Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

D/F 2022 · 118 min. · FSK: ab 6
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch:
Kamera: Andreas Höfer
Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Abdullah Emre Öztürk u.a.
Aus der Provinz in die weite Welt
(Foto: Pandora)

Beißen ohne zu bluten

Nach seinem Provinzmeisterwerk Gundermann entscheidet sich Dresen dieses Mal für eine bizarre Mischung aus Provinzposse und Justizdrama

Der Fall Murat Kurnaz ist ein sehr deutsches und sehr trauriges, aber auch wütend machendes Guan­ta­namo-Kapitel, mit dessen Unge­rech­tig­keiten sich nicht nur zwei Unter­su­chungs­aus­schüsse des Bundes­tages beschäf­tigten, sondern auch ein CIA-Sonder­aus­schuss des Euro­päi­schen Parla­ments, der in seinem Abschluss­be­richt im Januar 2007 fest­stellte, dass die deutsche Bundes­re­gie­rung 2002 ein Angebot der Verei­nigten Staaten, Kurnaz frei­zu­lassen, tatsäch­lich ausge­schlagen habe und damit Kurnaz' Haftzeit in Guan­ta­namo um weitere vier Jahre verlän­gert hat.

In seinem Spiel­film­debüt 5 Jahre Leben hat Stefan Schaller 2013 Kurnaz' 2007 erschie­nene Auto­bio­grafie zu einem dichten Isola­ti­ons­haft-Kammer­spiel des Grauens trans­for­miert, in dem Kurnaz' Mutter Rabiye, darge­stellt von Şiir Eloğlu, nur am Rande vorkommt. Andreas Dresen hat sich nach zahl­rei­chen Gesprächen mit allen Betei­ligten mit seiner Dreh­buch­au­torin Laila Stieler dieses Randes ange­nommen und daraus einen Film gemacht, der weit weg von Schallers Grauen ist und weit weg von vergleich­baren thema­ti­schen Ausein­an­der­set­zungen mit der Recht­lo­sig­keit und den an Gefan­genen began­genen Verbre­chen in ameri­ka­ni­schen Gefan­ge­nen­la­gern der Post-9/11-Zeit, etwa Paul Schraders Anfang März diesen Jahres ange­lau­fener The Card Counter, der das trau­ma­ti­sierte Täter­um­feld von Abu Ghraib ins Zentrum der Erzählung stellte.

Anders als Schrader und Schaller lagern Dresen und Stieler Täter und Opfer aus und beschäf­tigen sich statt­dessen mit dem Alltag der Mutter des Opfers, mit Rabiye Kurnaz, darge­stellt von Meltem Kaptan, die dafür bei der dies­jäh­rigen Berlinale mit dem Preis für die beste Haupt­dar­stel­lerin ausge­zeichnet wurde, so wie Laila Stieler mit dem Preis für das beste Drehbuch belohnt wurde. Ein Drehbuch, das wohl auch deswegen ausge­zeichnet wurde, weil es einen riskanten Spagat zwischen deutscher Komödie und ameri­ka­ni­schem Justiz­drama wagt. Denn Rabiye wird auf der einen Seite als eine deutsch-türkische Mutter Beimer insze­niert, die nicht weiter von Şiir Eloğlus Rabiye-Darstel­lung in 5 Jahre Leben entfernt sein könnte, und in ihrer derben Burles­ken­haf­tig­keit, der Bedienung von migran­ti­schen Stereo­typen und der belang­losen filmi­schen Ästhetik sogar näher an der deutschen TV-Komödie als der deutschen Kino-Komödie ist, obwohl es hier seit eh und je schmerz­hafte Über­schnei­dungen gibt.

Aber Dresen inte­griert über Rabiyes Menschen­rechts­an­walt Bernhard Docke, der von Dresens »Gunder­mann« Alexander Scheer herrlich verschroben darge­stellt wird, eine zweite Erzäh­le­bene, das Justiz­drama. Doch wer hier jetzt viel­leicht den Ernst und die drama­tur­gi­sche Konse­quenz, also das Drama erwartet, wie es etwa Steven Soder­bergh in einer ähnlichen Klienten-Anwalt-Konstel­la­tion in Erin Brock­ovich geleistet hat, der dürfte enttäuscht werden. Denn als ob nichts gewesen wäre, geht es so weiter wie auf der Alltags­ebene, die aller­dings um ein paar melo­dra­ma­ti­sche Momente erweitert wird. Das ist dann und wann – etwa als Rabiye ihre Rede in Washington hält – auch berührend, gleitet aber auch hier viel zu schnell wieder ins komö­di­an­ti­sche Fach ab. Ein Vorgehen, dass auch Dresens Timm Thaler oder das verkaufte Lachen (2016) immer wieder vom Kern der Geschichte wegge­rissen hat.

Dadurch verliert Dresens Film nicht nur seinen poli­ti­schen Impetus, sondern wirkt wie ein unaus­ge­go­rener Hybrid zweier Genres, die sich beißen, ohne dabei zu bluten. Statt­dessen kommt immer wieder Lange­weile auf, denn die Jahre bis zu Kurnaz' Frei­las­sung müssen schließ­lich über immer wieder einge­blen­dete Datums­blöcke auser­zählt werden, ohne dass im Grunde viel passiert. Da war Schaller in seinem Täter-Opfer­por­trät erheblich konse­quenter – er bricht mit seiner Erzählung ab, als Kurnaz noch zwei Jahre Haft vor sich hat. Und auch Paul Schrader, der letzt­end­lich einen souver­änen Hybrid aus seinem Thema emulgiert, weiß genau um die Gefahr für Redun­danzen bei einem poli­ti­schen Film, der auch ein »Spieler«-Film sein soll.

Was nach Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush am Ende aber doch bleibt, ist immerhin der Versuch, ein weiterhin und wohl auch in Zukunft aktuelles Thema auf unkon­ven­tio­nelle Art und Weise aufge­griffen zu haben. Und daran erinnert zu haben, wie wichtig es ist, poli­ti­sche Entschei­dungen und die Fassade dessen, was Recht und Unrecht ist, über eine lebendige Zivil­ge­sell­schaft zu hinter­fragen.

Mutter Beimer in Guantanamo

Andreas Dresens Film über den »Fall Kurnaz« vereint politische Absicht und unpolitisches Filmemachen

»Die Unsitte aber, ein Kunstwerk ausschließ­lich auf seinen kriti­schen Gebrauchs­wert hin durch­zu­mus­tern, es auf dem Prüfstand entweder einer subjek­tiven 'Betrof­fen­heit' oder eines flachen Sozi­al­kri­ti­zismus zu messen, unter­gräbt gewis­ser­maßen die frei­heit­lich symbo­li­sche Grund­ord­nung der Kunst.« – Botho Strauß, »Paare, Passanten«, 1981

Alle lieben Andreas Dresen. Aber es wird nichts mehr mit Dresen und mir – die Liebe will einfach nicht wachsen.

Aber alle anderen lieben ihn. Scheinen ihn zumindest zu lieben. Das entnehme ich den Rezen­sionen, die jetzt zu diesem Film erscheinen, und die durchweg in einem Maße positiv sind, dass man es nicht fassen kann ange­sichts des Films, der einem dann wirklich auf der Leinwand entge­gen­dö­delt.
Die einzige sehr lobens­werte Ausnahme ist wieder einmal Peter Körte in der FAS. Sehr kurz und irgendwie ein bisschen verschenkt sieht die Kritik aus, aber sie ist lang genug für den Film und geht auf den Punkt: »erschüt­ternd brav und auch ein wenig naiv« lautet das Fazit.

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Ob Frank Walter Stein­meier wohl Zeit findet, ins Kino zu gehen? Norma­ler­weise könnte er sich da von der Ukraine-Krise und den Diffa­mie­rungen durch seine poli­ti­schen Gegner erholen. Zumindest diese Woche würde Stein­meier aber auch im Kino kaum richtig glücklich werden. Denn nun kommt Andreas Dresens Film Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush ins Kino, und der erinnert an eine, nun ja, dunkle Seite in Stein­meiers Vergan­gen­heit. In der Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder war Stein­meier ja dessen Kanz­ler­amts­mi­nister, und unter anderem dafür verant­wort­lich, dass der unter falschen Voraus­set­zungen im US-Lager Guan­ta­namo inhaf­tierte deutsche Staats­bürger Murat Kurnaz erst vier Jahre zu spät befreit wurde.

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Dieser Teil von Kurnaz' Schicksal – die skan­dalöse Verschlep­pung und öffent­liche Verdrän­gung der Ange­le­gen­heit durch deutsche Behörden – ist ein Erzähl­strang unter mehreren in Andreas Dresens neuem Film und sozusagen dessen mora­li­scher Kern. Überhaupt der einzige Kern, wenn man ehrlich ist. Es handelt sich nämlich trotzdem nicht um einen Polit­thriller, sondern eher um ein emotio­nales und schwer mora­li­sie­rendes Drama, das seinem ernsten Thema zum Trotz sich vor allem als Komödie präsen­tiert, und tatsäch­lich gewisse fröhliche Seiten hat – Humor, soge­nannte »Menschen­freund­lich­keit« (aka Huma­nismus) und ein fast zu nied­li­ches Grund­ein­ver­ständnis mit der Welt sind seit Halbe Treppe Dresens Marken­zei­chen.

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Wäre der Film nur als Film ein bisschen inter­es­santer! Filmisch aber handelt es sich vor allem um eine stilis­tisch überaus ideenlose Illus­tra­tion des jahre­langen Kampfes von Kurnaz' Mutter und deren Bremer Anwalt um Gerech­tig­keit vor der ameri­ka­ni­schen Justiz.
Aber Dresen reduziert diese im realen Leben bestimmt spannende Frau auf eine türkische Mutter Beimer; sie spricht Akzent, sie »hat das Herz auf dem rechten Fleck«, sie macht nichts falsch, sie kümmert sich um alles, ihre Jungs beschützt sie aber sowas von..., ihrem Mann sagt sie die Meinung, und ihr Apfel­ku­chen ist unver­gleich­lich gut.

Es ist alles ein bisschen banal, es ist sehr mensch­lich, und wenn man dieses Mensch­liche banal nennt, dann wirkt das zynisch. So ist es aber nicht gemeint. Sondern es ist im Gegenteil ein sonder­bares Menschen­bild, wenn man glaubt, dass nur in der Banalität das Mensch­liche aufscheint. Oder gerade da.

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Immerhin: Andreas Dresen hat auch einen Film über die subtilen Paral­lelen gemacht, die sich zwischen dem damaligen inzwi­schen über 20 Jahre alten Fall Kurnaz und unserer Gegenwart eröffnen.

Denn vergessen wir nicht, was heute erwiesen ist und was man damals nicht nur im Main­stream der Medien als »Lügen­pro­pa­ganda« gebrand­markt hatte: Es gab eine Zeit, da unter­stützte die komplette westliche Welt einen soge­nannten »Krieg gegen den Terror«, bei dem eine soge­nannte demo­kra­ti­sche Regierung bewusst gefälschte Unter­lagen bei der UNO vorlegte, um gewünschte Beschlüsse zu erreichen. In der mani­pu­liert und mit Fake-News, mit falschen Zeugen, mit falschen »Experten« gear­beitet wurde. Und in der Folge wurde ein Land ange­griffen und mit Krieg überzogen, das nicht das Geringste mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte.
Es gibt nach wie vor ein demo­kra­ti­sches Land, das mit unserem Land nach wie vor verbündet ist. Dieses Land hat gefoltert, es unterhält auch in Europa offiziell Geheim­ge­fäng­nisse, die keiner Juris­dik­tion unter­liegen, und es unterhält ein Lager auf dem Gebiet eines fremden Staates, für das die US-Justiz nicht zuständig ist und über das der US-Präsident offen­sicht­lich keinerlei Macht­be­fugnis besitzt – denn es liegt ja im Ausland –, ein Ort, an dem 1500 Soldaten 39 Häftlinge bewachen, (was den US-Steu­er­zahler nach­weis­lich pro Jahr 13 Millionen Dollar pro Gefan­genen kostet). Gegen diese Gefan­genen liegt keine Anklage vor. Gegen sie gibt es keinen Prozess; ihre Haft­be­din­gungen werden nur selten und schlecht von unab­hän­gigen Orga­ni­sa­tionen kontrol­liert, und deren Gefan­gen­schaft endet womöglich erst mit ihrem Tod.

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Es fällt schwer, beim Betrachten von Dresens Film nicht an einigen Stellen an die heutige außen­po­li­ti­sche Lage und zum Beispiel an den aktuellen Ukraine-Konflikt zu denken. Und an all das, was wir heute als Gewiss­heit ansehen. Warten wir mal ab, was hierüber in 20 Jahren gesagt werden wird.

Dies ist nicht zuletzt auch ein Film darüber, wie die Öffent­lich­keit mani­pu­liert wird, und wie sie sich mani­pu­lieren lässt. Hier liegt die unbe­dingte Aktua­lität und relative Stärke dieses Stoffes.

Der Rest... Nun ja. Dieser Film häuft Szenen und Befunde aufein­ander, zieht aber keinerlei Konse­quenzen daraus. Er ist weder gegen den Rechts­staat, noch für ihn. Er nimmt eigent­lich für nichts wirklich Partei – natürlich ist irgendwie schon klar, wo der Film politisch steht. Aber Dresen versagt sich alles Bekenntnis.

»Wir müssen uns den Rechts­staat zenti­me­ter­weise erkämpfen«, sagt der von Alexander Scheer glänzend gespielte Bremer Anwalt, der jahrelang für Gerech­tig­keit für Murat Kurnaz kämpfte. Aber was bitte sagt das eigent­lich über den Rechts­staat?

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Es gibt auch einen Zynismus, der ungewollt ist. Der einem gewis­ser­maßen aus Versehen unter­läuft, viel­leicht ohne dass man es merkt. Das macht es aller­dings nicht besser. Und genau diese Art von Fehlern aus Versehen ist es, die Andreas Dresen hier am laufenden Band passieren.
Ich kenne Leute, die diesen Film rassis­tisch finden in seiner Art, wie er Türken und türki­sches Leben zeigt. Ich glaube, das stimmt, obwohl Dresen und die Macher ganz bestimmt keine Rassisten sind. Ihnen passiert da was, und kein Sensi­ti­vity-Coach hat ihnen erzählt, dass man eine türkische Mutter auch anders zeigen könnte.

Der Coach hätte aller­dings die grund­sätz­li­chen Probleme des Films sowieso nicht beheben können. Er hätte ja all den Machern und vielen betei­ligten Geld­ge­bern erklären müssen, warum viel­leicht Guan­ta­namo, wenn man es ernst­nehmen will, doch kein Thema für eine Komödie ist, und warum es nervt, dass Mutti Merkel hier jetzt plötzlich als der Engel erscheint, der Murat Kurnaz aus dem US-Konzen­tra­ti­ons­lager befreit, in dem ihn die bösen Sozis haben schmoren lassen – Stein­meier und Schröder auch hier wieder, wahr­schein­lich in Absprache mit Putin.

So ist dies eigent­lich in all seinem guten Willen ein wirklich schlimmer Film. Er ist schlimm, gerade weil er nicht offen­sicht­lich schlecht ist. Wie gesagt: es wird nichts mehr mit der Liebe zu Dresen.