USA/GB 2001 · 106 min. · FSK: ab 0 Regie: Terry Zwigoff Drehbuch: Daniel Clowes, Terry Zwigoff Kamera: Alfonso Beato Darsteller: Thora Birch, Scarlett Johansson, Steve Buscemi, Brad Renfro u.a. |
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Nerds just wanna have fun... |
Nerds sind in. Die Hornbrillen und Kunststoffhemden tragenden Langweiler mit starkem Interesse für Naturwissenschaften, Computer und Trivialkultur bei zugleich mäßigem Erfolg bei Frauen avancierten im Laufe der letzten Jahre zu wahren Sympathieträgern. Ihr Aufstieg begann mit Filmen wie Zurück in die Zukunft, reicht über Clueless, endet vorerst in aktuellen Produktionen wie American Pie und ihre Hymne heißt »Teenage Dirtbag« von der Band Wheatus. Harte Zeiten für blonde Cheerleader und smarte Footballstars. Also Hornbrille auf und ab nach Nerdsville, USA.
So müsste eigentlich der Ort heißen, in dem Ghost World, der neue Film von Terry Zwigoff spielt. Ein alter Mann, der vergeblich auf einen nicht mehr verkehrenden Bus wartet, ein freakiges Pärchen, dem schnell satanistische Tendenzen angedichtet werden, ein Nun-chaku schwingender Proll, der seine Zeit im Supermarkt verbringt und noch manch andere obskure Gestalt bevölkern diese langweilige Stadt, die vor allem aus Shoping-Malls und Retro-Lokalen zu bestehen scheint. Mitten drin lebt und leidet Enid, die gerade ihre High-School abgeschlossen hat, am liebsten mit ihrer besten Freundin Rebecca rumhängt, eine sonderbare Vorliebe für indische Musik und Filme hegt und ansonsten alles und jeden mit ihren bissigen Scherzen und Kommentaren überzieht.
Thora Birch, die bereits als schlecht gelaunte Tochter von Kevin Spacey in American Beauty überzeugte, verkörpert diese leicht pummelige Nervensäge, die ihren geistigen Schwestern wie Janeane Garofalo (z.B. in Romy und Michele) und Christina Ricci (z.B. in The Opposite Of Sex) in nichts nachsteht. Nicht zu vergessen in dieser Reihe ist aber auch »Daria«, die frustrierte Zeichentrick-Teenagerin auf MTV, die ihren Weltschmerz ebenfalls durch ultracoole und hochgeistige Kommentare zum Ausdruck bringt und konsequent auf Ablehnung stößt. Der Bezug auf »Daria« ist um so naheliegender, da auch Ghost World auf einem Comic Strip (von Daniel Clowes) basiert und der Regisseur Terry Zwigoff seinen bisher einzigen Erfolg mit dem großartigen Crumb, einem Dokumentarfilm über den gleichnamigen Comic-Autor, feiern konnte.
Wie sehr die Arbeit und die Person des Robert Crumb (der z.B. Fritz The Cat erfunden hat) den Regisseur Zwigoff immer noch beeinflußt, zeigt sich in Ghost World am deutlichsten in der Figur des Seymour (einmal mehr unschlagbar: Steve Buscemi), einem klassischen Nerd, der oft wie eine Kopie Crumbs wirkt. Neben einer nicht zu leugnenden äußeren Ähnlichkeit teilen sie eine Leidenschaft für alte Blues- und Jazzplatten, fliehen überhaupt
gerne aus der ihnen feindlich erscheinenden Gegenwart in die Vergangenheit und beide haben eine etwas zu fürsorgliche Mutter.
Enid lernt Seymour als Opfer einer ihrer bösartigen Späße kennen, doch schnell entwickelt sich zwischen den beiden Außenseitern eine tiefe Freundschaft. Eigentlich sind sie zwei Geistesverwandte und wie füreinander geschaffen, doch ob sie schließlich zusammenkommen und tatsächlich zusammenpassen, bleibt die große, bis zum Schluß spannende
Frage.
Zwigoff zeichnet vor allem sein ehrlicher (sicher am Dokumentarfilm geschulter) Blick aus. Die Menschen in seinem Film sind oft häßlich und/oder übergewichtig, irgendwo quasselt im Hintergrund immer ein lästiger Fernseher und die Jobs der Leute sind eintönig und dumm. Die Konflikte sind in Ghost World etwas weniger spektakulär als in American Beauty, die menschlichen Abgründe bei weitem nicht so erschreckend tief wie in Todd Solondz Happiness und das vorherrschende Gefühle ist Tristesse mit einem Schuß Melancholie. Dem begegnen Enid und Seymour mit Ironie und Spott, aber auch Verzweiflung und Resignation.
Dafür, dass der Film dabei nicht zu einer Sarkasmus-Orgie bzw. einem depressivem Rührstück wird, sorgt Zwigoffs zweite Qualität; er ist ein Menschenfreund. Die Witze in Ghost World sind zwar oft bissig, aber nie verletzend. Selbst die schrägsten Typen und größten Spinner behalten ihre Würde und werden nicht für einen billigen Witz der Lächerlichkeit preisgegeben und trotz aller Trostlosigkeit durchzieht den Film auch eine heiter-lakonische Stimmung.
Ghost World ist einfach ein durchgehend gelungener Film mit wunderbaren Darstellern (neben den bereits erwähnte z.B. auch Illeana Douglas als Kunstlehrerin), einem geistreichen Drehbuch und einer technisch einwandfreien Umsetzung. Dass dieser Film im Gegensatz zu vergleichbaren Komödien beinahe gemächlich wirkt, macht ihn nur noch charmanter.
Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Ghost World ein flammendes Plädoyer für die uneingeschränkte Kunstbegeisterung ist. Seymours manchmal (vor allem gegenüber Frauen) verhängnisvolle und bedingungslose Leidenschaft für Musik steht dafür ebenso wie Enids Leiden im Kunstunterricht, in dem idiotische Installationen zu Kunstwerken schöngeredet werden, während ihre Zeichnungen (die übrigens in Wirklichkeit von der Tochter Robert
Crumbs stammen) auf Ablehnung stoßen.
Und wenn sich über dumme Kommentare zu Laurel und Hardy und Videothekenmitarbeiter, die den Unterschied zwischen Fellinis 8 ½ und Adrian Lynes 9 ½ Wochen nicht kennen, lustig gemacht wird, dann fühlt sich der kleine Nerd, der in jedem von uns steckt, endlich einmal verstanden.