Cinema Moralia – Folge 369
Elon Musk ist nicht zu fassen |
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| Hans Jürgen Syberberg (l.) und Susan Sontag (r.) | ||
| (Foto: Filmgalerie 451) | ||
»Politische Kunst ist für mich nur glaubwürdig, wenn sie etwas riskiert. Man muss so tief in die Wunde gehen, dass man in Verdacht gerät.« – Hans Jürgen Syberberg
Ein großes Vergnügen ist es, an diesem Wochenende zu einer zwei- genaugenommen sogar dreigeteilten Tagung in Zürich eingeladen zu sein. Am Maison du Futur werden wir unter anderem auch mit Filmkritikern und -wissenschaftlern vor allem über Hannah Arendt sprechen, aus Anlass ihres 50. Todestags; aber auch über das Böse, ein uraltes Thema des Kinos, wie von Arendts Werk; und schließlich aus traurigem, immer noch »aktuellem Anlass« über Antisemitismus im Kulturbetrieb, eine kulturelle Plage, die in der Schweiz schon seit zehn Jahren ihr Unwesen treibt, vor allem in Gestalt von BDS, aber auch von skurrilen Verschwörungsmythen, die sogar manche renommierte Schweizer Filmemacher befallen haben. Dazu mehr dann nächste Woche nach Tagungsende.
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Auch Hannah Arendt und ihre abgewogene Israelkritik werde von manchen Leuten für ihre antisemitischen Ausfälle instrumentalisiert, wie erst jüngst von einer steinbeissigen sogenannten Historikerin, die Arendt öffentlich falsche Zitate für ihren eigenen »Deutschenhass« unterschob.
Dazu passt das dritte, wiederum überaus schräge Zürich-Event über den Rise and Fall of the BRD, an dem die Bundesrepublik als Diktatur und Zensurregime geframed werden soll. Wir werden vorbei- und dem Wahnsinn unvoreingenommen ins Auge schauen.
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Was Hannah Arendt wohl über Hans Jürgen Syberberg gedacht hat? Kannte sie Filme von ihm?
Jedenfalls wird dieser Solitär und seltsame Mythendenker des deutschen Kinos jetzt 90 Jahre alt.
Syberberg gilt als zentrale Figur des bundesdeutschen Nachkriegskinos, zu seinen Bewunderern gehören u.a. Susan Sontag, Heiner Müller, Michel Foucault, Naum Kleiman oder Albert Serra. Im Kontext des Neuen Deutschen Films suchte er als Unangepasster und selbstgewähltes Enfant Terrible einen eigenen Weg – seine Filme, die sich häufig mit der deutschen Vergangenheit und Geschichte, mit Tabus und Mythen auseinandersetzen, polarisieren dabei bis heute.
Syberberg-Filme lassen sich nicht einordnen, vereinnahmen oder leicht verstehen – das macht sie bis heute interessant.
Anlässlich des 90. Geburtstags von Hans Jürgen Syberberg am 8. Dezember ehrt das Deutsche Filminstitut in Frankfurt am Main (DFF) den Regisseur mit einer Hommage. Syberberg wird zur Eröffnung am 9. Dezember und Uraufführung des dritten Teils NACHTGESANG ab 17:30 Uhr persönlich anwesend sein.
Das filmische Hauptwerk von Hans Jürgen Syberberg wurde in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek restauriert, so dass Filme wie Hitler – Ein Film aus Deutschland, Karl May, Ludwig und Parsifal erstmals wieder in bester Qualität im Kino zu sehen sein werden. 2026 sind mehrere internationale
Retrospektiven geplant.
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»Jetzt ist Zeit für Widerstand!«, sagt Filmkritikerkollege Georg Seeßlen. Denn wir alle haben Elon Musk und die anderen »Tech-Bros« noch nicht wirklich verstanden. Sie sind keine Patriarchen und Produktivkapitalisten des 20. Jahrhunderts und auch nicht wie die CEO’s des Millenniums. Sondern »wer Elon Musk verstehen will, muss sich in ein anderes Universum begeben – in das seiner Helden X-Men, Iron Man, Batman.«
Es ist ein spannendes und sehr vielfältiges Buch, das Georg Seeßlen jetzt geschrieben hat – grundsätzlich ein Film- und Kulturkritiker, den man nicht beleidigt, wenn man ihn einen Vielschreiber nennt, denn dies ist ja auch nur als Kompliment gemeint. Hier zeigt er ein weiteres Mal, dass er auch kompetent und überraschend, mit eigenen klaren Thesen über Politik und Wirtschaft schreiben kann.
Auf etwa 350 Seiten skizziert Seeßlen höchst süffig und lesbar Aufstieg und Persönlichkeit seiner Hauptfigur und die Geschichte seines geschäftlichen Erfolgs und der Wandlung vom linken Multimilliardär zum rechten Soziopathen und Weltbeherrscher. An diesen zusammenfassenden, grobschlächtigen Begriffen, die vom Rezensenten stammen, erkennt man schon: Es geht hier klarerweise um Zuspitzung. Denn auch auf über 300 Seiten ist Elon Musk nicht zu fassen.
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Aber das passt vielleicht ganz gut, denn in mancher Hinsicht ist dies die Geschichte eines Superhelden aus dem Kino; freilich nicht so sehr die eines positiv-zerrissenen Batman, der das Gesetz selbst in die Hand nimmt, oder die der beschädigten Außenseiter X-Men, sondern eher die eines dunklen Helden und destruktiv-disruptiven Möchtegern-Weltbeherrschers, wie Batmans Gegenspieler Joker.
Es gibt in der Pop-Kultur viele Erzählungen über schräge Kapitalisten mit weltzerstörerischen Tendenzen. Auf den ersten Blick haben sie sogar eine sympathische Seite, denn es geht ihnen nicht um schnöde Akkumulation des Kapitals, sondern Geld ist für sie nur ein Mittel zur Kreation, dafür um etwas zu erschaffen. Nur wenn man fragt, was genau sie erschaffen wollen, wird es krank und pervers: Einen neuen Menschen, eine neue Welt, die Herrschaft der Maschinen oder die Zerstörung all dessen, was nicht ist wie sie. Im Gegensatz zu Lex Luthor oder dem Pinguin-Man sind Mabuse und Frankenstein verletzliche, im Inneren tief versehrte Könner, die nur halt eben erst die alte Welt zerstören müssen, bevor sie eine neue erschaffen können.
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Seeßlens erste These zu Musk (und seinem Partner in Crime, Donald Trump) lautet: Infantilismus. Musk sei ein großes Kind, einer der in der Pubertät steckengeblieben ist, nie erwachsen geworden, immer ein wenig Außenseiter, »verspottet, gedemütigt, ungeliebt, und der sich aus Rache in einen Superhelden verwandelte – aber eben nicht in einen Gutmenschen wie Superman, sondern in den Mutanten und Cyborg, der sich nichts aus der Gesellschaft der 'Normalen' macht. Im Gegenteil, er, der aus Südafrika kam, geflohen vor desolaten Familienverhältnissen und vor dem Wehrdienst, betonte stets das Anarchische im Neoliberalismus. Er agierte wie ein Punk, exzessiv, mit starken Gefühlsschwankungen, unverantwortlich, eben noch rücksichtslos, dann wieder sentimental, rebellisch und ironisch, wie einer, der es gar nicht fassen kann, dass die Welt tatsächlich auf einen wie ihn hereinfällt. Nur eines konnte dem mythischen Garagen- und Turnschuhkapitalisten nie gelingen: erwachsen zu werden.«
Als Erwachsener werde dieser ewige Pubertär zum destruktiven und süchtigen verkniffenen Spieler. Die Freiheit, die er behauptet, zu feiern, fürchtet er längst, aus der Anarchie wird Diktatur und Terror.
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Seeßlens zweite These: Kinder brauchen Spielzeuge. Und weil die immer größer werden, und niemand ihm widerspricht, wird für Elon Musk irgendwann die ganze Wirklichkeit zum Spielzeug. Und das eigene Spielzeug darf man auch kaputtmachen.
So leben Leute wie Elon Musk laut Seeßlen ihren psychotisch verschatteten Peter-Pan-Traum von der ewigen Kindheit ein ganzes Leben lang.
Aber nicht im Geheimen, sondern im Rampenlicht. So wurde Elon Musk zu einer der meistbewunderten, umstrittensten und inzwischen auch meistgehassten Personen des öffentlichen Lebens. Aufmerksamkeit ist alles. Georg Seeßlen deutet Musks Charakter als dunkle Triade – Narzisst, zynischer Machtmensch und Soziopath – und versucht, die Frage zu klären: Wie denkt Elon Musk?
Musk denke einen Kapitalismus, der sich allen Regeln und bisherigen Weisen des Umgangs entzieht. »Vielleicht ist da wirklich das Wort Visionär angebracht.«
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Seeßlens dritte These tritt dann aus der biographischen Matrix hinaus ins Grundsätzliche, Historisch-Materialistische. Denn: »Es findet tatsächlich gerade eine Transformation des ganzen Systems statt: Vom Marktkapitalismus in den Feudalkapitalismus. Und das hat niemand so gut verstanden wie Elon Musk.«
Unklar bleibt im Buch leider, was genau dieser Feudalkapitalismus im 21. Jahrhundert sein soll. Denn bei Marx war dieser ja die Vorstufe des Marktkapitalismus, nicht die Folge.
Den Kulturkämpfer, Kriegsunternehmer und Medienmogul betrachtet Seeßlen als Speerspitze einer Entwicklung, die nicht nur das liberale Silicon Valley, sondern die US-Gesellschaft insgesamt in eine autoritäre Herrschaft der Tech-Milliardäre transformiert.
Denn es »wird deutlich, dass es sich weder um eine hyper-rationale Verschwörung der zwei Superputschisten Musk und Trump allein handelt, noch um das Wüten zweier psychosozial schwer gestörter Charaktere, die von der
Gunst der Stunde ins Zentrum von Macht und Reichtum getragen wurden, sondern um Krisen und Transformationen, die aus der Logik des Doppelsystems von Kapitalismus und Demokratie entstehen.«
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Es gebe zwei Möglichkeiten, den »Muskismus« zu verstehen: Die eine gewissermaßen positive Variante sei die einer Lebensvision eines neuen Lebens, der Cyborgisierung von Verkehr und Kommunikation, in der ein digitales Superhirn Netz und KI mit allem verschmelzen lässt und wir Menschen irgendwann zum Mars fliegen, um dort eine interplanetarische Rasse zu gründen. »Dafür ist Musk jedes Mittel recht, jeder Allianz willkommen, jede soziale Untat gerechtfertigt.«
Die Gegenthese aber lautet: Musk ist derjenige, der von allen Technofeudalisten am meisten verstanden hat, worum es heute im Kapitalismus geht und der ein avantgardistisches Cloud-Kapital gründet, um die Welt bis auf die Knochen auszubeuten.
Unsere Welt müsse Konzepte von Solidarität, Inklusion und Empathie neu entwickeln, und sich dazu »vom Muskismus und vom Mythos Musk befreien.«
Das Lachen über Elon Musk und seine mitunter durchaus unterhaltsamen Verrücktheiten hat jedenfalls ein Ende. Dies ist das Fazit von Georg Seeßlens informativer, überraschender, kluger, gedankenreicher und unterhaltsamer Biographie.
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Georg Seeßlen: »Elon Musk – der dunkle Visionär. Geld, Frauen, Pop und Tech-Faschismus«; Bertz + Fischer Verlag, 352 S.; 22 Euro.