04.12.2025
Cinema Moralia – Folge 369

Elon Musk ist nicht zu fassen

Hans Jürgen Syberberg (l.) und Susan Sontag (r.)
Hans Jürgen Syberberg (l.) und Susan Sontag (r.)
(Foto: Filmgalerie 451)

Geld, Frauen, Pop und Tech-Faschismus: Züricher Tagungen, Syberberg wird 90 und eine analytische Biographie über den dunklen Visionär Elon Musk – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 369. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Poli­ti­sche Kunst ist für mich nur glaub­würdig, wenn sie etwas riskiert. Man muss so tief in die Wunde gehen, dass man in Verdacht gerät.« – Hans Jürgen Syberberg

Ein großes Vergnügen ist es, an diesem Wochen­ende zu einer zwei- genau­ge­nommen sogar drei­ge­teilten Tagung in Zürich einge­laden zu sein. Am Maison du Futur werden wir unter anderem auch mit Film­kri­ti­kern und -wissen­schaft­lern vor allem über Hannah Arendt sprechen, aus Anlass ihres 50. Todestags; aber auch über das Böse, ein uraltes Thema des Kinos, wie von Arendts Werk; und schließ­lich aus traurigem, immer noch »aktuellem Anlass« über Anti­se­mi­tismus im Kultur­be­trieb, eine kultu­relle Plage, die in der Schweiz schon seit zehn Jahren ihr Unwesen treibt, vor allem in Gestalt von BDS, aber auch von skurrilen Verschwörungs­my­then, die sogar manche renom­mierte Schweizer Filme­ma­cher befallen haben. Dazu mehr dann nächste Woche nach Tagungs­ende.

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Auch Hannah Arendt und ihre abge­wo­gene Isra­el­kritik werde von manchen Leuten für ihre anti­se­mi­ti­schen Ausfälle instru­men­ta­li­siert, wie erst jüngst von einer stein­beis­sigen soge­nannten Histo­ri­kerin, die Arendt öffent­lich falsche Zitate für ihren eigenen »Deut­schen­hass« unter­schob.

Dazu passt das dritte, wiederum überaus schräge Zürich-Event über den Rise and Fall of the BRD, an dem die Bundes­re­pu­blik als Diktatur und Zensur­re­gime geframed werden soll. Wir werden vorbei- und dem Wahnsinn unvor­ein­ge­nommen ins Auge schauen.

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Was Hannah Arendt wohl über Hans Jürgen Syberberg gedacht hat? Kannte sie Filme von ihm?

Jeden­falls wird dieser Solitär und seltsame Mythen­denker des deutschen Kinos jetzt 90 Jahre alt.

Syberberg gilt als zentrale Figur des bundes­deut­schen Nach­kriegs­kinos, zu seinen Bewun­de­rern gehören u.a. Susan Sontag, Heiner Müller, Michel Foucault, Naum Kleiman oder Albert Serra. Im Kontext des Neuen Deutschen Films suchte er als Unan­ge­passter und selbst­ge­wähltes Enfant Terrible einen eigenen Weg – seine Filme, die sich häufig mit der deutschen Vergan­gen­heit und Geschichte, mit Tabus und Mythen ausein­an­der­setzen, pola­ri­sieren dabei bis heute.

Syberberg-Filme lassen sich nicht einordnen, verein­nahmen oder leicht verstehen – das macht sie bis heute inter­es­sant.

Anläss­lich des 90. Geburts­tags von Hans Jürgen Syberberg am 8. Dezember ehrt das Deutsche Film­in­stitut in Frankfurt am Main (DFF) den Regisseur mit einer Hommage. Syberberg wird zur Eröffnung am 9. Dezember und Urauf­füh­rung des dritten Teils NACHTGESANG ab 17:30 Uhr persön­lich anwesend sein.
Das filmische Hauptwerk von Hans Jürgen Syberberg wurde in den letzten Jahren in Zusam­men­ar­beit mit der Deutschen Kine­ma­thek restau­riert, so dass Filme wie Hitler – Ein Film aus Deutsch­land, Karl May, Ludwig und Parsifal erstmals wieder in bester Qualität im Kino zu sehen sein werden. 2026 sind mehrere inter­na­tio­nale Retro­spek­tiven geplant.

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»Jetzt ist Zeit für Wider­stand!«, sagt Film­kri­ti­ker­kol­lege Georg Seeßlen. Denn wir alle haben Elon Musk und die anderen »Tech-Bros« noch nicht wirklich verstanden. Sie sind keine Patri­ar­chen und Produk­tiv­ka­pi­ta­listen des 20. Jahr­hun­derts und auch nicht wie die CEO’s des Mill­en­niums. Sondern »wer Elon Musk verstehen will, muss sich in ein anderes Universum begeben – in das seiner Helden X-Men, Iron Man, Batman.«

Es ist ein span­nendes und sehr viel­fäl­tiges Buch, das Georg Seeßlen jetzt geschrieben hat – grund­sätz­lich ein Film- und Kultur­kri­tiker, den man nicht beleidigt, wenn man ihn einen Viel­schreiber nennt, denn dies ist ja auch nur als Kompli­ment gemeint. Hier zeigt er ein weiteres Mal, dass er auch kompetent und über­ra­schend, mit eigenen klaren Thesen über Politik und Wirt­schaft schreiben kann.

Auf etwa 350 Seiten skizziert Seeßlen höchst süffig und lesbar Aufstieg und Persön­lich­keit seiner Haupt­figur und die Geschichte seines geschäft­li­chen Erfolgs und der Wandlung vom linken Multi­mil­li­ardär zum rechten Sozio­pa­then und Welt­be­herr­scher. An diesen zusam­men­fas­senden, grob­schläch­tigen Begriffen, die vom Rezen­senten stammen, erkennt man schon: Es geht hier klarer­weise um Zuspit­zung. Denn auch auf über 300 Seiten ist Elon Musk nicht zu fassen.

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Aber das passt viel­leicht ganz gut, denn in mancher Hinsicht ist dies die Geschichte eines Super­helden aus dem Kino; freilich nicht so sehr die eines positiv-zerris­senen Batman, der das Gesetz selbst in die Hand nimmt, oder die der beschä­digten Außen­seiter X-Men, sondern eher die eines dunklen Helden und destruktiv-disrup­tiven Möch­te­gern-Welt­be­herr­schers, wie Batmans Gegen­spieler Joker.

Es gibt in der Pop-Kultur viele Erzäh­lungen über schräge Kapi­ta­listen mit welt­zer­stö­re­ri­schen Tendenzen. Auf den ersten Blick haben sie sogar eine sympa­thi­sche Seite, denn es geht ihnen nicht um schnöde Akku­mu­la­tion des Kapitals, sondern Geld ist für sie nur ein Mittel zur Kreation, dafür um etwas zu erschaffen. Nur wenn man fragt, was genau sie erschaffen wollen, wird es krank und pervers: Einen neuen Menschen, eine neue Welt, die Herr­schaft der Maschinen oder die Zers­törung all dessen, was nicht ist wie sie. Im Gegensatz zu Lex Luthor oder dem Pinguin-Man sind Mabuse und Fran­ken­stein verletz­liche, im Inneren tief versehrte Könner, die nur halt eben erst die alte Welt zerstören müssen, bevor sie eine neue erschaffen können.

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Seeßlens erste These zu Musk (und seinem Partner in Crime, Donald Trump) lautet: Infan­ti­lismus. Musk sei ein großes Kind, einer der in der Pubertät stecken­ge­blieben ist, nie erwachsen geworden, immer ein wenig Außen­seiter, »verspottet, gede­mü­tigt, ungeliebt, und der sich aus Rache in einen Super­helden verwan­delte – aber eben nicht in einen Gutmen­schen wie Superman, sondern in den Mutanten und Cyborg, der sich nichts aus der Gesell­schaft der 'Normalen' macht. Im Gegenteil, er, der aus Südafrika kam, geflohen vor desolaten Fami­li­en­ver­hält­nissen und vor dem Wehr­dienst, betonte stets das Anar­chi­sche im Neoli­be­ra­lismus. Er agierte wie ein Punk, exzessiv, mit starken Gefühls­schwan­kungen, unver­ant­wort­lich, eben noch rück­sichtslos, dann wieder senti­mental, rebel­lisch und ironisch, wie einer, der es gar nicht fassen kann, dass die Welt tatsäch­lich auf einen wie ihn herein­fällt. Nur eines konnte dem mythi­schen Garagen- und Turn­schuh­ka­pi­ta­listen nie gelingen: erwachsen zu werden.«

Als Erwach­sener werde dieser ewige Pubertär zum destruk­tiven und süchtigen verknif­fenen Spieler. Die Freiheit, die er behauptet, zu feiern, fürchtet er längst, aus der Anarchie wird Diktatur und Terror.

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Seeßlens zweite These: Kinder brauchen Spiel­zeuge. Und weil die immer größer werden, und niemand ihm wider­spricht, wird für Elon Musk irgend­wann die ganze Wirk­lich­keit zum Spielzeug. Und das eigene Spielzeug darf man auch kaputt­ma­chen.

So leben Leute wie Elon Musk laut Seeßlen ihren psycho­tisch verschat­teten Peter-Pan-Traum von der ewigen Kindheit ein ganzes Leben lang.

Aber nicht im Geheimen, sondern im Rampen­licht. So wurde Elon Musk zu einer der meist­be­wun­derten, umstrit­tensten und inzwi­schen auch meist­ge­hassten Personen des öffent­li­chen Lebens. Aufmerk­sam­keit ist alles. Georg Seeßlen deutet Musks Charakter als dunkle Triade – Narzisst, zynischer Macht­mensch und Soziopath – und versucht, die Frage zu klären: Wie denkt Elon Musk?

Musk denke einen Kapi­ta­lismus, der sich allen Regeln und bishe­rigen Weisen des Umgangs entzieht. »Viel­leicht ist da wirklich das Wort Visionär ange­bracht.«

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Seeßlens dritte These tritt dann aus der biogra­phi­schen Matrix hinaus ins Grund­sätz­liche, Histo­risch-Mate­ria­lis­ti­sche. Denn: »Es findet tatsäch­lich gerade eine Trans­for­ma­tion des ganzen Systems statt: Vom Markt­ka­pi­ta­lismus in den Feudal­ka­pi­ta­lismus. Und das hat niemand so gut verstanden wie Elon Musk.«

Unklar bleibt im Buch leider, was genau dieser Feudal­ka­pi­ta­lismus im 21. Jahr­hun­dert sein soll. Denn bei Marx war dieser ja die Vorstufe des Markt­ka­pi­ta­lismus, nicht die Folge.

Den Kultur­kämpfer, Kriegs­un­ter­nehmer und Medi­en­mogul betrachtet Seeßlen als Speer­spitze einer Entwick­lung, die nicht nur das liberale Silicon Valley, sondern die US-Gesell­schaft insgesamt in eine auto­ri­täre Herr­schaft der Tech-Milli­ar­däre trans­for­miert.
Denn es »wird deutlich, dass es sich weder um eine hyper-rationale Verschwörung der zwei Super­put­schisten Musk und Trump allein handelt, noch um das Wüten zweier psycho­so­zial schwer gestörter Charak­tere, die von der Gunst der Stunde ins Zentrum von Macht und Reichtum getragen wurden, sondern um Krisen und Trans­for­ma­tionen, die aus der Logik des Doppel­sys­tems von Kapi­ta­lismus und Demo­kratie entstehen.«

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Es gebe zwei Möglich­keiten, den »Muskismus« zu verstehen: Die eine gewis­ser­maßen positive Variante sei die einer Lebens­vi­sion eines neuen Lebens, der Cybor­gi­sie­rung von Verkehr und Kommu­ni­ka­tion, in der ein digitales Superhirn Netz und KI mit allem verschmelzen lässt und wir Menschen irgend­wann zum Mars fliegen, um dort eine inter­pla­ne­ta­ri­sche Rasse zu gründen. »Dafür ist Musk jedes Mittel recht, jeder Allianz will­kommen, jede soziale Untat gerecht­fer­tigt.«

Die Gegen­these aber lautet: Musk ist derjenige, der von allen Tech­nofeu­da­listen am meisten verstanden hat, worum es heute im Kapi­ta­lismus geht und der ein avant­gar­dis­ti­sches Cloud-Kapital gründet, um die Welt bis auf die Knochen auszu­beuten.

Unsere Welt müsse Konzepte von Soli­da­rität, Inklusion und Empathie neu entwi­ckeln, und sich dazu »vom Muskismus und vom Mythos Musk befreien.«

Das Lachen über Elon Musk und seine mitunter durchaus unter­halt­samen Verrückt­heiten hat jeden­falls ein Ende. Dies ist das Fazit von Georg Seeßlens infor­ma­tiver, über­ra­schender, kluger, gedan­ken­rei­cher und unter­halt­samer Biogra­phie.

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Georg Seeßlen: »Elon Musk – der dunkle Visionär. Geld, Frauen, Pop und Tech-Faschismus«; Bertz + Fischer Verlag, 352 S.; 22 Euro.