DOK.fest-Marathon |
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In Kooperation mit der LMU München.
Wasser, Erde, Wind — und alles verbunden durch das Licht. Diese fast schon meditativ anmutende Erfahrung spielt mit dem Schein und dem Sein der Dinge: extreme Nahaufnahmen, Antäuschungen, Abstraktion hin zu einnehmenden Farbflächen und Mustern, die ineinander fließen. Getragen von einem Klangteppich aus Rauschen, Tiergeräuschen und atmosphärischer, aber zurückhaltender Musik. Gebrochen nur von museal anmutender Präsentation einzelner Objekte aus der Natur, losgelöst von jeder Bindung an Realität und Umgebung, die teilweise fast eine klinische Distanz entwickelt. Hohe Kontraste in Farbe und Belichtung erzeugen nahezu unwirkliche Bilder einer fast fremdartig wirkenden Welt, die dennoch eindeutig die unsere ist — und am Ende in Smok und grell blendendem Licht verschwindet. – Anna Schellkopf
Draufsicht. An der menschenleeren, schroffen Küste Québecs erkundet Sylvain L’Espérance die Oberflächen der Natur. Licht streift in allen Spektren von grau und braun mal behutsam mal reflexartig über Grashalme, Wasser und Felswände und macht deren Äußeres zum zentralen Gegenstand der Bildsprache, variantenreich montiert auf die glatte Leinwandfläche. Die detailversessenen Nahaufnahmen könnten fotografisch wirken – Seiten eines Bildbandes – doch in Bewegung, Dauer und Ton sticht das Filmische praktisch plastisch hervor. Zwischen Dröhnen und Flüstern von Windrauschen und Wellenschlägen wird das Publikum Teil der auralen Landschaft im Kinosaal. Jedes Räuspern hallt doppelt in der Wahrnehmung, verschmilzt zum Gesamten. Akribisch legt Archeology of Light Sinneswahrnehmungen und die Patina des Augenblicks frei. – Lee Redepenning
Rekonstruktion der »Kostbaren«. Die Künstlerin und Filmemacherin Constanze Ruhm nähert sich in ihrem soghaften Essay den »Preziösen« an, einer Frauenbewegung der Pariser Salonkultur. Abwehrstrategien ließen nicht auf sich warten: Molière gab die streitenden Intellektuellen in »Précieuses ridicules« der Lächerlichkeit preis. Auf den Spuren der italienischen Feministin Carla Lonzi inszeniert Ruhm Bilder und Schriften des 17. Jahrhunderts und erzählt von der langen Geschichte der Gewalt gegen Frauen. Nachrichten über Vergewaltigungen laufen über den fiktiven feministischen Radiosenders »Radio Dafne«, ein zersplitterter Spiegel reflektiert leitmotivisch den Übergriff auf die Frauen. Ruhm arbeitet suggestiv und verführerisch, versagt sich Gewissheiten und Aktivismus und kann doch mit den Mitteln der weiblichen Kunst wunderbar aufrütteln. – Dunja Bialas
Der Krieg in geschlossenen Räumen. Tommy Gulliksen begleitet Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seinem letzten Amtsjahr. Zeitweise gelingt es dem Regisseur, ein intimes Porträt zu erschaffen, das auch das Bild des Politikers dekonstruiert. Es ist ein Jahr, in dem der Ukraine-Krieg weiter geht, neue Nato-Mitglieder aufgenommen werden sollen und der mediale Druck sowie ein Ende des homogenen Westens den Generalsekretär konfrontieren. Kleine Momente im Auto oder ein Händeschütteln bewegen. Zwischen Politthriller und Porträt erschafft Gulliksen eine düstere Wechselseitigkeit, die Stoltenberg zugleich menschlicher und doch auch weniger greifbar macht. Momente mit zu vielen ästhetischen wirken ablenkend und lassen den Zuschauer abschweifen. Unterm Strich aber ist Facing War, wenn auch alles andere als ein Meisterwerk, ein wichtiger Beitrag im Diskurs zum aktuellen politischen Geschehen und ein selten naher Blick auf einer der Hauptakteure. – Christian Schmuck
Wir können nicht mehr wegsehen! Der gelernte Fotograf Georg Lembergh lässt vier Frauen aus Süd- und Nordtirol ihre niederschmetternde Geschichte von sexuellen Missbrauch erzählen. Die Frauen sitzen vor der Kamera und schildern die erleideten Übergriffe bis ins kleinste Detail, nur unterbrochen von atemberaubenden Aufnahmen des wunderschönen Tirols. Ohne unnötig aufgeladene Spannungsbögen oder andere Ablenkungen setzt uns Lembergh diesen Geschichten aus und lässt die Frauen in eigenen Worten erzählen – es ist eine Konfrontation mit der Abscheulichkeit des Menschen, welcher man im Kinosaal nicht aus dem Weg gehen kann. Die Kontrastierung von traumhaften Landschaftsaufnahmen und den zutiefst erschütternden Schilderungen erschafft ein Gefühl der traurigen Melancholie. Ein Beitrag zu einem sehr wichtigen Thema, der sich anfühlt wie ein Schlag ins Gesicht. – Christian Schmuck
Von Eintönigkeiten und dem Patriachat. Ana Ts'uyeb zeigt einen sehr persönlichen Debütfilm. Es geht um den Kampf der Frauen des indigenen Tzozil-Stammes um Autonomie und Eigenermächtigung. Im ersten Teil des Films sehen wir die Frauen die tägliche Arbeit erledigen, während sie von der Unterdrückung der Männer und dem Fehlen der eigenen Rechte berichten. Die arbeitenden Frauen zu sehen und gleichzeitig zu hören, wie sie selbst ohne eigenen Besitz oder Rechte unterdrückt werden, hat eine starke Wirkung. Leider verlässt Ts'uyeb alsbald diese Form des Erzählens und verliert den Fokus auf ihren – sehr Ausdrucksstarken – Kern der Geschichte. So fällt der Film formal sowie narrativ langsam außeinander, ohne am Ende die wahre Kraft hinter dieser emanzipatorischen Geschichte klar gemacht zu haben. – Christian Schmuck
Old McDonald had a farm – and still no healthcare plan. In eindringlichen Nahaufnahmen zeigt Regisseurin und Kamerafrau Britanny Shyne die Hände jener, die ernähren, aber selbst von der Hand in den Mund leben. Glaube, Feld und Familie – das ist alles, was den schwarzen Farmern von South Carolina bleibt. »I farm out of my social security check«, klagt der 89-jährige Farmer Williams. Während staatliche Subventionen klagefreudige weiße Farmer erreichen, sorgen sich die Protagonisten um die Zukunft ihrer Kinder. Jede Einstellung ein Schnappschuss zwischen ländlicher Idylle und Verlassenheit. Immer wieder durchbricht anschwellender Lärm der Erntemaschinen die langen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Die leisesten Klänge erhalten Präsenz: Muhen, Rascheln und kargen Worte. Die Gemeinschaft hält zusammen. – Mona Mezhoud, LMU München
Rohkost und Verblendung. Diesen verstrahlten Schwurblern, selbsternannten Heilern und rechten Reichsbürgern 108 Minuten lang zuzuhören, verursacht Schmerzen, bringt einen aber auch zum Lachen. Soldaten des Lichts leuchtet eine verquere Parallelwelt aus, indem die Regisseure einfach die Kamera draufhalten und – mit nur einer Ausnahme – keine Fragen stellen. Chapeau für diese Leistung, nicht laut zu schreien, wenn das Gesagte unerträglich wird. Im Mittelpunkt steht der Schwätzer David, der als Mr. Raw mit seinem Geschwurbel von Verschwörungstheorien, Rohkost und Pülverchen sein Geld verdient. Eigentlich alles auch ziemlich lustig, wenn er tatsächlich andere überzeugen möchte, die Erde sei eine Scheibe. Das Publikum lacht häufig und reibt sich oft verdutzt die Augen. Doch da gibt es einen jungen, sehr schmalen blonden Mann, der oft etwas abseits steht, verloren in diesem Kosmos, doch mit dem Wunsch, dazuzugehören. David hat eigentlich keine Ahnung, was Timo fehlt, möchte ihn aber mit Rohkost heilen, was bei Psychosen definitiv der falsche Therapieansatz ist. Es sind die traurigen Augen von Timo, die einen nicht mit mehr loslassen. – Ingrid Weidner
Toxische Kräuter. Eine Gruppe um den selbsternannten König Peter herum, vor allem der Food-Influencer David aka Mr. Raw, hat es den Filmemachern angetan. Er bekommt großen Raum, seine Orthorexie-Ideologie zu verbreiten. Krebs und Psychosen »heilt« er mit Brennnessel-Smoothies und teuren Nahrungsergänzungsmitteln, das Geschäftsmodell ist selbstentlarvend. Die Gruppe in Köln wird von Anti-Faschisten »angegriffen«, die Fenster sind vernagelt, die Hausfassade beschmiert. Die Gruppe muss umziehen. Wieder einmal deutlich wird, wie problematisch das Portrait derer werden kann, die einem selbst, die Filmemacher inkludierend, zutiefst suspekt sind. Ungefiltert, unwidersprochen und unsanktioniert dürfen die Protagonisten den Holocaust in Anführungszeichen setzen, und lange Diskussionen über die Erde als flache Scheibe passieren. Das wirkt nicht denunzierend, was man den Film zugute halten muss, aber auch nicht erhellend, denn die veganen Influencer um die Querdenker herum, deren Wirken bis in die rechtsextremistischen Reichsbürger hineinreichen, ist hinlänglich bekannt. – Dunja Bialas
»Nur der Teufel hat keine Hoffnung« – diese bittere Aussage gegen Ende des Films ist der einzige Beleg für Optimismus, in einem sonst nihilistischen Bericht über die Folgen von Nukleartests in Kasachstan. Kurmashevas Debütfilm beleuchtet mehrere Schicksale rundum das mit radioaktiver Strahlung verseuchte Gebiet. Wir verfolgen Familien, die von Generation zu Generation gesundheitlich unter den Folgen der Tests leide. Wissenschaftler und Ärzte, die sich mit dem Thema befassen, kommen zu Wort. Die Bilder des Testgebiets schockieren, beklemmen und sind begleitet vom Kampf einer Bauernfamilie für Gerechtigkeit und die Gesundheit der jüngsten Töchter. Kurmasheva zeigt und erzählt viel in 80 Minuten, das lädt den Film trotz seiner ruhigen Erzählweise sehr stark auf, bis zur Überladung. Das wirkt auch, als würde die Filmemacherin ihren Bildern misstrauen, die mehr als genug erzählen, zusätzlich begleitet von Off-Kommentaren, weiteren Interviews oder noch einer kleinen Nebengeschichte. Trotz dieser Konzentrationsschwächen ist der Film ein Schlag in die Magengrube, der noch lange nach dem Kinobesuch im Gedächtnis bleibt. – Christian Schmuck