03.03.2022

»Man muss in der Wahrheit bleiben«

Was tun
Hinter dem offenen Blick verbirgt sich auch Leid
(Foto: Filmperlen)

Der Schauspieler Michael Kranz über seinen Dokumentarfilm Was tun, in dem es um Frauenschicksale in Bangladesch geht – und über die Verantwortung, mit der Welt zu tun zu haben

Was tun, der zweite Doku­men­tar­film und Abschluss­film an der Hoch­schule für Fernsehen und Film München des Schau­spie­lers Michael Kranz, führt in das Zwangs­pro­sti­tu­ti­ons­mil­lieu in Bangla­desch. Dort macht sich Kranz auf die Suche nach einem Mädchen, das ihn in Michael Glawog­gers Doku­men­tar­film Whores' Glory (2011) durch ihre scho­nungs­losen Fragen nach der Unabän­der­lich­keit ihres Leidens beein­druckt hatte. Der Ausgangs­punkt ist also die Frage, wie man mit medial vermit­teltem Leid in der Welt umgehen soll, ob man einem Hilfe-Impuls nachgehen soll oder man genug gute Gründe und Einwände findet, sich nicht ange­spro­chen zu fühlen: Was tun? Kranz tut es einfach: Was tun! Aller­dings gestaltet sich der Verlauf der Dinge dann anders als gedacht, indem Kranz bei seiner Suche zunächst auf andere Schick­sale und helfende Menschen trifft. Der Zuschauer bekommt einen ersten berüh­renden Einblick in die Komple­xität des Geschäfts mit käuf­li­chem Sex und der gesell­schaft­lich-kultu­rellen Tradition, die es Frauen, die aus verschie­denen Gründen aus ihrem Fami­li­en­ver­band gerissen werden, fast unmöglich macht, ein finan­ziell und sozial eigen­s­tän­diges Leben zu führen. Und das staat­liche »Frau­en­haus« erinnert mehr an ein Gefängnis als an eine Hilfs­in­sti­tu­tion.

Der Film vermeidet reiße­ri­sche Szenen und lässt einige Leer­stellen, was die Arbeits­ver­hält­nisse der Prosti­tu­ierten angeht. Auch werden die Kunden als Thema ausge­spart. Der rote Faden sind die subjek­tiven Erfah­rungen, die der Filme­ma­cher auf dieser Suche macht, zu denen auch unbe­schwerte Momente und entste­hende Freund­schaften gehören. Trotz einiger weniger eher poeti­scher oder stim­mungs­voller Bilder bleibt der Fokus auf den Begeg­nungen mit den Menschen in Bangla­desch und vermit­telt so einen spontanen und unmit­tel­baren Eindruck dieses jugend­li­chen Projektes, das zeigt, dass man mit Einsatz und Idea­lismus Dinge positiv verändern kann.

Was tun feierte seine Welt­pre­miere am Dok.fest München. Er lief auf dem Berliner Human Rights Film Festival und war für den Deutschen Mensch­rechts­film­preis nominiert. Auf den Bibe­r­acher Film­fest­spielen wurde er 2020 als bester Doku­men­tar­film ausge­zeichnet.

Das Gespräch führte Christoph Becker

artechock: Wie beur­teilst du mit einem gewissen Abstand die am Anfang des Films gestellte kritische Frage nach dem „weißen Retter auf dem Pferd“, oder war es durch das Eintau­chen in diese Welt eine ganz andere Erfahrung?

Michael Kranz: Es war definitiv eine andere Erfahrung. Trotzdem ist es natürlich wichtig, diese Frage bewusst gestellt zu haben. Ich sage in dem Film »aus guten Gründen nichts getan habe ich schon oft genug« und mir war klar, dass dieser Film ein Slalom um die Fett­näpf­chen wird. Vor allem aus dem „White savior“-Grund. Aber um so wichtiger fand ich es, ihn zu machen. Wenn ich einen Film gemacht hätte »Ich rette meinen Nachbarn, der sein Leben nicht auf die Reihe kriegt« – das wäre für mich keine virulente Frage gewesen. Aber man denkt am Anfang natürlich zu Recht »Das ist jetzt schwierig«, es ist für mich aber nicht alles Schwarz-Weiß, nur weil ich jetzt diese Hautfarbe habe und zu einem privi­le­gier­teren Teil der Welt gehöre, heißt es nicht, dass ich auto­ma­tisch ein White savior bin. Der Begriff inklu­diert ja eine gewisse Unbe­wusst­heit, was das Thema angeht. Im Sinne von »Oh, mein Gott, die leben auf der Straße, da muss ich hin«. Aber viel­leicht sind die ja glücklich auf der Straße. Ich finde, das Wich­tigste ist erstmal, sich diese ganzen Frage­stel­lungen und Fett­näpf­chen anzu­schauen, aber heißt das jetzt, dass ich da nicht hin darf? Da habe ich mir gedacht, ich finde es total spannend, nach vielen Inter­views zu diesem Thema einfach zu sehen, was passiert mit der Wirk­lich­keit, wenn ich da rübergehe. Und meine Arbeits­hy­po­these war, ich werde da hingehen und werd’ erstmal denken »Oh, war ich naiv, oh mein Gott, das ist ja alles völlig anders, was mache ich jetzt?« Und das wird ein span­nender Prozess. Und dann war es ganz anders und lief wie mit einem warmen Messer durch die Butter. Und dann entstand da so ein Kinder­heim. Das hat den Schnitt­pro­zess natürlich sehr hart gemacht, weil die Geschichte plötzlich eine andere war.

artechock: Gab es eine Vorgabe, was die Länge betraf?

Kranz: Nein, gab es nicht. Ich hätte den Film länger machen können, aber der Film­hoch­schule war irgend­wann wichtig, dass ich den Film fertig habe.

artechock: Wie ist für dich der Zusam­men­hang zwischen der sehr persön­li­chen Frage, »Wie gehe ich mit dem Leid der Welt um?« und dem Projekt eines Abschluss­films. Wäre es für dich eine Alter­na­tive gewesen, ohne Kamera dorthin zu gehen?

Kranz: Das ist eine sehr gute Frage. Der Film ist auf jeden Fall eine Mischung aus beidem. Aus meinem Wunsch, helfen zu wollen und dem Gefühl »Oh, ich bin an der Film­hoch­schule, ich werde gerade zum Doku­men­tar­filmer ausge­bildet.« Aber als Zuschauer bin ich eigent­lich über­for­dert und weiß gar nicht, wofür. Dieser Frage sollte ich doch mal nachgehen: Wofür mache ich eigent­lich diese Bilder, wenn ich selber damit über­for­dert bin? Und dann habe ich gemerkt, dass diese Frage bei ganz vielen Menschen um mich herum virulent ist. Hätte ich es also auch gemacht, wenn es nicht diese Metaebene meiner eigenen Frage gegeben hätte? Das kann ich erstmal nicht beant­worten.

artechock: Am Anfang des Films wurde die Frage nach der Verän­de­rung des Systems aufge­worfen, die eigent­lich notwendig sei, um wirklich etwas zu verändern. War deine Aktion nur ein Streich­holz in der Dunkel­heit? Wie antwor­test du jetzt, mit zeit­li­chem Abstand darauf?

Kranz: Für mich ist der Film und die Resonanz darauf durchaus eine Ermu­ti­gung, dass ich sage, ich nehme meine Beun­ru­hi­gung erstmal ernst. Das ist schon mal das Erste. Und dann folgen wir dem Impuls, sind kritisch mit uns, führen Gespräche mit kriti­schen Menschen. Und dann ist es ja inter­es­san­ter­weise im Laufe der Ereig­nisse leider so, dass die Einzel­hilfen eher weniger erfolg­reich waren als die eher struk­tu­relle Hilfe durch das Kinder­heim. Wir haben zwar auch einzelnen geholfen, zurück zu ihren Familien zu kommen, aber das fand ich durchaus einen span­nenden Verlauf im Nach­hinein, aber, auch spannend, ange­fangen hat es damit, dass ich gesagt habe, ich will ihr helfen, sie hat mich jetzt berührt, und dann bin ich diesen Schritt gegangen und der hat mich aber woanders hinge­führt.

artechock: Ja, das ist doch legitim und sehr sinnvoll, dass man da, wo einen das Leid anspringt, reagiert.

Kranz: Ja genau.

artechock: Jeder von uns muss sich ja die Frage stellen: Was tue ich gegen das Leid der Welt? Das kann der Obdach­lose hier in München sein, vor der Haustür, oder wie bei dir ein Mädchen aus einem Film. Ich würde es niemand vorwerfen, dass er sich für einen bestimmten Weg entscheidet.

Wie ist es denn möglich, den Kontakt zu halten, bei all dem, was du an Projekten und Film- und Seri­en­drehs hast? Kann das Geld weiter in das Kinder­heim­pro­jekt fließen?

Kranz: Ganz kurz noch eine Ergänzung zum „White savior“. Mein Weg war, dass ich das möglichst trans­pa­rent mache, dass ich selbst offenbare, dass mir bewusst ist, dass ich der weiße Mann mit der Kamera bin. Aber dass ich zu kriti­schen Diskus­sionen anregen will, dass ich nicht sage »so geht’s!«. Sondern ich sage »so habe ich es gemacht, nach bestem Wissen und Gewissen und jetzt lass uns drüber reden. Dann kommen wir inhalt­lich viel­leicht ein bisschen weiter.«

Nun dazu, wie das Projekt weiter­geht: Das Projekt wird immer größer. Wir sind mitt­ler­weile ein Förder­verein, der gemein­nützig Spenden erhalten kann. Wir werden dieses Jahr wahr­schein­lich ein eigenes Heim­ge­bäude in Faridpur bauen. Und ich skype ungefähr einmal in der Woche mit Chanchala und/oder Shymal, ich habe noch Kontakt zu Hafeza, die jetzt gehei­ratet hat vor ein paar Wochen – über Facebook sind wir natürlich befreundet … aber Redoy habe ich noch nicht wieder­ge­funden, was sehr schade ist. Durch Covid konnte ich ja zwei Jahre nicht vor Ort sein.

artechock: Wie hat die heftige Diskus­sion um den Film Lovemobil deine Sicht auf das Produ­zieren von Doku­men­tar­filmen verändert? Du hast ja auch den gleichen Preis erhalten.

Kranz: Kurz, damit ich mich nicht mit fremden Federn schmücke: Es war nicht genau der gleiche Preis. Was tun hat beim Deutschen Doku­men­tar­film­preis den Nach­wuchs­preis und den Publi­kums­preis erhalten, nicht den Haupt­preis wie Lovemobil.

Naja, die Diskus­sion um den Film hat zunächst mal die Grund­satz­frage der „Echtheit“ im Doku­men­tar­film, die ja eine alte ist, wieder ins Zentrum gerückt. Es gibt ja Doku­men­tar­film­ma­cher*innen wie z.B. Werner Herzog, die keinen Hehl daraus machen, dass ihnen eine »„gute Geschicht“e« in Momenten genau­so­viel Wert ist wie das reale Geschehnis.

Dass Elke Lehren­krauss, durch teilweise wirklich eindeu­tige Fiktion (und ihre Intrans­pa­renz darüber) die Linie mehr als über­schritten hat, ist ihr wahr­schein­lich selbst klar. Das ist fatal, weil es das Vertrauen der Öffent­lich­keit unter­gräbt, und es manchmal auch dazu führt, dass Klischees repro­du­ziert werden, die der Komple­xität der Wirk­lich­keit eben nicht gerecht werden.

Ich habe im Studium mal die Formu­lie­rung gehört, dass man „in der Wahrheit“ bleiben müsse. Das finde ich treffend. Ein Doku­men­tar­film muss natürlich verdichten und die Gescheh­nisse in eine drama­tur­gi­sche Form weben. Viel­leicht muss man im Einzel­fall, wenn es möglich ist, eine Szene auch nochmal drehen. In Was tun gibt es zum Beispiel das Interview mit einem Menschen­händler. Dieses ist so in den Film einge­woben, als ob es während meiner ersten Reise nach Bangla­desch statt­ge­funden hat, dabei kam es erst ein Jahr später, bei einer zweiten Reise dazu. Das im Film so zu erzählen, wäre kompli­ziert und für die Zuschau­enden auch nicht relevant. Aber da muss man sich sehr kritisch hinter­fragen und es auch z.B. der Redaktion offen­legen, die ja eine Mitver­ant­wor­tung trägt.

Ein positiver Effekt, den die Diskus­sion um Lovemobil hatte, war, (mal wieder...) über die Vergütung von Doku­men­tar­filmen zu sprechen. Weil die geringen Summen, die da meist gezahlt werden natürlich längere Recher­chen nicht im Entfern­testen abdecken. Man kann sich beim Doku­men­tar­film eben nicht die Welt und die Prot­ago­nist*innen zaubern, wie sie einem gefallen. Man muss oft lange suchen und Vertrauen aufbauen. Und man landet zwischen­durch eben auch mal in einer Sackgasse. Dass mir die lange und ergeb­nis­of­fene Arbeit an Was tun möglich war, lag nur daran, dass ich den Film und mich durch mein Schau­spiel quer­fi­nan­zieren konnte. Mein Produzent und ich haben bis jetzt durch den Verkauf des Filmes soviel Geld wieder raus­be­kommen, wie wir persön­lich hinein­ge­steckt hatten. Das heißt, meine unzäh­ligen Stunden Arbeit an dem Film waren unbe­zahlter Idea­lismus. Das ist in Ordnung, aber nochmal könnte ich mir das auch nicht leisten.