GB/I/D/E 2007 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Ken Loach Drehbuch: Paul Laverty Kamera: Nigel Willoughby Darsteller: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek, Joe Siffleet, Colin Caughlin u.a. |
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Kapitalismus verdirbt den Charakter |
Der Leopardenmantel, den sie gern trägt, ist natürlich falsch. Aber eine Art Raubkatze steckt schon in Angie. Sie ist trinkfest, nicht auf den Mund gefallen, und sie nutzt selbst noch die Chancen, die man ihr gar nicht geben will. Angie ist, das sieht man sofort, eine Überlebenskünstlerin: Als sie wieder einmal entlassen wird, weil man auch bei ihrer Firma gemerkt hat, dass die Ukrainer billiger sind, dreht sie den Spieß um, und gründet mit ihrer Freundin Rosie, der es nicht besser geht, selbst eine Zeitarbeitsfirma. Angies schnelle Auffassungsgabe kommt ihr dabei zugute. Schnell hat sie die Tricks raus, wie man Kunden bekommt, wie man an der Grenze zur Legalität noch ein paar Pennys mehr für sich behält, das Härte zum Geschäft gehört, wusste sie schon, und potentielle Arbeitskräfte, Leute wie sie, und welche, denen es noch viel schlechter geht, sind sowieso genug auf der Straße: Die Leute seien bereit »für jede Scheißarbeit« stellt sie nüchtern fest, »die müssen einfach was arbeiten.«
Äußerlich, mit ihrer dichten blonden Mähne, dem oft etwas zu grell geschminkten Gesicht und den Motorradklamotten, in denen sie durch ihr Viertel irgendwo in der Peripherie von London fährt, ähnelt Angie ein bisschen der SUE im New York von Amos Kolleks. Eine herbe, proletarische, leicht aus der Facon gefallene Schönheit. Aber im Gegensatz zu Sue, hinter deren kühlem Äußeren sich die pure Verletzlichkeit verbarg, ist Angie tough. Und nur sehr oberflächlich kann man das Portrait dieser nicht mehr ganz jungen Frau und alleinerziehenden Mutter als sentimentalisierende Darstellung einer Arbeiterheldin sehen – wie es zumindest diejenigen von Ken Loach erwarten, die mit seinen rund vierzig Filmen (z.B. Land and Freedom, Riff Raff, Bread and Roses) eher vage Vorstellungen verbinden, oder den für ihn eher untypischen The Wind That Shakes the Barley im Kopf haben, mit dem der Brite 2006 die Goldene Palme von Cannes gewann.
Nur die ersten Bilder entsprechen dem Klischee, das der 72-jährige Loach allenfalls in wenigen seiner schwächeren Filme bediente: So effektiv wie ein Hedgefonds sorgen da Saxophon-Klänge im Nu für melancholische Stimmung. Man sieht Kinder, die nicht so hässlich sind, wie in russischen Filmen, und nicht so schön ausgeleuchtet wie bei Kaurismäki. Aber danach ist Schluß mit derartigen Sentimentalitäten und der Regisseur und sein Lieblingsdrehbuchautor Paul Laverty irritieren immer wieder konsequent die Erwartungen ihrer Zuschauer, vermeiden dabei auch viele Handlungsklischees, die in solchen Geschichten angelegt scheinen. Auf den Optimismus der Firmengründung folgt nämlich weder die pathetische Ballade einer »guten Unternehmerin«, die mit ihren Arbeitern solidarisch die Kunst der flachen Hierarchien praktiziert, noch erzählt Loach vom Scheitern des einfachen Menschen in der so bösen, wie komplizierten Globalisierungswelt.
Stattdessen handelt It’s A Free World von dem, was der New Yorker Soziologe Richard Sennett »Corosion of character« nennt, davon das sich Sein und Bewusstsein eben nicht einfach voneinander trennen lassen. Wer Chef werden will, muss es auch innerlich werden. Anders gesagt: Kapitalismus verdirbt den Charakter. Bemerkenswert unsentimental und präzise beobachtet zeichnet Loach ein zwingendes Portrait der alltäglichen Arbeitswelt an den Rändern unserer Gesellschaft. Denn Angie hat nicht zuletzt deshalb Erfolg, weil sie bald von ihren anfänglichen Grundsätzen abweicht, abweichen muss, und die Gesetze sehr flexibel auslegt. Bald beschäftigt sie Illegale, und nutzt deren prekäre Lage am Ende noch aus – dabei glaubt sie sich sogar im Recht, schließlich wurde sie selbst zuvor oft genug betrogen. Der eigentliche Bösewicht in diesem Stück ist das System, das die Seele der Menschen korrumpiert, sie in die Lage bringt, so zu handeln, wie Angie.
Wie Loach das tut, ist bewundernswert und von langer Erfahrung geprägt. Sein Film ist schnell, effektiv und flüssig erzählt. Die Dialoge haben viel Witz. Mit leichter Hand verdichten sie komplizierte Vorgänge immer wieder zu kleinen, präzisen Skizzen, die differenziert sind, und doch gleichzeitig ein Problem ohne billige Parteinahme zuspitzen. So gibt es einmal einen Streit Angies mit ihrem Vater, der ihr vorwirft, durch das Unterbieten der Löhne de facto die Zukunftschancen ihres Sohnes zu verschlechtern, wie die Situation in den Herkunftsländern kaputt zu machen. »Ich gebe denen Arbeit, die sie dringend brauchen« antwortet sie. Loach vermeidet es, sich hier stellvertretend für seine Zuschauer zu entscheiden. Er zeigt ein Dilemma.
Den Titel kann man bestenfalls ironisch und sarkastisch verstehen, aber auch einfach als pessimistische Betrachtung darüber, was Freiheit, jedenfalls die, die wir kennen, in der Praxis für Konsequenzen hat. Mit It’s A Free World kehrt Ken Loach gewissermaßen zu seinen Ursprüngen als Schöpfer politischer Lehrstücke zurück. Und es hätte gar nicht der aktuellen Finanzwirtschaftskrise und der neuen Untergangsgesänge unserer Wirtschaftsordnung bedurft, um den Film dabei überaus zeitgemäß erscheinen zu lassen.
In Loach-Filmen kann man Angst bekommen. Fürs Kino aber sind seine Werke mit ihrem ganz eigenen Ton ein Glücksfall. Denn abseits von jenem Mainstream, den auch das Arthouse-Kino kennt, dabei überaus zugänglich und mit Humor, erinnern sie daran, was das Kino auch kann: In unterhaltsamer Form eine Kritik der Gegenwart formulieren, Gewissheiten erschüttern.
Bleibt die Frage: Warum gibt es bei uns nicht solche Filme? Was würden die Redakteure der mitfinanzierenden Fernsehsender wohl sagen, wenn sie so ein Script bekämen? Vielleicht, dass diese Frau mehr in ihrem Privatleben gezeigt werden sollte? Dass man ihr noch einen Liebhaber ins Drehbuch schreiben sollte, um die Zuschauer »mitzunehmen«? Oder dass das Ende bitteschön weniger offen sein sollte, »damit der Zuschauer nicht zu ratlos alleingelassen wird«? Wer macht in Deutschland Ken Loach-Filme? Andreas Dresen jedenfalls nicht.