03.10.2024

Götter, Spieler und Versehrte

Megalopolis
Szene aus Megalopolis: In die Filmgeschichte kommt man nur hinein, wenn man übertreibt...
(Foto: Constantin)

Alles und noch viel mehr: Anstrengungen zwischen Genie und Wahn(sinn): Megaloman war das Kino schon immer – ein Streifzug durch die Filmgeschichte des Maßlosen und Exzessiven

Von Rüdiger Suchsland

Mega­lo­polis – wenn ein Film schon so heißt, dann muss er etwas ganz Beson­deres und ganz Großes sein, Und tatsäch­lich ist der neue Film von Francis Ford Coppola, der vergan­gene Woche ins Kino kam, so oder so ein unver­gleich­li­ches, einma­liges Stück Kino. Kino, das man, wie die Kriti­kerin von epd-film schreibt, viel­leicht erst in 50 Jahren überhaupt verstehen wird.
Damit bewegt sich der italo-ameri­ka­ni­sche Regisseur in einer langen Tradition des Kinos, vor allem natürlich des US-ameri­ka­ni­schen – von Hollywood. Denn Hollywood wollte schon immer »Bigger than Life« sein, größer als das Leben. Und von Anfang an hat das diese ameri­ka­ni­sche Traum­fa­brik auch geschafft. Schließ­lich sind Träume auch nichts anderes als gigan­ti­sche über­le­bens­große Ausfor­mungen unseres Unter­be­wusst­seins.

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Alles fing an zu Stumm­film­zeiten mit The Birth of a Nation, D.W.Griffith' heute berüch­tigtem Vier-Stunden-Film über die Geburt der ameri­ka­ni­schen Nation aus Bürger­krieg und Sklaverei.

Bald darauf begann die Liebe zu Holly­woods zur Bibel und zu Stoffen von bibli­schem Ausmaß: Filme wie Greed (Gier) von Erich von Strohheim (der diese Woche in Berlin im Babylon-Mitte zu sehen ist), wie Into­le­rance über die Geschichte der mensch­li­chen Sünden und Into­le­ranz im Lauf der Mensch­heits­ge­schichte, wiederum von Griffith, sind Meilen­steine der Kino­ge­schichte wie unserer Erin­ne­rung an Film­pro­jekte, die nicht weniger die ganze Welt erzählen wollten, und die sowohl in ihrer finan­zi­ellen wieder künst­le­ri­schen Anstren­gung von Maßlo­sig­keit geprägt waren.
Zuletzt setzte der Film Babylon von Damien Chazelle dieser Ära ein selbst mega­lo­manes Denkmal.

Das Kino damals wollte alles, und noch viel mehr. Letzte Spuren dieser Stumm­film­riesen finden sich noch im Bürger­kriegs Epos von David O Selznick Vom Winde verweht.

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In dieser Lust am Mega­lo­manen und in der über­mensch­li­chen Anstren­gung und Machart, die vielen dieser Filme – Riesen­er­folgen wie Riesen­flops – zugrunde liegt, ist Hollywood nicht nur das Modell für das globale Kino, sondern natürlich auch ein Ausdruck der ameri­ka­ni­schen Seele. Des Unter­be­wusst­seins eines Landes, das letzt­end­lich daran glaubt, dass immer einfach alles möglich ist – wenn man nur richtig will.

Regis­seure, die zu viel wollten, und deren Schaffen eine exzessive Note hat, prägen die US-Film­ge­schichte. Das Filmgenre dazu heißt »Americana«, es sind wie jetzt Mega­lo­polis große Epen, die die Gesell­schaft als Ganze fassen wollen: Orson Welles' Citizen Kane natürlich, The Bad and the Beautiful von Vincente Minelli, There Will Be Blood von Paul Thomas Anderson, die Figuren des selbst mega­lo­manen durch­ge­knallten Milli­ar­därs Howard Hughes bei Scorsese und Fincher, und als neuestes Beispiel: The Brutalist von Brady Corbet, der gerade in Venedig den Regie­preis bekam.

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Doch immer wieder rissen maßlose Projekte ganze Studios in den Abgrund, und Karrie­re­lei­chen pflas­terten den Weg der US-ameri­ka­ni­schen Film­ge­schichte.

Am berühm­testen ist hier natürlich Cleopatra von Joseph Mankie­wicz, der letzte jener »Monu­men­tal­filme« über die römische Antike, von denen Ben Hur, eine der aufwen­digsten Produk­tionen der Film­ge­schichte, mit seinen elf Oscars der erfolg­reichste ist, und Cleopatra nicht nur der teuerste Film aller (damaligen) Zeiten, sondern auch ein monu­men­taler Flop. 1966 brachte er die 20th Century Fox an den Rand des Ruins und steht heute zumindest symbo­lisch für den Zusam­men­bruch des alten Studio­sys­tems Mitte der Sechziger.

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Auch Francis Ford Coppola, in dessen neuem Film ist übrigens offene Anspie­lungen sowohl auf Ben Hur, wie auf Cleopatra gibt, kann ein Lied davon singen. Schon mit Apoca­lypse Now sprengte er 1979 jeden möglichen Etat und läutete trotz vieler Preise und Kritiker-Lob das Ende von New Hollywood ein. Kurz darauf dann machte seine eigene Firma »Zoetrope« mit technisch progres­siven, aber über­kan­di­delten Projekten wie One from the Heart Bankrott, und Coppola rettete Firma und Karriere nur mit Auftrags­werken und seinem hoch­erfolg­rei­chen Wein­handel.

Viel­leicht ist Coppola, ein Regisseur zwischen Genie und Wahnsinn, tatsäch­lich der letzte lebende Vertreter des alten Hollywood-Geists mit seiner Lust am Ausufernden und am Größen­wahn­sinn.

Zumindest er weiß: In die Film­ge­schichte kommt man nur hinein, wenn man über­treibt.