Parallele Mütter

Madres paralelas

Spanien 2021 · 123 min. · FSK: ab 6
Regie: Pedro Almodóvar
Drehbuch:
Kamera: José Luis Alcaine
Darsteller: Penélope Cruz, Milena Smit, Aitana Sánchez-Gijón, José Javier Domínguez, Rossy de Palma u.a.
Die Steigerung von »Mutter«: Mütter
(Foto: Studiocanal)

Parallelen, die sich schneiden

Pedro Almodóvars modernes Melodram Parallele Mütter erzählt auf raffinierte und unerwartete Weise von den Nachwehen der Franco-Zeit

»All women become like their mothers. That is their tragedy. No man does. That’s his.«

(Oscar Wilde)

Man kann dem Eröff­nungs­film der Inter­na­tio­nalen Fest­spiele von Venedig 2021 sicher­lich vorwerfen, dass die Handlung zu konstru­iert wirkt (Drehbuch: Pedro Almodóvar), aber wen kümmert’s, wenn die Schau­spie­le­rinnen ihr so viel Leben einhau­chen, dass man zwei Stunden gebannt dabei zuschaut. Penélope Cruz und Milena Smit spielen großartig, sie sind wunder­schön, berührend, in ihrer Natür­lich­keit absolut glaub­würdig.

Einge­bettet ist die Geschichte zweier Mütter, die sich auf der Entbin­dungs­sta­tion kennen­lernen, von einem höchst poli­ti­schen Thema – dem bitteren Erbe der Franco-Zeit. Der Anfang: Die fast vier­zig­jäh­rige Werbe­fo­to­grafin Janis (Penélope Cruz) bittet nach einem Foto­termin den foren­si­schen Anthro­po­logen Arturo (Israel Elejalde – der in manchen Einstel­lungen Javier Bardem, dem Ehemann von Cruz, verdammt ähnlich sieht), das ungeöff­nete Massen­grab ihres Urgroß­va­ters auszu­heben, damit die Leiche ein würdiges Grab erhalten kann. In der Franco-Ära wurde er, wie viele tausend andere Spanier, von Falan­gisten abgeholt und getötet. Mit dieser Exhu­mie­rung und der sich anschließenden Trau­er­feier schließt dann der Film und errichtet damit diesen immer noch gern verdrängten Verbre­chen ein filmi­sches Mahnmal.

Aus dem Kennen­lernen von Arturo und Janis wird schnell eine Affäre, aus dieser erwächst ein Kind. Im Kran­ken­haus trifft Janis dann auf die 17-jährige Ana, sie freunden sich ein wenig an, entbinden zeit­gleich (Paral­lel­füh­rung mit drama­ti­scher Kammer­musik) und tauschen später ihre Tele­fon­num­mern aus. Beide Mütter haben wenig Unter­stüt­zung. Janis, weil sie mit Arturo in keiner festen Beziehung lebt (er ist verhei­ratet), und Ana, weil der Vater des Kindes unbekannt ist und ihre eigene Mutter an ihre gerade ins Rollen kommende Thea­ter­kar­riere denkt. Almodóvar nimmt sich die Zeit, die typischen Probleme des Allein­er­zie­hens, der Berufs­tä­tig­keit und der Kinder­ver­sor­gung in einer Großstadt zu zeigen, bevor sich dann langsam bei Janis erste Zweifel an der Herkunft ihres Kindes regen, als Arturo beim Anschauen des Mädchens bezwei­felt, der Vater zu sein. Sie beginnt nun, ihre eigene Wahr­neh­mung des Kindes zu hinter­fragen. Gibt es eine eindeu­tige Intuition bezüglich des eigenen Nach­wuchses? Um sich Gewiss­heit zu verschaffen, macht Janis schließ­lich einen Gentest von sich und ihrer Tochter.

Die weitere Handlung soll an dieser Stelle nicht erzählt werden, weil sie ein paar Über­ra­schungen bereit­hält. So viel sei verraten, dass im weiteren Verlauf die wech­sel­volle Freund­schaft zwischen Janis und Ana im Mittel­punkt steht und den Zuschauer fesselt. Unauf­dring­lich leuchtet der Film dabei viele Aspekte des Mutters­eins anhand dieser zwei so unter­schied­li­chen Frau­en­schick­sale aus: Freude auf die neue Aufgabe auf der einen Seite, Über­for­de­rung und Konfusion auf der anderen. Unter­stüt­zung durch eine Freundin – gespielt vom Almodóvar-Star Rossy de Palma – und das Fehlen der gerade für die junge Ana so wichtigen Unter­stüt­zung durch ihre Eltern. Aber auch deren Mutter Teresa (Aitana Sánchez-Gijón) kommt zu Wort und hat ihre guten und durchaus nach­voll­zieh­baren Gründe für ihre Entschei­dung, sich endlich ihrer eigenen Thea­ter­kar­riere widmen zu wollen. Janis, benannt nach Janis Joplin, ist sich von Anfang an darüber im Klaren, dass sie die Erziehung allein durch­ziehen muss, da ihre Hippie-Mutter bereits mit 27 Jahren an einer Überdosis starb – ein nicht weiter ausge­führtes Melodram im Melodram. Sie wuchs bei ihrer Groß­mutter auf, die, wie bei so vielen Familien, die Mutter ersetzte. Unauf­dring­lich wird hier mit dem histo­ri­schen Rahmen die Tradition der allein­er­zie­henden Mütter und Groß­mütter thema­ti­siert, die in der Franco-Ära begann, als viele Männer ihren Familien brutal entzogen wurden, und die bis heute fortwirkt.

Aber diese indi­vi­du­ellen Geschichten, aber auch gesell­schaft­li­chen und psycho­lo­gi­schen Bedin­gungen des Mutters­eins, bleiben keine isolierten Puzzle­teile, sondern werden von der Klammer der drama­ti­schen Entwick­lung zusam­men­ge­halten, was Almo­dó­vars Werk eine mitreißende Saug- und Sogwir­kung verleiht. Auch klingen leise biblische oder an Sagen erin­nernde Bezüge an, wenn es um die unge­klärte Mutter­schaft geht.

Fast unnötig zu sagen ist, dass der Film vom Vorspann bis zum Abspann visuell perfekt in Szene gesetzt ist. Sorg­fältig kompo­niert die Farben, die Inte­ri­eurs, die Blick­winkel – begleitet werden die Hoch­glanz­bilder von der drama­ti­schen Musik der Streich­in­stru­mente (Musik: Alberto Iglesias). Zu schön die Darstel­le­rinnen, auch nach dem Aufwachen, werden manche fest­stellen, zu konstru­iert die Tableaus, zu hart die Schnitte zwischen den Szenen, kann man monieren. Alles richtig, typisch Almodóvar eben. Trotzdem, und das ist ein großer Unter­schied zu manchen seiner anderen Filme (abgesehen von seinen sehr auto­bio­gra­phi­schen Werken wie Leid und Herr­lich­keit oder La mala educación – Schlechte Erziehung), sind hier die Gefühle der Prot­ago­nisten zu jeder Zeit einfühlbar, psycho­lo­gisch nach­voll­ziehbar und mit sehr realen Begleit­ge­schichten ausge­stattet.

Der Schluss muss aber Penélope Cruz gewidmet sein, einer der Musen des spani­schen Regis­seurs, die in seinem letzten Film Leid und Herr­lich­keit seine Mutter verkör­pern durfte und die sich anschickt, es an zeitloser Schönheit mit solchen Ikonen wie Jeanne Moreau, Sophia Loren oder Claudia Cardinale aufzu­nehmen. Wie viel Unrecht hat man ihr früher angetan, wenn sie in ameri­ka­ni­schen Filmen in der deutschen Synchro­ni­sie­rung mit ihrem unbe­hol­fenen Pseudo-Akzent übersetzt wurde. So kann man nur dazu raten, sich wenn immer möglich das spanische Original anzusehen und anzuhören, weil ihre Stimme und ihre Sprache einfach zu ihrer faszi­nie­renden Ausstrah­lung dazu­gehören.

Nichts geht über Mutter

In Pedro Almodovárs Parallele Mütter gehen Blutsbande, die Freundschaft zwischen drei Frauen und die Erinnerung an ein historisches Erbe Hand in Hand

Eine Geburt im Kino, und zwar eine doppelte. Voraus geht diesem Moment die Begegnung zwischen zwei Frauen, Janis und Ana, die sich in dem Kran­ken­haus­zimmer kennen­lernen, in dem sie entbinden. Beide haben bei allen Unter­schieden Gemein­sam­keiten. Sie sind unver­hei­ratet und wurden ungeplant schwanger.

Janis, mittleren Alters, bereut nichts und ist in den Stunden vor der Geburt über­glück­lich; Ana ist dagegen ein Teenager, verängs­tigt, reumütig und trau­ma­ti­siert. Janis versucht, sie aufzu­mun­tern, während sie den Kran­ken­haus­flur entlang wandeln. Die wenigen Worte, die sie in diesen Stunden austau­schen, knüpfen ein sehr enges Freund­schafts­band zwischen den beiden, das sich nach der Geburt der Kinder fortsetzt, entwi­ckelt und verkom­pli­ziert, und durch einen bloßen Zufall das Leben beider auf drama­ti­sche Weise verbindet.

Doch die Story dreht sich nicht allein um diese »paral­lelen Mütter«, die überdies irgend­wann noch entdecken, dass ihre Kinder bei der Geburt vertauscht wurden, und die über dieses Schicksal sogar für eine Weile zum Liebes­paar werden.

Gleich­zeitig rückt der Regisseur nämlich einen Teil der Erin­ne­rung der spani­schen Geschichte ins Licht der Öffent­lich­keit zurück, die viele immer noch aus dem Gedächtnis der Nation löschen wollen: Der Hinter­grund und das emotio­nale Herz des Films ist die Rahmen­hand­lung, die sich um den Spani­schen Bürger­krieg (1936-39) dreht, eine Vergan­gen­heit, die in Spanien nicht vergehen will.

Denn das Land streitet bis heute darüber, ob man dem Schicksal der über 100.000 Menschen, die meisten Männer, nach­for­schen soll, die seiner­zeit von Francos Faschisten verschleppt, ermordet und oft genug in Massen­grä­bern unter irgend­wel­chen Wiesen und Äckern verscharrt wurden. Bis heute kennt man viele dieser Massa­ker­orte und Grab­stätten nicht – Penélope Cruz spielt nun die Enkel­tochter eines solchen Verschwun­denen, die Aufklä­rung will.

In einem Dialog heißt es dann irgend­wann von der älteren zur jüngeren der zwei Frauen, die die heutige, unbe­fan­gene Genera­tion der Unwis­senden mit gutem Gewissen verkör­pert: »Jetzt weißt du mal, in was für einem Land du lebst, was für Schick­sale da alle versteckt worden sind. Die Geschichte wird nie enden, wenn die Wahrheit nicht zutage kommt, wenn die Toten nicht anständig beerdigt werden, wenn die Verbre­chen nicht ausge­spro­chen werden.«

Parallele Mütter unter­streicht die Bedeutung der Bewahrung des histo­ri­schen Gedächt­nisses für die Heraus­bil­dung eines kollek­tiven Bewusst­seins und scheut sich nicht vor ein paar poli­ti­schen Seiten­hieben.

Weil sie sich in ihrem Berufs­leben als bekannte Foto­grafin zugleich in der glamourösen Modewelt bewegt, gibt das diesem Film zugleich die Gele­gen­heit zur Leich­tig­keit: Wir sehen und erleben in allerlei Form die Schau­werte und die unmit­tel­bare Sinn­lich­keit, wie sie dieser Regisseur so liebt: Schöne, origi­nelle Menschen, die ein liber­täres Leben führen. Dieser Film ist im besten Sinn »typisch Almodóvar«: Mit seinen schrillen Typen, seinen kunter­bunten Kulissen, melo­dra­ma­ti­scher Musik (der intensive und melan­cho­li­sche Sound­track von Alberto Iglesias harmo­niert wie immer perfekt mit Handlung und Gefühlen) und Gesten »over the top«. Die gewollte Künst­lich­keit wird durch mitunter bewusst hölzerne Dialoge noch unter­stri­chen.

Am Ende ist dieser virtuos erzählte, unter­halt­same Film eine weitere Hommage Almo­dó­vars an die Frauen, aber auch an die Wurzeln, die wir alle in unseren Müttern, unseren Vorfahren, unserer Geschichte in uns tragen, und an all die Auswir­kungen, die dieses Erbe bei der Konstruk­tion unserer Persön­lich­keit, unserer Träume und Ambi­tionen hat.

Alles über meine Mutter – so hieß schon vor 20 Jahren einer der bis heute bekann­testen und besten Filme von Pedro Almodóvar. In seinem neuen Film kehrt der spanische Regisseur hier also einer­seits einmal mehr zu dem Thema seines Kinos zurück, das letztlich dessen Zentrum bildet: Frauen, und zwar Mütter. Dabei hebt er besonders dieje­nigen hervor, die allein­er­zie­hend sind, unab­hängig leben wollen, dabei nicht aufgeben.
Wieder spielt auch Penélope Cruz die Haupt­rolle. Cruz und Almodóvar sind seit nunmehr fast drei Jahr­zehnten mehr als Muse und Mentor, nämlich künst­le­ri­sche Partner auf Augenhöhe. Auch das zeigt dieser schöne, aufwüh­lende, unter­halt­same Film ausge­zeichnet.

Die Geschichte ist nicht stumm

In Pedro Almodóvars Parallele Mütter verschieben sich die Gesteinsschichten von individueller Herkunft und spanischer Geschichte auf meisterliche Weise

Für Javier.

»We should all be feminists.« Penélope Cruz steht als eine von den beiden Müttern – Janis und Ana –, die Pedro Almo­dó­vars neuem Film Parallele Mütter den Titel verliehen haben, in der Küche am Herd und kocht. Natürlich Tortilla, das spanische Natio­nal­ge­richt neben dem Gazpacho, dem Almodóvar schon einmal, in Frauen am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, ein Denkmal gesetzt hat. Auf Janis’ T-Shirt prangt der Spruch, den sich einst Dior als Antwort auf »Me too« für die Pariser Fashionweek ersonnen hatte. Ein subtiler Witz entsteigt dieser Mischung aus plaka­tierter Eman­zi­pa­tion, atem­be­rau­bend gut ausse­hender Hausfrau und spani­scher Tortilla, die goldgelb auf einen Teller gestürzt wird.

Janis bekocht die junge Ana (Milena Smit), die sie kennen­ge­lernt hat, als beide gleich­zeitig im Kran­ken­haus zuerst ihre Wehen wegge­atmet und dann parallel entbunden haben. Sie sind ungleiche Mütter, könnten selbst Mutter und Tochter sein: die eine fast vierzig, die andere erst siebzehn. Beide haben keinen Vater für ihr Kind. Und natürlich werden die Babys vertauscht, ein nicht gezeigter Akt der Grund­stein­le­gung für den Film.

Jetzt soll Ana bei Janis einziehen und sich um das Baby von Janis (das ja eigent­lich ihres ist) kümmern. Ana kommt wie Janis aus einem Haus, wo es eine Haus­häl­terin gibt, und wo es, wie bei Janis, nie an Geld gemangelt hat. Die Menschen in Madrid, von denen Almodóvar erzählt, gehören dem scheinbar sorglosen, gehobenen Mittel­stand an, in dem die größte Kränkung darin besteht, wenn die Thea­ter­gruppe auf Tournee in die Provinz geschickt wird. So passiert es Anas Mutter, die als Thea­ter­schau­spie­lerin die Haupt­rolle in einem Stück von Federico García Lorca bekommen hat. Die Wohl­stands­ver­wahr­lo­sung folgt auf dem Fuß. Ana, die trau­ma­ti­siert (und schwanger) von ihrem Vater zurück nach Madrid gekehrt ist, sieht sich jetzt von der Mutter im Stich gelassen. Noch nicht einmal ein Spiegelei kann sie sich machen. Janis bringt ihr also das Kochen bei, den Auftakt macht die Tortilla.

Der Beginn von Parallele Mütter hat viele Züge einer Komödie, in der die Bilder sich liebevoll über Mütter und ihre Babys lustig machen. Ständig werden die Babys hoch­ge­hoben und die prallen Backen beschmust. Der Blick von Almo­dó­vars Stamm-Kame­ra­mann José Luis Alcaine auf die Babys ist immer ein wenig ironisch, als wären sie Kitsch-Konden­sate, Objekte der Nied­lich­keit, in denen Frauen Erfüllung und Entzü­ckung finden. Ihr Baby sei schöner als ein Ferkel­chen, bemerkt die Haus­häl­terin unver­blümt, als die schöne Janis, die auch Mode­fo­to­grafin ist, begeis­tert Aufnahmen von ihrem dicken Baby im rosa Strampler macht. »Ferkel­chen«, genau so wäre sie genannt worden, sagt die dralle Anda­lu­sierin, »und sehen Sie, wie schön ich bin«.

Das andere Aussehen wird zum absoluten Diffe­renz­merkmal, nachdem der Lover von Janis, ein foren­si­scher Archäo­loge und damit Spezia­list in Herkunfts­fragen, daran zweifelt, der Vater zu sein. Die latein­ame­ri­ka­ni­schen Gesichts­züge des Baby wollen so gar nicht ins iden­ti­täre Bild passen. Almodóvar bringt hier ganz beiläufig einen latenten Rassismus der gehobenen weißen Madrider Ober­schicht ins Spiel. Janis begründet das Aussehen des Babys zunächst durch ihren vene­zo­la­ni­schen Großvater, der irgend so ein »kolum­bia­ni­scher Drogen­händler« war. Ob Venezuela oder Kolumbien, egal: die Länder­namen sind nur Platz­halter für etwas Abge­legtes und Verdrängtes: Latein­ame­rika kommt dem weißen Mittel­stand in Madrid nur so nahe wie eine funk­ti­ons­tüch­tige Latino-Haus­häl­terin, die sich wiederum in der Wohnung von Ana zu schaffen macht.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Mutter-Baby-Verhältnis der paral­lelen Mütter bereits erodiert. Die Komödie von den vertauschten Babys, die sich im ersten Drittel des Films ankündigt, macht nun dem Almodóvar’schen Melodram Platz. Es gibt der zuvor ober­fläch­li­chen Welt der kiti­schigen Babys und der begeis­terten Mütter jetzt größt­mö­g­liche Tiefe, während sich unter dem anschwel­lenden Score von Alberto Iglesias die flächigen Grund­farben des Settings und die Buntheit der Kleidung als 50er-Jahre-Melodram-Anstrich bemerkbar machen.

Erzählt wird von der Schick­sals­haf­tig­keit und Verwo­ben­heit des Lebens, aber auch von seiner Brüchig­keit und den Leer­stellen. Der Film folgt den matriachalen Linien: Die Hippie-Mutter von Janis starb im Alter von 27 Jahren an einer Überdosis Heroin – was eine Linie zu dem »kolum­bia­ni­schen Drogen­dealer« zieht – und hat Janis nach Janis Joplin genannt. (Die, wie man weiß, ebenfalls im Alter von 27 Jahren verstarb: Almodóvar liebt solche kosmi­schen Zusam­men­hänge, die seinem Film bis in die Neben­aspekte hinein eine schwe­bende Mystik und Schick­sal­haf­tig­keit verleihen.) Janis wuchs bei ihrer Groß­mutter auf dem Land auf. Die abwe­senden Väter, Leer­stelle im Leben der Frauen, ist ein sich durch den Film hindurch­zie­hendes Motiv: Da ist der Liebhaber von Janis, der sich nicht von seiner Frau trennen will. Da ist Anas Vater, der getrennt von seiner Frau in Granada lebt und sich nicht mehr um Ana kümmern möchte. Und da ist schließ­lich der anonyme Vater von Anas Kind, der sich bei einer Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gung an Ana vergangen hat – und der Latein­ame­ri­kaner ist. Gefüllt wird die Leer­stelle schließ­lich in einer lesbi­schen, gleich­wohl assy­m­e­tri­schen Patch­work­be­zie­hung der »paral­lelen Mütter«, die beileibe kein neues Bezie­hungs­kon­zept aufwirft: die Rollen­ver­tei­lung zwischen der sich um das Kind Sorgenden und der Ernäh­rerin ist klassisch hete­ro­nor­mativ kodiert.

Und so geht es, auch wenn an dieser Stelle der biolo­gis­ti­sche Pfad verlassen wird, in Parallele Mütter am Ende weder um vertauschte Babys noch um moderne Bezie­hungs­kon­zepte. Vielmehr geht es ganz allgemein um Herkunft: Nicht nur um die indi­vi­dual-psycho­ana­ly­ti­sche, wie sonst so oft bei Almodóvar (man denke an die auto­bio­gra­fisch grun­dierten Fiktionen wie Volver, La mala educación, Dolor y gloria), auch um die ethnische und gene­ti­sche – es gibt wohl kaum einen Film, in dem so oft und so entschlossen mit Wattes­täb­chen in Mündern herum­ge­fuhr­werkt wird, um sie anschließend ins Labor zu schicken, wie in Parallele Mütter.

Das erfährt final eine Wendung zur spani­schen Geschichte. In ernster Tonlage kommt die große Tragödie des Spani­schen Bürger­kriegs zum Vorschein, und damit das eigent­liche, das große Problem des Landes und auch der satu­rierten Mittel­schicht. Janis wuchs bei ihrer Groß­mutter auf dem Land auf. Im Dorf kam es zu einem der zahl­rei­chen falan­gis­ti­schen Massaker, als Männer fest­ge­nommen und erschossen und in Massen­gräber verscharrt wurden – auf diese Weise wurde auch Federico García Lorca ermordet.

Janis lässt das Massen­grab ihres Heimat­dorfes ausheben und die Skelette iden­ti­fi­zieren. Exhumiert wird hier ein dunkler Geschichts­strang, den Spanien insgesamt wie ein Grab verschlossen hält, verdrängt wie das Blut der Kolo­nia­li­sie­rung Latein­ame­rikas. Beides bringt Almodóvar im wahrsten Sinne ans Tages­licht. So gehört der Tochter des unbe­kannten Latein­ame­ri­ka­ners das Schluss­bild. Die kleine Cecilia, benannt nach der Groß­mutter von Janis, fasst sich an den Kopf, während sie in das ausge­ho­bene Massen­grab blickt. Das Ausmaß unserer unbe­kannten Herkunft und unserer traurigen Geschichte ist nicht zu verstehen, scheint das Bild zu sagen. Aber es kommt immer zum Vorschein. Auch das sagt das Bild.

Und so schließt Almodóvar seinen Film mit einem Zitat des urugu­ay­ischen Essay­isten Eduardo Galeano, der mit seinem Hauptwerk »Die offenen Adern Latein­ame­rikas« die Kolo­nia­li­sie­rung des südame­ri­ka­ni­schen Konti­nents durch die Spanier gebrand­markt hat: »No hay historia muda. Por mucho que la quemen, por mucho que la rompan, por mucho que la mientan, la historia humana se niega a callarse la boca.« – Die Geschichte ist nicht stumm. Wie sehr wir auch versuchen, sie zu verbrennen, sie zu zertrüm­mern, sie zu verfäl­schen: Die Geschichte weigert sich zu schweigen.