30.07.2015

Tarzan in Istanbul

Cem Kaya
»Es wird immer schwieriger wirklich kritisches Kino zu machen.« – Cem Kaya (2015)

Remake, Remix, Rip-Off – Cem Kaya’s Dokumentarfilm feiert den bizarren Trash-Charme des türkischen Pop-Kinos und hinterfragt dessen Kopierpraxis

Das türkische Kino produ­zierte in seiner 100-jährigen Geschichte über 7.000 Filme. In den 1960er und 1970er Jahren war es eine der größten Film­in­dus­trien der Welt. Tollywood lag in Istanbul und wurde, nach einer Strasse, „Yesilçam“ genannt. Um den hungrigen heimi­schen Markt, besonders in den länd­li­chen Gebieten Anato­liens, stillen zu können, produ­zierte Yesilçam türki­sierte Remakes ameri­ka­ni­scher Block­buster. Die beschei­denen finan­zi­ellen und tech­ni­schen Mittel wurden gnadenlos über­spielt mit exzes­siver Phantasie und hals­bre­che­ri­schem körper­li­chem Einsatz vor und hinter der Kamera. In Turkish Star Wars, 1982, von Çetin Inanç, kämpfen die türki­schen Astro­nauten Murat und Ali mit Holz­schwert und einem Schild konzen­trierter mensch­li­cher Gehirn-Moleküle gegen einen galak­ti­schen Tyrannen und sein Arsenal roter Plüsch­monster, goldener Ninjas, Zombies, Skelett­krieger und in Toilet­ten­pa­pier gewi­ckelter Mumien. Diese absurd bizarren, nicht als Parodie verstan­denen, B-Movies werden in den letzten 15 Jahren in der Türkei wieder entdeckt. Dank ihres inter­na­tio­nalen Kult­status unter Trash-Cineasten brachte man in den USA wiederum eine englische Version des „Turkish Rambo“ heraus.

Der in Berlin lebende Regisseur Cem Kaya ist mit Yesilçam-Filmen aus den türki­schen Video­theken in Deutsch­land aufge­wachsen. Sein Doku­men­tar­film Remake, Remix, Rip-Off, 2014, geht der Kopier­praxis dieser Remakes nach. Es ist eine Hommage an die Hochzeit und obskure Parallel-Welt des türki­schen Kinos. 2014 hatte der Film seine Premiere auf dem Locarno Film Festival, er lief auf etwa 40 Festivals weltweit und wird Ende diesen Jahres ins deutsche Kino kommen.

Das Gespräch führte Sabine Matthes.

artechock: Was ist Ihr liebstes Remake unter all den türki­schen Tarzans, Lassies, Supermen, Exor­zisten, ETs, Hamlets und Rambos? Wie viele gibt es überhaupt?

Cem Kaya: Es gibt ein türki­sches Remake des ameri­ka­ni­schen Western Klas­si­kers 3:10 to Yuma (deutscher Titel: Zähl bis drei und bete) aus dem Jahre 1957. Dieser Film wurde in Hollywood 2007 mit Russell Crowe und Christian Bale als Todeszug nach Yuma neu verfilmt und es gibt auch eine TV-Serie mitt­ler­weile. In der Türkei wurde er 1988 unter dem Namen Muhtesem Serseri (zu deutsch: Ein groß­ar­tiger Nichts­nutz) mit Action-Held Cüneyt Arkin und unter der Regie von Akut Düz adaptiert. Diese Version ist aber kein Western, sondern spielt in der Gegenwart. Cüneyt Arkin spielt einen alternden Boxer, der einen Verbre­cher über­führen muss. Es geht um den Psycho­krieg beider Prot­ago­nisten auf dieser Reise. Mir gefallen auch die ameri­ka­ni­schen Adap­tionen dieser Lite­ra­tur­vor­lage von Elmore Leonard, aber in der türki­schen Version gefällt mir der an Bud Spencer und Terence Hill Filme ange­lehnte Witz und die doku­men­ta­risch anmutende Insze­nie­rung des Istan­buler Rotlicht­mi­lieus jener Zeit. Es ist eine leicht­füßige Komödie mit absurden Elementen, die alles daran setzt die Origi­nal­vor­lage zu igno­rieren.

artechock: Wieso war der Hollywood Einfluss so dominant? Warum wurden ameri­ka­ni­sche Helden kopiert, anstatt eigene Geschichten zu erfinden?

Kaya: Das Kino kam zwar sehr früh in die Türkei, die eigene Film­in­dus­trie indes war bis in die 50er Jahre sehr schlecht entwi­ckelt. Bis in die 40er Jahre gab es nur einen Regisseur namens Muhsin Ertugrul, der ursprüng­lich aus dem Theater kam. Es gab keine Film­hoch­schulen, keine Labore, keine Fabriken, die Negative produ­zierten. Alles musste umständ­lich impor­tiert werden. Da es auch keine Film­hoch­schulen gab, war der einzige Weg das Filme­ma­chen zu erlernen, das Kino. Während des Zweiten Welt­krieges waren die Import­wege aus Europa gekappt, deswegen wurden Filme über die südlichen Länder wie Ägypten impor­tiert. Den Markt domi­nierten ameri­ka­ni­sche, ägyp­ti­sche und indische Filme.

In den 50er Jahren dann war die Türkei, die an die Sowjet Union grenzte, ein stra­te­gisch wichtiger Partner des west­li­chen Blocks und stand politisch und kulturell stark unter ameri­ka­ni­schem Einfluss. Das Land war NATO-Partner und genoss ähnlich wie Deutsch­land Marshall­plan Hilfe. Ameri­ka­ni­sche Straßen­kreuzer domi­nierten das Straßen­bild, die wirt­schafts­li­be­rale Regierung unter Adnan Menderes hatte sich das erklärte Ziel gesetzt, das Land zu einem „kleinen Amerika“ zu machen.

Als 1948 eine Steu­er­sen­kung auf türkische Film­pro­duk­tionen den heimi­schen Filmmarkt ankur­belte und Menderes' Agrar­po­litik durch den Bau von Stau­dämmen Elek­tri­zität in den letzten Winkel Anato­liens brachte, begann der Boom. Denn wo es Strom gab, da konnte man Kinos eröffnen. Der Mangel an Fach­per­sonal, vor allem an Dreh­buch­schrei­bern, führte mittel­fristig zur Adap­ti­ons­praxis von Filmen. Denn die Regis­seure, die in den 60er und 70er Jahren Filme machten, hatten in den 30er und 40er Jahren fast ausschließ­lich ameri­ka­ni­sche Filme konsu­miert. Eigene Geschichten gab es selbst­ver­s­tänd­lich auch, sie reichten nur nicht aus.

artechock: Hollywood Filme wurden oft geplün­dert. Es gibt italie­ni­sche Spaghetti- und indische Curry-Western. Als erstes Remake gilt wohl Rose Hobart, 1936, von dem ameri­ka­ni­schen Künstler Joseph Cornell. Sein expe­ri­men­teller Kurzfilm kombi­niert Film­schnipsel des Hollywood Films East of Borneo mit Doku-Ausschnitten einer Eklipse. Wie und was haben die türki­schen Remakes kopiert? Waren sie dreister als andere?

Kaya: Rose Hobart ist kein klas­si­sches Remake, es ist der erste Avant­garde Film, der Film­schnipsel aus anderen Filmen benutzt und sie in neuen Kontext stellt. Es geht um das Recycling von bereits vorhan­denem Footage wie auch in The Man Who Saves The World, dem als Turkish Star Wars bekannt gewor­denem Trash-Film Klassiker aus dem Jahre 1982, der Footage aus Star Wars für Special Effects Szenen benutzt, die die türki­schen Filme­ma­cher nicht in der Lage waren selbst zu drehen (Hier der Youtube-Link zum Film). Klas­si­sche Remakes, die Neuver­fil­mung eines bereits vorhan­denen Stoffes, gab es bereits seit Anbeginn des Kinos. The Squaw Man zum Beispiel wurde 1914, 1918 und 1931 immer von Cecil B. DeMille verfilmt.

Die türkische Adap­ti­ons­praxis reicht zurück bis in die Zeit der Tanzimat-Reformen im späten 19. Jahr­hun­dert, als das zerfal­lende Osma­ni­sche Reich sich zum Westen hin öffnete. Der Schrift­steller Ahmet Mithat zum Beispiel adap­tierte westliche Romane wie Cervantes' „Don Quixote“. In der Einfüh­rung seines Buches „Çengi“ stellt er dem Leser Cervantes und die Roman­vor­lage vor. Seine Geschichte ist aber keine Über­set­zung, sondern eine Inter­pre­ta­tion, denn in seiner Version zum Beispiel verliert der Prot­ago­nist seinen Bezug zur Realität nicht durch das Lesen von Ritter­ro­manen, sondern weil er einer „Çengi“, einer Bauch­tän­zerin, verfällt. Ahmet Mithat muss die Geschichte für den osma­ni­schen Leser vers­tänd­lich machen und darf gewisse kultu­relle und mora­li­sche Codes nicht außer Acht lassen.

Diese Praxis der Aneignung wird später in der Synchro­ni­sa­tion von west­li­chen Filmen fort­ge­setzt. In manche Filme werden gar selbst­ge­drehte Szenen wie Moschee­be­suche oder Bauchtanz Vorfüh­rungen geschnitten. Synchron­spre­cher-Legende Ferdi Tayfur ist ein Meister im Sprechen von Dialekten und Akzenten. Er ist die Synchron­stimme von Stan Laurel und Oliver Hardy aber auch von Groucho Marx. Stan und Oli spricht er mit ameri­ka­ni­schem Akzent, um den Eindruck zu erwecken, die Geschichte würde in der Türkei statt­finden. Er verändert Sprach­witz und Pointen so, dass der türkische Zuschauer darüber lachen kann. Groucho Marx wird zu einem Armenier namens Arsan Pala­biy­ikyan gemacht und spricht Türkisch mit arme­ni­schem Akzent, so über­zeu­gend, dass manche Armenier in Istanbul behaup­teten mit ihm verwandt zu sein.

Da das Yesilçam-Kino ein strikt kommer­zi­elles Kino war, orien­tierten sich Verleiher und Produ­zenten stets an erfolg­rei­chen Filmen egal ob türkisch, indisch, italie­nisch oder ameri­ka­nisch. Ein erfolg­rei­ches Rezept wurde so oft kopiert bis es kein Geld mehr einbrachte. Da das türkische Urhe­ber­recht nur auf einhei­mi­sche Produk­tionen angewandt wurde, bzw. Ausländer ihre Werke in der Türkei hätten anmelden müssen, konnten die türki­schen Filme­ma­cher alle Stoffe frei adap­tieren.

Die Zensur war ein weiterer Grund warum so viele Filme gedreht wurden, die sich ähneln. Jedes Drehbuch und jeder Film musste die Erlaubnis der Zensur­behörde bekommen, die besetzt war von Vertre­tern aus Polizei, Militär, Kultus­mi­nis­te­rium etc. Die Zensur­kri­te­rien waren so umfang­reich, dass viele Produ­zenten es gar nicht erst wagten, neue Stoffe zu verfilmen. Denn wenn ein Stoff von der Zensur bereits abge­nommen war, konnte man nichts falsch machen.

artechock: Wie muss man sich die „Türki­sie­rung“ ameri­ka­ni­scher Filme wie Manche mögen’s heiß oder Dracula vorstellen? Wurde Dracula mit dem Koran bekämpft? Wie passte man sich türki­schem Geschmack und Zensur an?

Kaya: Ganz allgemein kann man sagen, dass alle adap­tierten Stoffe auf den Geschmack des türki­schen Publikums zuge­schnitten wurden.

Der Dreh­buch­autor Bülent Oran schrieb einst, dass das Einhei­misch-Machen von auslän­di­schen Filmen viel schwie­riger sei, als neue Dreh­bücher zu schrieben, da man viele kultu­relle und mora­li­sche Kodizes beachten muss. So dürfen ein Mann und eine Frau nicht alleine in einem Zimmer sein, wenn keine Verwandt­schaft zwischen ihnen besteht, oder die Frau eines Generals darf ihn nicht betrügen, da man sonst Ärger mit den Zensoren bekommt. Die Filme müssen fami­li­en­ge­recht gestaltet werden, da drei Gene­ra­tionen gleich­zeitig ins Kino gehen und der Zuschauer muss sich mit den Prot­ago­nisten iden­ti­fi­zieren können. Das bedeutet eigent­lich, dass man alles anders machen muss.

Im türki­schen Remake von Der Exorzist zum Beispiel findet ein isla­mi­scher Exor­zismus statt. Einer Legende nach haben sich Produzent Hulki Saner und Meis­ter­re­gis­seur Metin Erksan den Film in London im Kino angesehen und tran­skri­biert, um ihn dann eins-zu-eins nach­zu­drehen. Das ameri­ka­ni­sche Vorbild war in der Türkei 7 Jahre lang verboten. Zurück in Istanbul drehten sie den Film Szene für Szene nach. Die türkische Version indes ist nicht so sehr religiös aufge­laden. Die Exor­zisten sind keine Geist­li­chen, sondern ein Archäo­loge und ein Schrift­steller. Der Zweifel an der Existenz Gottes, wie sie Father Karras erfährt, findet hier nicht statt, da der türkische Held ein empi­ri­scher Wissen­schaftler ist. Er hat ethische Selbst­zweifel, keine reli­giösen. Das türkische Remake ist in seiner Konstruk­tion sehr viel simpler und erklä­render gehalten. In der Hypnose Szene der Mädchen sieht man eine pendelnde Uhr und der Arzt sagt: »Ein Wunder, sie ist sehr schnell in Trance gefallen.« Hier erklärt der türkische Film seinem Zuschauer die Hypnose, da die Filme­ma­cher davon ausgehen, daß die türki­schen Zuschauer diese Behand­lungs­me­thode nicht kennen. Im ameri­ka­ni­schen Film gibt es weder eine Uhr noch einen erklä­renden Satz.

Im türki­schen Superman Remake Superman Returns von Kunt Tulgar zum Beispiel bekommt Superman das Kryptonit einge­wi­ckelt in einer Häkel­decke aus der Mitgift­truhe seiner Mutter. In Homoti, einem der zwei türki­schen Remakes von E.T. – Der Außer­ir­di­sche, schüttet man bei Homotis Abreise ins All Wasser nach. Das ist ein Brauch der bedeutet, er möge so leicht wie das Wasser ankommen und genauso leicht wieder zurück­kommen.

artechock: War man sich in der Türkei der Copyright-Verlet­zungen bewusst?

Kaya: In der Türkei war das Adap­tieren und das Recyceln legal, denn das türkische Gesetz, ähnlich dem der USA, beschützte auslän­di­sche Werke nur, wenn die Produ­zenten ihre Rechte ange­meldet hatten. Inter­na­tional geltende Copyright Verein­ba­rungen sind erst zu Beginn der 2000er Jahre in Kraft getreten. Die in den türki­schen Filmen benutzten auslän­di­schen Sound­tracks waren meist von Platten, die in der Türkei nicht verlegt worden waren. Denn die Filme­ma­cher brachten sie aus dem Ausland mit. Da sie in der Türkei gesetz­lich nicht erfasst waren, galten sie als Public Domain.

Aus der Sicht der Filme­ma­cher gab es keine Copyright Verlet­zungen, denn die Filme wurden zwei Mal von der Zensur­behörde abge­nommen und bekamen eine Vorführ­er­laubnis vom Kultus­mi­nis­te­rium.

artechock: Wieso gab es nicht mehr Copyright Klagen? War man abge­schreckt durch die Tarzan Affäre? Als die ameri­ka­ni­schen Copyright-Inhaber von Tarzan die türki­schen Produ­zenten von Tarzan in Istanbul, 1952, verklagten, sollen diese zu ihrer Vertei­di­gung einfach einen 50-jährigen Türken namens Tarzan hervor­ge­zau­bert haben, dessen Name vielmehr die Ameri­kaner geklaut hätten.

Kaya: Die Türkei war einfach ein zu kleines und abge­schot­tetes Land, als dass sich große Hollywood Studios die Mühe gemacht hätten dort zu klagen. Sie konnten ja weiterhin ihre Filme dorthin expor­tieren und verdienten ja sehr gut. Die türki­schen Filme standen auch nicht in Konkur­renz zu den ameri­ka­ni­schen, da sie eine andere Zuschau­er­kli­entel hatten.
Die Klage gegen Saba­hattin Tulgar wegen der Urhe­ber­rechts­ver­let­zungen in Tarzan in Istanbul hatte mögli­cher­weise eine abschre­ckende Wirkung, darüber kann ich nicht urteilen. Ich glaube aber, dass die türki­schen Urhe­ber­rechts­ge­setze einfach lax waren und vieles erlaubten, was man heut­zu­tage nicht darf.

Der türkische Tarzan, den man fand, war übrigens der legendäre Manisa Tarzan, ein Vorreiter der türki­schen Umwelt­schutz­be­we­gung, der tatsäch­lich in Manisa im Wald lebte.

artechock: Sie haben sieben Jahre an Ihrem Film gear­beitet, tausende Filme gesichtet und hundert Inter­views geführt. Wie waren Ihre Begeg­nungen mit solchen Legenden wie dem, für seine Schnel­lig­keit berüch­tigten, „Jet-Regisseur“ Cetin Inanc?

Kaya: Die Begegnung mit den Helden meiner Kindheit war natürlich großartig! Ich habe die Filme ja in Deutsch­land konsu­miert und habe die Entwick­lung meiner Prot­ago­nisten in der Türkei nicht mitbe­kommen. Ein inter­es­sierter Istan­buler hätte ja die Yesilçam Straße besuchen können und wäre dort den Filme­ma­chern begegnet. Für uns in der Diaspora aller­dings war Yesilçam so weit weg wie Hollywood.

artechock: Sind die türki­schen B-Movies den ameri­ka­ni­schen von Roger Corman oder Ed Wood vergleichbar?

Kaya: Das ist eine schwierig zu beant­wor­tende Frage, da die ameri­ka­ni­schen und türki­schen Produk­ti­ons­ver­hält­nisse unter­schied­lich waren. Yesilçam-Filme sind der Defi­ni­tion nach keine B-Movies. Die Schwie­rig­keiten, die die Film­wirt­schaft hatte, betraf alle Produk­tionen, auch die vergleichs­weise teuren Filme und das Autoren Kino. Somit wurden die Stra­te­gien, die aus der Not erwachsen waren, auf fast alle Filme angewandt. In Yilmaz Güneys Film­klas­si­kern wie Aç Kurtlar oder Agit zum Beispiel kann man Italo-Western Sound­tracks hören.

Roger Corman drehte ja seine B-Movies nicht aus der Not heraus. Für ihn, der in Oxford studiert hatte, war das ein Geschäfts­mo­dell und ein Weg subver­sives Kino zu machen. Er wurde zu Lebzeiten von der Filma­vant­garde bewundert und förderte Karrieren von heute bekannten Hollywood Größen. Der türkische Regisseur und Produzent Çetin Inanç hingegen, den man gerne mit Corman vergleicht, war ein gebeu­telter Filme­ma­cher, den niemand ernst nahm und der von einem Film zum nächsten hetzte, weil er seine Miete zahlen musste. Seine Strategie, Sound­tracks oder Film­schnipsel aus anderen Filmen zu benutzen, war kein bewusster Akt der Subver­sion, sondern ein prak­ti­scher Weg seine Geschichte zu Ende zu erzählen.

Inanç hat übrigens Cormans Rekord als der schnellste Regisseur der Welt gebrochen. Seinen heute leider verschol­lenen Film Bombala Oski aus dem Jahr 1972 drehte er innerhalb von 24 Stunden unter reich­li­cher Verwen­dung von Found-Footage aus der ameri­ka­ni­schen TV-Serie King of the Rocket Men aus dem Jahr 1949.

artechock: Ameri­ka­ni­sche B-Movies nutzten ihre Unab­hän­gig­keit Ende der 1960er Jahre auch für gesell­schafts­kri­ti­sche Themen, die im Main­stream Kino tabu waren. Der Trash-Regisseur John Waters machte in Pink Flamingos, 1972, Außen­seiter wie Divine zu Helden. Gab es diese subver­sive Seite auch bei den türki­schen B-Movies?

Kaya: Die türki­schen Filme­ma­cher waren ja nicht unab­hängig, ganz im Gegenteil. Sie mussten den Geschmack der Massen treffen um weiter Filme drehen zu können. Deswegen richteten sich subver­sive Inhalte in Form von Sozi­al­kritik meist gegen die Macht­haber und die Ober­schicht. Aber Subver­sion im Sinne eines Hinter­fra­gens der konser­va­tiven Werte einer Gesell­schaft oder als Ausdruck von Zügel­lo­sig­keit und freier Sexua­lität, das gab es eher im Autoren­film als im Massen­kino.

Auch darf man nicht vergessen, dass manche Sachen, die in der Türkei als subversiv gelten, im Westen als didak­tisch und konser­vativ aufge­fasst wurden. Dieser Kritik war Yilmaz Güney Zeit seines Lebens ausge­setzt. Yilmaz Güney war ein Action-Star, der vor allem im Süden des Landes und in Anatolien eine große Fange­meinde in der Unter­schicht hatte. Schon zu Lebzeiten als eine Art Volksheld verehrt, war er der Gegen­ent­wurf zu den europäisch anmu­tenden Stars wie Cüneyt Arkin oder Göksel Arsoy und kämpfte stets auf der Seite der armen Bevöl­ke­rung für das Gute. Der Übergang vom Action Helden zum Autoren­filmer fand fließend statt, so kann man in seinen späten Aben­teu­er­filmen sozi­al­kri­ti­sche Töne finden, wie zum Beispiel in seinem Film Yarin Son Gündür von 1971 (Morgen ist der letzte Tag), in dem ein Gangs­ter­paar á la Bonnie und Clyde mit dem reichen Pärchen, das es als Geisel genommen hat, ein Ratespiel spielt. Das voll­kommen verwest­lichte Pärchen kann Fragen zur europäi­schen Literatur und Musik beant­worten, weiß aller­dings nichts über osma­ni­sche Geschichte, geschweige denn was ein Laib Brot kostet. Güney stili­sierte hier eine dege­ne­rierte Ober­schicht mit einem kapi­ta­lis­tisch west­li­chen Lebens­ent­wurf, der alles Türkische negierte. Die Kritik richtete sich gegen die west­li­chen Eliten in der Türkei und schlug links­na­tio­na­lis­ti­sche Töne an. Das kam bei seinen Zuschauern mächtig an, denn das Land litt unter einer ausbeu­te­ri­schen politisch und wirt­schaft­lich sehr starken Kaste, die – Mili­tär­put­sche inklusive – die poli­ti­schen Inter­essen des Westens bediente.

Güney benutzte oft eine nach dem grie­chi­schen Dichter Äsop benannte Ezop-Sprache, die sich indirekt in Gleich­nissen und Fabeln ausdrückte und ein Weg war, die Zensur zu umgehen. Manche türkische Western zum Beispiel waren eigent­lich einhei­mi­sche Geschichten, die verortet wurden, damit die Zensur sie nicht verbieten kann. Denn spielte eine Geschichte, die das Feudal­system in Anatolien anpran­gerte, plötzlich in Mexiko, konnte die Zensur­behörde nicht viel machen.

Lassen sie mich zum Thema Subver­sion etwas hinzu­fügen.
Çetin Inanç benutzte 1982 in seinem Film The Man Who Saves The World Sound­tracks und Film­schnipsel aus insgesamt 16 unter­schied­li­chen Filmen. Die berühm­testen Clips sind jene Raum­schiff Kampf­szenen aus Star Wars, die er aus Mangel an Mitteln und Know-how nicht selbst produ­zieren konnte. Er borgte sich also die Vorführ­kopie von Star Wars aus, schnitt die Szenen heraus, machte eine Rück­pro­jek­tion und setzte seine Schau­spieler vor die Leinwand, die dann so taten als ob sie einen Kampf­flieger fliegen würden. Zwischen diese Szenen schnitt er wiederum Star Wars-Footage. 1982, als der Film entstand, galt in der Türkei immer noch der Ausnah­me­zu­stand. Es war kurz nach dem Mili­tär­putsch vom 12. September 1980, den General Kenan Evren mit der Unter­s­tüt­zung der USA und der NATO durch­ge­führt hatten. Es war die Geburts­stunde des türki­schen Neo-Libe­ra­lismus und die gnaden­lose Zerschla­gung der Linken. Die türkische Film­in­dus­trie war in Agonie gefallen und die meisten Kinos zeigten nur noch ameri­ka­ni­sche Produk­tionen. Wenn man diese Umstände berück­sich­tigt, ist das Entwenden von Star Wars-Szenen bewusst oder unbewusst ein subver­siver Akt, denn er richtet sich gegen den Impe­ria­lismus der Ameri­kaner. Er stiehlt von den Besatzern und präsen­tiert das Gestoh­lene in abge­wan­delter Form (als seine eigene Parodie) dem türki­schen Publikum.

artechock: Gab es künst­le­risch expe­ri­men­telle Under­ground oder Midnight Movies in der Art von Kenneth Anger oder Alejandro Jodo­rowsky?

Kaya: Nicht, dass ich wüßte. Es gab verein­zelte Filme von Regis­seuren wie Alp Zeki Heper, Bernardo D’Andria oder Atilla Tokatli, die allesamt verschollen sind. Das waren zum Teil expe­ri­men­telle Autoren­filme, die in der Tradition der frühen europäi­schen Avant­garde und des Surrea­lismus standen. Ein Ausnah­me­re­gis­seur war Yilmaz Duru, ein nur auf den ersten Blick konven­tio­neller Regisseur, dessen Filme in der türki­schen Film­wis­sen­schaft leider bisher ignoriert wurden.

artechock: Kann man die türki­schen Remakes als Teil der Appro­pria­tion Art sehen? Weil sie die Vorstel­lung von Origi­na­lität heraus­for­dern – wie der Künstler Marcel Duchamp mit seinen Ready Mades, oder Richard Prince und Sherrie Levine, die in den 1970er und 1980er Jahren Marlboro Werbung und Walker Evans Fotos abfo­to­gra­fierten?

Kaya: Viele Ausdrucks­mittel des Trash oder des Camp sind ja irgendwie verwandt mit Stra­te­gien der Kunst, aber ich wäre vorsichtig mit solchen Verglei­chen. Wenn man so will, waren die türki­schen Tontech­ni­cker, die ersten DJ’s der Welt und zudem Vorreiter des Samplings. Ich glaube aber, wichtiger als eine Kategorie für sie zu suchen, ist die Frage, was die Kopier­praxis von damals über Frage­stel­lungen von heute aussagt? Man könnte ja einige Lehren aus der Ausnah­me­si­tua­tion der Türkei ziehen, wie zum Beispiel die Einsicht, dass das freie Sampeln von Musik und Film­schnip­seln die Rechte­inhaber nicht zwingend in den Ruin treibt. Denn George Lukas oder Ennio Morricone sind ja nicht pleite gegangen, weil Çetin Inanç ihre Bilder und Musik wieder­be­nutzte. Und nicht ein Mensch hat sich deswegen Star Wars nicht angesehen oder eine Platte Morricones weniger gekauft. Daraus ergibt sich für mich, dass der lockere Umgang mit Urhe­ber­rechten, eine faire Regelung zur Wieder­be­nut­zung, Raum für eine andere Form von Krea­ti­vität eröffnet. Kids, die ein Best-Of ihrer Lieb­lings­serie geschnitten und auf Youtube hoch­ge­laden haben, sollten nicht ins Gefängnis gesteckt werden.

artechock: Zurück zur Türkei. Vor dem Ausbruch der Gezi Proteste wurde 2013 in Istanbul, trotz heftigem Wider­stand, das älteste türkische Kino abge­rissen, das legendäre 1924 erbaute Emek. 2014 gewann Nuri Bilge Ceylan`s Winter­schlaf die Goldene Palme in Cannes. Wie steht es heute um das türkische Kino?

Kaya: Der Abriss des Emek Kinos war und ist ein großes Politikum in der Türkei. Es ist nur ein Beispiel für die rück­sichts­lose Profit­gier der Regierung und ihrem Umgang mit dem kultu­rellen Erbe des Landes. Es gibt kaum Film­ar­chive im Land, viele frühe türkische Filme sind bei Archiv­bränden, viele sozi­al­kri­ti­sche Filme nach dem Mili­tär­putsch 1980 beschlag­nahmt und zerstört worden.

Man könnte das türkische Filme­ma­chen grob in drei Gruppen einteilen. Das Main­stream Kino mit ca. 100 Produk­tionen im Jahr, die riesige TV-Serien-Industrie, die auch ins Ausland expor­tiert, und die unab­hän­gigen inter­na­tional bekannten Arthaus-Filme­ma­cher.

Die hals­bre­che­ri­schen Produk­ti­ons­be­din­gungen der Yesilçam-Ära werden in der TV-Serien Industrie fort­ge­setzt, denn die meisten Produk­tionen müssen innerhalb einer Woche 120-Minuten-Folgen abdrehen. Das bringt den Verschleiß von Mensch und Maschine mit sich und macht die Film­in­dus­trie in der Türkei zu einer der härtesten der Welt.

Die unab­hän­gigen Filme­ma­cher haben es weiterhin schwer, die Szene ist aber sehr lebendig. Es gibt zwar eine staat­liche Film­för­de­rung und inter­na­tio­nale Filmtöpfe wie Eurimage oder deutsch-türkische Kopro­duk­tionen aber es wird immer schwie­riger wirklich kriti­sches Kino zu machen, denn die Eurimage Förderung ist gebunden an die staat­liche Förderung, diese wiederum fördert weniger kritische Filme. Die Zensur­behörde ist zwar offiziell abge­schafft, aber es wird weiterhin munter weiter­zen­siert. Möchte man einen Filme­ma­cher mundtot machen, geht man nun über die Gerichte. Der Druck ist hoch, deswegen ist Selbst­zensur das eigent­liche Problem.