Call Me by Your Name

I/F/BR/USA 2017 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: , ,
Kamera: Sayombhu Mukdeeprom
Darsteller: Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel u.a.
Beim Parlieren unterm Baum kommt man sich näher

Melancholisches Sommeridyll

Nach Jahr­zehnten des Nieder­gangs erwacht das italie­ni­sche Kino in den letzten Jahren zu neuem Leben. Dazu gehören Paolo Sorren­tino und Stefano Sollima, ersterer knüpfte mit La grande bellezza inhalt­lich und quali­tativ nahtlos an Federico Fellinis Klassiker La Dolce Vita (1960) an. Stefano Sollima bewies mit Genre­filmen wie Suburra, dass er sich keines­wegs vor Papa Sergio zu verste­cken braucht, welcher einst Filme wie den nihi­lis­ti­schen Thriller Brutale Stadt (1970) gedreht hatte. Mit dem Liebes­film Call Me by Your Name rückt jetzt auch Luca Guadagnio in die erste Reihe der neuen italie­ni­schen Regis­seure vor. Dabei konnte er zuletzt mit dem eher halbgaren A Bigger Splash noch nicht ganz über­zeugen.

Guadagnio entführt uns in seinem neuen Film ins sonnen­durch­flu­tete Nord­ita­lien des Sommers 1983. Dort genießt der 17-jährige Elio Perlman (Timothée Chalamet) die Sommer­fe­rien in der alten Familien-Villa. Tagsüber hängt er lesend am Pool ab oder spielt und tran­skri­biert klas­si­sche Musik. Abends geht er mit Freunden aus und flirtet mit der hübschen Marzia (Esther Garrel). Die jüdischen italo­franko-ameri­ka­ni­schen Perlmans sind eine echte Intel­lek­tu­el­len­fa­milie: Elios Vater (Michael Stuhlbarg) ist Professor für grie­chisch-römische Kultur und seine Mutter Annella (Amira Casar) Über­set­zerin. Wie jeden Sommer kommt ein Doktorand als Prak­ti­kant in die Villa, um Elias Vater bei seinen Studien zu unter­s­tützen. Dieses Jahr ist es der 24-jährige Ameri­kaner Oliver (Armie Hammer). Obwohl dieser Elio zunächst mit seiner etwas unwir­schen Art abzu­stoßen scheint, entsteht zwischen den beiden rasch eine erotische Anziehung. Doch weder Elio noch Olivier haben in ihren Lebens­ent­würfen eine homo­se­xu­elle Beziehung einge­plant.

Call Me by Your Name ist ein Sommer­film par excel­lence: Wenn die Permans sich nicht gerade ihren intel­lek­tu­ellen Tätig­keiten hingeben, sitzen sie bevorzugt bei ausge­dehnten Mahl­zeiten auf der licht­durch­flu­te­tenTer­rasse. Am Pool kann Elio entspannt lesen. Heraklit. Alles fließt. Im Jahr 1983 stört noch kein aufdring­li­ches Brummen und Klingeln von Mobil­te­le­fonen das Plät­schern im Pool. Das einzige unver­zicht­bare mobile tech­ni­sche Utensil ist der Walkman, den sich Elio und Olivier aufsetzen, bevor sie über saftig grüne Wiesen hin zum Lieb­lingssee radeln.

Call Me by Your Name besticht nicht nur aufgrund der vom Weerasethakul-Kame­ra­mann Sayombhu Mukde­eprom (Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben) atmo­s­phä­risch einge­fan­genen Bilder des unbe­schwerten, länd­li­chen, intel­lek­tu­ellen Lebens, welche die sommer­liche Hitze und Trägheit fast körper­lich spürbar machen. Das Liebes­drama ist ein viel­schich­tiger Film voller komplexer Charak­tere. Dabei nimmt sich Guadagnio viel Zeit für die Schil­de­rung der sich anbah­nenden Beziehung zwischen Elio und Olivier. Dass diese Annähe­rung so langsam vorangeht, ist nicht nur der allge­meinen sommer­li­chen Entschleu­ni­gung geschuldet, sondern insbe­son­dere der Unsi­cher­heit und Unschlüs­sig­keit der beiden jungen Männer. Mal ist es Elio, mal Oliver, der nicht weiß, ob er das, was er wahr­schein­lich will, wirklich will oder wollen darf. In diesem Film jagt die Handlung nicht straight von Plotpoint zu Plotpoint, sondern ist ebenso wider­sprüch­lich, sich oftmals im Kreis drehend und vor sich hin mäandernd wie das Leben selbst.

Eine entschei­dende Rolle spielt hierbei das auf dem gleich­na­migen Roman von André Aciman basie­rende Drehbuch von James Ivory. Mit Filmen, wie dem über­ra­genden Was vom Tage übrig­blieb, hatte Ivory zuvor bereits bewiesen, dass er sich auch selbst ausge­zeichnet auf die Insze­nie­rung von fein­füh­ligen Liebes­dramen mit an ihren inneren Wider­sprüchen schei­ternden Charak­teren versteht. Diese Sensi­bi­lität floss in sein Skript zu diesem Film ein. Eine weitere Stärke dieses Liebens­films liegt darin, das Haupt­kon­flikt­feld nicht in den Kampf von frei­heits­lie­benden Indi­vi­duen gegen eine repres­sive Gesell­schaft, sondern in die Psyche der Prot­ago­nisten hinein­zu­ver­legen. Zwar klingt immer wieder auf subtile Weise an, dass selbst innerhalb der sehr liberalen Familie von Elio ein homo­se­xu­elles Verhältnis des Sohns keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit ist. Aber Call Me by Your Name zeigt, dass letzt­end­lich jeder selbst dafür verant­wort­lich ist, ob er trotz real vorhan­dener äußerer Wider­s­tände seinen Lebens­traum lebt oder nicht.