Cinema Moralia – Folge 89
»Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft!« |
||
Nicht gut genug für Cannes? Andreas Dresens Als wir träumten | ||
(Foto: Pandora) |
»Die Kunstkritik ist eine Glaubenssache: Ich glaube, dass Michelangelo besser ist als Dalí. Beweisen kann ich es aber nicht.« Ernst Gombrich
+ + +
Das Festival von Cannes ist immer wieder ein einziger, großartiger Taumel. Trotz aller Vorbereitung sind es zu viele Filme, zu viele Menschen, zu viele Termine, zu wenig Zeit. Und doch ist gerade das auch ein Teil dieser großartigen Erfahrung.
+ + +
Untrennbar zu Cannes gehört das, was die sogenannte »deutsche Filmbranche« den »deutschen Tag nennt. Mit dem DFB-Pokalfinale in Berlin hat das nichts zu tun, obwohl es nicht für die Sensibilität oder Fußballbegeisterung der Freunde von German Films spricht, dass man den eigenen Empfang auf die Zeit des Finales gelegt hat. Denn nur böse Menschen lieben keinen Fußball.«
Aber »Deutscher Tag« – das heißt: Die Ministerin kommt. Eine weitere Premiere also für Monika Grütters. Ein Wermutstropfen ist, dass erstmals seit Jahren gar kein deutscher Film in Cannes läuft, noch nicht mal ein Studentendebüt als Kulturförderungs-Alibi in der Quinzaine oder Semaine. Einfach gar nichts. Oder doch, denn es gibt einen Dokumentarfilm von Wim Wenders. Ansonsten aber Fehlanzeige, also auch keine Ausreden für die Förderer. Irgendetwas funktioniert einfach nicht in Deutschland. Die Filme sind nicht gut genug für Cannes, oder sie passen nicht zum Geschmack des Festivals – was nur eine nettere Formulierung für das Gleiche ist. Denn Cannes ist keine Geschmacksfrage, es ist eine Qualitätsfrage.
+ + +
Dieses Festival setzt die Maßstäbe. Das muss einem nicht passen, das kann man beklagen, so wie über kunstrichterliche Entscheidungen immer wieder diejenigen klagen, die dabei nicht gut wegkommen. Interessiert aber niemanden außer den Betroffenen.
Der maßstabsetzende Charakter des Festivals von Cannes – gerade auch in der Subjektivität seiner Entscheidungen, wird von allen anerkannt, auch von denen, die so tun, als stünden sie drüber, den Deutschen zum Beispiel. Wenn ein Film in Berlin genommen wird, oder in Locarno oder San Sebastian läuft, dann denkt man: Vielleicht war er nicht gut genug für Cannes? Wenn er in Cannes genommen wird, vermutet aber niemand, er sei nicht gut genug gewesen für Berlin.
+ + +
Natürlich hat Cannes einen Geschmack, einen sehr guten sogar. Zudem eine Mischung aus recht konservativer Loyalität zu Freunden und Bekannten – jenen üblichen Verdächtigen, über die wir schon geschrieben haben – und dem Mut zu völlig Neuem, Riskanntem. Etwa die Entscheidung den völlig unbekannten Argentinier Damián Sziffrón und seinen Film Relatos salvajes in den Wettbewerb zu nehmen. Wir werden über den Film noch ausführlicher, schreiben, aber hier mal soviel, dass es sich um das Gegenteil eines Konsensstückes handelt, und zugleich um das Gegenteil jenes sadomasochistischen Arthouse-Kinos, das kombiniert wird mit cleanen Bild-Tableaus, und vor allem aufgrund seines Schock- oder Quälwerts auf einem Festival wie diesem läuft. Wir alle kennen die Beispiele: Die Filme von Reygadas etwa, auch von Ulrich Seidl. Dass Damián Sziffrón hier läuft, spricht bei allem, was man gegen den Film vielleicht auch sagen muss, unglaublich für das Festival. Das ist ein ästhetisches, programmatisches Statement. Das ist maßstabsetzend.
+ + +
Nicht gut genug für Cannes waren offenbar auch die neuen Filme von Christian Petzold, Christoph Hochhäusler, Andreas Dresen und der neue Spielfilm von Wim Wenders. Ich habe keinen von ihnen gesehen, aber in allen Fällen hat es mich gewundert, dass sie selbst in Un Certain Regardnicht genommen wurden. Nur im Fall von Fatih Akins ebenfalls fertigem Film liegen die Dinge um einiges komplizierter – aber da möchte ich ausnahmsweise mal das, was ich aus sicheren Quellen gehört habe, für mich behalten, um dieses verletzliche Projekt nicht zu beschädigen.
In den anderen genannten Fällen habe ich nichts gehört oder gesehen. Aber so sehr ich mich gewundert habe, so sehr vertraue ich auch der Entscheidung und dem Geschmack von Cannes. Sie werden gute Gründe haben, die Filme nicht zu zeigen. Hier, wie das immer wieder getan wird, eine Abneigung gegen Deutsches zu unterstellen, ist absurd.
+ + +
Allenfalls spricht es für die Souveränität des Festivals, nicht vor industriellen Zwängen, politischen Wünschen oder dem schieren Geld der derzeitigen ökonomischen Herrscher EU-Europas in die Knie zu gehen.
Ansonsten spiegelt die Abwesenheit der Deutschen einfach die Lage einer Filmindustrie, die neben viel Geld nur ästhetische Provinzialität zu bieten hat.
Die ihre eigenen Altmeister nicht pflegt und mitunter – Wenders, Schlöndorff, Herzog – aus dem Land jagt, die ihre jungen Kunstfilmer nicht konstruktive Debatten zwingt, die die Filme dann besser machen – oder hätte sich die Berliner Schule seit 2005, als Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg mit ihren ersten bzw. zweiten Filmen in Un Certain Regard waren, irgendwie wesentlich weiterentwickelt? Die sich und der uninformierten mit Zahlenspielchen
und hohen Marktanteilen nichtiger Unterschichtunterhaltung Erfolge einredet?
Und die sich ansonsten mit Minderheitsanteilen an europäischem Co-Produktionen, mit Produktionshilfen für Hollywoodfilmen und neokolonialer ästhetischer Kannibalisierung außereuropäischer Cinematograhien ein potemkinsches Dorf namens internationaler Filmindustrie zurechtphantasiert?
So etwas will man in Cannes möglichst nicht haben, und wenn, dann macht man es selbst
– und besser. Der Rest läuft in Berlin.
+ + +
Was für die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters einnimmt, ist ihre Offenheit. Gestern sah man sie in der Premiere des österreichischen Films Amour Fou von Jessica Hausner. Klar, man könnte jetzt zynisch anmerken, wo sie auch sonst hin soll, wenn nichts Deutsches in Cannes gezeigt wird.
Aber sie beweist Neugierde; sie müsste nicht in diesen Film gehen. Und es hat den Vorteil, dass Grütters sich dann mal gleich Gedanken machen kann, wie es Österreich gelingt, jedes Jahr mit Filmen in Cannes und auf anderen künstlerisch bedeutenden Festivals in der ersten Reihe Fest vertreten zu sein. Und eben nicht nur mit Haneke oder Seidl. Was gelingt Österreich? Was machen die Österreicher richtig, was wir falsch machen?
+ + +
Kaum zurück aus Cannes hat Grütters dann eine Pressemitteilung lanciert, in der erstmal ein sehr schöner Satz vorkommt, der zwar selbstverständlich sein sollte, es aber in Deutschland nicht ist. Er lautet: »Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen. Deshalb gibt es in Deutschland diese auskömmliche Kulturfinanzierung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ auftreten können.«
Weiter erklärte Grütters bei dem 54. Gespräch der Akademie der Künste zum Thema »Verteidigt die Kultur! Das Freihandelsabkommen« in der Akademie der Künste: »Wir treten neuen Liberalisierungsverpflichtungen im Bereich der Kultur entgegen, weil wir Sorge haben, dass anderenfalls unsere einzigartige kulturelle Vielfalt auf dem Spiel stünde. Deutschland ist nicht ohne Grund dem UNESCO-Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt 2007 beigetreten. Das war unser Bekenntnis zur besonderen Schutzbedürftigkeit des Kultur- und Medienbereichs. In den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen muss das erneut zum Ausdruck kommen. Deshalb setzen wir uns für eine Generalklausel zum Schutz der Kultur innerhalb des Verhandlungsmandates ein – genau so wie die USA sie für Belange ihrer nationalen Sicherheit bereits durchgesetzt haben.«
Grütters weiter: »Es sind keine fiskalpolitischen Kleinigkeiten, die es zu verteidigen gilt, es geht ums große Ganze, um die Identität der Kulturnation Deutschland. Als solche wird Deutschland in der ganzen Welt wahrgenommen. Die Vielfalt des Angebots und der Meinungen ist nur möglich, weil die öffentliche Hand unsere Kultur schützt und auskömmlich finanziert, sie unabhängig macht vom Zeitgeist und von privaten Geldgebern.«
Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen. Deshalb gibt es in Deutschland diese auskömmliche Kulturfinanzierung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ auftreten können.