02.04.2020

Kein Koller auf Korona, Teil 3

Queen Sono
Eine »afrikanische« Gegenwart, die sich selbstbewusst von der eigenen Historie entkoppelt hat
(Foto: Netflix)

Black is bad and beautiful – »Queen Sono«, die erste von »script-to-screen« in Schwarzafrika produzierte Serie, hinterfragt pointiert alte Stereotypen und bietet im Gegenzug einen erfrischend-radikalen Pan-Afrikanismus. Und ist dabei auch noch sexy, spannend und sowieso supertoll.

Von Axel Timo Purr

„I feel like my brain is broken.“ – Queen Sono, Folge 4

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Malcolm X You can’t have Capi­ta­lism without Racism. Thomas Sankara We must learn to live the African way. It’s the only way to live in freedom and with dignity. Patrice Lumumba Africa will write its own history, and it will be, to the north and to the south of the Sahara, a history of glory and dignity. Robert Sobukwe Poli­ti­cally we stand for government of the Africans for the Africans by the Africans, with everybody who owes his loyalty only to Africa and accepts the- demo­cratic rule of an African majority, being regarded as an African Steve Biko It is better to die for an idea that will live, than to live for an idea that will die. Julius Nyerere There is no time to waste. We must either unite now or perish. Robert Mugabe We are no longer going to ask for the land, but we are going to take it without nego­tia­ting. Jomo Kenyatta When the Missio­na­ries arrived, the Africans had the Land and the Missio­na­ries had the Bible. They taught us how to pray with our eyes closed. When we opened them, they had the land and we had the Bible.

Den meisten Menschen in unserem Kultur­kreis ist die Alli­te­ra­tion »Kinder, Küche Kirche«, die für ein Frau­en­bild nach konser­va­tiven Wert­vor­stel­lungen steht, ein fest­ste­hender Begriff, der immer wieder auch daran erinnert, wie schwer es ist, tradierte Rollen­bilder in der Praxis aufzu­lösen. Dass drei andere »Ks« ein eben­sol­cher Fluch für einen ganzen Kontinent sind, wissen die wenigsten. Doch seit westliche Medien und Menschen den »Komplex Afrika« rezi­pieren, kommt im Großen und Ganzen dabei nicht viel mehr als »Kriege, Krank­heiten und Korrup­tion« heraus. Zwar gab es in den letzten Jahren verstärkt pan-afri­ka­nis­ti­sche Bestre­bungen aus dem Umfeld afro-ameri­ka­ni­scher Univer­si­täten (etwa die Univer­sity of Louis­ville), oder Autoren wie Ngũgĩ wa Thiong’o und David Maillu, die das alte pan-afri­ka­nis­ti­sche Feuer aus den Zeiten der Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen der 1960er neu entfachten bzw. weiter­trugen, aber viel mehr als ein paar großar­tige theo­re­ti­sche Texte und Romane und ein dann doch durch und durch eska­pis­ti­scher und letzt­end­lich enttäu­schender Super­hel­den­film wie Black Panther ist dabei nicht entstanden. Und natürlich »Filmkunst« wie Atlan­tique oder Félicité, die aller­dings über ihre Popu­la­rität auf Festivals nie hinaus­kamen. Von Ausnahmen natürlich abgesehen. Doch auch wenn Netflix einen Film wie Atlan­tique im Programm hat, muss man ihn erst einmal finden, worauf ich bereits im ersten Teil von Kein Koller auf Korona hinge­wiesen hatte, spiegelt sich auch innerhalb einer Plattform wie Netflix fast schon tragisch ein über Genera­tionen tradiertes, markt­wirt­schaft­li­ches Verhalten.

Dabei ist allen klar, dass die »Neuschrei­bung Afrikas« intrinsisch und auf breiter Ebene erfolgen muss, um das Denken (und damit die Realität) tatsäch­lich zu deko­lo­nia­li­sieren, wie es Ngũgĩ einmal formu­liert hat. Doch wer kennt schon Ngũgĩ oder Maillu oder Filme wie Atlan­tique oder Félicité, die nicht einmal der aufstre­benden sene­ga­le­si­schen oder kongo­le­si­schen Mittel­schicht ein Begriff sind? Dafür kennen alle Netflix, mehr noch in den Ländern, in denen es seit vielen Jahren – und das weder Corona- oder Strea­ming­be­dingt – schon keine Kinos mehr gibt.

Dementspre­chend hoch muss man Netflix Bestreben anrechnen, dieses Vakuum mit Inhalten zu füllen (und auch noch dafür zu werben), die nicht den klas­si­schen Stereo­typen der drei afri­ka­ni­schen »Ks« entspre­chen. Zwar gab es bislang schon eine gute Auswahl an Nollywood-Filmen, die andere Geschichten erzählen, doch eine eigene Serie, die von »Script« bis »Screen« aus dem subsa­ha­ri­schen Raum stammt, gab es bislang noch nicht. »Queen Sono«, Ende Februar gelaun­ched, füllt diese Lücke. Und sie füllt diese Lücke über­ra­schend gut.

Zwar gibt es auch in »Queen Sono« Kompro­misse, ist es ein stan­dar­di­sierter 6-Teiler, der ober­fläch­lich den bei anderen Non-Western-Netflix-Produk­tionen üblichen Mix aus Action, Tragik und einem univer­sellen, trockenen Humor inklu­diert, und ist es letzt­end­lich eine südafri­ka­ni­sche und keine (pan-) afri­ka­ni­sche Serie. Aber Showrunner Kagiso Lediga model­liert Südafrika geschickt als Blaupause für andere sub-saha­ri­sche Regionen und hämmert kompro­misslos afri­ka­ni­sche Reali­täten in die Serie, die bislang so nicht zu sehen waren und eine Wucht entfalten, die die einge­gan­genen Kompro­misse schnell vergessen lassen.

Das beginnt schon bei der Kern­er­zäh­lung um die junge Geheim­agentin Queen Sono, diffe­ren­ziert und leiden­schaft­lich von Pearl Thusi verkör­pert, die von der südafri­ka­ni­schen Geheim­dienst­or­ga­ni­sa­tion SOG beauf­tragt wird, mit ihrem Team neoko­lo­nia­lis­ti­sche Bestre­bungen, korrupte Struk­turen und indigenen Terro­rismus zu bekämpfen. Doch Sono versucht nicht nur die Probleme ihrer »afri­ka­ni­schen« Gegenwart zu lösen, sondern auch die ihrer persön­li­chen Vergan­gen­heit. Im Schatten ihrer Mutter, einer charis­ma­ti­schen Anti-Apart­heids-Akti­vistin, die in Anwe­sen­heit ihrer Tochter einem Attentat zum Opfer fiel, will Sono nicht nur die Mörder ihrer Mutter stellen, sondern sich gleich­zeitig von ihren Traumata befreien und sich von dem Wider­stands-Ethos ihrer Mutter eman­zi­pieren. Dabei gerät sie nicht nur in den Strudel afri­ka­ni­scher Befrei­ungs­ge­schichte und Iden­ti­täts­ver­lusten, sondern muss auch ihre eigene Identität neu erfinden.

In dieses spannende, aber immer wieder mit unge­wöhn­lich langen Einstel­lungen bis zum Still­stand operie­rende narrative Grund­kon­zept flechtet Kagiso Lediga den Alltag eines halben Konti­nents ein. Er zeigt nicht nur Orte wie Zanzibar (in einem tollen Bond-liken Opener), Harare, Nairobi oder Joburg von einer Seite, die kaum einer vermutet, und die etliche westliche Betrachter regel­recht scho­ckieren dürfte, sondern macht auch ihre Sprachen erfahrbar – von Afrikaans über isiZulu, Kiswahili, Shona und Xitsonga ist eine – und erklärt mit diesen simplen Mitteln, wie komplex der Kontinent im Grunde ist, dass es ein Afrika ebenso wenig gibt wie ein Europa.

Das wird auch durch die Darstel­lung poli­ti­schen Lebens deutlich, dem sich »Queen Sono« mit fast schon beißender Realität widmet. Es werden nicht nur die poli­ti­schen Skandale in Südafrika der letzten Jahren thema­ti­siert – sei es Jacob Zuma, die Gupta Family um Ajay, Atul und Rajesh »Tony« Gupta und der Eskom-Korrup­ti­ons­skandal in Südafrika – sondern über einen Wieder­gänger des tanza­nia­ni­schen »Mwalimu« Nyerere in der dritten Folge auch die trau­ma­ti­sche Tragik des poli­ti­schen Wider­stands im afri­ka­ni­schen Kontext erläutert. Gleich­zeitig zeigt Lediga jedoch einen kreativen, »südafri­ka­ni­schen« Gegen­warts­alltag, der sich selbst­be­wusst von der eigenen Historie entkop­pelt hat und dennoch – sei es über Mode oder Fami­li­en­struk­turen – nimmt, was zum »indigenen« Überleben notwendig ist.

Dabei ist »Queen Sono« nie eindeutig. Wird in einer Szene etwa mit Hilfe der pan-afri­ka­ni­schen Terror­miliz »Watu Wema« (Kiswahili für Gute Menschen) der perfide Kapi­ta­lismus evan­ge­li­kaler Kirchen demas­kiert, wird im nächsten Moment deutlich, dass die Terror­miliz von Olig­ar­chen finan­ziert wird, die mit ihrer para­mi­li­tä­ri­schen Orga­ni­sa­tion eine neoko­lo­nia­lis­ti­sche Super­inva­sion vorbe­reiten.

In diese multi­plexen, poli­ti­schen Abhän­gig­keiten gelingt es Kagiso Lediga dann aber noch viel mehr zu verweben: die frem­den­feind­li­chen Tendenzen gerade in Südafrika und eine von Popu­listen ange­heizte Gewalt, die sich nach Rache sehnt, um das Elend und die Tragik um die eigene Geschichte vergessen zu lassen.

Dass Rache aber immer und gleich­zeitig auch ein Sünden­fall sein muss, wird dabei ebenso deutlich wie die Tatsache, dass sich das südliche Afrika dann doch nicht so sehr von »Europa« unter­scheidet, dass dort wie hier nur poli­ti­scher Wider­stand und poli­ti­sche Wach­sam­keit verhin­dern können, uns die Freiheit, ohne dass wir es so recht merken, abhanden kommt. Und es natürlich Rollen­bilder braucht, um dieses poli­ti­sche Bewusst­sein zu schaffen. Rollen­bilder wie sie »Queen Sono« besser nicht hätte liefern können.