14.02.2008
58. Berlinale 2008

Ein Horrorfilm über den Schrecken des Lebens

Paul T. Anderson und Daniel Day-Lewis vor der Kamera
Paul T. Anderson und Daniel Day-Lewis bei den Dreharbeiten zu There Will Be Blood

Gespräch mit Regisseur Paul Thomas Anderson

Mit Boogie Nights galt er als das neue Regie-Wunder­kind Amerikas, mit Magnolia gewann er 2000 mit nur 30 Jahren den Goldenen Bären bei der Berlinale: Paul Thomas Anderson, geboren 1970, gilt heute bereits als einer der wich­tigsten und inno­va­tivsten Regis­seure der Welt. In Berlin läuft jetzt auch sein neuer Film There Will Be Blood. In Berlin sprach Rüdiger Suchsland mit Anderson über seinen Film.

artechock: Wenn man Ihre Buch­vor­lage, Upton Sinclairs Roman „Oil!“ kennt, weiß man: Sie haben so ziemlich alles geändert, was sich ändern lässt, und sich noch am ehesten an die ersten 100 Seiten, knapp ein Sechstel, des Buches, gehalten. Wozu haben Sie das Buch überhaupt gebraucht?

Anderson: Stimmt, es hat sich viel geändert. Aber am Anfang schien es gar nicht so, wir hatten noch viel mehr im Drehbuch drin gelassen. Stück für Stück habe ich die Handlung dann beschränkt und konzen­triert. Ich hatte den Eindruck, das Buch brauchte diese Reduktion. Zugleich habe ich neue Szenen geschrieben, und je mehr neue Szenen dazu kamen, um so mehr schien manches aus dem Roman über­flüssig. Es geht ja in so einem Fall nicht darum, den Roman exakt wieder­zu­spie­geln – den kann jeder lesen, der sich über Sinclairs Buch infor­mieren will. Mit geht es darum, zu erzählen, was ich selbst erzählen will, und dazu benutze ich das Buch als Material – und vieles mehr: wir haben auch histo­ri­sche Sach­bücher als Quellen gehabt. Also: Wir haben sehr vieles benutzt.
Aber wir schulden dem Roman viel: Die Rede am Anfang ist Wort für Wort über­nommen. Die Begegnung des Haupt-Charak­ters mit der Sunday-Familie,

artechock: Wenn Sie so viel geändert haben: Warum gibt es kaum Frauen in Ihrem Film?

Anderson: Es gab dort auf den Ölfeldern einfach kaum Frauen. Eine Liebes­ge­schichte schien mir in diesem Film über­flüssig. Wir hatten über zwei­ein­halb Stunden schon genug zu erzählen. Das Wahrheit ist: Die einzigen Frauen, die dort waren, waren Prosti­tu­ierte – so war es eben. Wir hatten eine solche Szene gedreht, aber dann doch aus dem fertigen Film heraus­ge­lassen. Ansonsten war das ein reiner Männer­bund. Zwischen­durch, beim Schnitt, hat mich das auch gestört.

artechock: Als Sie diesen Film konzi­piert haben: Was waren die ersten Bilder, die sie im Kopf hatten?

Anderson: Wir hatten enorm viele, sehr sehr eindrucks­volle Photo­gra­phien der kali­for­ni­schen Ölfelder und des damaligen Ölbooms – an sie haben wir uns gehalten, und versucht, dies auf der Leinwand wieder zum Leben zu erwecken. Ich habe keinen klaren Vorabplan für die Bilder gehabt, aber diese Photos im Kopf.

artechock: Das heißt: Es ging zuerst um die Land­schaft und Szenerie, nicht um Charak­tere?

Anderson: Nein, so kann man das auch nicht sagen. Über zwei Stunden Land­schaften wäre etwas lang­weilig geworden.

artechock: Welche Bilder und Vorbilder aus der Film­ge­schichte waren für Sie wichtig? Orson Welles, George Stevens drängen sich auf, man könnte auch an Horror­filme denken...

Anderson: Ja, sie erwähnen die wich­tigsten und besten. Stevens' Giganten war von enormem Einfluss. Auch John Hustons Der Schatz der Sierra Madre ist mir wichtig. Mit dem Hinweis auf den Horror­film treffen Sie ins Schwarze. Ich habe den Film für mich immer als Horror­film konzi­piert. Und ich denke, ich habe ihn gerade gedreht. Er handelt vom Schrecken unser aller Lebens. Und es ist natürlich unver­meid­lich, beim Thema „Öl“ nicht auch an Politik zu denken.

artechock: Es gibt etwas Exzes­sives, Barockes, Opern­haftes in There Will Be Blood. Und der ganze Grundton ist der, als versuchten Sie sich hier an einer Art Mytho­logie unserer Zeit. Man muss gele­gent­lich an Wagners „Ring des Nibe­lungen“ denken... Was haben Sie für ein Verhältnis zur Oper?

Anderson: Diese Geschichte, auch die Kultur­ge­schichte des Ölbooms ist natürlich ein großes, großes Ding. Das war mir bewußt. Der Grundton von Größe liegt insofern auch an dem Thema. Sie können den Ton des Films „episch“ nennen. Das hat etwas mit der Film­sprache zu tun, der antid­ra­ma­ti­schen Erzähl­weise. Aber auch ganz schlicht mit der Länge. Über 90 Minuten kann man kaum episch erzählen. Über Opern weiß ich hingegen offen gesagt kaum etwas. Ich kenne mich da nicht gut aus.

artechock: Warum hat es seit Punch-Drunk Love 2002 überhaupt so lange gedauert, bis ihr vierter Film fertig wurde?

Anderson: Es lag nicht dran, dass ich es nicht versucht hätte. Ich musste schreiben, aber dann auch die Finan­zie­rung auf die Beine bekommen. Das war ein schwie­riger Film.