05.05.2025

Dialog und Fieberkurven

Shoot Film not People
Der Dok-Spirit der 80er. Demonstration der AG Dok 1986 beim Filmfest München, das unter Hauff den Dokumentarfilm ausgeschlossen hatte
(Foto: Peter Heller)

Das Dokumentarfilmfestival München fand vor 40 Jahren zum ersten Mal statt. Wie sich das Festival in vier Jahrzehnten verändert hat, verrät auch viel über den Zeitgeist in der Kulturpolitik

Von Dunja Bialas

»Es hatte vorher schon den Tag des Doku­men­tar­films gegeben«, erinnert sich Filme­ma­cher Peter Heller an die Anfangs­zeiten des Münchner Doku­men­tar­film­fes­tival. Zwei oder drei Jahre lang – so genau kann er das nicht sagen – hatte die baye­ri­sche Sektion der Arbeits­ge­mein­schaft Doku­men­tar­film (AG Dok) im Maxim und in der »Lupe« Doku­men­tar­filme gezeigt und im Anschluss leiden­schaft­lich disku­tiert. Daraus entstand der Wunsch nach einem Festival, das 1985 aus der baye­ri­schen Sektion der AG Dok heraus ins Leben gerufen wurde.

Sitzung der AG Dok 1984
1984 Treffen der AG Dok Bayern (Foto: Peter Heller)

Abspielort für den Tag des Doku­men­tar­films und die erste Ausgabe des Festivals war die Lupe 2, neben dem Theatiner das zweite Münchner Kino von Verleiher Walter Kirchner, das dieser für seine Reper­toire-Programme nutzte. Grund­ge­danke für Kirchners Verleih­pro­gramm war, unter­re­prä­sen­tierte Filmo­gra­phien zu zeigen, und der Doku­men­tar­film gehörte zwei­fellos dazu.

»Damals war es eine echte Ausnahme, wenn ein Doku­men­tar­film ins Kino kam«, erinnert sich AG-Dok-Mitglied Christoph Boekel, der in der Grün­dungs­zeit dabei war. »Wir wollten dem Münchner Publikum zeigen, was Doku­men­tar­film kann, und was Doku­men­tar­film überhaupt ist.« Der kürzlich verstor­bene Hans Guttner war dabei, einer der ersten deutschen Doku­men­tar­filmer, die Filme fürs Kino machten. Andere waren eher politisch orien­tiert, enga­gierten sich in der Friedens- oder Anti-AKW-Bewegung, deshalb ging es ihnen vor allem um die Themen in den Filmen, die sie selbst als »Infor­ma­ti­ons­grund­lage« betrach­teten – und um die Diskus­sionen danach.

Die Geschichte des Doku­men­tar­film­fes­ti­vals München begann also in der Lupe im »Fuchsbau«, in der aufse­hen­er­re­genden 70er-Jahre-Bruta­lismus-Archi­tektur in der Nähe der Münchner Freiheit. Und nicht etwa bei Kino­be­treiber und AG-Dok-Mitglied Sigi Daiber in Neuhausen, in dessen altem, beschau­li­chem Maxim-Kino mit den knar­zenden Holz­dielen, das in den Folge­jahren zum Inbegriff des Doku­men­tar­film­fes­ti­vals wurde: Das waren teils hitzig geführte, enga­gierte Diskus­sionen und übervolle Vorstel­lungen – notfalls wurden auch Stühle und Bier­kästen heran­ge­tragen, damit wirklich alle im Kino Platz fanden.

Eine Bühne für den Doku­men­tar­film

Die Leitung des Festivals war von der AG Dok an Gudrun Geyer über­tragen worden, Sigis damaliger Lebens­ge­fährtin, nachdem Peter Heller mit seinem Versuch, den Mann­heimer Film­kri­tiker Michael Kötz zu instal­lieren, geschei­tert war. Geyer kannte die Filmwelt von ihrer Tätigkeit in der Verleih­ge­nos­sen­schaft der Filme­ma­cher, einer Selbst­or­ga­ni­sa­tion der Münchner, die mehr Sicht­bar­keit für ihre Filme wollte. Überhaupt ging es in der Grün­der­zeit des Münchner Doku­men­tar­film­fes­ti­vals viel um Sicht­bar­keit und Akzeptanz für den Kino­do­ku­men­tar­film. »Es war der Wunsch entstanden, in München eine Bühne für den Doku­men­tar­film zu schaffen«, erklärt Gudrun Geyer in einem Interview mit Peter Heller (siehe der Clip »Shoot Film Not People« im artechock-Video-Kanal). Vorbild für die Neugrün­dung des Münchner Festivals war das inter­na­tio­nale Doku­men­tar­film­fes­tival Leipzig, das damals noch hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR lag und bereits seit 1955 exis­tierte.

Das Budget für das erste Doku­men­tar­film­fes­tival München betrug 30.000 DM und kam aus einer Initia­tive, die sich »Nach­bar­schafts­kino« nannte. »Das erste Dokfest war total impro­vi­siert«, erzählt Heller. Mit seiner tragbaren VHS-Ausrüs­tung drehte er die Diskus­sionen zwischen den »Filmern«, wie er die Filme­ma­che­rinnen und -macher nennt, denn darum ging es den Gründern vor allem: Um den Austausch unter­ein­ander, und zwar im Plenum des Kinosaals, nicht ge- oder gar verordnet durch eine Podi­ums­ver­an­stal­tung, wo man dann »am Schluss ein paar Fragen stellt«. Das ging so: »Wir guckten gemeinsam wertvolle Filme, inter­na­tio­nale und so, tauschten uns aus und kriti­sierten auch. Was heute in der AG Dok undenkbar ist.«

Lupe 2 Diskussion
1985: Diskus­sionen der Doku­men­tar­filmer in der Lupe 2: Peter Heller, Christoph Boekel, Klaus Wilden­hahn und das nach­denk­liche Publikum (im Uhrzei­ger­sinn) (Foto: Peter Heller)

Es gab viel Vertrauen unter­ein­ander, erinnert sich Heller, und »es war auch ein Kampf gegen die Verein­sa­mung, gegen die Indus­tria­li­sie­rung des Filme­ma­chens, gegen die Konkur­renz und die Ellbogen«. Und es ging auch nicht um Einschalt­quoten wie beim Fernsehen oder Besu­cher­re­korde wie heute, im Mittel­punkt standen die inhalt­liche Debatte und der Dialog übers Filme­ma­chen.

Als einfache program­ma­ti­sche Formel hatte man sich auf ein »Best of«-Festival, ein Festival der Festivals vers­tän­digt. Ohne Wett­be­werb wurden Doku­men­tar­filme, die auf inter­na­tio­nalen Festivals liefen und ausge­zeichnet worden waren, gezeigt. Im ersten Jahr waren das immerhin 22 inter­na­tio­nale Filme in fünf Tagen im Dezember. Erst im vierten Jahr wanderte das Dokfest in den Mai-Termin.

»Das Dokfest war klein und bescheiden«, resümiert Peter Heller das Anfangs­jahr. Gudrun Geyer sieht das so: »Es gab keine Stelle und keine attrak­tiven Angebote, viel Geld war damit nicht zu gewinnen.« Bis zu ihrem Ausscheiden als Leiterin 2001 hat Geyer nicht nur ihre Privat­räume für Archiv und Büro zur Verfügung gestellt, sondern auch erkleck­liche Summen ihres Privat­ver­mö­gens.

Damen-Doku-Duo

Dass das Doku­men­tar­film­fes­tival nach diesem impro­vi­sierten Beginn überhaupt länger­fristig Bestand hatte, hat im Wesent­li­chen mit zwei Frauen zu tun, mit Gudrun Geyer und Ulla Wessler.

Gudrun Geyer und Ulla Wessler
Gudrun Geyer und Ulla Wessler 2001 (Foto: Peter Heller)

Wessler war die Geschäfts­füh­rerin des Vereins »Filmstadt München«, der sich ein Jahr vor dem Dokfest gegründet hatte, und sie steckte ab 1986 viel Arbeits­zeit in das struktur- und perso­nal­schwache Festival. Geyer arbeitete gegen eine kleine Aufwands­ent­schä­di­gung für das Dokfest, gestal­tete die Plakate und den Katalog, machte die Film­aus­wahl und unternahm Recher­che­reisen: die Zeiten waren damals noch analog. Von Filmen wusste man, weil man darüber in Festi­val­be­richten oder Film­kri­tiken gelesen hatte, oder weil man sie selbst gesehen hatte. Beide Frauen gaben alles für das Festival, fanden weitere Spielstätten und gaben ihm mit immer neuen Förder­quellen und einer kennt­nis­rei­chen Film­aus­wahl eine solide Struktur.

Retro­spek­tiven mit Welt­ni­veau

Spulen wir an dieser Stelle ein wenig nach vorne. In seinem 11. Jahr, 1996, hatte das Dokfest vier Spielstätten: das Maxim, das Film­mu­seum, den Rio Film­pa­last und den Vortrags­saal im Gasteig, einem der damals größten Kultur­zen­tren Europas. Temporär gab es auch Spielstätten in Rosenheim und Freising. Mit einem mit 20.000 DM hoch­do­tierten Preis im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb und einem Preis im Regio­nal­fenster »Neue Filme aus Bayern« war die Konkur­renz­skepsis der Grün­der­jahre Geschichte geworden.

»artechock«, das 1996 online ging, war eine wichtige Publi­ka­ti­ons­platt­form für das Festival. Hier lässt sich nachlesen, dass 1996 »unsere westlich geprägten cine­as­ti­schen Land­schaften verlassen und der arabische Film und auch Schwarz­afrika einbe­zogen« wurden. Es gab einen Wett­be­werb mit 25 Filmen, die Sektion »Infor­ma­tion« mit 47 Filmen und »Neue Filme aus Bayern«. Beispiellos war die Retro­spek­tive zu »Drei Jahr­zehnten arabi­scher Doku­men­tar­film«. Zur Auffüh­rung kamen etwa fünfzig Filme u.a. aus Nord­afrika, Sudan, Palästina, Syrien, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Bahrain. Allein der Aufwand, die schweren Pakete mit den 35mm- und 16mm-Kopien durch den Zoll nach München zu holen, muss uner­mess­lich gewesen sein.

Die umfas­senden Retro­spek­tiven mit Filmen aus entle­genen Kine­ma­to­gra­phien wurden zum Aushän­ge­schild des Münchner Doku­men­tar­film­fes­ti­vals. 1997 gab es eine Werkschau des St. Peters­burger Doku­men­tar­film­stu­dios mit 46 Filmen aus neun Jahr­zehnten, 1998 die weltweit größte Retro­spek­tive mit Filmen aus Kuba, teilweise aus der vorre­vo­lu­ti­onären Zeit, und 1999 gar 23 Programme zum indischen Doku­men­tar­film.

Zwei Jahre später beschloss Gudrun Geyer: »16 Jahre sind genug«, und legte nach der Ausgabe 2001 die Festi­val­lei­tung nieder. Der Etat war auf 300.000 DM ange­wachsen (bei einer Förderung von 100.000 DM), fast 200 Filme wurden gezeigt. Zum Abschied wurde sie mit der Medaille »München leuchtet« ausge­zeichnet.

Betreff: Rettung des IDM

Gudrun Geyer hatte einen fulmi­nanten Grund­stein gelegt und ein Festival mit Weltruhm geschaffen. Aller­dings stand es auf tönernen Füßen und war nach ihrem Ausscheiden in seinem Bestand gefährdet. Im September 2001 brachte Stadt­rätin Monika Renner einen Antrag zur »Rettung des Inter­na­tio­nalen Doku­men­tar­film­fes­ti­vals München« in den Kultur­aus­schuss ein, in dem von einer »akuten Gefähr­dung« und »Härte­fonds« die Rede ist.

Zusammen mit dem Stadtrat stellte man ein immenses Entwick­lungs­po­ten­tial des Festivals fest, der den Etat prompt erhöhte. Eine »Initia­tiv­gruppe«, der Claas Danielsen, später Leiter von DOK Leipzig, Christian Bauer, Christoph Boekel, Petra Felber und Martina Knoben angehörten, gründete einen Träger­verein, um dem Festival eine solide Orga­ni­sa­ti­ons­form zu geben. Es wurde ein Büro ange­mietet, und Hermann Barth, seit zehn Jahren Mitar­beiter von Gudrun Geyer, damit beauf­tragt, das Festival zu konso­li­dieren. Er ordnete die Reihen neu, führte den Wett­be­werb »Horizonte« mit Filmen aus soge­nannten Schwel­len­län­dern ein. Vor allem sollte Barth die Aufmerk­sam­keit für das mit denkbar größter Expertise ausge­stat­tete Festival auch für das allge­meine Publikum erhöhen. So verlieh er mit Grafiker Gerwin Schmidt dem Festival ein plaka­tives, witziges und modernes Erschei­nungs­bild und gab ihm einen neuen Namen. Seitdem heißt es kurz: Dokfest.

Als einschnei­dende Maßnahme schaffte Barth die Retro­spek­tive ab, weil sie teuer war und über­wie­gend von Akkre­di­tierten besucht wurde – und eben nicht vom großen Publikum, auf das man es jetzt abgesehen hatte. Seitdem arbeitet das Dokfest München »vor allem an einer möglichst großen Brei­ten­wir­kung«, wie es auf der Website des Festivals heute heißt.

Popu­la­ri­sie­rung des Programms

Hier können nun auch eigene Erin­ne­rungen über­nehmen. 2003-2013 war ich Programm­erin beim Dokfest, zunächst für das allge­meine Programm, später für den inter­na­tio­nalen Wett­be­werb. Große Namen des Doku­men­tar­films spielten unter Barth eine große Rolle, die Sich­tungs­treffen, in denen ausführ­lich über Filme disku­tiert wurde, wurden unter seiner Expertise zu einer regel­rechten Schule des Doku­men­tar­films, seiner Geschichte und ästhe­ti­schen Mittel. Ich erinnere mich aber auch an den Wider­streit von quali­tativ hoch­wer­tigen Filmen und der Program­mie­rung »fürs Publikum«, für die oft zähne­knir­schend eine Popu­la­ri­sie­rung des Programms in Kauf genommen wurde. Es wurden nicht mehr zwingend die Filme gezeigt, die man selbst favo­ri­sierte, sondern jene, denen man ein hohes Zuschau­er­po­ten­tial zuschrieb. Ein eigen­ar­tiges Paradox, das mit dem erhöhten Budget und dem Recht­fer­ti­gungs­druck gegenüber den Förderern und dem Träger­verein einherkam. Das Festival brauchte nun zwingend das Argument der vielen Zuschauer – eine harte Währung für die staatlich subven­tio­nierten Kultur­ver­an­stal­tungen, die sich nicht an cine­as­ti­schen Kriterien messen lassen.

So ist es folge­richtig, dass nach dem Ausscheiden von Hermann Barth 2010 der ehemalige Leis­tungs­sportler und HFF-Absolvent Daniel Sponsel kam. Gerwin Schmidt gestal­tete das Erschei­nungs­bild noch einmal plaka­tiver und auch aggres­siver, wählte die Signal­farbe Orange und ließ »DOK« in Versalien schreiben. Sponsel rief außerdem das Schul­pro­gramm DOK.education ins Leben und gründete in seinem zweiten Jahr das DOK.forum, eine Branchen- und Nach­wuchs­platt­form für Fach­be­su­cher, was neue Aufmerk­sam­keit brachte.

Zentral im Story­tel­ling des Festivals sind seitdem die Zahlen und Zuschau­er­re­korde. Fiebrig klettern sie die Kurven hinauf, die Sponsel in Power-Point-Präsen­ta­tionen bei den Pres­se­kon­fe­renzen an die Wand wirft. Die Rekorde verdanken sich einem Maßnahmen-Bündel: Die Spielstätten wurden von Jahr zu Jahr erhöht (dieses Jahr sind es 27), und es wird flächen­de­ckend in der ganzen Stadt plaka­tiert. Eine intensive Film­aus­wer­tung mit bis zu fünf Wieder­ho­lungen machen den Werbe­auf­wand des Festivals effizient, und seit Corona gibt es zusätz­lich ein bundes­weites Streaming-Angebot, das die »Marke« DOK.fest über München hinaus bekannt macht. Gleich­zeitig scheut das Festival, bestimmte Titel in sein Programm zu holen, die in der Fachwelt als hohe Kunst des Doku­men­tar­films unbe­stritten sind, aber die Programm-Slots sprengen oder das Münchner Publikum womöglich über die Maßen fordern könnten.

Super­la­tive und Hashtags

Das DOK.fest München heißt sich nun »Deutsch­lands größtes Doku­men­tar­film­fes­tival«. Hat es tatsäch­lich DOK Leipzig, das bedeu­tendste Doku­men­tar­film­fes­tival Deutsch­lands, überholt? Die Zahlen können das nicht bestä­tigen: Im Jahr 2024 hatte das DOK.fest München 35.000 Zuschauer vor Ort, Leipzig 55.000. In sieben Tagen Festival gingen in Leipzig damit täglich fast 8000 Leute ins Kino, in München in 12 Tagen täglich fast 3000, beides ist eindrucks­voll. Der Etat von Leipzig ist mit etwa 2,7 Millionen Euro eine Million Euro größer als der von München, beides ist ebenfalls beträcht­lich. Von 209 Filmen in Leipzig (München: 109) wurden auch um die 25 lange und kurze Anima­ti­ons­filme gezeigt, weshalb DOK Leipzig also kein reines Doku­men­tar­film­fes­tival ist. Viel­leicht ist das mit dem Super­lativ gemeint, denn im Vergleich mit dem Kasseler Dokfest (2019: 16.000), der Doku­men­tar­film­woche Hamburg und der Duis­burger Filmwoche – die Zuschau­er­zahlen sind nicht auffindbar – stimmt’s.

Das Narrativ des »größten Doku­men­tar­film­fes­ti­vals Deutsch­lands« ist aber nicht allein Sponsels Spleen. Bereits im »Rettungs-Antrag« 2001 hatte der Kultur­aus­schuss fest­ge­halten: »München hat derzeit die Chance, nachdem Leipzig aufgrund der entfal­lenen Dreh­schei­ben­funk­tion zwischen Ost und West nicht mehr die heraus­ra­gende Rolle spielt, sich im europäi­schen Rahmen als Doku­men­tar­film­fes­tival Nummer 2 hinter Amsterdam zu plazieren.« Und auch in den »Zukunfts­per­spek­tiven« aus dem Jahr 2001, einem Konzept zur Rettung des Doku­men­tar­film­fes­ti­vals, das Claas Danielsen, Martina Knoben und Hermann Barth verfasst hatten, war zu lesen: »Da die Festivals in Duisburg und Leipzig an Bedeutung verloren haben, besteht ein Bedürfnis der Filme­ma­cher und des Fach­pu­bli­kums nach einem führenden Doku­men­tar­film­fes­tival in Deutsch­land.«

Seit diesem Jahr nun, dem letzten von Daniel Sponsel, darf das Festival endlich auch Refe­renz­för­der­punkte vergeben, was für die Filme­ma­cher bares Geld bedeutet und schon von Hermann Barth ange­strebt wurde. Das wird das Anwerben wichtiger Premieren, auch Welt­pre­mieren, verein­fa­chen. Außerdem gibt es nun eine neue Programm­struktur mit 16 thema­tisch fokus­sierten Reihen, in die sich die Wett­be­werbs­filme aufteilen. Das wird der Tatsache gerecht, dass das Doku­men­tar­film­fes­tival unter Sponsel für das Publikum ziel­grup­pen­ori­en­tiert ausge­richtet wurde, mit einer zugrunde liegenden Verschlag­wor­tung der Filme nach »Hashtags«, wie bei den Algo­rithmen des Online-Marke­tings.

40 Jahre Doku­men­tar­film­fes­tival

Im Jubiläums­jahr wird in einer Retro­spek­tive vierzig Jahren Dokfest gedacht, mit, ähem, vier Filmen. Im Gasteig HP8 kann man eine kleine Ausstel­lung mit Fotos und einigen Plakaten von Gerwin Schmidt besuchen, die histo­ri­schen Plakate von Gudrun Geyer sind leider nicht zu sehen.

Gudrun Geyer vor Plakaten
Gudrun Geyer vor ihren selbst­ge­stal­teten Plakaten (Foto: Peter Heller)

»Stories« reichern die Geschichte mit Geschichten an, sie sind auf der Website nach­zu­lesen. Dort steht auch: »Seit 1985 hat unser Team tausende Doku­men­tar­filme ins Programm geholt.«

Das müsste wohl dringend umfor­mu­liert werden.

Grenzen des Wachstums

Das Doku­men­tar­film­fes­tival wurde seit seiner Gründung die beste Lobby in eigener Sache und konnte dem Doku­men­tar­film im Laufe der Jahr­zehnte viel Sicht­bar­keit, Akzeptanz und auch Gewicht bei den Förderern geben. Die Brei­ten­wir­kung des Festivals muss hinsicht­lich der von den Doku­men­tar­filmen trans­por­tierten Themen als demo­kra­tie­sta­bi­li­sie­rende Maßnahme unum­wunden begrüßt werden. Der Zwang zu immer neuen Rekorden jedoch sollte gerade auch bei einem Doku­men­tar­film­fes­tival, das mit Ethos und Soli­da­rität begann, hinter­fragt werden. Size doesn’t matter, zumindest nicht um jeden Preis. Der stetige Wachstum des Dokfests könnte am Ende das Publikum um die gewünschte Aufmerk­sam­keit bringen, weil es den Komple­xi­täts­an­for­de­rungen bei der Programm­aus­wahl schlichtweg nicht mehr gewachsen ist. Irgend­wann erreicht auch das Audience Deve­lo­p­ment einen Sätti­gungs­grad; das könnte der Moment sein, in dem wieder die Filme in den Vorder­grund treten dürfen.