Die Wahrheitssucher |
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Lupenreiner Neo-Realismus: Pasolinis Mamma Roma |
Von Elke Eckert
Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., ehrt zwei der größten Provokateure des italienischen Kinos:
Pier Paolo Pasolini und Francesco Rosi.
Am 2. November jährte sich der Todestag von Pier Paolo Pasolini zum 40. Mal. Offiziell wurde Pasolini von einem Stricher ermordet, doch schon früh wurden Zweifel an dessen Alleintäterschaft laut. Unlängst meldete sich David Grieco, ein ehemaliger Freund und Mitarbeiter von Pasolini, zu Wort und verbreitete seine Theorien zu dem Jahrzehnte zurückliegenden Mord in einem Buch. Laut Grieco kamen die wahren Hintermänner des Verbrechens aus dem Staatsapparat. Er ist nicht der Erste, der das behauptet, und zwingende Beweise kann auch er nicht vorlegen. Fest steht allerdings, dass Pasolini keine Konfrontation gescheut hat – weder mit der Kirche und den Medien noch mit Linken oder Rechten – und sich damit nicht nur Freunde gemacht hat.
Unter dem Titel »Vierzig Jahre danach: Pasolini und wir« wird am Sonntag, den 29. November, im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig mit Beiträgen und Lesungen, teils in italienischer, teils in deutscher Sprache, und seinem Film Mamma Roma an Pier Paolo Pasolini erinnert.
Los geht es um 16 Uhr mit »Pasolini – Der Schriftsteller und Poet«, gefolgt von »Pasolini – Der engagierte Intellektuelle und Provokateur« (17 Uhr) und zuletzt »Pasolini – Der Filmemacher« (18 Uhr) mit einleitenden Worten zum darauffolgenden Film.
Mamma Roma (OmdtU), Pasolinis zweiter Spielfilm aus dem Jahr 1962, ist das Porträt einer Prostituierten, die ihrem
Sohn zuliebe nicht mehr anschaffen gehen, sondern ihr Geld künftig als Gemüseverkäuferin verdienen will. Doch ihr ehemaliger Zuhälter erpresst sie mit ihrer Vergangenheit. Eindrucksvoll sind Pasolinis Bildsprache, in die er christliche Motive einbindet, und seine Hauptdarstellerin, die große Anna Magnani.
Der gebürtige Neapolitaner Francesco Rosi, der am 10. Januar dieses Jahres 92-jährig starb, begann seine Karriere als Filmemacher als Regieassistent von Luchino Visconti. Seinen ersten eigenen Spielfilm Die Herausforderung realisierte er 1958. 2012 erhielt er in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Dazwischen drehte der vielfach ausgezeichnete Meister der poetischen Literaturverfilmung 20 Spiel- und Dokumentarfilme. Rosi wollte mit seiner dokumentarisch genauen Erzählweise die Wahrheit finden und hinter Fassaden schauen, soziale Missstände anprangern und Machtmechanismen entlarven – »in einer Welt, in der die Menschen leider nicht aufhören, sich gegenseitig zu vernichten und wahrscheinlich nie damit aufhören werden«.
Die Hommage an Francesco Rosi – »Poeta Del Reale« im Filmmuseum München umfasst sechs seiner Filme aus vier Jahrzehnten.
Den Anfang macht Wer erschoß Salvatore G.? von 1962. Der Sizilianer Salvatore Giuliano sorgte zwischen 1943 und 1950 in Italien für Angst und Schrecken. Rosi drehte an Originalschauplätzen und mit Laiendarstellern, die Giuliano noch persönlich kannten, streut Zeitungsberichte, Interviews und Zeugenaussagen in die nicht chronologisch erzählte Handlung ein und seziert so anhand der
Geschichte des Verbrechers die Machtstrukturen seines Landes: »Ich will zeigen, dass er das Produkt seiner Heimat war, das Ergebnis der sozialen und politischen Bedingungen der 1940er Jahre.«
(Freitag, 4. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)
In Schöne Isabella soll ein spanischer Fürst standesgemäß heiraten, seine große Liebe ist aber ein Bauernmädchen. Die Hauptrollen in diesem im 17. Jahrhundert angesiedelten Kostümfilm spielen Omar Sharif und Sophia Loren. Ursprünglich wollte Rosi das für ihn untypische Märchen von 1967 mit sozialkritischen Untertönen versehen. Dass die nur leise zu hören sind, liegt am Produzenten
Carlo Ponti, der Rosis Hommage an die »vorkapitalistische Volkskultur« deutlich entschärfte.
(Samstag, 5. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)
Der Fall Mattei ist das Porträt des italienischen Wirtschaftsmanagers und Erdölmagnaten Enrico Mattei, der 1962 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, dessen Ursachen nie geklärt wurden. Auch hier geht Rosi nicht chronologisch vor, sondern montiert die einzelnen Szenen nach ideologischen Aspekten. Der Film von 1971 wurde in Italien heftig kritisiert, weil Mattei vielen zu positiv gezeichnet war. Rosis Entgegnung auf diesen Vorwurf: »Wenn ich eine kritische Untersuchung über den Staatskapitalismus und seine verschiedenen Formen hätte führen wollen, so hätte ich nicht diesen Film machen dürfen. Ich hätte dann nicht einen Film über Mattei, sondern über die Zeit nach Mattei gedreht.« (Sonntag, 6. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)
Nach dem Tod der Mutter kehren drei Söhne in ihr Heimatdorf in Süditalien zurück. In der Nacht vor der Beerdigung prallen ihre unterschiedlichen politischen Meinungen aufeinander… Drei Brüder inszenierte Francesco Rosi als ein Gleichnis auf die politische Spaltung Italiens während der »Bleiernen Jahre«. Seine Motivation für den 1980 entstandenen Film war »der Wunsch, dass alle Bürger – von welchem Standort, von welcher Ideologie aus auch immer – heute versuchen müssen, einen Punkt der Begegnung zu finden, um aufzubauen, nicht um zu zerstören.« (Mittwoch, 9. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)
Rosis letzter Film aus dem Jahr 1997 erzählt von der Odyssee eines jüdischen Auschwitz-Überlebenden durch Osteuropa zurück in seine italienische Heimat. Die Atempause basiert auf dem autobiographischen Buch »La tregua« des Chemikers und Schriftstellers Primo Levi und schildert nicht nur die Strapazen des Fußmarsches, sondern auch den Umgang Levis mit den traumatischen Erinnerungen und seine Sicht auf ein vom Krieg zerstörtes Europa. (Freitag, 11. Dezember, 18.30 Uhr / OmdtU)
Mit Christus kam nur bis Eboli adaptierte Rosi 1979 den Roman von Carlo Levi. Der Turiner Arzt, Maler und Schriftsteller wurde 1935 wegen antifaschistischer Aktionen vom Mussolini-Regime in ein süditalienisches Bergnest verbannt. Rosi schildert den Fatalismus der Dorfbewohner und ihr archaisches Leben aus Levis Perspektive, der durch Respekt und Empathie das Vertrauen der misstrauischen und verschlossenen Bergbauern gewinnt. (Samstag, 12. Dezember, 18 Uhr / OmeU)
Eine Veranstaltung der Filmstadt München in Kooperation mit dem Filmmuseum München.