USA 2021 · 107 min. · FSK: ab 6 Regie: Sarah Smith, Jean-Philippe Vine, Octavio E. Rodriguez Drehbuch: Peter Baynham, Sarah Smith Musik: Henry Jackman Schnitt: David Burrows, James Cooper, Sim Evan-Jones |
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Aller Anfang ist schwer... | ||
(Foto: The Walt Disney Company (Germany) GmbH) |
Freundschaft ist keine Einbahnstraße. – Ron läuft schief
Die Anfangsszene erinnert an die zum Riesen-Event hochgejazzten Produktvorstellungen einiger Medienkonzerne: Tobendes Publikum, leere Bühne, Auftritt des charismatischen Jung-CEOs von »Bubble« und – im Hintergrund – der in die Jahre gekommene Firmengründer im zu engen Shirt. (Witzig!) Auf diese Weise wird der neue »B-Bot«, der knallbunte Rundum-Sorglos-Spiel-und-Medien-Roboter für Kinder und Jugendliche, der Welt präsentiert und gleich mehrfach ins Publikum eingeflogen. Unendlicher Spaß ist mit dem personalisierten elektronischen besten Freund vorprogrammiert!
Ron läuft schief ist das animierte Filmdebüt des Londoner Filmstudios Locksmith Animation von Sarah Smith und Julie Lockhart. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Animation ist großartig, die Action temporeich und rasant!
Die Hauptfigur ist Barney, ein schüchterner Junge und Halbwaise, der mit seinem Vater, einem erfolglosen Gadget-Erfinder, und seiner temperamentvollen russischen Großmutter ein recht einsames Dasein fristet. Denn: Barney hat keine
Freunde. Er ist anders. Er hält ein Referat über Steine, was gar nicht cool ist. Und was am schwersten wiegt: Schon auf dem Weg zur Middle School wird deutlich, dass alle Kinder außer ihm den neuen »B-Bot« haben und auf ihm fahren, skaten und fast fliegen können, während dieser nebenbei Selfies von ihnen macht. Barney fährt mit dem Roller. Mit Muskelkraft betrieben. Schnell wird das bekannte Bild des typischen liebenswerten Losers skizziert, der gemobbt, belächelt und mit wenig hilfreichen
Unterstützungsangeboten seitens der Lehrerschaft – wie einer Pausenbank speziell für Schüler ohne Freunde – traktiert wird. Endlich versteht es auch sein Vater, dass ein normales soziales Leben ohne einen B-Bot nicht möglich zu sein scheint und besorgt ihm immerhin ein Ausschuss-B-Bot-Modell: Ron. Dieser defekte, farblose, unendlich langsam sich aufladende und nur offline existierende kleine Robot entpuppt sich als absolutes Herzstück des ganzen Films. Denn er ist (auch
im technischen Sinn) absolut unabhängig, individuell lernfähig und ja: »menschlich«, wenn er zum Beispiel den Anführer der kleinen Mobber-Gang vermöbelt, weil seine Sicherheitsfunktion nicht aktiviert ist oder er andere Fehler macht. Ron wird nicht nur die einzige echte Bezugsfigur für Barney, die ihn zum ersten Mal Gemeinschaft, Spaß und Zugehörigkeit erleben lässt, sondern der kleine Roboter stürzt auch die perfekt designte und vom Bubble-Konzern gesteuerte
Mainstream-Media-Welt der Schulkinder nach und nach ins Chaos. Und vor allem: Die Handlung um Ron ist witzig, unvorhersehbar und herrlich anarchisch, während die anderen Erzählzutaten (Außenseiter, Mobbing, Highschool Queen etc.) doch teilweise allzu bekannt und ausgelutscht wirken. Dieser frische Schwung lässt dann aber auch erzähltechnisch im letzten Drittel stark nach, wenn es nur noch um die Verfolgung von Barney und Ron und schließlich um die Rettung von Rons
»Persönlichkeit« (Daten) geht. Hier kommen wieder Erzähl- und Actionmuster zum Einsatz, die recht konventionell wirken und das Interesse erlahmen lassen können.
In diesem Kinder- und Jugendfilm werden konzentriert zahlreiche aktuelle Themen angesprochen, die in den letzten Jahren gesellschaftlich relevant und auch im Kino virulent sind. Kann ein Computerbetriebssystem die perfekte Freundin sein, fragte schon 2013 Spike Jonze in seinem Film Her. Erweitert wurde diese Frage auf humanoide Roboter u. a. in Ex Machina (2015) und Ich bin dein Mensch (2021). The Circle, an den die Eingangssequenz von Ron läuft schief erinnert, lotete 2017 die Frage nach den Grenzen des sozial komplett geteilten Lebens und dem daraus resultierenden Datenmissbrauch aus. All das klingt auch in Sarah Smiths und Jean-Philippe Vines animiertem Regiewerk an. Nimmt dieser Film damit eine medienkritische und vor Social-Media-Gefahren warnende Haltung ein? Einerseits schon, wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie schnell sich die unangefochtene Beliebtheit der Schulschönheit durch ein einziges kleines Video in Schimpf und Schande verwandeln kann. Oder wie sich in Sekundenbruchteilen alle miteinander gekoppelten Bots durch Datenübertragung mit Ron von süßen Spielpartnern in ausrastende, gewalttätige und nicht mehr steuerbare Monster verwandeln können. Auch der Aspekt der Manipulations- und Überwachungsmöglichkeiten der Medienkonzerne, auch das erinnert stark an The Circle, wird angesprochen, als sich alle Bots gleichgeschaltet auf die Suche nach den entflohenen Ron und Barney machen.
Andererseits suggeriert das Ende, als der vom fiesen alten Firmengründer zwischenzeitlich entmachtete junge CEO wieder die Kontrolle zurückerlangt hat, dass es nur auf die richtige Programmierung und die richtige Einstellung ankommt, damit alle medialen Gefahren abgewendet werden. Das ist dann doch sehr optimistisch.
Nachdenklich stimmt auch, was der Film zum Thema Freundschaft und Anerkennung zu sagen oder besser nicht zu sagen hat. Wenn Barney am Ende des Films mit den angesagtesten Kids der Schule auf einer Bank sitzt und sich über die Schulpsychologin lustig macht, ist er nicht mehr der Außenseiter vom Anfang des Films, er hat es geschafft. Aber wie ist er dahin gekommen? Und: Befindet er sich wirklich in guter Gesellschaft? Zusammen mit dem fiesen Obermobber, mit der Social-Media-abhängigen Opportunistin? Sind die jetzt plötzlich bessere Menschen geworden? Will Barney einfach nur dazugehören, egal um welchen Preis? Und war der Weg dorthin einfach nur die mediale schulüberschreitende Aufmerksamkeit? Sind das die Botschaften an die Kinder von heute?
Dass sich rückblickend tatsächlich der kleine Roboter Ron als der beste Freund erweist, den Barney hatte und wohl auch haben wird – ist das die ernst gemeinte Aussage? Denn Barney programmierte diesen ja so, wie er ihn haben wollte. Auch wenn er am Ende entdeckt, dass Freundschaft keine Einbahnstraße ist und er sich für seinen elektronischen Kumpel einsetzt, um ihn vor dem digitalen Nirwana zu retten, bleibt doch die Diagnose der menschlichen Beziehungen desaströs: Vergiss die anderen Kinder, programmiere dir deinen eigenen Freund!
Nostalgisch mag man da an E.T. – Der Außerirdische denken, an eine galaktische Freundschaft oder an Freundschaften zwischen Yetis und Menschen (Smallfoot – Ein eisigartiges Abenteuer) oder zwischen Drachen, Kobolden und Menschen (Drachenreiter).