Der Graf von Oldenburg |
||
Wird im Director’s Cut gezeigt: Die Sieger von Dominik Graf | ||
(Foto: Dominik Graf) |
»Doch aus dem leichten Geplauder über die nichtigen Abenteuer der verflossenen Nacht gerieten sie in ein ernsteres Gespräch über jene verborgenen, kaum geahnten Wünsche, die auch in die klarste und reinste Seele trübe und gefährliche Wirbel zu reißen vermögen, und sie redeten von den geheimen Bezirken, nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfaßbare Wind des Schicksals sie doch einmal, und wär’s auch nur im Traum, verschlagen könnte.«
Arthur Schnitzler, »Traumnovelle«
»Rules are for dogs« steht dick auf dem Plakat, und das werden auch im hohen Norden nicht alle gern hören. Das Filmfest Oldenburg ist wild und sucht das Wilde, der »German Independence Award« wird hier vergeben, und man legt viel Wert auf Kino jenseits der Konventionen des Erwartbaren, legt den »Fokus auf Unvollkommenheit«. Nur Hunde und hündische Wesen brauchen Regeln.
+ + +
Wahrheiten, wenn man sie ausspricht, können unangenehm werden. Davon erzählt Arthur Schnitzler in seiner »Traumnovelle«. Fast alles passiert hier in den Gedanken; die wahren Abenteuer sind im Kopf – kein Wunder, dass diese Novelle wie Schnitzler überhaupt das Kino seit jeher gefesselt hat, wie kaum ein zweiter Schriftsteller sonst.
Die neueste Verfilmung stammt vom Berliner Regisseur Florian Frerichs. Die Weltpremiere des auf englisch gedrehten, international besetzten Films eröffnete am Mittwoch die 31. Ausgabe des Festivals. In den Hauptrollen des bürgerlichen Paares sind Nikolai Kinski und die amerikanische Schauspielerin Laurine Price zu sehen. Auch die niederländische Sängerin Sharon Kovacs und Detlev Buck sind dabei. Gedreht wurde ohne nennenswerte Förderung, auch darum ist dieser Film für Festivalleiter Torsten Neumann ein »absoluter Independent-Film.« Dass Frerichs die Geschichte von Wien nach Berlin verlagert hat, entpuppe sich als Glücksfall. »Traumnovelle« ist ein filmischer Traum in einem Traum von hypnotischer Qualität, verführerisch und faszinierend.
+ + +
Dem »Hollywood Reporter« hat Neumann von den Schwierigkeiten berichtet, heute noch einen Markt für Independent-Filme zu finden: Man erlebe eine permanente Krise, »die Kluft zwischen Mainstream und Underground wird täglich größer.« In den Neunzigern habe es noch viele Berührungspunkte zwischen beiden gegeben, Indie-Filme liefen im Kino. Das existiert heute nicht mehr.
+ + +
»Das Populäre kennt das Begehren nicht mehr«, schreibt Roland Barthes in »Die Lust am Text«.
+ + +
Ein Independent-Regisseur ganz eigener Art, und nicht nur nach Ansicht der Oldenburger der beste deutsche Regisseur der letzten 40 Jahre, ist der Münchner Dominik Graf. Gerade war er mit seinem Film »Die Katze« im Münchner Theatiner-Kino zu Gast, jetzt läuft der Film im Rahmen eines kleinen Programms von sechs Filmen in Oldenburg, denn Graf ist der diesjährige Ehrengast: »Er ist ein Cineast allererster Sorte. Er liebt das Kino, das ein bisschen an den Rand gedrängt ist. Seine Filme haben damit auch zu kämpfen gehabt. Es wird höchste Zeit, nach 31 Jahren, auch mal einen deutschen Filmemacher in einer Retrospektive zu haben.«
Im Programmheft heißt es: »Dominik Graf ist nicht nur einer der bedeutendsten Filmemacher des deutschsprachigen Raums, sondern auch ein großer Cineast, der Kino liebt und kennt, wie kaum ein anderer. Ein Blick auf sein Werk und insbesondere seine Genrefilme sind wie ein Blick auf das Kino, die Entwicklung des Kinos und die Implikationen in gesellschaftliche Debatten – weit über deutsche Grenzen hinaus.
...
Was das französische Kino ganz respektvoll 'Policiers'
nennt, wurde zum Rückgrat seines Werkes. Mit seinen Thrillern Die Katze und Die Sieger hat er Meilensteine eines Genres geschaffen, das es im deutschen Film eigentlich nicht gibt.
Das Filmfest ehrt mit Dominik Graf den vielleicht ungewöhnlichsten Filmemacher seiner Zeit, einer der sich selbst immer am liebsten in den Dienst der Geschichte stellt, die er erzählt, und der in
der Gradlinigkeit und Ökonomie des Storytellings die Essenz dieser Kunstform gefunden hat.«
Und weiter: »Das Licht, das Dominik Grafs Filme in das bundesrepublikanische Kino hineingelassen haben, hat die dunklen Schatten von Restauration und Affirmation des Status quo zwar nicht vertreiben können, aber es hat sie auf beinahe schon revolutionäre Weise sichtbar gemacht. ... Seine Thriller, seine Historienfilme wie Das Gelübde, Die geliebten Schwestern und Fabian, seine Komödien und seine (Melo-)Dramen finden in den Konventionen ihrer jeweiligen Genres eine Freiheit, die es so eben nur in einem vorgefertigten Rahmen geben kann. Eine Freiheit, die darin liegt, sich nicht einengen zu lassen und genau zu wissen, wie weit sich Grenzen verschieben lassen. So erinnert einen jeder Film von Dominik Graf daran, dass die Welt durchaus veränderbar ist. Das ist eben tatsächlich ein Riss, ein Riss in allem, durch den das Licht wahrer, also subversiver Freiheit einfällt.«
An diesem Samstag gibt es eine Masterclass des Regisseurs, die ich moderiere ebenso wie die Gespräche vor und nach den Filmen. Mein Urteil über deren Qualität wird durch diese Tatsache nicht verändert.
+ + +
Zwei tolle Franzosen erleben auch an den Oldenburger Tagen ihre Deutschlandpremiere: In Marcello Mio von Christoph Honoré beginnt Chiara Mastroianni eines Tages eine Travestie und kleidet sich in Männeranzügen à la »Ginger & Fred«, zieht eine Perücke und einen Schurrbart auf und »ist« nun Marcello Mastroianni. Damit ist dieser Film auch eine überraschende Komödie und Veralberung der bei uns vorherrschenden Identitätsdiskurse und der verbissenen
Ernsthaftigkeit, mit der sie geführt werden.
Ansonsten hat Christophe Honoré einen sehr französischen, sehr nostalgischen und sehr persönlichen Film gemacht, der sich an cinephile Menschen richtet und zur Weltlage aber auch gar nichts sagen und beitragen möchte. Gerade das macht diesen Film so bezaubernd. Marcello Mio ist auch ein Essay über Schauspielkunst, eine berührende Betrachtung über das Verhältnis der Tochter zu ihrem Vater, dem sie wie aus
dem Gesicht geschnitten ist. Sie muss ihren Vater spielen, um über ihn reden und sich von ihm verabschieden zu können.
Vor allem aber ist dies ein sehr zärtlicher, warmherziger Film über Liebe und Freundschaft, und ein Liebesdienst am Vater. Es geht um Tod und Abschied, um das Weiterleben in der Erinnerung und um das letztliche Vergehen ebendieser Erinnerungen.
Was Leos Carax, der Regisseur von Die Liebenden von Pont-Neuf, Pola X und Holy Motors in seinem neuen Film C'est pas moi macht, ist gar nicht so leicht zu sagen. Er hat einen persönlichen Film gedreht,
frei von erzählerischen Zwängen. Was Carax dokumentiert, ist sein eigenes Leben und sein eigenes Denken, eine Innenansicht.
Dies ist ein sehr witziger Film. Er ist kompliziert und gleichzeitig sehr einfach und arbeitet ziemlich klar so, wie auch Jean-Luc Godard, das große Vorbild von Carax, gearbeitet hat – es gibt Spielszenen und Dokumentarfilm, vor aber ist Kino hier die Kunst des Montierens: Verschiedene Bild- und Tonebenen legen sich gleichzeitig übereinander.
Dies ist ein Film, der versucht das auszuloten, was Kino sein kann, und hier wiederum insbesondere das Kino als Kunst der Montage.
Kunst will immer etwas erreichen, was sie vielleicht gar nicht erreichen kann, und muss deswegen notwendig scheitern. Sie ist aber nur dann gute Kunst, wenn sie es trotzdem versucht. Sie muss sich in das Unkontrollierte und Unkontrollierbare hineinstürzen – dies ist ein sehr hoher Anspruch. Diesen Anspruch hat Leos Carax.
So einen Film hätte
sonst nur Jean-Luc Godard hinbekommen – Leos Carax ist sein einziger legitimer Nachfolger.
+ + +
Michael Althen hat einen Satz geschrieben, der gut auch für Carax oder Honoré gelten könnte. Er galt aber Dominik Graf:
»Genre ist natürlich eine romantische Idee vom Kino, die es auf jenes Handwerk zurückführt, das die Autorenpolitik scheinbar abgelöst hat.«