Spannung in der Stille |
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Monika Gossmann mit Gary Oldman in David Finchers Mank | ||
(Foto: Netflix) |
Von Jens Balkenborg
Gary ist ein absolut herrlicher, entspannter Mensch.
Er ist ein offener und bescheidener Typ.
Am Anfang der Dreharbeiten sah er mit seinen wilden Haaren
und den Sneakern aus wie ein Punk aus den 1970er Jahren. – Monika Gossmann über Gary Oldman
Sie ist die Schweigsame in dem Kammerspiel auf der Ranch in der Mojave-Wüste. Während Gary Oldman als zynischer, saufender Autor Herman J. Mankiewicz alias »Mank« intellektuelle Pfeile abschießt und seiner Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins) das Drehbuch zu Orson Welles’ zeitlosem Klassiker Citizen Kane diktiert (Arbeitstitel: »American«), schleicht die Krankenschwester Fräulein Frieda durch die Räume. Die deutsche Schauspielerin Monika Gossmann spielt sie mit einnehmender Ruhe. »Für David Fincher war es wichtig, die Beziehung der Charaktere um Mank herum wortlos zu erzählen« erklärt Gossmann im Videointerview aus ihrem Elternhaus in Rheinland Pfalz.
Die deutsche Krankenschwester ist in Mank die Verkörperung für Vieles, was am Rande oder außerhalb der 1940 einsetzenden Geschichte liegt. Ihre Frieda, die von dem Drehbuchautor mit deutsch-jüdischer Abstammung gerettet wurde, stehe, so Gossmann, für die Migration aus und den Konflikt in Nazideutschland. An sechs Probe- und 16 Drehtagen habe sie sich der Figur gemeinsam mit dem Regisseur genähert und sie geschaffen. Eingefangen in herrlichem Schwarzweiß, vibriert es zwischen ihr und Oldman. Es ist eine wortarme, aber komplexe Beziehung, die das dichte Drehbuch andeutet. »Mank ist eigentlich ein Film fürs Kino«, konstatiert die Schauspielerin zurecht.
Sie habe versucht, ihr die Spannung in der Stille zu geben, sagt Gossmann und erklärt weiter, dass sie die Figur mit ihrer eigenen Familiengeschichte aufgeladen habe. Die Schauspielerin und Regisseurin wurde 1981 in Almaty in der ehemaligen Sowjetunion (heute Kasachstan) nahe der chinesischen Grenze geboren. Ihre deutschen Vorfahren kamen unter der Zarin Katharina II. nach Russland, mussten aber während der Stalin-Herrschaft an die Wolga und nach Sibirien umsiedeln. »Wir haben viel von der russischen Seite abbekommen, wir waren die Sündenböcke« beschreibt sie die historischen Gräuel gegen die Russlanddeutschen. Gossmann selbst wuchs zwischen dem dritten und dem sechsten Lebensjahr in Tadschikistan auf, bevor sie 1988 mit der Familie zurück nach Deutschland kam.
Dieses transnationale, multilinguale Leben setzt sich bis heute fort. Gossmann studierte Tanz in Hamburg, absolvierte ein Schauspielstudium an der Moskau Art Theatre School und spielte in und realisierte als Regisseurin Inszenierungen in Russland und Deutschland. Auch in deutschen Fernsehproduktionen wie »SOKO«, »Küstenwache« oder Die Känguru-Chroniken und in inter nationalen Spielfilmen wie Iron Sky war sie in kleineren Rollen zu sehen.
Heute lebt und arbeitet sie zwischen Berlin, Gainesville und Moskau. Ersteres ist so etwas wie der Hauptwohnsitz, in der russischen Hauptstadt sind sie und ihr Mann, der ebenfalls als Schauspieler arbeitet, oft in Inszenierungen eingebunden, und am College of the Arts der University of Florida (UF) unterrichtet Gossmann Schauspiel. In »gewöhnlichen«, coronafreien Jahren pendelt sie mit Hund und Sohn zwischen Florida und Berlin und sieht ihren Mann, so etwa im letzten Jahr geschehen, manchmal fünf Monate nicht. »Wir haben uns einen Tag in Moskau getroffen, als ich das Theaterstück ‚Was die Welt im Innersten zusammenhält’ anlässlich des 250. Jahrestags von Alexander von Humboldt dort inszeniert habe«, erklärt sie. »Ich bin jemand, der immer macht. Wenn ich was toll finde, bin ich dabei«.
Dieses Aufgeweckte spiegelt sich auch in ihrer Schauspielphilosophie wider, die sie den Studierenden an der UF vermittelt. Als Juniorprofessorin mit dem Schwerpunkt Forschung lehrt sie die Schauspieltechnik »Lucid Body« nach Fay Simpson. Gossmann hat die Choreografin und Regisseurin während des Studiums an der Yale University in Boston getroffen und drei Jahre bei ihr gelernt. »Lucid Body«, so erklärt Gossmann, sei so etwas wie die Reinkarnation der Schauspielmethode von Michael Tschechow. »Es geht darum, den Körper wach zu kriegen, alles läuft über den Körper«.
Aktuell findet die Lehre in Gainesville, wie wohl an den meisten Universitäten, digital statt. Per Videochat zeigt Gossmann ihren Studierenden Warm-ups, Schauspiel- und Konzentrationsübungen und konzentriert sich auf die Monologarbeit, weil das dialogische Spiel digital schwer durchzuführen sei. Da das 1000 Menschen fassende Campustheater nicht bespielt werden darf, plant sie für das kommende Semester eine Inszenierung von Anton Tschechows »Drei Schwestern« in einem an den Campus angrenzenden Waldstück. Auch das sei, wie die Arbeit mit Fincher, Teil ihrer »Researcharbeit«.