Architektur zum Mitsingen |
||
Tip Top on the Top: Serge Bozon hat mit L’Architecte de Saint-Gaudens ein Musical mit einem singenden Architekten gedreht. |
Von Dunja Bialas
»For me, visiting a building is like watching a film. Roaming through the corridors is choreographed by the architect who decides where you turn a corner, who predetermines the window through which you can lose yourself in a view. Every building has a beginning, in the same way every story, every film has to begin somewhere.« – Petra Noordkamp
Die »Chiesa Madre«, das ist nicht nur die zentrumbildende »Mutterkirche« in einem x-beliebigen italienischen Ort. Architekt Ludovico Quaroni hat mit der beiläufigen Genre-Bezeichnung seine spektakuläre kugelförmige Kirche im sizilianischen Gibellina so genannt, die er von 1972 bis 1984 erbaute und unvollendet ließ. 1987 starb er. Die Photographin Petra Noordkamp machte 2012 einen Film über eben jene Kirche und nannte ihn: La madre, il figlio e l’architetto, es ist ihr Debüt als Filmemacherin. Über die beiläufige Bedeutung der »Mutterkirche« legt sie die wahre Geschichte vom Sohn des Architekten, Emilio. Mit diesem war sie, ohne damals zunächst zu wissen, dass er der Sohn des Architekten war, in den 90er Jahren liiert. Dann trennten sie sich. 2001, da waren sie nicht mehr zusammen, ermordete Emilio, der Sohn des Architekten, seine Mutter. »Jedes Gebäude hat einen Anfang wie eine Geschichte«, sagt die Filmemacherin zu Beginn von La madre…. Die Geschichte mit Emilio, so entwickelt sie aus dem Off, begann noch bevor sie Emilio kennenlernte, mit ihrer Faszination für die sizilianische »Quiesa Madre«. Was aber musste passieren, damit Emilio seine Mutter ermordete? Und welches Monument ist vor diesem Hintergrund die »Mutterkirche«, eine der letzten Bauten, die Architekt Ludovico Quaroni realisierte? Petra Noordkamp vollzieht die Gebäudebegehung in ruhigen, photographisch kadrierten Ansichten, während sie die soghafte Geschichte eines Kriminalfall entwickelt, der vertrackt und verwinkelt ist wie das Gebäude selbst und sich anders als dieses, so gar nicht rund schließen lässt und vielleicht sogar die Filmemacherin selbst involviert.
La madre, il figlio e l’architetto gehört zu den erstaunlichen Filmen des Kurzfilmprogramms, das die 17. Architekturfilmtage im Münchner Filmmuseum zeigen. Dieser und die anderen Filme des Programms (So., 2.4., 21:00 Uhr) durchkreuzen nicht ganz die Erwartung an einen klassischen Architekturfilm, während sie dennoch weitere, unsichtbare Dimensionen eröffnen: Wir begehen mit dem Film ein Gebäude, bekommen Informationen. Aber wir bekommen auch eine Geschichte, und mit ihr die ungelösten Rätsel. Architektur findet nicht ohne den Menschen statt, Architektur ist beyond architecture.
»Je fais mon métier« – »Ich mache meine Arbeit«, singt ein Architekt in L’Architecte De Saint-Gaudens, einem anderen Film des Kurzfilmprogramms. Gespielt wird er von Chanson-Erneuerer Mehdi »Fugu« Zannad, der auch die Musik komponierte, und der ganz nebenbei selbst auch Architekt ist. Realisiert hat ihn Serge Bozon, zusammen mit der Choreographin Julie Desprairies, die Tanzszenen inszeniert hat. (Bozon ist Schauspieler und Regisseur von einigen Filmen, und an dieser Stelle unbedingt erwähnt sei sein unfassbarer Polar Tip Top von 2013, mit Isabelle Huppert als Kommissarin, der bei uns leider nie ins Kino kam und in dem auch schon getanzt wurde.) Herausgekommen ist ein Architektur-Musical, mit deutlichen, wenn auch relativ sinnfreien Anleihen an die Musicals von Jacques Demy. Verschiedene Gebäude werden betanzt und besungen, von den fiktiven Bewohnern, die mit ihnen zu tun haben. So singt beispielsweise der Architekt: »Holz war mein Haupt-Material / für dieses Gemeindehaus / je fais mon métier – ich mache meine Arbeit«. Oder es wird getanzt, wie eine Gruppe von Jugendlichen, die ihre Körper von innen an die Fensterscheiben eines Treppenhauses eines Internats »kleben«, dessen Schlafsäle und strenge Architektur neu geordnet wurden: »Ou-ou«, singen sie in Rolling-Stones-Manier, »transparence retrouvée« – »wiedergefundener Durchblick«, ergänzt singend der Architekt. Was sich ziemlich durchgeknallt anhört, ist es auch. Und: ungemein spaßig und befreiend. Und kein bisschen rechtwinklig.
Dem rechten Winkel misstraut hat Ulrich Müther, Baumeister. Er hat eine Reihe von Häusern gebaut, die aussehen, als kämen sie direkt aus der Zukunft. In Wirklichkeit kommen sie aus der DDR, stehen auf der Ostsee-Insel Rügen und wurden nach der Wende schändlich in Stich gelassen. Das Charakteristische seiner Bauten ist das Rund: wie Wohn- oder Büro-Cocons stehen sie überraschend in der Landschaft und trotzen futuristisch den Ost-Plattenbauten. Margarete Fuchs zeichnet in ihrem Dokumentarfilm Für den Schwung sind Sie zuständig die Aufbruchstimmung in den 60er Jahren nach, den Werdegang des innovativen Baumeisters, der viele Aufträge im Ausland erhielt, die Wende und das Leben heute. Der Film ist eine architektonische Reise durch die Geschichte der DDR und den ideologischen Clash, in jeder Hinsicht.
Im selben Programm zu sehen ist ein weiterer DDR-Architekturfilm, in dem ebenfalls ein rundes Objekt die Hauptrolle spielt: die Bowling-Kugel. Bowlingtreff der Regisseure Thomas Beyer und Adrian Dorscher hat sich einen Ausnahmebau aus der allerletzten DDR-Zeit (1987) vorgenommen: den »Bowlingtreff« in Leipzig, der als postmoderne Rarität die Geschichte der DDR-Architektur bereichert. Im weitläufigen Kellergefüge eines ehemaligen Umspannwerks wurde eine Bowlingbahn installiert und brachte den Leipzigern unerwartetes Made-in-USA-Gefühl, auf sich aufmerksam machte das Freizeit-Center durch den sogenannten U-Boot-Turm, einem typisch postmodernen, glas- und säulendurchzogenen Hochbau mit großzügigem Treppenhaus. Bowlingtreff fördert die sozial-politische Bedeutung zutage, die ein derartiges Zweck-Gebäude haben kann: Es gibt keine Unschuld, und schon gar nicht in der Architektur. (Sa. 1.4., 18:30 Uhr, alle Regisseure sind zu Gast)
17. Architekturfilmtage
31. März bis 2. April 2017
Filmmuseum München
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Eintritt: 4 Euro (3 Euro für Mitglieder des MFZ). Kartenreservierung: 089 / 233 96450