Diverse Déjà-Vus |
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Hana-bi bei Kore-eda in einem der besten Filme des Jahres: Unsere kleine Schwester entfacht ein Feuerwerk der Gefühle |
Wellen, Meer, Schilf im Wind, eine schweifende Kamera, und eine Handvoll Menschen auf einer Pazifikinsel, weit im Süden von Japan. Im Mittelpunkt zwei Jugendliche, die erwachsen werden. Eine Sommergeschichte, ein Hauch von Nouvelle Vague … Still the Water der japanischen Regisseurin Naomi Kawase ist ein schwereloser Film, magisches Kino aus Farben und Bewegung, naturnah und
sinnlich, zugleich von einer betörenden Schönheit, die über sich hinaus weist – das war er dann, der alles in allem beste Film des Jahres 2015.
Einer von vielleicht einem Dutzend Filmen, die bleiben werden.
Es war überhaupt ein Jahr des japanischen Kinos: Noch ein zweiter, neuer Film von Kawase kommt an den letzten Tagen des Jahres ins Kino, daneben muss man an Unsere kleine Schwester von Hirokazu Kore-eda erinnern, beides stille, sensible Filme, in deren scheinbar kleinen, durchaus unterhaltsamen Familiengeschichten sich große Themen verbergen: Liebe und Tod, Erinnerung und Zukunftshoffnung.
Tokyo Tribe von Sion Sono war demgegenüber das Gegenteil, ein Rock'n'Roll-Fantasy-Märchen aus der Zukunft – aber wie die anderen japanischen Filme ein exzellent und bewundernswert souverän inszeniertes Werk.
Es war auch, wieder einmal und weniger überraschend, ein Jahr der Franzosen: Drei Filme über – sehr unterschiedliche – Außenseiterbanden belegten wieder einmal, dass Frankreich das mit Abstand stärkste Kinoland Europas ist. Und eine Ausnahme. In Une Jeunesse Allemande erzählte Jean-Gabriel Périot sogar von Deutschland, vom Aufbruch der Studenten in den 60ern, der auch ein
Aufbruch der Filmemacher war. Und von der Versuchung des Terrors, der auch das Kino, nicht kalt ließ. Eden von Mia Hansen-Løve nahm die Techno-Szene der frühen 90er ins Visier.
Und auch in Bande de filles nahm Céline Sciamma jugendliche Lebenswelten ins Visier – ein Film, der viel Spaß macht, und dabei
von einer Gruppe schwarzer Mädchen aus der Vorstadt erzählt.
Die Leinwand atmet frische Luft. Alles vibriert in diesem Film, der vor allem ein ästhetisches und antikonventionelles Statement ist, in seinen ausufernden Kamerabewegungen und dem forcierten Musikeinsatz, ein Film, der zeigt, dass Form von Inhalt nicht zu trennen ist – und damit indirekt das Mainstreamkino kritisiert.
Was für ein bemerkenswertes Filmjahr! Aber auch: Was für ein merkwürdiges Filmjahr! Aus den USA kam wie immer die Masse der Filme – die besten unter ihnen waren unabhängige, eher gering budgetierte Produktionen. Und sie waren Genrefilme: Mit dem Vorstadthorror in David Robert Mitchells It Follows konnte kein zweiter Film mithalten. Und was war lustiger als die Rückkehr des New-Hollywood-Stars Peter Bogdanovich mit der großartigen Theater-im-Film-Komödie Broadway Therapy? Ähnlich witzig auch zwei Komödien des besseren Woody Allen namens Noah Baumbach: Mistress America läuft gerade noch im Kino.
Nicht vergessen werden wird auch Bill Pohlands Love & Mercy. Ein melancholischer, äußerst berührender, dabei begeisternder Film über Brian Wilson, das Genie im Herzen der »Beach Boys« ist nichts weniger als einer der besten Musikfilme der letzten Jahrzehnte – das Gegenteil aller Konvention. Nicht zuletzt auch durch mitreißende Darstellerleistungen von Paul Dano und John Cusack in der Rolle des jungen und des älteren Wilson.
2015 war natürlich auch ein weiteres Retro-Jahr, ein Jahr, das diverse Déjà-Vus bescherte: Ein neuer James Bond, ein neuer Spielberg, ein neuer Star Wars, ein neuer Terminator, ein neuer Jurassic Park und ein neuer Mad Max. Nicht alles war stark, aber alles war verlässlich – wobei die zwei letzteren, Jurassic World mit noch größeren, noch schlimmeren Dinosauriern, und Mad Max – Fury Road, der als »bester Film« des internationalen Kritikerverbandes Fipresci die Feingeister und das grobe Volk mal ausnahmsweise vereinnahmte, wohl die besten Guilty-Pleasure-Filme des Jahres waren: Jurassic World ist Spektakel pur, und dabei gar nicht mal blöde, weil hier das Kino der Attraktionen sich und sein Publikum gleich noch selbst zum Thema macht. Und Mad Max – Fury Road ist der Film zu unserer eigenen Zukunft, zu jener Apokalypse des Westens und seiner Demokratien, die sich gerade ereignet, und in deren Abgrund wir uns lachend hinabstürzen.
Und sonst? Dinosaurierhaft und zum Aussterben bereit wirkt dagegen nicht nur die deutsche Filmförderung und die Politik der an Kino völlig desinteressierten Kulturstaatsministerin Grütters, sondern das ganze deutsche Kino – nichts wirklich Neues, Fesselndes auf weiter Flur, und irgendwie typisch, dass ein Film über Demenz der erfolgreichste deutsche Film des Jahres wurde.
Kein einziges ernstzunehmendes Filmfestival außerhalb Deutschlands lud auch nur einen deutschen Film in seinen Wettbewerb. Am besten noch waren staatstragende, wenn auch kreuzbrave Filme wie Der Staat gegen Fritz Bauer – anständig, ja. Und mit viel Einsatz des Regisseurs Lars Kraume. Aber Filmkunst ist doch noch etwas anderes.
Der einzige deutsche Film, dem der Honig der co-produzierenden Fernsehsender nicht das Hirn verklebte, bleibt dann Sebastian Schippers Victoria – gerade, weil er nicht perfekt ist und sich angreifbar machte, konnte er so begeistern. Das war mal was! Außer Atem in Berlin.