Cinema Moralia – Puppen, Roboter, Filmkritiker
»Barbie« oder wie wir lernen sollen, den Kapitalismus zu lieben |
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Es kann nur besser werden – wirklich? | ||
(Foto: Warner Bros.) |
»Die Seele aller Wesen ist ihr Duft.«
– aus: »Das Parfum«, 2006»Die Ordnung der Dinge zerfällt, ohne die nettesten Menschen der Welt.«
– Dirk von Lowtzow, im Titelsong zu »Die nettesten Menschen der Welt«»Zur Führungsfrage: Ich führe gern. Aber eben auf Augenhöhe.«
– Kay, kapitalistischer Roboter der Generation Z
»Es kann nur besser werden«, schrieb mir eine Leserin, Regisseurin, auf meinen Text letzte Woche und bedankt sich dafür, dass wenigstens auf artechock keine Lobeshymne zu Barbie erschien, sondern eine Gegenstimme zu »den hunderten Stimmen, die diesen Film verherrlichen«.
Es kann nur besser werden – wirklich? Ich bin mir da leider nicht so sicher. Denn Barbie beweist vor allem, wohin eine Kombination aus Marketingdruck und falscher Gnade, falschem Wohlwollen führt.
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Schauen wir uns die Filmkritiken in Deutschland und der Welt einmal an. In Deutschland ist zwar bei manchen Autoren und Autorinnen ein gewisses Unbehagen spürbar.
Im Spiegel sieht »Barbieland ... großartig aus, und Ryan Gosling ist als Ken ein herrlicher Sixpack-Dämlack«. Das reicht nicht, das wird schon deutlich gesagt.
Aber die Onliner wollten vermutlich etwas Gutgelauntes. Also lese ich dort »aufwendige Tanz- und Gesangseinlagen, grandiose Kulissen und tolle Kostüme, gelungene visuelle Gags und lustige Dialoge, einen blendend aufgelegten Ryan Gosling und eine wie immer rasend komische Kate McKinnon. Hinzu kommen feine Sticheleien gegen
den Karrierefeminismus, der Frauen ins ewige Hamsterrad von Ambition und Anerkennung schickt, und gut gesetzte Hiebe gegen die Incel-Kultur , die Männern die Erlaubnis zum Herumopfern und Frauenherabsetzen erteilt.«
Ist das denn wirklich so?
Die Kritikerin will dem Film auch nichts »an Reiz nehmen«, deshalb wird manches nicht verraten. Wohin hat sich Filmkritik eigentlich entwickelt? Kann man sich vorstellen, ein Wolfram Schütte, oder eine Pauline Kael hätten so argumentiert?
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Die Berliner Zeitung ist hingerissen: »Was entsteht, ist eine überaus kurzweilige, herrlich alberne Gesellschaftskritik – die auch vor dem Medium Film und dem sexistischen Geschäft Hollywoods nicht haltmacht.« In der FAZ Dietmar Dath kaum weniger: »In einer Wüste, in der bestimmte Nährstoffe anders nicht zu finden sind (solche über die Beschaffenheit weiblicher Kinderträume etwa), trinkt man auch mal fragwürdiges Pfützenwasser in Pink.
... in den besten Momenten
ist Margot Robbie schlauer als alle Absichten, die sie und Gerwig je in Worten formulieren könnten, und überlässt sich einer über die Idee ›Marionette‹ weit hinausweisenden, weder robotischen noch virtuellen Leiblichkeit, um mit winzigen mimischen Ereignissen jeder kommerziellen wie ästhetischen Berechnung zu entschlüpfen. Da wird sie zur Unfassbarbie.«
Die TAZ ist unentschieden, meint aber auf der Zielgeraden, man könne argumentieren, ein Sommerblockbuster »mit einer solchen Strahlkraft«, sei »besser als gar kein Feminismus«; in der SZ findet eine Aurelie von Blazekovic folgenden Ausweg aus dem eigenen Unbehagen: »Und doch steht man immer wieder wie im Spielzeuggeschäft vor diesem Film. Es gibt so viel zu sehen, besonders für Nostalgiker ... Greta Gerwig erzählt ihre Barbie und den Kampf um ihre Bedeutung am Ende aber auch als Geschichte von Müttern und Töchtern. Ein besonderes Gespür für diese Beziehungen bewies sie schon in Lady Bird, auch in Little Women. Nur wird das mit den Müttern und Töchtern, wenn es eigentlich um eine Puppe geht, auch mal etwas kitschig. Doch wollte man der Barbie in diesen Zeiten ernsthaft Kitsch vorwerfen?«
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In jeder zweiten Filmkritik liest man dann doch das Gewäsch vom »feministischen Film«, von der »feministischen Regisseurin«, die Greta Gerwig angeblich ist, und wenn man das als Mann schreibt, setzt man sich natürlich sofort dem Verdacht aus, man hätte irgendwas gegen Feminismus. Also muss ich hier eine Kronzeugin benennen, die nicht nur eine Frau ist, sondern auch noch über alle Zweifel erhaben, nämlich Johanna Adorjan, die hat in der Süddeutschen einen ziemlich schönen, klugen, und lustigen Essay geschrieben hat: »Der Blockbuster Barbie ist ein feministischer Film? Das ist zum Totlachen. Zum Sieg des Kapitalismus über die gerechte Sache«.
Dies ist der einzige Text, der klarmacht: Lasst den ganzen Unsinn. Es geht nur um das Marketing von Mattel.
»Was ist noch mal Feminismus? ... Ist es Feminismus, für einen 'Barbie'-Spielfilm eine Regisseurin zu engagieren, die als Letztes eine gigantisch unfeministische Historienschmonzette über einen Haufen Schwestern gedreht hat, die sich dauernd weinend in die Arme fallen und über Männer reden (Little Women)? Immerhin, eine Frau.«
»Spoiler, stand aber eh schon überall: Der Film Barbie endet damit, dass Barbie in die Welt der echten Menschen zieht und, das ist der Schlussgag, einen Termin bei ihrem Frauenarzt (oder ihrer Frauenärztin) hat. Bedeutet: Sie hat nun ein Geschlechtsorgan, eine (bitte amerikanisch auszusprechen) Vagina.«
»Fertig. Eine zuvor sexlose Puppe ist zur fleischlichen Frau geworden. Das bedeutet: Sie kann Geschlechtsverkehr haben, was wiederum die Möglichkeit zur Fortpflanzung aufschimmern lässt. ... Was wiederum bedeutet: Mattel sollte sich eigentlich, wenn es die Moral seines eigenen Spielfilms ernst nehmen würde, vom Plastikpuppenmarkt zurückziehen. ...«
»Greta Gerwig erzählt von Barbie als Geschichte einer Individuation und biegt die Hauptfigur über deren handelsüblichen Spagat hinaus zu einer Figur, die Tragweite suggeriert. Sinn ergibt das alles hinten und vorne nicht. Doch erwachsene Menschen, ausgehungert nach Kinofilmen ohne Superhelden, wenigstens das, strömen ins Kino, und bescheren dem ohnehin hochgestimmten Spätkapitalismus einen weiteren Riesenlacher. Was hatte man uns traurigen Konsumenten noch mal
versprochen, Barbie sei ein satirischer Blick auf Konsumverhalten, Feminismus und toxische Maskulinität?
Herzlichen Glückwunsch an die Marketingabteilung von Mattel, besser hätte das alles wirklich nicht laufen können.«
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Warum schreiben eigentlich Filmkritikerinnen keine solchen Texte?
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Halt! In Deutschland. In den USA gibt es da noch Stephanie Zacharek, die sowieso oft die letzte Rettung in der Wüste der Filmkritik repräsentiert.
Während die Amis insgesamt etwas mehr der eigenen Langeweile eingestehen, sie müssen schließlich nicht gegen den Vorwurf deutscher Humorlosigkeit ankämpfen, schreibt sie im Time-Magazine: »Barbie Is Very Pretty But Not Very Deep«.
Dort heißt es dann unter anderem: »Barbie never lets us forget how clever it’s being, every exhausting minute. ... The question we're supposed to ask, as our jaws hang open, is 'How did the Mattel pooh-bahs let these jokes through?' But those real-life execs, counting their doubloons in advance, know that showing what good sports they are will help rather than hinder them. They're on team Barbie, after all! And they already have a long list of toy-and-movie tie-ins on the drawing
board.
Meanwhile, we›re left with Barbie the movie, a mosaic of many shiny bits of cleverness with not that much to say. In the pre-release interviews they've given, Gerwig and Robbie have insisted their movie is smart about Barbie and what she means to women, even as Mattel executives have said they don‹t see the film as being particularly feminist. And all parties have insisted that Barbie is for everyone.«
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Kurzer Hinweis auf Alexander Adolphs hier beim Filmfest besprochenen Film »Die nettesten Menschen der Welt«. Alle sechs Folgen stehen nun in der ARD-Mediathek.
In den allerbesten Momenten der Serie kann man sogar an David Lynch und dessen Mutter aller modernen Serien »Twin Peaks« denken.
Meine Lieblingsfolge ist die zweite: »Junior«. Ich kenne keinen zweiten Film aus Deutschland, weder im Kino noch in anderen Medien, in dem ich bisher ähnlich genau die Rhetoriken der verschiedenen Generationen dargestellt und miteinander konfrontiert gefunden habe.
Das neueste Buzzword, das allmählich durch seinen Gebrauch zum persönlichen Hasswort wird: Augenhöhe. Alle wollen Augenhöhe, alle wollen »beachtet«, »gehört«, »gesehen«, wahrscheinlich auch gerochen werden, aber ja achtsam, wertschätzend, immer im vollen Daueraustausch und auf Augenhöhe.
Gerade im deutschen Film kann man das auf allen Ebenen beobachten. Und die Arbeit tun die anderen.
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Das ist aber jetzt sehr allgemein, nicht wahr? Leider keine Zeit zum wertschätzenden Differenzieren. Aber hier noch ein kurzes Feedback: »Sie müssen nicht immer alles tun, was man ihnen sagt. Nur das Richtige. Das Richtige ist aber nicht immer das, was Kreti und Pleti dafür halten. Verstehen Sie?«
(aus: Die nettesten...)
»Die nettesten Menschen der Welt«. Alle sechs Folgen in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli ab 0.05 Uhr. Danach in der ARD-Mediathek.