26.11.2015

Die Wahr­heits­su­cher

UNTIL I LOSE MY BREATH
Lupenreiner Neo-Realismus: Pasolinis Mamma Roma

Zu Ehren der großen Regisseure des italienischen Kinos zeigt der Circolo Cento Fiori zwei Filmreihen: Pasolini & Rosi

Von Elke Eckert

Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., ehrt zwei der größten Provo­ka­teure des italie­ni­schen Kinos:
Pier Paolo Pasolini und Francesco Rosi.

Am 2. November jährte sich der Todestag von Pier Paolo Pasolini zum 40. Mal. Offiziell wurde Pasolini von einem Stricher ermordet, doch schon früh wurden Zweifel an dessen Allein­tä­ter­schaft laut. Unlängst meldete sich David Grieco, ein ehema­liger Freund und Mitar­beiter von Pasolini, zu Wort und verbrei­tete seine Theorien zu dem Jahr­zehnte zurück­lie­genden Mord in einem Buch. Laut Grieco kamen die wahren Hinter­männer des Verbre­chens aus dem Staats­ap­parat. Er ist nicht der Erste, der das behauptet, und zwingende Beweise kann auch er nicht vorlegen. Fest steht aller­dings, dass Pasolini keine Konfron­ta­tion gescheut hat – weder mit der Kirche und den Medien noch mit Linken oder Rechten – und sich damit nicht nur Freunde gemacht hat.

Unter dem Titel »Vierzig Jahre danach: Pasolini und wir« wird am Sonntag, den 29. November, im Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig mit Beiträgen und Lesungen, teils in italie­ni­scher, teils in deutscher Sprache, und seinem Film Mamma Roma an Pier Paolo Pasolini erinnert.

Los geht es um 16 Uhr mit »Pasolini – Der Schrift­steller und Poet«, gefolgt von »Pasolini – Der enga­gierte Intel­lek­tu­elle und Provo­ka­teur« (17 Uhr) und zuletzt »Pasolini – Der Filme­ma­cher« (18 Uhr) mit einlei­tenden Worten zum darauf­fol­genden Film.
Mamma Roma (OmdtU), Pasolinis zweiter Spielfilm aus dem Jahr 1962, ist das Porträt einer Prosti­tu­ierten, die ihrem Sohn zuliebe nicht mehr anschaffen gehen, sondern ihr Geld künftig als Gemü­se­ver­käu­ferin verdienen will. Doch ihr ehema­liger Zuhälter erpresst sie mit ihrer Vergan­gen­heit. Eindrucks­voll sind Pasolinis Bild­sprache, in die er christ­liche Motive einbindet, und seine Haupt­dar­stel­lerin, die große Anna Magnani.

Der gebürtige Neapo­li­taner Francesco Rosi, der am 10. Januar dieses Jahres 92-jährig starb, begann seine Karriere als Filme­ma­cher als Regie­as­sis­tent von Luchino Visconti. Seinen ersten eigenen Spielfilm Die Heraus­for­de­rung reali­sierte er 1958. 2012 erhielt er in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebens­werk. Dazwi­schen drehte der vielfach ausge­zeich­nete Meister der poeti­schen Lite­ra­tur­ver­fil­mung 20 Spiel- und Doku­men­tar­filme. Rosi wollte mit seiner doku­men­ta­risch genauen Erzähl­weise die Wahrheit finden und hinter Fassaden schauen, soziale Miss­stände anpran­gern und Macht­me­cha­nismen entlarven – »in einer Welt, in der die Menschen leider nicht aufhören, sich gegen­seitig zu vernichten und wahr­schein­lich nie damit aufhören werden«.

Die Hommage an Francesco Rosi – »Poeta Del Reale« im Film­mu­seum München umfasst sechs seiner Filme aus vier Jahr­zehnten.

Den Anfang macht Wer erschoß Salvatore G.? von 1962. Der Sizi­lianer Salvatore Giuliano sorgte zwischen 1943 und 1950 in Italien für Angst und Schrecken. Rosi drehte an Origi­nal­schau­plätzen und mit Laien­dar­stel­lern, die Giuliano noch persön­lich kannten, streut Zeitungs­be­richte, Inter­views und Zeugen­aus­sagen in die nicht chro­no­lo­gisch erzählte Handlung ein und seziert so anhand der Geschichte des Verbre­chers die Macht­struk­turen seines Landes: »Ich will zeigen, dass er das Produkt seiner Heimat war, das Ergebnis der sozialen und poli­ti­schen Bedin­gungen der 1940er Jahre.«
(Freitag, 4. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)

In Schöne Isabella soll ein spani­scher Fürst stan­des­gemäß heiraten, seine große Liebe ist aber ein Bauern­mäd­chen. Die Haupt­rollen in diesem im 17. Jahr­hun­dert ange­sie­delten Kostüm­film spielen Omar Sharif und Sophia Loren. Ursprüng­lich wollte Rosi das für ihn unty­pi­sche Märchen von 1967 mit sozi­al­kri­ti­schen Unter­tönen versehen. Dass die nur leise zu hören sind, liegt am Produ­zenten Carlo Ponti, der Rosis Hommage an die »vorka­pi­ta­lis­ti­sche Volks­kultur« deutlich entschärfte.
(Samstag, 5. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)

Der Fall Mattei ist das Porträt des italie­ni­schen Wirt­schafts­ma­na­gers und Erdöl­ma­gnaten Enrico Mattei, der 1962 bei einem Flug­zeug­ab­sturz ums Leben kam, dessen Ursachen nie geklärt wurden. Auch hier geht Rosi nicht chro­no­lo­gisch vor, sondern montiert die einzelnen Szenen nach ideo­lo­gi­schen Aspekten. Der Film von 1971 wurde in Italien heftig kriti­siert, weil Mattei vielen zu positiv gezeichnet war. Rosis Entgeg­nung auf diesen Vorwurf: »Wenn ich eine kritische Unter­su­chung über den Staats­ka­pi­ta­lismus und seine verschie­denen Formen hätte führen wollen, so hätte ich nicht diesen Film machen dürfen. Ich hätte dann nicht einen Film über Mattei, sondern über die Zeit nach Mattei gedreht.« (Sonntag, 6. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)

Nach dem Tod der Mutter kehren drei Söhne in ihr Heimat­dorf in Südita­lien zurück. In der Nacht vor der Beer­di­gung prallen ihre unter­schied­li­chen poli­ti­schen Meinungen aufein­ander… Drei Brüder insze­nierte Francesco Rosi als ein Gleichnis auf die poli­ti­sche Spaltung Italiens während der »Bleiernen Jahre«. Seine Moti­va­tion für den 1980 entstan­denen Film war »der Wunsch, dass alle Bürger – von welchem Standort, von welcher Ideologie aus auch immer – heute versuchen müssen, einen Punkt der Begegnung zu finden, um aufzu­bauen, nicht um zu zerstören.« (Mittwoch, 9. Dezember, 18.30 Uhr / OmeU)

Rosis letzter Film aus dem Jahr 1997 erzählt von der Odyssee eines jüdischen Auschwitz-Über­le­benden durch Osteuropa zurück in seine italie­ni­sche Heimat. Die Atempause basiert auf dem auto­bio­gra­phi­schen Buch »La tregua« des Chemikers und Schrift­stel­lers Primo Levi und schildert nicht nur die Strapazen des Fußmar­sches, sondern auch den Umgang Levis mit den trau­ma­ti­schen Erin­ne­rungen und seine Sicht auf ein vom Krieg zerstörtes Europa. (Freitag, 11. Dezember, 18.30 Uhr / OmdtU)

Mit Christus kam nur bis Eboli adap­tierte Rosi 1979 den Roman von Carlo Levi. Der Turiner Arzt, Maler und Schrift­steller wurde 1935 wegen anti­fa­schis­ti­scher Aktionen vom Mussolini-Regime in ein südita­lie­ni­sches Bergnest verbannt. Rosi schildert den Fata­lismus der Dorf­be­wohner und ihr archai­sches Leben aus Levis Perspek­tive, der durch Respekt und Empathie das Vertrauen der miss­traui­schen und verschlos­senen Berg­bauern gewinnt. (Samstag, 12. Dezember, 18 Uhr / OmeU)

Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München in Koope­ra­tion mit dem Film­mu­seum München.