Die fantastische Welt von Oz

Oz the Great and Powerful

USA 2012 · 130 min. · FSK: ab 6
Regie: Sam Raimi
Drehbuch: ,
Kamera: Peter Deming
Darsteller: James Franco, Mila Kunis, Rachel Weisz, Michelle Williams, Zach Braff u.a.
Der Zauberer und das Porzellanpüppchen

Es gibt kein Zurück mehr!

»If this was easy, we would'nt need a wizard, would we?«
Michelle Williams als Glinda, Hexe des Nordens, in Oz the Great and Powerful

Das Kino als tech­ni­sche Produk­tion von Magie: als Traum­fa­brik. Phantasie gegen Wirk­lich­keit, 2D gegen 3D, Zauberei gegen Menschen­kraft – so lautet die Schlacht­ord­nung in diesem merk­wür­digen Film, dessen deutscher Titel Die fantas­ti­sche Welt von Oz für Oz the Great and Powerful mal wieder so dumm gewählt ist, dass man nur Absicht annehmen kann. Wahr­schein­lich wollte man eine Anmutung an Die fabel­hafte Welt der Amélie (ein Titel der ja im übrigen, selbst nur geklaut war, wie zumindest Fans fran­zö­si­scher Popmusik längst wissen). Am Ende steht die Ablösung der magischen Welt­an­schauung durch die tech­no­kra­ti­sche, von Feen, Hexen und Houdini durch Thomas Edison. Und damit die Nieder­lage des Mythos gegen die Dialektik der Aufklä­rung, des klas­si­schen Kinos gegen den 3D-Hybriden.

Ein Jahr­marktsbu­den­zau­berer reist in ein zauber­haftes Land, irgendwo hinter dem Regen­bogen. So wie einst die junge Heldin Dorothy in Victor Flemmings schnell zum Klassiker gewor­denen The Wizard of Oz, bevor sie erkennen musste: »There is no place like home.« In der deutschen Synchro­ni­sa­tion wurde diese subtil-doppel­deu­tige Fest­stel­lung zum typisch deutschen Heimat­ge­säusel »Es ist nirgends schöner als Zuhause« verschwie­melt und – wohl eher unbewusst – armselig verein­deu­tigt. Denn diese Geschichte von einem Land jenseits des Regen­bo­gens macht ja keines­wegs alle Kino­träume als nichtige Fieber­vi­sionen verächt­lich, sondern spielt mit dem utopi­schen Potential alltäg­li­cher Sehn­süchte. Und 1939 markierte für die Ameri­kaner ja keines­wegs wie für die Deutschen den Beginn eines Welt­kriegs, sondern das Ende der bitteren Krisen­zeit einer zehn­jäh­rigen »Great Depres­sion«. The Wizard of Oz war Opulenz pur, poeti­sches Spek­ta­kel­kino wie es auch dem Hollywood seiner größten Zeit nur selten gelang. Neben Victor Fleming waren auch George Cukor und King Vidor beteiligt, und so wurde dies der proto­ty­pi­sche Holly­wood­film schlechthin. Gut, dass Hollywood jetzt in dieses Land hinter dem Regen­bogen zurück­reist. Wenn es das tut, besinnt es sich seiner Wurzeln, wenn auch nur um sie recht unver­blümt und dreist umzuin­ter­pre­tieren und neuzu­de­fi­nieren.

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Zeit der Illu­sionen. Die Wirk­lich­keit ist Schwarz­weiß und hat das alte 4:3-Format, das klas­si­sche Bild der »1.33 academy-ratio« der großen Epoche Holly­woods, bevor die Bilder immer breiter und bunter wurden. Das ist die erste Lehre: Farbe und Breitwand sind Lug und Trug, 3D sowieso, denn sie sind in diesem Film unrettbar mit dem Irrealen verbunden. Gerade das, was anders aussieht als »in echt« ist wirklich und wahr­haftig, trans­por­tiert Wahrheit, wenn man denn diesen Ausdruck in unseren Zeiten noch gebrau­chen will. Während das, was immer perfekter »echt« anmuten möchte, uns gerade täuscht, weil es seinen tatsäch­li­chen Realitäts­status, seinen Schein­cha­rakter eben verbirgt und sich nicht zu ihm bekennt.
Eine komplette Medien­theorie steckt also in den wenigen Ausgangs­po­si­tionen, die dieser Film ganz früh etabliert, zwischen denen er gewis­ser­maßen seine Geschichte aufhängt, wie schon Victor Flemming bei dem ebenfalls der Sepiaton der Wirk­lich­keit durch die fabri­zierte Traum­bunt­heit des Tech­ni­color abgelöst wird: Zwei Film­for­mate gleich zwei Welten gleich Schein/Sein-Differenz. Ande­rer­seits geht es hier nicht darum, die Wirk­lich­keit gegen das Irreale auszu­spielen, und wenn schon müsste man diesen Film eher als ein Lob der Lüge verstehen, als ein Hohelied der Täuschung – was ihn um Übrigen mit No! verbindet, einem ansonsten komplett anderen Film, der zufäl­li­ger­weise ebenfalls diese Woche in die Kinos kommt, und in dessen Zentrum aber ein Werbe­ma­cher steht, der bei dem berühmten chile­ni­schen Refe­rendum von1988 die Wahl­kam­pagne der demo­kra­ti­schen Oppo­si­tion orga­ni­sierte und mit allen Darstel­lungs­tricks darum kämpft, eine apoli­ti­sche und skep­ti­sche Masse zu mobi­li­sieren.

Die zweite Lehre ist in der ersten enthalten: Die Magie der Jahr­markts-Illu­sionen hat wie die des Kinos die Lust an Illu­sionen und die Bereit­schaft zum Betro­gen­werden zur Voraus­set­zung. Wer immerzu »Keine Macht den Drogen!« ruft, darf sich nicht wundern, wenn das Kino lang­weilig wird. Auch Filme sind ein bisschen Buden­zauber.

In Form altmo­di­scher Pop-Up-Effekte – Fläche vor Fläche – wackeln die Titel­credits am Anfang ins Bild, alles soll Nostalgie sein, Referenz an die Zeit, in der »die Bilder laufen lernten« und die Wirk­lich­keit für die in ihr Lebenden selbst noch derart märchen­hafte Züge besaß, dass das Wort »Fantasy« gar keiner verstanden hätte. Auch »phan­tas­ti­scher Film« hieß bis in die 70er Jahre etwas anderes und The Wizard of Oz hätte man auch später, zu seiner Entste­hungs­zeit 1939 und danach niemals einen »phan­tas­ti­schen Film« genannt.

Man muss an all das erinnern, denn Oz the Great and Powerful ist gerade in seinen besten, schönsten Momenten vor allem eine Referenz an ein Kino, wie es das heute nicht mehr gibt, ein Kino, das nicht weniger von Schau­werten und Effekten lebt, als das heutige, in der diese aber einen grund­le­gend anderen Charakter hatten

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»I might not actually be a wizard...« – »Yes, but they don’t know that.«
Oz und Glenda in Oz the Great and Powerful

Erlö­sungs­phan­tasie. In Schwarz­weiß und 4:3 also lernt man ihn kennen, der noch nicht weiß, dass er als Zauberer im Märchen­reich Oz enden wird. James Franco spielt ihn, und zwar eindrucks­voll und großartig, ein Angeber mit gutem Herz, ein Lackaffe mit Gebraucht­wa­gen­ver­käu­fer­charme, der der einzige ist, der glaubt, dass er mit seinen dummen Sprüchen irgendwen beein­druckt. Ganz fern ist diese Rolle jener verwandt, die Franco in einem Film spielt, der in zwei Wochen startet: Spring Breakers von Harmony Korine, in dem Franco ein Gangster ist, der seinen eigenen Sprüchen auf den Leim geht. Er ist ein Trickser und Täuscher, ein billger Effekt­ha­scher auf einem reisenden Jahrmarkt, nicht unchar­mant, aber schmierig.

Er verführt die Provin­z­schön­heiten mit melo­dra­ma­ti­schen Tränen­drü­sen­ge­schichten und das ist nicht der letzte Moment als man sich fragt, ob man sich danach sehnen soll, in diesem Film zu leben, in einer Zeit, in der die Mädchen so naiv waren, dass sie sich von solchen Geschichten beein­dru­cken ließen – oder besser doch nicht, weil das ja nicht zum Aushalten wäre; selbst wenn es sich um Feen handelt. Aber wir greifen vor.

Noch gibt es keine Feen, sondern nur billige Tricks: Oscar Diggs ist ein groß­spu­riger Zauberer, der seiner mittel­mäßigen Illu­si­ons­kunst nachgeht und persön­li­chen Allmachts­phan­ta­sien pflegt: »Kansas ist voller guter Menschen. Ich will aber nicht gut sein. Ich will der Größte sein.« (»I don’t want to be a good man... I want to be a great one.«) Doch dann kommt ein Sturm, viel­leicht vom Paradiese her, jeden­falls genau im richtigen Moment, um Oscar, vor einem Muskel­mann in Sicher­heit zu bringen, dessen Freundin er verführt hat. Mit einem Heiß­luft­ballon wird er vom Hurrikan davon­ge­tragen wie 1939 Dorothy im Film­klas­siker The Wizard of Oz. Man kann fragen, ob das was wir sehen eine Tode­s­phan­tasie ist oder ein Traum oder ein Drogen­trip. Jeden­falls ist es nicht real, auch wenn das Bild nun farbig wird und breit.

Dieser Moment ist einer der stärksten des Films: Wie das Bild plötzlich aufmacht, bunt wird und ein zweiter Film beginnt. In Oz wird Oscar von allerlei Getier und von der Flußhexe Theodora empfangen: »Where am I? Am I dreaming?« – »You're in Oz. I am Theodora, the good witch.« – »Where’s your broom?« – »You don’t know much about witches, do you?« Man verwech­selt Oz, hält den Neuan­kömm­ling wie in einem Film von Preston Sturges für jemand ganz anderen, den Helden einer alten Weis­sa­gung, gekommen, um »Emerald City«, die grüne Smaragd­stadt zu befreien, Frieden, Wohlstand und Ordnung zu bringen. Eine Erlö­sungs­phan­tasie, die politisch gut ins Jahr 1939 gepasst hätte, aber viel­leicht auch über heutige Politik etwas verrät: »Brave Bürger von Oz. Euer Zauberer ist da.«

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Führer­sehn­sucht. In Emerald City trifft er Zauber­wesen und das einfache Volk, und muss lernen, mit echter Zauberei zurecht­zu­kommen. Zudem ist das Böse manchmal schön und verfüh­re­risch, wie das Irreale, die Welt der Täuschung, die so quietsch­bunt ist, wie ein LSD-Trip, aber auch so kuschelig wie Mila Kunis. Oz/Oscar lernt auch einen flie­genden und servilen Affen im Dien­er­kostüm kennen und ein kleines Porz­el­lan­mäd­chen. Ein bisschen sieht das alles in seinem kunter­bunten, völlig über­kan­di­delten neon­far­benen Wahn so aus, wie eine Mischung aus Tim Burtons Alice in Wonder­land, von dem viel­leicht noch ein paar Outtakes, Studio­bauten und Einfälle übrig waren und Der Hobbit. Wenn man es gegen Ende des Films dann mit den flie­genden Pavianen der Hexe zu tun hat, kommen einem auch Kurosawas Die sieben Samurai in den Sinn. Ande­rer­seits erinnert »das Volk« des Films immer wieder an jene betäubten Massen, die auch in Stalins Popkon­z­erten im Gleich­schritt jubelten

Das Lob der Lüge – Oz: »I might not actually be a wizard...« – Glinda: »Yes, but they don’t know that.« – wird damit in Raimis Hand zum Lob des Kinos: Dessen Wesen besteht aus der Erfindung von Bildern, aus der hoch­äs­t­he­ti­schen, arti­fi­zi­ellen Über­wäl­ti­gung des Betrach­ters durch Sensa­tionen und aus der Aufklä­rung darüber, dass die Dinge nicht so sind, »wie sie sind«, sondern wie sie erscheinen.
Trotzdem ist diese ganze Story ein Witz. Ein Vorwand, um mit Farben und Formen, phan­tas­ti­schen Kreaturen und Einfällen zu spielen und um den Darstel­lern immer neue Gele­gen­heiten zu immer anderen Auftritten zu geben. Das macht viel Spaß, kann aber auch ermüden. Dies ist irgendwie ein in vieler Hinsicht enttäu­schender Film, der aller­dings durch dutzend kleine charmante Momente und Einfälle immer kurz­weilig bleibt und gut unterhält – und einige dieser Augen­blicke sind göttlich – aber er ist vor allem ein Film, der noch etwas mehr zu bieten hat, wenn man über ihn nachdenkt. Auch deshalb sollte man also in Oz the Great and Powerful reingehen – wenn einem Michelle Williams, Mila Kunis, Rachel Weisz und James Franco nicht schon genug sind. Das sollten sie aller­dings sein: Wie lange kein anderer Film ist dies ein Schau­spie­l­er­film: Michelle Williams ist mit ihre Grat­wan­de­rung zwischen Ironie und Ernst der Star des Films. Mila Kunis ist hierfür nur ein bisschen zu katz­en­haft. Rachel Weitz allein wirkt immer etwas zu eindeutig:
»Ist er nicht wunder­voll. Sagte ich nicht, dass er kommt.« – »Du wagst dich mit diesem Trottel hierher und lässt ihn den heiligen Thron besteigen.« – »Warum auch nicht. Er ist der Zauberer.« – »Zauberer – das sagt er. Ich meine, ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass er viel­leicht ein Schwindler ist, den die böse Hexe schickt, um uns alle zu töten.«

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Das Kino ist tot, es leben das Kino! Oz the Great and Powerful ist einer­seits ein ganz dies­sei­tiger Film, erzählt er doch im Kern von der Entmäch­ti­gung der Hexen­kraft, von der Ablösung der magischen Welt­an­schauung durch die tech­no­kra­ti­sche. Denn der Schar­latan ist aller­dings schon auch ein guter Ameri­kaner und bewundert noch mehr als den Entfes­se­lungs­künstler Harry Houdini den Erfinder Thomas Edison.
Und mit Technik, vor allem mit früher Kino­technik, besiegt Oz/Oscar die beiden Hexen­schwes­tern, die sich ihm und der lieb­li­cheren Hexe des Nordens in den Weg stellen. Ande­rer­seits gelingt ihm das erst, nachdem er gelernt hat, was alle Menschen beim Erwach­sen­werden lernen müssen: Dass das Ich, wie Freud formu­lierte, nicht Herr im eigenen Haus ist. Der unreife jüng­lings­hafte Oz/Oscar muss also zum Mann reifen.
Irgend­wann, so glaubt man daher während des Zuschauens immerzu, müsse es ja wohl dann auch ein Zurück geben in die Wirk­lich­keit, so wie Dorothy zurückkam nach Kansas, auch wenn sie dann erkennen musste: »There is no place like home.« Doch eine solche Rückkehr fordert Raimi seinem Oz/Oscar nicht ab. Sie wäre schließ­lich auch enttäu­schend, wäre eng und farblos, und müsste wie bei Dorothy mit dem schmer­zhaften Verlust der Erin­ne­rung erkauft werden.

Und wenn der zum Zauberer von Oz mutierte Jahr­marktsbe­trüger und Buden­zau­ber­täu­scher am Ende glücklich resümiert: »Es gibt kein Zurück mehr.«, dann wird er zum Sprach­rohr der ideo­lo­gi­schen Botschaft: 3D muss sein, denn alles, was man machen kann, muss auch gemacht werden. Das Kino ist tot, es lebe das Kino. Ein billiger Trick oder die pure Magie? In der Tat: Wäre das so einfach, dann bräuchte es den ganzen Aufwand nicht, oder?
»If this was easy, we would'nt need a wizard, would we?«

Was überm Regenbogen sonst noch passierte

Wem nichts einfällt, der schreibe ein Prequel. Prequels erzählen hinterher das, was vorher passiert ist und beant­worten Fragen, die sich allen­falls die Marke­ting­ab­tei­lung gestellt hat. So wurde Hitch­cocks Psycho von 1960 im Jahr 1990 mit dem anachro­nis­ti­schen Psycho IV – The Beginning von Mick Garris rückwärts erweitert und neu numme­riert. David Lynch produ­zierte für seine Fern­seh­serie »Twin Peaks« 1(990/91) mit dem Vor-Film Twin Peaks: Fire Walk With Me ein Jahr nach Abdreh der Serien immerhin sein eigenes Prequel. Indiana Jones (vier Filme, acht Romane, fast 20 Compu­ter­spiele) und Star Wars (sieben Filme, Fern­seh­serie, Licht­schwerter) teilen das Schicksal im Expanded Universe: in Büchern, Kino­filmen, Opern, Fern­seh­se­rien und Compu­ter­spielen werden sie von der Merchan­di­sing-Industrie überdehnt und gnadenlos ausge­schlachtet .

Nun trifft es also die Geschichte um den Zauberer von Oz.

113 Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung »The Wonderful Wizard of Oz« des Ameri­ka­ners Lyman Frank Baum ist die etwas über 100 Seiten starke Geschichte dort ange­kommen, wo sie nicht hingehört. Die Handlung ist auf eine Länge von 127 Minuten gezerrt worden und dient dem allei­nigen Ziel, den Schar­latan und falschen Magier für die eigent­liche Geschichte zu instal­lieren.

Damit das schnell und schmer­zfrei geht, steht ein führ­er­loses, aber führungs­wil­liges Volk parat. Der alte König ist dahin. Doch es gibt eine Prophe­zeiung, die einen neuen Herrscher verspricht. Da fällt passend James Franco (Oscar Diggs) aus einem Ballon vom Studio­himmel. Er nimmt die Plan­stelle des prophez­eiten und sehn­lichst erwar­teten Märchen­land-Diktators gern und strom­li­ni­en­förmig an.

Beim Anblick des als sehr dümmlich darge­stellten Volks hätte sich Bertolt Brecht fremd­ge­schämt. Kostü­miert und geschminkt wie für ein Volks­mu­sik­stadl für infantile Voll­deppen harren die devoten Unter­tanen erwar­tungs­froh ihres Erlösers aus der Herr­schafts­lo­sig­keit. »Unglück­lich das Land, das Helden nötig hat«, schrieb Brecht 1939 in »Das Leben des Galilei«. (Das Volk so darzu­stellen kann nur Absicht gewesen sein. Aus Versehen kriegt man so etwas nicht hin.) Oscar Diggs, der künftige Zauberer von Oz, wird leichtes Spiel haben …

Die Historie der Geschichte um den »Zauberer von Oz« startet im Jahr 1900 in den USA. Das Buch wird bei der George M. Hill Company in Chicago heraus­ge­geben. 1939 erscheint in der Sowjet­union »Der Zauberer der Smarag­den­stadt« von Alexander Wolkow. Auch in der russisch-sowje­ti­schen Nacher­zäh­lung der »Oz«-Geschichte spielt die Rahmen­hand­lung in Kansas. Zaube­reien und Sozia­lismus werden anschei­nend als nicht kompa­tibel betrachtet. Erst 1940 gibt es eine deutsche Über­set­zung, veröf­fent­licht in der Schweiz.

Es folgen Filme – der berühm­teste ist der von Victor Fleming von 1939, mit vielen Tanz­ein­lagen ange­rei­cherte Streifen mit Judy Garland, in dem sie »Over The Rainbow« singt. Außerdem erscheinen zwischen 1904 und 1920, also lange vor der Filmära, zig Fort­set­zungen der Geschichte, in der deutschen Über­set­zung jedoch erst in den Nuller Jahren des neuen Jahr­tau­sends. Comics, Hörspiele, Hörbücher und so weiter folgen.

Ange­kommen im Heute program­miert die Disney­pro­duk­tions-Zeit­ma­schine(rie) die Handlung in das Very Beginning. Prot- und Antago­nist Oscar Diggs will nicht gut sein, aber er will der Größte sein. Dafür geht er nicht über Leichen, doch verhält er sich gewis­senlos und groß­spurig gegenüber seinen Mitmen­schen. Verant­wor­tungs­be­wusst­sein gehört nicht zu den Tugenden des Möch­te­gern-Aufstei­gers. Doch weiß er sehr wohl um die Macht und Wirkung seiner Ausstrah­lung. Der Film zeigt einen Trubel aus Magie, Illusion, Verfüh­rung und Macht­phan­ta­sien. Manche Film­ge­schöpfe erliegen ganz bewusst Diggs' Klein­stadt-Charme. Andere versuchen erst gar nicht, sich ihm zu entziehen und ergeben sich dem Täuschungs­manöver bedin­gungslos.

Dazu kongenial wurden die Film­ku­lissen gestaltet: absicht­lich künstlich und schön groß und schön bunt. Unglaub­lich viele Schmet­ter­linge sind unterwegs. Die über­di­men­sio­nierte Natur bildet eine schmucke Staffage.
Auf dem Weg von der Ballon­ab­stur­z­stelle zum Schloß trifft der Illu­sio­nist auf ein Dorf, in dem die bösen Mächte alles zerstört haben. Diggs findet ein kleines Porz­el­lan­mäd­chen mit gebro­chenen Beinen in den Trümmern des Ortes. Diese Animation und die des flie­genden Affen sind wirklich aufwendig und liebevoll gemacht. Wenn Oscar Diggs der heftig weinenden Porz­el­lan­figur behutsam die Beine wieder anklebt, ist das richtig schönes Kino.
Leider scheitert der Film an dem Erfor­dernis, eine Geschichte erzählen zu sollen. Diese Schwäche sollen die vielen Special Effects ausglei­chen. Auch eine geringere Länge hätte der Erzählung gut getan.
Als die Soldaten des Königs­schlosses von Diggs gefragt werden, ob sie kämpfen können, verneinen diese das. Ihr Angebot, statt­dessen zu singen, lehnt der Thron­in­haber in spe mit einem freund­li­chen »Jungs, lasst mal gut sein« ab. Gesungen und getanzt wird also nicht. Und das ist gut so. Zusät­z­lich zum 3D hätte es zu einer Stil­mit­telüber­dosis geführt.