irre. Man kann natürlich derartige Brüche immer abtun und sagen: Alles ist ein reiner Albtraum, den die Figur von Demi Moore träumt. Auch das müsste vom Film irgendwann gesetzt werden.
Dann entsteht
noch ein großes Monster, das beide Frauen in sich vereint (oder in sich verschmelzen lässt?) – warum und wieso? Und wie kommt dieses am Ende auf die Bühne?
Das letzte Viertel des Films ist nur noch eine große offene Farce: Als wäre man im »Crazy Horse« gelandet, sieht man – nichts dagegen – barbusige Mädchen tanzen, wie einst die Chorus-Line in »Showgirls« und kleine Kinder im Publikum dürfen nackte Brüste sehen – weil das in Amerika niemand darf, fällt damit auch
noch das bisschen kritischer Bezug zur US-Gegenwart weg.
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Der Film schöpft seine Prämisse nicht aus. Die Prämisse des Films macht eigentlich nur dann Sinn, wenn ein Mensch mit sich identisch bleibt, aber einen jungen Körper bekommt, als eine Art Avatar. Man kann da soweit mitgehen, dass man akzeptiert: Der neue Körper hat eine Eigendynamik und der entfremdet gewissermaßen auch die Seele des Menschen von seinem ursprünglichen Körper.
Gleichzeitig sagt die Stimme in dem Film aber auch »you are the matrix«. Es ist also schon klar, welche
Seite die echte und welche die falsche ist.
Wenn sich die falsche Seite nun davon distanzieren und eine Eigendynamik erhalten kann – bleibt die Frage, wie das überhaupt passieren kann, wenn die Matrix doch immer gleich bleibt, denn eigentlich ist der zweite Körper nur ein Sklavenkörper, der nur eine Hülle ist, die besser funktioniert und seinem Besitzer Möglichkeiten gibt, die er nicht hat im alten Körper.
Dann wäre das interessant. Dann könnte man sagen, dass Demi Moore unter dieser Lüge leidet und dass sie darunter leidet, dass ihr tatsächliches Alter und ihre Erfahrungen und ihr Wissen gewissermaßen nicht passen zu diesem jungen Körper – und dass sie es zum Beispiel albern findet, mit diesen oberflächlichen Männern, die sie trifft, überhaupt Umgang zu haben, Männern, die viel zu jung sind und eigentlich nur Sex wollen. Man könnte sich Irritationen ausdenken, etwa, dass diese jungen Männer plötzlich denken, »so redet doch keine Frau in meinem Alter«. Oder dass sie sagen »don’t talk like my mom« – das wäre alles interessant.
Aber hier passiert gar nichts dergleichen, nichts Neues, sondern eigentlich nur die schlichte platte Eitelkeits-Konkurrenz zwischen einer alternden Frau und einer sehr jungen.
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Éin Luxemburger Kollege fragte in Cannes, ob es nicht ganz postmodern vor allem um Regelbruch ginge, und »darum, die philosophische Frage des Films auszutragen«.
Gut. Aber was ist diese philosophische Frage? Sie lautet vielleicht: Wie sehen wir uns? Wie denken wir unseren Körper in Bezug auf eine Gesellschaft der Oberflächlichkeit?
Das kann man spannend finden und spannend stellen. Aber der Film beantwortet diese Frage doch eigentlich nur mit etwas, das wir schon längst wissen.
Es ist ja offensichtlich: wir wollen junge Körper, Körper, die knackig sind. Wir wollen sie nicht nur ansehen und anfassen, wir wollen auch selbst solche Körper haben. Ebenfalls klar: Alle Menschen haben Probleme mit ihrem Alter und den körperlichen Folgen des Alters – das ist klassenübergreifend. Die tatsächliche Antwort darauf ist, dass sich die Menschen operieren lassen, oder Medikamente nehmen und Diäten praktizieren, Aerobic und Yoga im Fernsehen anschauen und diesen ganzen Schwachsinn mitmachen. Das ist okay, es ist alles gesetzt. Aber diese Phänomene der jugendorientierten Selbstoptimierung bildet der Film einfach nur ab. Er macht nichts damit, er entwickelt es nicht weiter.
Damit repräsentieren er selbst und der Hype um ihn nur die neueste Stufe eines Neoliberalismus, der Zwänge in Chancen umdefiniert.
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»Wenn man anfängt zu philosophieren, so muß man zuerst Spinozist sein«, hatte Hegel über den Philosophen Spinoza gesagt, und gemeint, dessen Philosophie, die streng die »Substanzen« von den »Akzidenzien« trennt, repräsentiere als Negation des Besonderen gewissermaßen die allererste Stufe der Entwicklung des dialektischen Denkens. (Post-)Moderner klingt in unseren Ohren dagegen Georg Simmel, der über Spinoza schrieb: »Die umfassende Substanz, das allein übriggebliebene Absolute kann nun außer Betracht gesetzt werden, und es bleibt tatsächlich die relativistische Aufgelöstheit aller Dinge in Beziehungen und Prozessen übrig.« So verflüssigt auch dieser Film die Verhältnisse bis zur Substanzlosigkeit.
Die wahren Lebenslügen der Menschen liegen nicht im Schönheitskult, sondern im schönen Reden. Nicht in der Verehrung der Oberflächen, sondern in der Verwechslung von Oberfläche und Substanz. Dieser Verwechslung macht sich auch Coralie Fargeats Film selbst schuldig.
Nachbemerkung:
Das ist wieder so ein Film mit einer furchtbaren Synchronisation. Es sind die immer gleichen gefühlten vier Sprecher, alle zu alt oder zu jung, aber nie angemessen, alle viel zu spießig, alle viel zu pseudophilosophisch. Es bringt Schwere und Lahmarschigkeit in einen immerhin poppigen, schmissigen Film – wer das jetzt nicht glaubt, der könnte einfach den Original-Trailer mit dem deutschen synchronisierten auf Youtube vergleichen.
Bereits ihr 2017 erschienener Debütfilm Revenge beschäftigte sich mit sehr körperlichen Themen, war eine Neu- und Umdeutung des Rape-and-Revenge-Subgenres. Es erscheint nur konsequent, dass sich Fargeat nun dem Body-Horror widmet, jenem Genre, das den Körper als Thema schon im Namen hat.
Die Hochphase dieser Spielart des Films war wohl in den Achtzigerjahren erreicht, David Cronenberg als
Pionier ist hier zu nennen. Dennoch war der Body-Horror nie ganz aus dem Kino verschwunden, tauchte immer wieder auf, und ist nicht zuletzt dank dem Cannes-Gewinner 2021 Titane derzeit wieder besonders en vogue.
Der Vergleich mit Julia Ducournaus Titane drängt sich ohnehin förmlich auf – beide Filme spielen mit einer feministischen Sicht bzw. Dekonstruktion, beide liefen und gewannen in Cannes, Titane die Goldene Palme, The Substance den Preis für das beste Drehbuch – und
dient als guter Ausgangspunkt für diesen doch recht seltsamen Film.
Während Titane nämlich seine Vorbilder eher benutzte, um darauf aufzubauen, sich von ihnen abzukapseln und eine neue Arte des (Genre-)Kinos anzustreben, trägt The Substance seine Idole offen auf der Brust: Mal wird der bekannte Shining-Teppich zitiert, mal die Farbgebungen und Perspektiven des Giallo-Films, an anderer Stelle wird De Palmas Carrie referenziert.
Fargeat begreift ihren Film – so der Eindruck – als nichts fundamental Neues, eher als ein Wiederaufnehmen eines nischigen Genres, als Zelebration des Horrorfilms. Anders als Ducournau geht es ihr
nicht um eine subtile Neuübertragung in zeitgenössische Gefilde, in ein Spiel mit Gegenwart und Vergangenheit.
The Substance ist ein offensichtlicher Film, der seine Metaphern förmlich in die Kamera schreit, der keine Zweifel darüber aufkommen lässt, was der Kern seiner Geschichte ist: Die alternde Schauspielerin Elisabeth Sparkle verliert ihre Anstellung als Star einer Fitnessshow, mit 50 ist man zu alt für den Job, das will niemand mehr sehen. Als
ihre Nachfolgerin gesucht wird, greift Elisabeth (gespielt von Demi Moore) zur titelgebenden »Substanz«: Sie spaltet sich buchstäblich in zwei Hälften, aus ihr erwächst die jüngere Sue (Margaret Qualley), die zum neuen Star der Show wird. Diesem Dualismus zu Trotz bilden beide Versionen eine Frau, »Entität«, wie es in der Gebrauchsanweisung der Substanz heißt, sie teilen sich die Lebenszeit. So muss alle sieben Tage gewechselt werden, ohne Ausnahmen.
Diese Regeln werden – natürlich – gebrochen, es entsteht ein wiederum buchstäblich schizophrener Wettstreit der beiden rund um die Themen Schönheit, Ruhm, Eleganz und die allgemeine Nutzung der Lebenszeit.
Formal wird dies auf eine interessante Art unmodern dargestellt: Zwar sind die Themen aktuell, das Design des Films wirkt aber nicht daran interessiert, zeitgenössisch zu erscheinen: Aerobic-Sport-Shows sind sicherlich nicht mehr angesagt, die Kostüme (gerade
jene von Sue) wirken eher wie eine überzeichnete Rückkehr in die 2010er-Jahre. Sie sind schmerzhaft sexualisiert, spielen mit billigen Stoffen und Symboliken: Alles muss glitzern oder scheinen; Latex, Falschgold und Plastik in Neon-Farben sind die vorherrschenden Materialien. Das ergibt einen interessanten Gegensatz, der Film ist zu gleichen Teilen erotisch wie billig, hat immense Freude daran, Körper zu inszenieren, ihnen zu huldigen, macht dabei aber immer wieder deutlich, wie
dünn die Grenze zwischen Erotik und stumpfer Sexualisierung ist. Gerade Qualley brilliert in diesem Kontext, spielt das (scheinbar) naive Starlet grandios.
Überhaupt ist »billig« ein passender Begriff für den gesamten Film, dies aber nicht unbedingt im schlechten Sinne. The Substance fühlt sich größer an als er ist, zeichnet ein umfassendes Bild von Hollywood/ dem Showbusiness, spielt aber zum allergrößten Teil in den immer gleichen geschlossenen Räumen: Elisabeths Apartment und das Fernsehstudio.
Beide Orte sind offensichtlich durchdesignt, wirken dennoch seltsam leer.
Die Bildgestaltung passt sich
daran an, die Werbe-Clip-Ästhetik schwankt immer wieder zwischen gelungenen Ästhetisierungen und blassen, künstlichen Bildern; etwa den trashigen Überblendungen oder den Video-Art-Einblendungen.
Auch das passt zum B-Film, das Ignorieren eines hohen Detailgrads, das Verweigern einer realitätsnahen Nachbildung von Lebenswelten. Es ist ein Auskommen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, immer wieder aufgebrochen durch Stand-Out-Szenen. In diesem Fall sind es die Horror-
und Gewaltszenen, die handwerklich perfekt gestaltet sind. In diesem Momenten findet der Film wirklich zu sich, die Deformationen sind ernsthaft ekelerregend und brutal, weit entfernt von einem sterilen Design-Zitat vergangener Genre-Tage. Stattdessen scheint sich Fargeat neben eben jenen positionieren zu wollen, gerade der oben erwähnte (junge) De Palma erscheint wie ein geistiges Vorbild. Mit ihm teilt sie sich den betulichen Aufbau eines Plots, der dann immer wieder ins Absurde
abrutscht, bis er völlig entgleist.
Anders als jener verweigert Fargeat dem Publikum jedoch, ihren Film als 90- oder 100-minütiges Spektakel wahrzunehmen. The Substance hat eine ausladende Laufzeit von 140 Minuten, verbindet seine grundsätzlich simplen und schnellen Themen mit dem Hang zur großen Geste.
Gerade im zeitlichen Kontext wirkt das interessant: Die Etablierung Qualleys als next big thing, der Einsatz von Demi Moore und natürlich die große Cannes-Premiere – alles im
Rahmen eines billigen, dreckigen Horrorfilms.
Ob darin nun der große Kommentar zu unserer Zeit steckt, sei einmal dahingestellt. Faszinierend ist es allemal.