30.03.2017

Archi­tektur zum Mitsingen

L'Architecte de Saint-Gaudens
Tip Top on the Top: Serge Bozon hat mit L’Architecte de Saint-Gaudens ein Musical mit einem singenden Architekten gedreht.

Die 17. Architekturfilmtage zeigen Gebäude im Genrespiel: als Krimi, Musical oder dokumentarische Science Fiction

Von Dunja Bialas

»For me, visiting a building is like watching a film. Roaming through the corridors is choreo­gra­phed by the architect who decides where you turn a corner, who prede­ter­mines the window through which you can lose yourself in a view. Every building has a beginning, in the same way every story, every film has to begin somewhere.« – Petra Noordkamp

Tatort Kirche

Die »Chiesa Madre«, das ist nicht nur die zentrum­bil­dende »Mutter­kirche« in einem x-belie­bigen italie­ni­schen Ort. Architekt Ludovico Quaroni hat mit der beiläu­figen Genre-Bezeich­nung seine spek­ta­ku­läre kugel­för­mige Kirche im sizi­lia­ni­schen Gibellina so genannt, die er von 1972 bis 1984 erbaute und unvoll­endet ließ. 1987 starb er. Die Photo­gra­phin Petra Noordkamp machte 2012 einen Film über eben jene Kirche und nannte ihn: La madre, il figlio e l’archi­tetto, es ist ihr Debüt als Filme­ma­cherin. Über die beiläu­fige Bedeutung der »Mutter­kirche« legt sie die wahre Geschichte vom Sohn des Archi­tekten, Emilio. Mit diesem war sie, ohne damals zunächst zu wissen, dass er der Sohn des Archi­tekten war, in den 90er Jahren liiert. Dann trennten sie sich. 2001, da waren sie nicht mehr zusammen, ermordete Emilio, der Sohn des Archi­tekten, seine Mutter. »Jedes Gebäude hat einen Anfang wie eine Geschichte«, sagt die Filme­ma­cherin zu Beginn von La madre…. Die Geschichte mit Emilio, so entwi­ckelt sie aus dem Off, begann noch bevor sie Emilio kennen­lernte, mit ihrer Faszi­na­tion für die sizi­lia­ni­sche »Quiesa Madre«. Was aber musste passieren, damit Emilio seine Mutter ermordete? Und welches Monument ist vor diesem Hinter­grund die »Mutter­kirche«, eine der letzten Bauten, die Architekt Ludovico Quaroni reali­sierte? Petra Noordkamp vollzieht die Gebäu­de­be­ge­hung in ruhigen, photo­gra­phisch kadrierten Ansichten, während sie die soghafte Geschichte eines Krimi­nal­fall entwi­ckelt, der vertrackt und verwin­kelt ist wie das Gebäude selbst und sich anders als dieses, so gar nicht rund schließen lässt und viel­leicht sogar die Filme­ma­cherin selbst invol­viert.

La madre, il figlio e l’archi­tetto gehört zu den erstaun­li­chen Filmen des Kurz­film­pro­gramms, das die 17. Archi­tek­tur­film­tage im Münchner Film­mu­seum zeigen. Dieser und die anderen Filme des Programms (So., 2.4., 21:00 Uhr) durch­kreuzen nicht ganz die Erwartung an einen klas­si­schen Archi­tek­tur­film, während sie dennoch weitere, unsicht­bare Dimen­sionen eröffnen: Wir begehen mit dem Film ein Gebäude, bekommen Infor­ma­tionen. Aber wir bekommen auch eine Geschichte, und mit ihr die ungelösten Rätsel. Archi­tektur findet nicht ohne den Menschen statt, Archi­tektur ist beyond archi­tec­ture.

Der singende Architekt

»Je fais mon métier« – »Ich mache meine Arbeit«, singt ein Architekt in L’Archi­tecte De Saint-Gaudens, einem anderen Film des Kurz­film­pro­gramms. Gespielt wird er von Chanson-Erneuerer Mehdi »Fugu« Zannad, der auch die Musik kompo­nierte, und der ganz nebenbei selbst auch Architekt ist. Reali­siert hat ihn Serge Bozon, zusammen mit der Choreo­gra­phin Julie Despr­ai­ries, die Tanz­szenen insze­niert hat. (Bozon ist Schau­spieler und Regisseur von einigen Filmen, und an dieser Stelle unbedingt erwähnt sei sein unfass­barer Polar Tip Top von 2013, mit Isabelle Huppert als Kommis­sarin, der bei uns leider nie ins Kino kam und in dem auch schon getanzt wurde.) Heraus­ge­kommen ist ein Archi­tektur-Musical, mit deut­li­chen, wenn auch relativ sinn­freien Anleihen an die Musicals von Jacques Demy. Verschie­dene Gebäude werden betanzt und besungen, von den fiktiven Bewohnern, die mit ihnen zu tun haben. So singt beispiels­weise der Architekt: »Holz war mein Haupt-Material / für dieses Gemein­de­haus / je fais mon métier – ich mache meine Arbeit«. Oder es wird getanzt, wie eine Gruppe von Jugend­li­chen, die ihre Körper von innen an die Fens­ter­scheiben eines Trep­pen­hauses eines Internats »kleben«, dessen Schlaf­säle und strenge Archi­tektur neu geordnet wurden: »Ou-ou«, singen sie in Rolling-Stones-Manier, »trans­pa­rence retrouvée« – »wieder­ge­fun­dener Durch­blick«, ergänzt singend der Architekt. Was sich ziemlich durch­ge­knallt anhört, ist es auch. Und: ungemein spaßig und befreiend. Und kein bisschen recht­winklig.

Der rechte Winkel ist böse

Dem rechten Winkel misstraut hat Ulrich Müther, Baumeister. Er hat eine Reihe von Häusern gebaut, die aussehen, als kämen sie direkt aus der Zukunft. In Wirk­lich­keit kommen sie aus der DDR, stehen auf der Ostsee-Insel Rügen und wurden nach der Wende schänd­lich in Stich gelassen. Das Charak­te­ris­ti­sche seiner Bauten ist das Rund: wie Wohn- oder Büro-Cocons stehen sie über­ra­schend in der Land­schaft und trotzen futu­ris­tisch den Ost-Plat­ten­bauten. Margarete Fuchs zeichnet in ihrem Doku­men­tar­film Für den Schwung sind Sie zuständig die Aufbruch­stim­mung in den 60er Jahren nach, den Werdegang des inno­va­tiven Baumeis­ters, der viele Aufträge im Ausland erhielt, die Wende und das Leben heute. Der Film ist eine archi­tek­to­ni­sche Reise durch die Geschichte der DDR und den ideo­lo­gi­schen Clash, in jeder Hinsicht.

Im selben Programm zu sehen ist ein weiterer DDR-Archi­tek­tur­film, in dem ebenfalls ein rundes Objekt die Haupt­rolle spielt: die Bowling-Kugel. Bowling­treff der Regis­seure Thomas Beyer und Adrian Dorscher hat sich einen Ausnah­mebau aus der aller­letzten DDR-Zeit (1987) vorge­nommen: den »Bowling­treff« in Leipzig, der als post­mo­derne Rarität die Geschichte der DDR-Archi­tektur berei­chert. Im weit­läu­figen Keller­ge­füge eines ehema­ligen Umspann­werks wurde eine Bowling­bahn instal­liert und brachte den Leip­zi­gern uner­war­tetes Made-in-USA-Gefühl, auf sich aufmerksam machte das Freizeit-Center durch den soge­nannten U-Boot-Turm, einem typisch post­mo­dernen, glas- und säulen­durch­zo­genen Hochbau mit großzügigem Trep­pen­haus. Bowling­treff fördert die sozial-poli­ti­sche Bedeutung zutage, die ein derar­tiges Zweck-Gebäude haben kann: Es gibt keine Unschuld, und schon gar nicht in der Archi­tektur. (Sa. 1.4., 18:30 Uhr, alle Regis­seure sind zu Gast)

17. Archi­tek­tur­film­tage
31. März bis 2. April 2017

Film­mu­seum München
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Eintritt: 4 Euro (3 Euro für Mitglieder des MFZ). Karten­re­ser­vie­rung: 089 / 233 96450