Grüße vom Mars

Deutschland 2024 · 84 min. · FSK: ab 6
Regie: Sarah Winkenstette
Drehbuch: ,
Kamera: Jakob Berger
Darsteller: Theo Kretschmer, Lilli Lacher, Eva Löbau, Jona Volkmann, Anton Noltensmeier u.a.
Grüße vom Mars
Mut zu einem Kino, das »Bigger than Life« ist...
(Foto: farbfilm / Filmwelt)

Plädoyer für das Anderssein-Dürfen

Lebensziel Astronaut: Ein zehnjähriger Junge mit Autismus-Spektrum-Störung will mit Hilfe seiner Familie hoch hinaus.

In den vergan­genen Jahren haben deutsche Film­schaf­fende in Kinder- und Fami­li­en­filmen mehrfach über Kinder erzählt, bei denen eine Störung im Autismus-Spektrum diagnos­ti­ziert wurde, und setzten dabei unter­schied­liche Akzente. Der Regisseur Max Fey rückte in Zwischen uns (2022) die Schwie­rig­keiten einer über­las­teten allein­er­zie­henden Mutter ins Zentrum seines Lang­film­de­büts, ihren 13-jährigen Sohn zu betreuen, der das Asperger-Syndrom hat. Dagegen konzen­trierte sich Marc Rothemund in der Tragi­komödie Wochen­en­d­re­bellen auf das Verhältnis zwischen einem Vater und seinem zehn­jäh­rigen Sohn mit autis­ti­scher Entwick­lungs­störung, die eine gemein­same Reise zu Fußball­sta­dien in ganz Deutsch­land antreten. Nun kommt Sarah Winken­stettes Spielfilm Grüße vom Mars in die Kinos, die das Fami­li­en­ge­füge um einen zehn­jäh­rigen Jungen mit Autismus-Spektrum-Störung ausleuchtet, der unbedingt später mal Astronaut werden will.

Der zehn­jäh­rige Tom (Theo Kret­schmer) lebt seit dem Tod des Vaters mit seiner 15-jährigen Schwester Nina (Lilli Lacher) und dem 13-jährigen Bruder Elmar (Anton Noltens­meier) und der allein­er­zie­hende Mutter Vera (Eva Löbau) in Hamburg. Aus dem Off erklärt, wie sein streng gere­gelter Alltag aussieht, der von regel­mäßigen Abläufen und Pünkt­lich­keit geprägt ist. Zugleich kann Tom Verän­de­rungen und unnötigen Lärm nicht ertragen. Wenn ihm alles zu viel ist, zieht er sich in einen umge­bauten Schrank zurück. Außerdem hasst er die Farbe Rot, die ihn zu sehr an Blut und Notfälle erinnert. Dafür liebt der Junge mit einem ausge­prägten Talent für Mathe­matik Blau, er trägt am liebsten blaue Kleidung und eine blaue Brille.

Eines Tages zwingt ihn seine Mutter jedoch unfrei­willig, die komfor­ta­blen Routinen hinter sich zu lassen. Aus beruf­li­chen Gründen muss die Jour­na­listin für vier Wochen nach China. In dieser Zeit werden die Geschwister bei den Großel­tern (Hedi Krie­geskotte und Michael Witten­born) in einem nord­deut­schen Dorf unter­ge­bracht. Vera macht Tom den Orts­wechsel mit dem Vorschlag schmack­haft, über den Aufent­halt ein Logbuch zu führen, um so einen späteren Trip ins Weltall vorzu­be­reiten. Denn Tom will Astronaut werden und als erster Mensch zum Mars fliegen. Kein Wunder, wenn er oft im Astro­nau­ten­anzug herum­läuft und einen Schutz­helm trägt. Doch erst einmal muss er einige seiner Ängste über­winden. Und dann kommt er auf die Idee, einen verschwun­denen Aste­ro­iden aufzu­spüren.

In ihrem zweiten langen Kinder­film nach dem warm­her­zigen Freund­schafts­drama Zu weit weg (2019) erzählt die Regis­seurin Sarah Winken­stette konse­quent aus der Perspek­tive des zehn­jäh­rigen Prot­ago­nisten, der mit seinen beson­deren Bedürf­nissen den Alltag seiner Familie maßgeb­lich prägt und Mutter und Geschwister oft vor große Heraus­for­de­rungen stellt. So sorgt die ständige Rück­sicht­nahme auf Tom und die Koor­di­nie­rung der Fami­li­en­ak­ti­vi­täten mit ihren beruf­li­chen Verpflich­tungen bei der Mutter immer wieder für Stress. Auch dem hyper­ak­tiven Drauf­gänger Elmar und der Dauer­te­le­fo­nie­rerin Nina fällt es manchmal schwer fällt, sich mit Toms Eigen­heiten zu arran­gieren. Als der Junge auf dem Dachboden das ausran­gierte Teleskop seines Vaters findet und reak­ti­viert, lassen sich die beiden jedoch in seine phan­tas­ti­sche Weltraum­welt inte­grieren und fungieren als erster Offizier und Funkerin.

Die 45-jährige Regis­seurin versucht in dem Film, der der auf einem illus­trierten Roman von Sebastian Grusneck und Thomas Möller beruht, durch besondere visuelle und akus­ti­sche Gestal­tungs­mittel, Toms Wahr­neh­mung der Lebens­welt vor allem für das junge Ziel­pu­blikum anschau­lich zu machen.

Wenn der Junge verun­si­chert ist oder sich über­lastet fühlt, zeigt die Kamera hin und wieder nur ein unscharfes Bild. Manchmal sind Stimmen nur noch gedämpft zu hören und Geräusche hören sich verzerrt an. Und wenn Tom sich in Tagträumen über Raketen, Planeten und Weltraum­trips verliert, werden diese in Zeich­nungen und animierten Sequenzen sichtbar.

Winken­stette, die an der Kunst­hoch­schule für Medien Köln Film studiert hat, setzt sich mit viel Finger­spit­zen­ge­fühl mit der schwie­rigen Thematik ausein­ander und erleich­tert so das Vers­tändnis für Toms eigen­wil­lige Verhal­tens­weisen, die gele­gent­lich wie schrul­lige Ticks wirken. Mit schrul­ligen Verhal­tens­weisen können aber auch einige Neben­fi­guren aufwarten. So sorgen Michael Witten­born als Opa und Heidi Krie­geskotte als Oma mit unkon­ven­tio­nellen Ideen hin und wieder für Heiter­keit. Eva Löbau als Mutter verschwindet nach einem markanten Kurz­auf­tritt zu Beginn leider allzu schnell aus dem Film. Getragen wird der Film vor allem vom jungen Haupt­dar­steller Theo Kret­schmer, der Tom mit großer Natür­lich­keit verkör­pert und dessen Eigen­heiten souverän glaubhaft macht.

Grüße vom Mars zeigt immer mal wieder Mut zu einem Kino, das »Bigger than Life« ist. Da baut ein Zehn­jäh­riger mit Faible für Astro­physik einen Dachboden zum Ster­nen­ob­ser­va­to­rium um, spürt durch Beob­ach­tungen und Berech­nungen einen verschwun­denen Himmels­körper auf und entwi­ckelt mit seiner Insel­be­ga­bung sogar eine Theorie zum Aste­ro­iden­flug. Das alles ist so charmant in Szene gesetzt, dass wir Toms verwe­genen Ambi­tionen gerne folgen. Kein Wunder, dass Grüße vom Mars bereits mehrmals ausge­zeichnet wurde, so wurde Theo Kret­schmer beim Festival »Goldener Spatz« zum besten Darsteller gekürt, während der Film auf dem Festival in Luxemburg den Preis der Kinder­jury erhielt.