12.09.2024

Der Graf von Oldenburg

Die Sieger
Wird im Director’s Cut gezeigt: Die Sieger von Dominik Graf
(Foto: Dominik Graf)

Traumnovellen aus dem deutschen Unterbewusstsein: Das Filmfest Oldenburg legt den »Fokus auf Unvollkommenheit« und zeigt den besten deutschen Regisseur der letzten 40 Jahre

Von Rüdiger Suchsland

»Doch aus dem leichten Geplauder über die nichtigen Abenteuer der verflos­senen Nacht gerieten sie in ein ernsteres Gespräch über jene verbor­genen, kaum geahnten Wünsche, die auch in die klarste und reinste Seele trübe und gefähr­liche Wirbel zu reißen vermögen, und sie redeten von den geheimen Bezirken, nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfaßbare Wind des Schick­sals sie doch einmal, und wär’s auch nur im Traum, verschlagen könnte.«
Arthur Schnitzler, »Traum­no­velle«

»Rules are for dogs« steht dick auf dem Plakat, und das werden auch im hohen Norden nicht alle gern hören. Das Filmfest Oldenburg ist wild und sucht das Wilde, der »German Inde­pen­dence Award« wird hier vergeben, und man legt viel Wert auf Kino jenseits der Konven­tionen des Erwart­baren, legt den »Fokus auf Unvoll­kom­men­heit«. Nur Hunde und hündische Wesen brauchen Regeln.

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Wahr­heiten, wenn man sie ausspricht, können unan­ge­nehm werden. Davon erzählt Arthur Schnitzler in seiner »Traum­no­velle«. Fast alles passiert hier in den Gedanken; die wahren Abenteuer sind im Kopf – kein Wunder, dass diese Novelle wie Schnitzler überhaupt das Kino seit jeher gefesselt hat, wie kaum ein zweiter Schrift­steller sonst.

Die neueste Verfil­mung stammt vom Berliner Regisseur Florian Frerichs. Die Welt­pre­miere des auf englisch gedrehten, inter­na­tional besetzten Films eröffnete am Mittwoch die 31. Ausgabe des Festivals. In den Haupt­rollen des bürger­li­chen Paares sind Nikolai Kinski und die ameri­ka­ni­sche Schau­spie­lerin Laurine Price zu sehen. Auch die nieder­län­di­sche Sängerin Sharon Kovacs und Detlev Buck sind dabei. Gedreht wurde ohne nennens­werte Förderung, auch darum ist dieser Film für Festi­val­leiter Torsten Neumann ein »absoluter Inde­pen­dent-Film.« Dass Frerichs die Geschichte von Wien nach Berlin verlagert hat, entpuppe sich als Glücks­fall. »Traum­no­velle« ist ein filmi­scher Traum in einem Traum von hypno­ti­scher Qualität, verfüh­re­risch und faszi­nie­rend.

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Dem »Hollywood Reporter« hat Neumann von den Schwie­rig­keiten berichtet, heute noch einen Markt für Inde­pen­dent-Filme zu finden: Man erlebe eine perma­nente Krise, »die Kluft zwischen Main­stream und Under­ground wird täglich größer.« In den Neun­zi­gern habe es noch viele Berüh­rungs­punkte zwischen beiden gegeben, Indie-Filme liefen im Kino. Das existiert heute nicht mehr.

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»Das Populäre kennt das Begehren nicht mehr«, schreibt Roland Barthes in »Die Lust am Text«.

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Ein Inde­pen­dent-Regisseur ganz eigener Art, und nicht nur nach Ansicht der Olden­burger der beste deutsche Regisseur der letzten 40 Jahre, ist der Münchner Dominik Graf. Gerade war er mit seinem Film »Die Katze« im Münchner Theatiner-Kino zu Gast, jetzt läuft der Film im Rahmen eines kleinen Programms von sechs Filmen in Oldenburg, denn Graf ist der dies­jäh­rige Ehrengast: »Er ist ein Cineast aller­erster Sorte. Er liebt das Kino, das ein bisschen an den Rand gedrängt ist. Seine Filme haben damit auch zu kämpfen gehabt. Es wird höchste Zeit, nach 31 Jahren, auch mal einen deutschen Filme­ma­cher in einer Retro­spek­tive zu haben.«

Im Programm­heft heißt es: »Dominik Graf ist nicht nur einer der bedeu­tendsten Filme­ma­cher des deutsch­spra­chigen Raums, sondern auch ein großer Cineast, der Kino liebt und kennt, wie kaum ein anderer. Ein Blick auf sein Werk und insbe­son­dere seine Genre­filme sind wie ein Blick auf das Kino, die Entwick­lung des Kinos und die Impli­ka­tionen in gesell­schaft­liche Debatten – weit über deutsche Grenzen hinaus.
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Was das fran­zö­si­sche Kino ganz respekt­voll 'Policiers' nennt, wurde zum Rückgrat seines Werkes. Mit seinen Thrillern Die Katze und Die Sieger hat er Meilen­steine eines Genres geschaffen, das es im deutschen Film eigent­lich nicht gibt.
Das Filmfest ehrt mit Dominik Graf den viel­leicht unge­wöhn­lichsten Filme­ma­cher seiner Zeit, einer der sich selbst immer am liebsten in den Dienst der Geschichte stellt, die er erzählt, und der in der Grad­li­nig­keit und Ökonomie des Story­tel­lings die Essenz dieser Kunstform gefunden hat.«

Und weiter: »Das Licht, das Dominik Grafs Filme in das bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Kino hinein­ge­lassen haben, hat die dunklen Schatten von Restau­ra­tion und Affir­ma­tion des Status quo zwar nicht vertreiben können, aber es hat sie auf beinahe schon revo­lu­ti­onäre Weise sichtbar gemacht. ... Seine Thriller, seine Histo­ri­en­filme wie Das Gelübde, Die geliebten Schwes­tern und Fabian, seine Komödien und seine (Melo-)Dramen finden in den Konven­tionen ihrer jewei­ligen Genres eine Freiheit, die es so eben nur in einem vorge­fer­tigten Rahmen geben kann. Eine Freiheit, die darin liegt, sich nicht einengen zu lassen und genau zu wissen, wie weit sich Grenzen verschieben lassen. So erinnert einen jeder Film von Dominik Graf daran, dass die Welt durchaus verän­derbar ist. Das ist eben tatsäch­lich ein Riss, ein Riss in allem, durch den das Licht wahrer, also subver­siver Freiheit einfällt.«

An diesem Samstag gibt es eine Master­class des Regis­seurs, die ich moderiere ebenso wie die Gespräche vor und nach den Filmen. Mein Urteil über deren Qualität wird durch diese Tatsache nicht verändert.

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Zwei tolle Franzosen erleben auch an den Olden­burger Tagen ihre Deutsch­land­pre­miere: In Marcello Mio von Christoph Honoré beginnt Chiara Mastroi­anni eines Tages eine Travestie und kleidet sich in Männer­an­zügen à la »Ginger & Fred«, zieht eine Perücke und einen Schurr­bart auf und »ist« nun Marcello Mastroi­anni. Damit ist dieser Film auch eine über­ra­schende Komödie und Veral­be­rung der bei uns vorherr­schenden Iden­ti­täts­dis­kurse und der verbis­senen Ernst­haf­tig­keit, mit der sie geführt werden.
Ansonsten hat Chris­tophe Honoré einen sehr fran­zö­si­schen, sehr nost­al­gi­schen und sehr persön­li­chen Film gemacht, der sich an cinephile Menschen richtet und zur Weltlage aber auch gar nichts sagen und beitragen möchte. Gerade das macht diesen Film so bezau­bernd. Marcello Mio ist auch ein Essay über Schau­spiel­kunst, eine berüh­rende Betrach­tung über das Verhältnis der Tochter zu ihrem Vater, dem sie wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Sie muss ihren Vater spielen, um über ihn reden und sich von ihm verab­schieden zu können.
Vor allem aber ist dies ein sehr zärt­li­cher, warm­her­ziger Film über Liebe und Freund­schaft, und ein Liebes­dienst am Vater. Es geht um Tod und Abschied, um das Weiter­leben in der Erin­ne­rung und um das letzt­liche Vergehen eben­dieser Erin­ne­rungen.

Was Leos Carax, der Regisseur von Die Liebenden von Pont-Neuf, Pola X und Holy Motors in seinem neuen Film C'est pas moi macht, ist gar nicht so leicht zu sagen. Er hat einen persön­li­chen Film gedreht, frei von erzäh­le­ri­schen Zwängen. Was Carax doku­men­tiert, ist sein eigenes Leben und sein eigenes Denken, eine Innen­an­sicht.
Dies ist ein sehr witziger Film. Er ist kompli­ziert und gleich­zeitig sehr einfach und arbeitet ziemlich klar so, wie auch Jean-Luc Godard, das große Vorbild von Carax, gear­beitet hat – es gibt Spiel­szenen und Doku­men­tar­film, vor aber ist Kino hier die Kunst des Montie­rens: Verschie­dene Bild- und Tonebenen legen sich gleich­zeitig über­ein­ander. Dies ist ein Film, der versucht das auszu­loten, was Kino sein kann, und hier wiederum insbe­son­dere das Kino als Kunst der Montage.
Kunst will immer etwas erreichen, was sie viel­leicht gar nicht erreichen kann, und muss deswegen notwendig scheitern. Sie ist aber nur dann gute Kunst, wenn sie es trotzdem versucht. Sie muss sich in das Unkon­trol­lierte und Unkon­trol­lier­bare hinein­stürzen – dies ist ein sehr hoher Anspruch. Diesen Anspruch hat Leos Carax.
So einen Film hätte sonst nur Jean-Luc Godard hinbe­kommen – Leos Carax ist sein einziger legitimer Nach­folger.

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Michael Althen hat einen Satz geschrieben, der gut auch für Carax oder Honoré gelten könnte. Er galt aber Dominik Graf:
»Genre ist natürlich eine roman­ti­sche Idee vom Kino, die es auf jenes Handwerk zurück­führt, das die Auto­ren­po­litik scheinbar abgelöst hat.«