Blutsauger

Deutschland 2021 · 128 min. · FSK: ab 12
Regie: Julian Radlmaier
Drehbuch:
Kamera: Markus Koob
Darsteller: Alexandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Alexander Herbst, Corinna Harfouch, Andreas Döhler u.a.
Die durstige Gräfin
(Foto: Grandfilm)

Untote Revolutionäre

Julian Radlmaiers marxistische Vampirkomödie Blutsauger wirft einen grotesken Blick auf die Fallstricke des Klassenkampfes

Bei Vampiren kann man es mit der Zeit eh nie so genau nehmen. Sie sind doch meist schon gar nicht mehr richtig im Diesseits, irgendwo hängen­ge­blieben vor Jahr­zehnten, viel­leicht Jahr­hun­derten. Die Unsterb­lich­keit bringt so manches Maß durch­ein­ander! Im Sommer 1928 soll Julian Radl­maiers Blut­sauger-Komödie spielen. Und weil Kino dazu in der Lage ist, reicht die bloße einge­blen­dete Zahl zunächst aus, dass man ihre Behaup­tung schluckt, obwohl etwa am Horizont Wind­surfer und Kreuz­fahrt­schiffe aus unserer Gegenwart vorbei­ziehen.

Zwischen hier und dort, damals und heute ist Blut­sauger ange­sie­delt. An der Ostsee, wo Zeit und Raum durch­ein­an­der­ge­raten. Radlmaier liebt das Anachro­nis­ti­sche. Nach Ein Gespenst geht um in Europa, Ein prole­ta­ri­sches Winter­mär­chen und Selbst­kritik eines bürger­li­chen Hundes führt er erneut die Irrungen und Wirrungen ideo­lo­gi­scher Systeme und poli­ti­scher Bestre­bungen aufs Glatteis und befragt deren Gegen­wär­tig­keit. Mit dem vermeint­li­chen Siegeszug des Kapi­ta­lismus ist das bekannt­lich so eine Sache, denn sie sind ja insgeheim immer noch da: die Ideen und Alter­na­tiven. Sie sind Gespenster, wie etwa Jacques Derrida für den Kommu­nismus heraus­ge­ar­beitet hatte. Radlmaier nimmt solche Gedanken quasi beim Wort, genau wie Marx' Metapher der blut­saugenden Kapi­ta­listen.

Unter jene Blut­sauger gerät hier ein sowje­ti­scher Trotzki-Darsteller nach seiner Flucht aus der Heimat. Für Eisen­stein hat er gear­beitet, jetzt bleibt ihm nur noch Hollywood. Als Aris­to­krat verkleidet er sich und plant im Tran­sit­raum des Ostsee­bades die Überfahrt. Im Herren­haus der reichen Fabrik­be­sit­zerin Octavia, einer Vampirin, darf er verweilen. Während­dessen macht sich unter den Arbeitern in der Gegend Unbehagen breit, als man Ausge­saugte findet. Eine chine­si­sche Floh-Plage soll dafür verant­wort­lich sein, das tischt man ihnen zumindest auf.

So nutzt Radlmaier das Szenario, um wieder einmal munter (Klassen-)Klischees und Rollen­bilder zu zerlegen. Lilith Stan­gen­berg mimt die sehn­suchts­voll fabu­lie­rende Vampirin. Der Luxus des Schwel­gens ist ihr Reichtum. Doch alles gar nicht so schlecht bei den Kapi­ta­listen? Ihrem Bediens­teten, pardon, persön­li­chen Assis­tenten (Alexander Herbst) bietet sie sogar das freund­schaft­liche Du an. Mit Bezeich­nungen, Anreden lässt sich schließ­lich so manches schön­reden. Und bei den Arbeitern? Dort herrschen vor allem Lethargie, Über­for­de­rung, Plan­lo­sig­keit.

Radlmaier hat schon vor Blut­sauger das Kompli­zierte der Revo­lu­tion thema­ti­siert. Wenn sie dann doch einmal losbricht, erscheint sie als unko­or­di­nierte Kinderei, steht auf dem Schlauch, zerbricht an den eigenen Ambi­tionen. Mitten­drin: Alexandre Koberidze als Ljowuschka, der ausge­stoßene Trotzki-Schau­spieler, der sich mal in diese, mal in jene Welt verirrt und seinen Platz zwischen Aufbe­gehren und Konfor­mismus sucht. Der Marx-Lesekreis am Strand weiß jeden­falls auch keinen Ausweg aus dem ganzen Dilemma. Und die Kunst, das Filme­ma­chen fürchtet sich bei Radlmaier vor einer Verein­nah­mung und dem Privi­le­gierten.

Verlorene der Geschichte

Gespens­ter­gleich sind Radl­maiers Figuren, aus der Zeit gefallen. Insofern sind sie alle Vampire. Hilflose noch dazu. In gestelztem Thea­ter­sprech schwa­dro­nieren sie vor sich hin. Selbst­ver­ständ­lich gilt es, mal schlecht, mal recht den ange­eig­neten Habitus zu wahren. Wörter erscheinen ihnen wie von außen in den Mund gelegt. Gefühle werden nicht gefühlt, sondern vor allem blumig geschil­dert. Trist und kühl ist das Mitein­ander, schließ­lich sind offenbar alle schon nicht mehr richtig am Leben.

Das Absurde, Slap­stick­hafte ist den Film­bil­dern dabei immer schon einge­schrieben. Als pitto­reske Tableaus sind sie gedacht, gezügelt in ihren Kame­ra­be­we­gungen, wenn die Kamera nicht ohnehin still­steht. Radlmaier zeigt erstarrte Struk­turen in ebenso starren, nüch­ternen Aufnahmen. Irri­tie­rend lang verweilen sie auf ihren trüge­ri­schen Ordnungen, als würden sie lauern, dass etwas Unvor­her­ge­se­henes, Abson­der­li­ches geschieht. Und die Figuren tapsen nicht minder irritiert durch diese Bildkader. Man wartet auf eine Panne, doch Radlmaier ist ein gedul­diger Regisseur. Das Witzeln in seinen Filmen ist eines des Abwartens und der beob­ach­teten Orien­tie­rungs­lo­sig­keit. Es sucht das Be- und Verfremden im eigenen Philo­so­phieren.

Damit hält der Autoren­filmer sein Publikum natürlich bewusst auf Abstand. Jenem Fremd­ar­tigen, dem Grotesken, das seiner Form und dem porträ­tierten Kosmos innewohnt, den Unter­bre­chungen und dem gekün­s­telten Spiel liegt einzig und allein daran, etwas zu demons­trieren, syste­mi­sche Zustände vorzu­führen. In diesem Sinne arbeitet Radlmaier durchaus im Brecht’schen Geiste. Doch, wenn man ehrlich ist, sonder­lich lang­le­biges Kino ist das nur bedingt geworden. Dafür ist es trotz seiner Ambi­tionen und sperrigen Absur­dität zu selbst­er­klä­rend, repetitiv und aufdring­lich in seinen Seiten­hieben.

Radlmaier hat sich nach nunmehr vier origi­nellen Filmen eher mäßig von der Stelle bewegt. Kein Wunder! Insbe­son­dere an Selbst­kritik eines bürger­li­chen Hundes knüpft man so leicht nicht an, weil das ein (thema­tisch sehr ähnlich gestrickter) Film war, der die eigene Dekon­struk­tion gleich mitge­lie­fert hat. In Blut­sauger bleibt Radlmaier nur, die verblie­benen Einzel­teile des schier aussichts­losen Klas­sen­kampfes in weitere Bruchs­tücke zu zerschlagen. Ist das nun clever beob­achtet oder berech­nende Süffisanz? So oder so: Eigen­sin­niges Kino kommt dabei heraus, im besten Sinne, aber auch eines, das sich etwas in seinen Selbst­be­spie­ge­lungen und Details verliert. Es kann einfach nicht lassen, mit sich selbst statt mit dem Publikum zu disku­tieren, und so gerät das Spie­le­ri­sche fort­wäh­rend ins Zwang­hafte.

Wo bleibt das Chaos?

Das Wunder­same von Radl­maiers Vorgän­ger­filmen erscheint in Blut­sauger allzu verkopft in seiner Lite­ra­ri­sie­rung, suhlt sich verträumt und langatmig in der eigenen Schrul­lig­keit und traut sich doch kaum, dem ganzen Rund­um­schlag endlich die dringend benötigte Hemmungs­lo­sig­keit zuzu­ge­stehen. Seiner herauf­be­schwo­renen Gesell­schafts­le­thargie begegnet er mit gestal­te­ri­schen Fesseln, die sich zu offensiv in schrägen Kult zu verwan­deln versuchen. Blut­sauger fehlt in seinem vorge­führten Scheitern schlichtweg die Note einer gewissen Boden­s­tän­dig­keit, einer Lust am Intui­tiven, Chao­ti­schen, gerade als Komödie.

Alles erscheint perfekt durch­dacht in diesem intel­lek­tu­ellen Salonkino. Alles verweist mit großer Geste auf die eigene Metaebene, füttert die spätere Feuil­leton-Rezeption bis zum Platzen und plappert sich dabei um Kopf und Kragen. Jede Pointe ist geschliffen, jede Fährte und Anspie­lung säuber­lich ausgelegt, doch ihre Diskurse erschöpfen sich im immer­glei­chen Kreislauf, weil der kluge Zere­mo­ni­en­meister natürlich längst das ganze Spiel über­blickt hat. Und er weiß, dass seine histo­ri­sie­rende Gegen­warts­ana­lyse nur im andau­ernden, sich verdun­kelnden Wirrwarr enden kann. Also bleibt ihm die Flucht in Fata­lismus, Ironie und irgendwie beides zugleich. Aber wie ironisch und doppel­bödig kann all das Flickwerk aus Refe­renzen, Form­spie­le­reien und eigent­lich klugen Frage­stel­lungen werden, bis es sich selbst entleert? Man will Radlmaier für all die Wider­spens­tig­keit loben, sein Filme­ma­chen ist ein heraus­ra­gendes, doch das latent Neun­mal­kluge und aufge­setzt Naive seiner Gothic-Polit-Burleske provo­ziert damit nicht seltener Augen­rollen. Blut­sauger funk­tio­niert wie ein perfekt ausge­tüf­teltes, geöltes und kunter­bunt ange­maltes Räderwerk. Es birgt zahl­reiche, erstaun­liche Wunder, zugegeben, doch gerade der Humor, den sein Nach­denken produ­ziert, ist ein ebenso mecha­ni­scher, kein befrei­ender. Ein austrock­nender, blut­leerer, um in den Bildern des Films zu bleiben.

Weltrevolution trifft Slapstick

Julian Radlmaiers Blutsauger vereint funkensprühend den Klassenkampf mit dem Hipster-Lebensgefühl

»Aber meint Marx jetzt ernsthaft, dass Kapi­ta­listen Vampire sind?«
(Blut­sauger)

»Das Leben muss ganz aus Muße und Liebe bestehen, aus Poesie und Abenteuer, sonst ist es keinen Pfif­fer­ling wert.«
Octavia Flambow-Jansen, Blut­sauger

Schon der Titel ist mehr­schichtig. Denn es gibt Mücken und Flöhe, lauter Heer­scharen von fiesen, kleinen Blut­saugern, denen die Menschen zu Wirten werden. Zugleich ist dies ein Vampir­film, der noch dazu an der Ostsee spielt, über die einst, in Murnaus Stummfilm Nosferatu, dem Ur-Ahn des Genres, der blut­saugende Graf Dracula nach Deutsch­land kam. Dieser Graf ist aber auch Angehö­riger der herr­schenden Klassen und so wird schon in der Eröff­nungs­szene in den Dünen tatsäch­lich eine Marx-Passage gelesen und kontro­vers disku­tiert. Sie zeigt den Autor des »Kapital« als regen Konsu­menten der damals im 19. Jahr­hun­dert modischen »Gothic«-Schau­er­ge­schichten, der seine ökono­mi­schen Theorien in entspre­chende plas­ti­sche Bilder von Menschen­fres­sern, in Ketten gelegten Familien, von Gespens­tern und Untoten und eben von kapi­ta­lis­ti­schen Blut­saugern kleidet.

Eine zweite Ebene erzählt Episoden aus der frühen Film­ge­schichte: 1928, als Blut­sauger spielt, drehte Regisseur Sergei Eisen­stein gerade seinen Film Oktober über die Revo­lu­tion 1917. Der für die Rolle des Trotzki gecastete Darsteller Lyovuschka (Alexandre Koberidze) fällt plötzlich in Ungnade und muss, so behauptet der Film, nach Deutsch­land fliehen. Er landet in einem mondänen Ostseebad, wo er behauptet, ein verfolgter Aris­to­krat zu sein – tatsäch­lich ist er Arbeiter. Die kapri­ziöse Fabrik­be­sit­zerin (und Blut­saugerin) Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stan­gen­berg) kümmert das alles wenig. Wer in der Welt herrscht, gestaltet diese allemal nach seinen Launen, und so beschließt sie, Lyovuschka als nächt­li­chen Liebhaber zu nehmen und tagsüber mit ihm einen Vampir­film zu drehen, um ihre Lange­weile damit totzu­schlagen.

Blut­sauger vom Berliner Regisseur Julian Radlmaier ist ein Mash-up solcher histo­risch-kultu­reller Zeichen, die auch dann sehr amüsieren, wenn man nicht jede Anspie­lung versteht. Dies ist ein verspielter Film, schil­lernd, einfalls­reich und ein bisschen durch­ein­ander. Denn mancher Erzähl- und Gedan­ken­faden entpuppt sich als Einbahn­straße. Aber durchaus gewollt. Denn Radlmaier bricht und ironi­siert seine Story und übt vor allem durch seine noncha­lant-unver­krampfte Haltung recht deutliche Kritik an einem deutschen Kunst-Kino, das vor allem Angst vor Fehlern hat und dem in all seinem Prag­ma­tismus mehr und mehr die Ideen ausgehen.

Es ist schon eine sehr besondere und auch ein bisschen merk­wür­dige Mischung, die Julian Radlmaier hier auftischt. Anachro­nismen treffen auf das Lebens­ge­fühl des neuzeit­li­chen Berlin. Aus Klas­sen­be­wusst­sein wird Hips­ter­be­wusst­sein. Aber weil Verfrem­dung eines der Grund­prin­zi­pien von Radl­meiers Arbeit ist, wendet sich die Technik auch gegen jede mögli­cher­weise allzusehr mit sich selbst zufrie­dene »kriti­schen Haltung« auf der Seite der Macher.
Darum bezaubert das Gesamt­ergebnis: Die Welt­re­vo­lu­tion trifft Slapstick, der Vampir-Film die Albern­heit, der Intellekt die Komödie, und wenn Lilith Stan­gen­berg eine Szene mit Corinna Harfouch spielt, prallen Schau­spiel-Universen funken­s­prühend gegen­ein­ander.