Frankreich/USA/GB 2024 · 141 min. · FSK: ab 16 Regie: Coralie Fargeat Drehbuch: Coralie Fargeat Kamera: Benjamin Kracun Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Gore Abrams, Hugo Diego Garcia u.a. |
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Die Häutung |
Bereits ihr 2017 erschienener Debütfilm Revenge beschäftigte sich mit sehr körperlichen Themen, war eine Neu- und Umdeutung des Rape-and-Revenge-Subgenres. Es erscheint nur konsequent, dass sich Fargeat nun dem Body-Horror widmet, jenem Genre, das den Körper als Thema schon im Namen hat.
Die Hochphase dieser Spielart des Films war wohl in den Achtzigerjahren erreicht, David Cronenberg als
Pionier ist hier zu nennen. Dennoch war der Body-Horror nie ganz aus dem Kino verschwunden, tauchte immer wieder auf, und ist nicht zuletzt dank dem Cannes-Gewinner 2021 Titane derzeit wieder besonders en vogue.
Der Vergleich mit Julia Ducournaus Titane drängt sich ohnehin förmlich auf – beide Filme spielen mit einer feministischen Sicht bzw. Dekonstruktion, beide liefen und gewannen in Cannes, Titane die Goldene Palme, The Substance den Preis für das beste Drehbuch – und
dient als guter Ausgangspunkt für diesen doch recht seltsamen Film.
Während Titane nämlich seine Vorbilder eher benutzte, um darauf aufzubauen, sich von ihnen abzukapseln und eine neue Arte des (Genre-)Kinos anzustreben, trägt The Substance seine Idole offen auf der Brust: Mal wird der bekannte Shining-Teppich zitiert, mal die Farbgebungen und Perspektiven des Giallo-Films, an anderer Stelle wird De Palmas Carrie referenziert.
Fargeat begreift ihren Film – so der Eindruck – als nichts fundamental Neues, eher als ein Wiederaufnehmen eines nischigen Genres, als Zelebration des Horrorfilms. Anders als Ducournau geht es ihr
nicht um eine subtile Neuübertragung in zeitgenössische Gefilde, in ein Spiel mit Gegenwart und Vergangenheit.
The Substance ist ein offensichtlicher Film, der seine Metaphern förmlich in die Kamera schreit, der keine Zweifel darüber aufkommen lässt, was der Kern seiner Geschichte ist: Die alternde Schauspielerin Elisabeth Sparkle verliert ihre Anstellung als Star einer Fitnessshow, mit 50 ist man zu alt für den Job, das will niemand mehr sehen. Als
ihre Nachfolgerin gesucht wird, greift Elisabeth (gespielt von Demi Moore) zur titelgebenden »Substanz«: Sie spaltet sich buchstäblich in zwei Hälften, aus ihr erwächst die jüngere Sue (Margaret Qualley), die zum neuen Star der Show wird. Diesem Dualismus zu Trotz bilden beide Versionen eine Frau, »Entität«, wie es in der Gebrauchsanweisung der Substanz heißt, sie teilen sich die Lebenszeit. So muss alle sieben Tage gewechselt werden, ohne Ausnahmen.
Diese Regeln werden – natürlich – gebrochen, es entsteht ein wiederum buchstäblich schizophrener Wettstreit der beiden rund um die Themen Schönheit, Ruhm, Eleganz und die allgemeine Nutzung der Lebenszeit.
Formal wird dies auf eine interessante Art unmodern dargestellt: Zwar sind die Themen aktuell, das Design des Films wirkt aber nicht daran interessiert, zeitgenössisch zu erscheinen: Aerobic-Sport-Shows sind sicherlich nicht mehr angesagt, die Kostüme (gerade
jene von Sue) wirken eher wie eine überzeichnete Rückkehr in die 2010er-Jahre. Sie sind schmerzhaft sexualisiert, spielen mit billigen Stoffen und Symboliken: Alles muss glitzern oder scheinen; Latex, Falschgold und Plastik in Neon-Farben sind die vorherrschenden Materialien. Das ergibt einen interessanten Gegensatz, der Film ist zu gleichen Teilen erotisch wie billig, hat immense Freude daran, Körper zu inszenieren, ihnen zu huldigen, macht dabei aber immer wieder deutlich, wie
dünn die Grenze zwischen Erotik und stumpfer Sexualisierung ist. Gerade Qualley brilliert in diesem Kontext, spielt das (scheinbar) naive Starlet grandios.
Überhaupt ist »billig« ein passender Begriff für den gesamten Film, dies aber nicht unbedingt im schlechten Sinne. The Substance fühlt sich größer an als er ist, zeichnet ein umfassendes Bild von Hollywood/ dem Showbusiness, spielt aber zum allergrößten Teil in den immer gleichen geschlossenen Räumen: Elisabeths Apartment und das Fernsehstudio.
Beide Orte sind offensichtlich durchdesignt, wirken dennoch seltsam leer.
Die Bildgestaltung passt sich
daran an, die Werbe-Clip-Ästhetik schwankt immer wieder zwischen gelungenen Ästhetisierungen und blassen, künstlichen Bildern; etwa den trashigen Überblendungen oder den Video-Art-Einblendungen.
Auch das passt zum B-Film, das Ignorieren eines hohen Detailgrads, das Verweigern einer realitätsnahen Nachbildung von Lebenswelten. Es ist ein Auskommen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, immer wieder aufgebrochen durch Stand-Out-Szenen. In diesem Fall sind es die Horror-
und Gewaltszenen, die handwerklich perfekt gestaltet sind. In diesem Momenten findet der Film wirklich zu sich, die Deformationen sind ernsthaft ekelerregend und brutal, weit entfernt von einem sterilen Design-Zitat vergangener Genre-Tage. Stattdessen scheint sich Fargeat neben eben jenen positionieren zu wollen, gerade der oben erwähnte (junge) De Palma erscheint wie ein geistiges Vorbild. Mit ihm teilt sie sich den betulichen Aufbau eines Plots, der dann immer wieder ins Absurde
abrutscht, bis er völlig entgleist.
Anders als jener verweigert Fargeat dem Publikum jedoch, ihren Film als 90- oder 100-minütiges Spektakel wahrzunehmen. The Substance hat eine ausladende Laufzeit von 140 Minuten, verbindet seine grundsätzlich simplen und schnellen Themen mit dem Hang zur großen Geste.
Gerade im zeitlichen Kontext wirkt das interessant: Die Etablierung Qualleys als next big thing, der Einsatz von Demi Moore und natürlich die große Cannes-Premiere – alles im
Rahmen eines billigen, dreckigen Horrorfilms.
Ob darin nun der große Kommentar zu unserer Zeit steckt, sei einmal dahingestellt. Faszinierend ist es allemal.