03.12.2020

Spannung in der Stille

Mank
Monika Gossmann mit Gary Oldman in David Finchers Mank
(Foto: Netflix)

Erste Schritte in Hollywood: Nach kleineren Auftritten in deutschen und internationalen Produktionen spielt die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Monika Gossmann in David Finchers Netflixproduktion Mank in einer Nebenrolle neben Gary Oldman. Ein Porträt.

Von Jens Balkenborg

Gary ist ein absolut herr­li­cher, entspannter Mensch.
Er ist ein offener und beschei­dener Typ.
Am Anfang der Dreh­ar­beiten sah er mit seinen wilden Haaren
und den Sneakern aus wie ein Punk aus den 1970er Jahren.
– Monika Gossmann über Gary Oldman

Sie ist die Schweig­same in dem Kammer­spiel auf der Ranch in der Mojave-Wüste. Während Gary Oldman als zynischer, saufender Autor Herman J. Mankie­wicz alias »Mank« intel­lek­tu­elle Pfeile abschießt und seiner Sekre­tärin Rita Alexander (Lily Collins) das Drehbuch zu Orson Welles’ zeitlosem Klassiker Citizen Kane diktiert (Arbeits­titel: »American«), schleicht die Kran­ken­schwester Fräulein Frieda durch die Räume. Die deutsche Schau­spie­lerin Monika Gossmann spielt sie mit einneh­mender Ruhe. »Für David Fincher war es wichtig, die Beziehung der Charak­tere um Mank herum wortlos zu erzählen« erklärt Gossmann im Video­in­ter­view aus ihrem Eltern­haus in Rheinland Pfalz.

Die deutsche Kran­ken­schwester ist in Mank die Verkör­pe­rung für Vieles, was am Rande oder außerhalb der 1940 einset­zenden Geschichte liegt. Ihre Frieda, die von dem Dreh­buch­autor mit deutsch-jüdischer Abstam­mung gerettet wurde, stehe, so Gossmann, für die Migration aus und den Konflikt in Nazi­deutsch­land. An sechs Probe- und 16 Drehtagen habe sie sich der Figur gemeinsam mit dem Regisseur genähert und sie geschaffen. Einge­fangen in herr­li­chem Schwarz­weiß, vibriert es zwischen ihr und Oldman. Es ist eine wortarme, aber komplexe Beziehung, die das dichte Drehbuch andeutet. »Mank ist eigent­lich ein Film fürs Kino«, konsta­tiert die Schau­spie­lerin zurecht.

Sie habe versucht, ihr die Spannung in der Stille zu geben, sagt Gossmann und erklärt weiter, dass sie die Figur mit ihrer eigenen Fami­li­en­ge­schichte aufge­laden habe. Die Schau­spie­lerin und Regis­seurin wurde 1981 in Almaty in der ehema­ligen Sowjet­union (heute Kasach­stan) nahe der chine­si­schen Grenze geboren. Ihre deutschen Vorfahren kamen unter der Zarin Katharina II. nach Russland, mussten aber während der Stalin-Herr­schaft an die Wolga und nach Sibirien umsiedeln. »Wir haben viel von der russi­schen Seite abbe­kommen, wir waren die Sünden­böcke« beschreibt sie die histo­ri­schen Gräuel gegen die Russ­land­deut­schen. Gossmann selbst wuchs zwischen dem dritten und dem sechsten Lebens­jahr in Tadschi­ki­stan auf, bevor sie 1988 mit der Familie zurück nach Deutsch­land kam.

Dieses trans­na­tio­nale, multi­lin­guale Leben setzt sich bis heute fort. Gossmann studierte Tanz in Hamburg, absol­vierte ein Schau­spiel­stu­dium an der Moskau Art Theatre School und spielte in und reali­sierte als Regis­seurin Insze­nie­rungen in Russland und Deutsch­land. Auch in deutschen Fern­seh­pro­duk­tionen wie »SOKO«, »Küsten­wache« oder Die Känguru-Chroniken und in inter natio­nalen Spiel­filmen wie Iron Sky war sie in kleineren Rollen zu sehen.

Heute lebt und arbeitet sie zwischen Berlin, Gaines­ville und Moskau. Ersteres ist so etwas wie der Haupt­wohn­sitz, in der russi­schen Haupt­stadt sind sie und ihr Mann, der ebenfalls als Schau­spieler arbeitet, oft in Insze­nie­rungen einge­bunden, und am College of the Arts der Univer­sity of Florida (UF) unter­richtet Gossmann Schau­spiel. In »gewöhn­li­chen«, coro­nafreien Jahren pendelt sie mit Hund und Sohn zwischen Florida und Berlin und sieht ihren Mann, so etwa im letzten Jahr geschehen, manchmal fünf Monate nicht. »Wir haben uns einen Tag in Moskau getroffen, als ich das Thea­ter­stück ‚Was die Welt im Innersten zusam­men­hält’ anläss­lich des 250. Jahres­tags von Alexander von Humboldt dort insze­niert habe«, erklärt sie. »Ich bin jemand, der immer macht. Wenn ich was toll finde, bin ich dabei«.

Dieses Aufge­weckte spiegelt sich auch in ihrer Schau­spiel­phi­lo­so­phie wider, die sie den Studie­renden an der UF vermit­telt. Als Juni­or­pro­fes­sorin mit dem Schwer­punkt Forschung lehrt sie die Schau­spiel­technik »Lucid Body« nach Fay Simpson. Gossmann hat die Choreo­grafin und Regis­seurin während des Studiums an der Yale Univer­sity in Boston getroffen und drei Jahre bei ihr gelernt. »Lucid Body«, so erklärt Gossmann, sei so etwas wie die Reinkar­na­tion der Schau­spiel­me­thode von Michael Tschechow. »Es geht darum, den Körper wach zu kriegen, alles läuft über den Körper«.

Aktuell findet die Lehre in Gaines­ville, wie wohl an den meisten Univer­si­täten, digital statt. Per Videochat zeigt Gossmann ihren Studie­renden Warm-ups, Schau­spiel- und Konzen­tra­ti­ons­ü­bungen und konzen­triert sich auf die Mono­lo­g­ar­beit, weil das dialo­gi­sche Spiel digital schwer durch­zu­führen sei. Da das 1000 Menschen fassende Campus­theater nicht bespielt werden darf, plant sie für das kommende Semester eine Insze­nie­rung von Anton Tsche­chows »Drei Schwes­tern« in einem an den Campus angren­zenden Waldstück. Auch das sei, wie die Arbeit mit Fincher, Teil ihrer »Rese­ar­ch­ar­beit«.