Dänemark/S/NL 2016 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Thomas Vinterberg Drehbuch: Thomas Vinterberg, Tobias Lindholm Kamera: Jesper Tøffner Darsteller: Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard Neumann, Martha Hansen, Lars Ranthe u.a. |
||
Prototyp für einen Neuanfang |
Wie vielfältig Thomas Vinterberg thematisch ist, lässt sich allein schon an seinen letzten beiden Produktionen sehen, der perfiden Gruppenwahnstudie seiner Jagd und dem tiefgründigen, historisch-feministischen Emanzipationsdrama Am grünen Rand der Welt. Dass er nun mit der Bestandsaufnahme des Lebens in einer Kommune wieder etwas ganz anderes versucht, spricht für ihn, dass auch dieser Film über alle Maßen gelingt, ist allerdings erstaunlich.
Denn tatsächlich fragt man sich nach den ersten Einstellungen, warum es in unserer pragmatischen, ideologiearmen Zeit einen Kommune-Film brauchen sollte. Diese Frage beantwortet sich allerdings schnell selbst, denn lange bewegt sich die Kommune auf fast zeitlosem Niveau, fragt man sich viel eher, warum nur jedes Mitglied von Vinterbergs Wohngemeinschaft dem 1970er Retro-Look verfallen ist. Aber spätestens in dem Moment, als Erik (Ulrich Thomsen) in seinem Büro an der Uni raucht, wird klar, dass wir es hier mit einem historischen Stoff aus den mittleren 1970er Jahren zu tun haben, einer einfachen Geschichte, die im Grunde schnell erzählt ist: Erik erbt ein Haus und beschließt mit Anna (Trine Dyrholm) und der gemeinsamen Tochter Freya (Martha Hansen) das konventionelle (Ehe-) Leben hinter sich zu lassen und Freunde und Bekannte einzuladen, das große Haus mit ihnen zu teilen.
Ein Wunsch, der heute nicht weniger dringlich sein könnte; hier, 1975, aber so etwas wie ein wirklicher Neustart ist. Zum einen referenziert Vinterberg damit auf die ersten »68er«-Wohnmodellversuche wie die Freistadt Christiana in Kopenhagen oder die K1 in Berlin, zum anderen fließt hier etwas ganz neues, privates, mit ein, dass vielleicht am ehesten mit Karl Ove Knausgards autobiografisch-litererarischer Alltagsbewältigung zu umschreiben ist, konkret aber auf Erinnerungen aus Vinterbergs eigener Kindheit und Jugend fußt. Denn im Alter zwischen sieben und neunzehn Jahren ist Vinterberg selbst in einer Kommune aufgewachsen und auch dort geblieben, als seine Eltern sich schon getrennt hatten und ausgezogen waren: »Das war eine verrückte, tolle Zeit für mich inmitten von Nackten, Bier, hochgestochenen Diskussionen, Liebe und persönlichen Tragödien. Für mich als Kind war jeder Tag dort wie ein Märchen.«
Dementsprechend holt sich Vinterberg für seinen Film gleich zwei Alter Egos ins Boot, die pubertierende Freya (Martha Sofie Hansen), die ihren Eltern hilflos beim Experimentieren mit ihrer Ehe zusieht und den kleinen Vilads, der traumwandlerisch zwischen seinen immer zahlreicher werdenden Bezugspersonen hin- und herdefiliert. Vinterberg verläßt diese beiden autobiografischen Perspektiven jedoch immer wieder, um den radikalen Lebensentwürfen der Erwachsenen auch wirklich näher zu kommen. Dabei konzentriert er sich zwar hauptsächlich auf die alles überragende Trine Dyrholm, die aus einem fast schon unheimlichen, mal schönen, mal hässlichen Reservoir aus nach außen gekehrter Innerlichkeit schöpft, gibt aber auch den anderen Darstellern den Raum, der notwendig ist, um Die Kommune über das Autobiografische hinauszuführen und sie zu so etwas wie einem Statement zu unserer gegenwärtigen Suche nach neuen Wohn- und Lebensmodellen zu machen.
Denn was die Gegenwart bietet, erinnert manchmal eher an die Zeit vor dem Aufbruch der 68er als an das, was die 68er-Ideen schließlich ermöglicht haben. Gerade die Rückbesinnung auf Sicherheit und restaurative Gender-Modelle ist unübersehbar und z.B. in Vanessa Wintermantels gerade veröffentlichter Studie zu Lebensentwürfen junger Frauen und junger Männer, explizit – und beängstigend – nachzuverfolgen. Neue Großversuche wie etwa Schloss Tempelhof sind selten, die Kleinversuche eher ernüchternd bzw. pragmatisch und auch dementsprechend rezipiert, wie sich an filmischen Aufbereitungen wie Ralf Westhoffs Wir sind die Neuen, David Wains Wanderlust oder Judd Apatows, Paul Rusts und Lesley Arfins spitzüngiger und intelligenter Netflix-Serie LOVE nur allzu gut ablesen lässt.
Nur gut also, dass mit der sich gerade entfaltenden »Industrie 4.0« und zunehmend in den Alltag eingreifenden KI-Modellen die Speckgürtel des Mittelstandes – sei es in London Islington, Berlin Mitte oder im Münchner Glockenbachviertel – in der Hitze des Gefechts wegbrutzeln dürften. Dann sollten auch die letzten die altdeutschen Mutterwerte verteidigenden Väter und Mütter auch die Mutter als Mitverdiener dringend nötig haben und vielleicht auch gleich noch das Kind auf die Straße zum Betteln schicken. Und sich einen Film wie Vinterbergs Kommune zu Herzen nehmen. Denn gerade, weil Vinterberg sich über sein mit Tobias Lindholm (der gerade mit A War ebenfalls am Puls der Zeit operiert) verfasstes Drehbuch nicht auf die übliche Moral einlässt, die 68er-Ideen also weder verteufelt noch verklärt, taugt die Kommune nicht nur als psychodramatischer Film mit komödiantischen Anteilen, sondern auch als Prototyp für einen Neuanfang in unserer kommunalen Gesellschaftszukunft.
Mit seinem Debüt Das Fest wurde Thomas Vinterberg 1998 auf einen Schlag berühmt – der Programmfilm des »Dogma«-Kinos, das mit Wackelkamera, Digitaltechnik und protestantisch-kargen, auch ein bisschen willkürlichen Einschränkungen der üppigen Filmtechnik das Weltkino für ein paar Jahre in Bann hielt. Vinterberg selbst hat schnell wieder konventionelle Filme gemacht – und zunehmend verlegt er sich auf Inhaltismus. Die formalen Mittel dienen ihm längst nur dazu, ihre jeweilige Geschichte zu bebildern. Er ist einer jener Leute, die auf »Human driven content« setzen, wie das im Dokumentarfilm heißt, jener Regisseure, die dann dazu sagen: »Mich interessieren die Menschen und ihre Geschichten.« Er könnte auch sagen, ich will nicht so viel nachdenken und lieber Quote machen. Die Geschichten, das sind Moraldramen wie zuletzt Die Jagd oder Beziehungsmelos wie jetzt Die Kommune.
Immer bluffen Vinterbergs-Filme ein bisschen. Sie scheinen mehr, als sie sind. Sie haben »relevante« Sujets, aber nur zum Schein, um sich auf Festivals und bei Kritikern wichtig zu machen. Aber das Publikum muss keine Angst haben: Von einem Vinterberg-Film drohen keine Überraschungen, keine »schwierigen« Passagen, keine Traktate zu Themen, die halt leider bedeutsam sind, die man im gehobenen Bürgertum aber eigentlich nicht hören will. Eher bekommt man hier das wohlige Gefühl, etwas Wichtiges, Nachhaltiges konsumiert zu haben. Vinterbergs Filme sind wie Bio-Cheeseburger. Schon Junk Food, aber halt Bio.
Die Jagd ging nicht um Kindesmissbrauch, im Gegenteil ging es eigentlich darum zu zeigen, dass »der Mann« nicht schuld und »das Kind« vorlaut dahergeredet hatte. So etwas gibt es, ohne Frage – aber ausgerechnet am Thema Kindesmissbrauch einen Paranoiathriller über falschen Verdacht zu inszenieren, hatte auch etwas Ranziges.
Und Die Kommune handelt jetzt
auch nicht wirklich von einer Kommune. Jaja, sie kommt schon vor, aber es wird nichts erklärt und kaum etwas gezeigt.
Ein Film, der auch als »Mittwochsfilm im Ersten« laufen könnte: Eine Frau wird verlassen, und wir müssen Mitleid mit ihr haben. Das würde dann bei uns Veronica Ferres spielen, im Film ist es Trine Dyrholm, die ist natürlich eine bessere Schauspielerin. Allerdings, sorry to say, seit Das Fest auch nicht gut gealtert, und darum gar keine schlechte Identifikationsfigur für die Durchschnittzuschauerin. Und auch die Männer werden sich – s.u. – mit Ulrich Thomsen gut identifizieren können. Womit ich sagen will: Ganz schön berechnet, das alles.
Vinterbergs Film ist ein Historienstück. Angesiedelt in jener Zeit, als in den 70er Jahren in Europa das Alltags-Leben neu gedacht und erfunden wurde, als für die 68er-Generation »das Private politisch« wurde: Eine Familie – Vater Erik, Mutter Anna, pubertierende Tochter Freia – erbt ein viel zu großes Haus, dass sie sich nicht leisten können, obwohl der Mann Architekturdozent an der Universität ist, und die Frau Moderatorin der dänischen Hauptabendnachrichten. Sie sagt: Warum laden wir nicht alle Freunde ein, um dort gemeinsam das Zusammenleben neu zu erfinden. So weit in Ordnung.
Der erste Haken an der Sache ist, dass Erik das alles von Anfang an eher doof findet, und nur widerwillig ja sagt, wohl auch, weil die Ehefrau in letzter Zeit so allerlei Zicken macht, und er glaubt, da müsse er jetzt ja sagen, damit sie weniger rumnervt. Aber es fehlt die Begeisterung für das soziale Projekt, für das Experiment, das Utopische. Die sind alle ungemein gesettled, ziemlich kapitalistisch, wie man das wohl seinerzeit genannt hätte. Die Freunde sehen auch aus wie vom Reißbrett, oder vom Drehbuchbaukasten des dänischen Fernsehens: Ein Kontrollfreak, ein Spinner, ein Spießerpaar, eine Ausgeflippte, und natürlich ein hübscher Ausländer, der sich als sexuell besonders potent entpuppt. Dazu ein schwerkrankes Kind. Ein paar haben Geldsorgen, keiner außer Erik ist richtig reich.
Somit haben wir hier eine bunte Truppe, die aber auch gar nichts miteinander gemeinsam hat, und deren Leitidee – Kommune, anderes Leben, Idealismus – eigentlich schon von Anfang an dank gestörter Persönlichkeits- und Charakterstrukturen vom Film denunziert wurde.
Vinterberg behauptet, er habe in seiner Jugend selbst in einer Kommune gelebt, und kommentiert das so: »Im Rückblick ist diese Zeit voller goldener Erinnerungen und absurder Momente. ... Auch wenn die Kommune aus lauter gebildeten Menschen bestand, erscheint mir das damalige Leben heute als extrem naiv und idealistisch.« Na da wissen wir ja schon: Schön blöd, diese 68er.
So sehen wir Schauspieler als Karikaturen mit Hipster-Bärten und Norweger-Pullis eine Viertelstunde lang papierne Drehbuchsätze aufsagen, bevor es zum Eigentlichen kommt: Erik wird von einer Studentin aufgerissen, die hübscher, 20 Jahre jünger und weitaus erträglicher ist als Anna. Bei ihm wird die Theorie also zur Praxis – und jetzt dürfen wir wieder lachen über die blöden 68er, die so unerträglich theoretische Ideen hatten, die man ja gar nicht leben kann – außer Erik.
Jetzt werden wir anteilnehmend Zeuge von Annas Reaktionen, die mal auf große Geste macht und Emma, Eriks neue Freundin in die Kommune einlädt, dann wieder dem Gatten heulsusig Szenen macht, oder besoffen moderiert und deshalb aus der Sendung fliegt – aber unser Herz ist groß, und wir wissen: Männer über 40 haben es schwer, aber Frauen auch nicht gerade leicht.
Immerhin – das ist schon das einzig Positive, das über den Film zu sagen ist – wird die Geliebte Emma mal nicht als doofes Sex-Hascherl denunziert, dass hübsch, aber blöd ist, und der Ehefrau nicht ebenbürtig. Vinterberg lässt der Figur Würde und Unabhängigkeit, was man von Erik nur so halb und von Anna leider gar nicht sagen kann: Sie könnte ja auch stolz, oder souverän oder wenigstens klug sein, ist aber nur so 08/15-Mamsel, ein Schlag ins Gesicht aller
68er-Feministinnen.
Auch moralisch: Denn man kann den Film auch auf diesen einen Satz bringen: Eine selbstbewußte Frau will unbedingt in einer Kommune leben, zwingt ihre Familie dazu und muss dafür bitter büßen, verliert ihren Mann und ihren Job.
Die anderen Mitbewohner bleiben übrigens total im Hintergrund – soviel zur Community dieser Kommune. So bleibt als einzige Figur im Ehe-Fremdgeh-Scheidungsdrama noch Tochter Feia: Sie ist »das emotionale Zentrum des Films« (Ulrich Kriest) und darf ihr sexuelles Erwachen und ihr »erstes Mal« erleben, aber natürlich nicht mit irgendeinem Freak in der Kommune – das will wohl das dänische Fernsehen nicht – sondern mit einem gleichaltrigen Mitschüler. Das ist aber
genauso scheiße, fast wie eine Vergewaltigung. Ansonsten blickt sie gelegentlich fassungslos aufs Treiben der Eltern.
Am Ende dann sucht sie dann Zärtlichkeit bei ihrem Macker. Der aber setzt ihr einen Walkman auf, was wohl Zeitkolorit andeuten soll, sie aber vor allem zum Schweigen bringt, und still stellt. Die Zeiten wurden nicht besser.
Fazit: Nerviger, dummer, ideologischer Film, Thema verfehlt! Und zwar voll.
Den weitaus besseren Film zum Thema gibt es übrigens schon: Lukas Moodyssons Zusammen!, der allerdings von den Lebensentwürfen früherer Zeiten auch nichts hält – wie neunmalklug, diese Skandinavier.