13.02.2020

Ein Oscar für die Zukunft

Parasite
Der richtige Instinkt – für Parasite
(Foto: Koch Films)

Koreanische Gegenwart vs. US-Vergangenheitskino: Der überraschende Oscarregen für den koreanischen »Parasite« ist auch ein Misstrauensvotum gegen das »Weiter so« in Hollywood, wie gegen übertriebene Sensibilitäten

Von Rüdiger Suchsland

»Man ist am krea­tivsten, wenn man am persön­lichsten ist. Das habe ich bereits auf der Film­schule gelernt.« Also sprach der Koreaner Bong Joon-ho in einer seiner gleich vier Dankes­reden gestern Abend. Diesen Satz sollte sich die ganze Film­in­dus­trie hinter die Ohren schreiben – in einer Epoche, die von zuneh­mender Forma­tie­rung geprägt ist, in der die CEOs und Controller die Macht über die Kreativen haben.
Danach hob Bong gleich zwei nomi­nierte US-Regis­seure heraus und bedankte sich bei ihnen: Martin Scorsese »In der Filmuni habe ich seine Filme studiert« und Quentin Tarantino – »Als niemand in den USA meinen Namen kannte, hatte er meine Filme immer in seinen Besten­listen.«

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Es war ein Durch­marsch für den Außen­seiter: Bong Joon-ho, Jahrgang 1969, der inter­na­tional bekann­teste Filme­ma­cher Südkoreas, gewinnt für seinen Film Parasite gleich vier Oscars, und das auch noch in den wich­tigsten Kate­go­rien: »Bester Film«, »Beste Regie«, Bestes Drehbuch und »Bester inter­na­tio­naler Film«.

Kaum einer hätte es vorher erwartet, aber so wurde es eine histo­ri­sche Oscar-Nacht, und eine Preis­ver­lei­hung der Über­ra­schungen. Denn diese Preis­ver­lei­hung ist ein deut­li­ches Miss­trau­ens­votum gegen gewisse Tendenzen des Gegen­warts­kinos: Etwa gegen die allzu wohlfeile, allzu nost­al­gi­sche Flucht weiter Teile des Kinos ins Histo­ri­sche, oft Geschmäck­le­ri­sche.
Es war schon auffal­lend: Nicht weniger als sechs der nomi­nierten Filme, darunter auch die »Favoriten« der Buch­ma­cher, spielen in der Vergan­gen­heit: Joker in den 70er Jahren, Once Upon a Time... in Hollywood 1969, 1917 im Ersten Weltkrieg, The Irishman zwischen 1950 und 2000, Jojo Rabbit im Dritten Reich, Le Mans 66 – Gegen jede Chance vs Ford 1964, Little Women gar Mitte des 19. Jahr­hun­derts.
 Parasite aber erzählt eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt, zudem eine sehr univer­sale, die zwischen einer reichen und einer armen Familie ange­sie­delt ist – ein Wech­sel­spiel, das sich sehr leicht auf jedes Land der Welt über­tragen lässt. Zudem ist dieser Film eine Satire, die Thriller mit Komödie kombi­niert und viel Stoff zum Lachen bietet – auch das ist eher rar zwischen all den getra­genen Melos, dem Kriegfilm 1917 und dem düster-brutalen Rache­thriller Joker.

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Bong Joon-ho – der Korre­spon­dent des Deutsch­land­funk hatte auch an diesem Morgen noch Probleme, den Namen korrekt auszu­spre­chen. Dabei ist dieser Regisseur bereits fast 20 Jahre Stammgast auf inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals, und seine Filme The Host, Snow­piercer oder Okja liefen auch regel­mäßig in Deutsch­land im Kino an. Bereits im vergan­genen Mai hatte Parasite mit der Goldenen Palme in Cannes eine der wich­tigsten Auszeich­nungen der Filmwelt errungen.

Trotzdem waren die Oscars, erst recht in dieser massiven Häufung, sehr über­ra­schend. Schließ­lich hatte in bisher 91 Jahren ein nicht-englisch­spra­chiger Film noch nie in der Kategorie »Bester Film« gewonnen.

So waren diese Auszeich­nungen bei aller Selbst­feier Holly­woods, die die »Academy Awards« immer auch sind, auch eine Aner­ken­nung für den Rest der Welt, für eine Film­in­dus­trie, die eigen­s­tändig ist und der ökono­mi­schen Übermacht Holly­woods Krea­ti­vität und Einfalls­reichtum entge­gen­setzt, ohne das Kino-Spezi­fi­sche, die visuelle Dynamik des Bewe­gungs­me­diums, zu verleugnen.

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Der Oscar für Parasite war zugleich auch ein Preis gegen die Tyrannei einer über­trie­benen Sensi­bi­lität, nach der Auszeich­nungen zunehmend oft vor allem nach plakativ poli­ti­schen Kriterien vergeben werden, oder nach äußeren Iden­ti­täts­merk­malen.

Mimimi – es war ein arges Gejammer in gewissen Kreisen darüber, dass Greta Gerwig nicht für einen Regie­preis nominiert worden war, die heilige Greta Gerwig, die Heldin aller Film­kri­tiker...

Wo alle von Diver­sität sprechen, hat der Oscar­regen für Parasite dieses Kriterium erfüllt, und zugleich die Forde­rungen nach einer »Aufwer­tung« von Frauen, Schwarzen und anderen Minder­heiten der US-Gesell­schaft ins Leere laufen lassen. Parasite ist das Gegenteil eines »politisch korrekten« Kinos, er ist anstößig, provo­zie­rend und bewusst »incorrect« – gerade darin liegt seine rebel­li­sche Kraft.
Zugleich ist dies ein Preis für die Öffnung der Film­in­dus­trie und eine Absage an das schlichte »Weiter-so« in einem Hollywood, das zunehmend von Remakes, Sequels und Prequels geprägt ist.

So standen denn auch die großen zwei Verlierer des Abends fest: Vor allem Joker, der auch in den USA umstrit­tene, aber durch 11 Nomi­nie­rungen mit viel Vorschuss­lor­beeren bedachte gewalt­tä­tige Rache­thriller. Viele respek­tierten den Film, warfen ihm aber zugleich vor, einen Wutbürger zu verherr­li­chen. Nur zwei Oscar konnte der Film gewinnen: Außer der Auszeich­nung für Joaquin Phoenix blieb der für die beste Filmmusik.
Erwartet worden waren auch die anderen Preise für die Darsteller: Renee Zellweger, Brad Pitt und Laura Dern erhielten hier auch Aner­ken­nungen für ihr Gesamt­werk.

Am Morgen vor der Oscar­ver­lei­hung veröf­fent­lichte der »Hollywood Reporter«, die einfluss­reichste US-Bran­chen­zeit­schrift, ein überaus inter­es­santes Gespräch mit einem bedeu­tenden Produ­zenten, der anonym bleiben durfte und dafür »brutal ehrlich« erklärte, wie er auf die Filme blickte: 1917 ist mehr ein Gimmick und nur visuell inter­es­sant, Scorsese hat weitaus bessere Filme gemacht, Joker war exzellent, aber das ist kein 'bester Film'. Aber Bong Joon-ho ist supers­mart und brillant, ein sehr talen­tierter Regisseur.
Da hatte einer den richtigen Instinkt.